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14. KAPITEL 1783 Was die Amtmänner an den neuen Anbauern im Bachenbrucher Mohr stört – ein Schriftwechsel über manche Inconvenzien und unziemliche Bedrohungen.

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DEM AMTSSCHREIBER NANNE aus dem Amt Bremervörde, in jenen Jahren zentral für die Moorkolonisierung nördlich von Bremen zuständig, wurde im November 1783 bestätigt, dass ihm »die Iurisdiction über die neuen Anbauern im Bachenbrucher Mohr, vorerst auf 12 Jahre« aufgetragen sei. Schon ein paar Jahre später soll der Mann in das Amt Rotenburg versetzt werden. Aus diesem Anlass, so meinen die Obrigkeiten, könne man die Bachenbrucher Anbauern doch eigentlich auch gleich dem Amt Otterndorf unterstellen. Die Gründe dafür liegen in den komplizierten Zuständigkeiten für dieses Dorf und haben über die Jahre zu einigem Verdruss geführt.

Amtsschreiber waren die Assistenten der Amtmänner, ihrerseits juristisch und auch »cameralistisch« gebildete Verwaltungsleute, meist aus niederem Adel und direkt dem Landesherrn unterstellt. Man muss sich da Männer mit gepuderten Perücken denken, als höchste Würdenträger auf dem Lande trugen sie Seiden- oder auch Wollstrümpfe bis zum Knie, dazu eine Kniebundhose und einen langen, geknöpften Rock aus gutem Tuch, mal mit aufwendigen, mal mit schlichteren Knöpfen und Manschetten geschmückt. Ihre Assistenten, die Schreiber, stammten aus kleinbürgerlichen Familien und waren wenig gebildet, im besten Fall von praktischem Verstand und womöglich sogar Menschenkenntnis. In jedem Fall musste so einer genug Kanzlei-Latein verstehen, um die komplizierten Briefe jener Zeit, voller juristischer Formeln und sprachlicher Verbeugungen und Kratzfüßen, sowohl zu verstehen als auch selbst zu verfassen. Und in unserer Gegend hat so jemand auch Plattdeutsch sprechen oder mindestens verstehen müssen.

Durch die bevorstehende Versetzung von Amtsschreiber Nanne erfahren wir mehr über die Situation der Anbauer im Bachenbrucher Moor.

Da heißt es in einem Brief des Amtmannes Schubart von Otterndorf, eines weiteren Perückenträgers, im März 1790: »Da die Bachenbrucher Anbauer zum Lande Hadeln gehören, sehr vielen Verkehr mit den Landes Eingeseßenen haben, so möchte es nach meinem geringen Ermeßen sehr gut seyn, wenn dieselben der hiesigen Jurisdiction unterworfen wären.« Denn tatsächlich hätten die Verhältnisse so, wie sie bisher seien, schreibt er, »zu manchen Inconvenzien Anlaß gegeben«.

Beispielsweise sei es nicht allen, die mit den Anbauern zu tun hätten, bekannt, dass diese zwar Hadelner seien, jedoch der Rechtsprechung vom Amt Bremervörde unterworfen. Wer über sie Klage führen wolle, gehe damit ins Hadelnsche Otterndorf, »und wenn sie damit abgewiesen werden, [würden sie] sich über die weiteren Wege beschweren, und die Sache lieber ruhen lassen«. Mit anderen Worten, den Anbauern gegenüber war schwer recht zu bekommen. Schlimmer noch, »scheinen auch die Bachenbrucher dafür zu halten«, dass sie zu bestimmten Zahlungen dem Staat gegenüber nicht verpflichtet seien. Vielmehr fühlten sie sich befugt, die entsprechenden Beamten abzuweisen, was sogar schon »mit unziemlichen Bedrohungen« geschehen sei.

Ich stelle mir vor, wie einer der Anbauer, Holzschuhe an den Füßen, vielleicht mit einem Spaten oder einer Forke in der Hand, dasteht, und vor ihm der in feinen Zwirn gehüllte Amtsträger. Der Amtliche ist selbst auch nur Bote des Schreibers und nicht begeistert davon, in diese Wildnis hinausreiten zu müssen, in der es noch kaum Wege gibt, von Ortsschildern nicht zu reden. So mag er dann vom hohen Ross herab dem Bauern gewunken und ihm bedeutet haben: Er muss zahlen. Dass der Bauer, vielleicht war es Barthold Lafrenz, ihm dann nur wütend seine Forke entgegengehalten und etwas Deutliches auf Plattdeutsch gesagt und ihn dann stehen gelassen hat, ist leicht vorstellbar.

Im Übrigen ist die Frage, zu welchen Abgaben die Anbauer trotz ihrer zwölf Freijahre von Anfang an verpflichtet waren, nicht so einfach zu beantworten. Natürlich sind den Anbauern Meyerbriefe ausgestellt worden. In ihnen wurden die Hofstelle und die dazugehörigen Grundstücke benannt, die der Bauer und seine Frau »mit aller Zubehör und Gerechtigkeit« zum Besten beider Vertragspartner »genießen, gebrauchen, flocken und fleußen« dürfe und wenn er dies »fleißig und getreulich« durchführe, so würde der Grundherr ihn »vertreten und beschützen«; wichtig war für die Bauern, dass ihren Nachkommen eine Art Vorkaufsrecht eingeräumt wurde. Dass aber noch vieles mehr in diesen Verträgen geregelt werden musste, ist in einem ausführlichen Schreiben von 1784 an die vier betreffenden Ämter dargelegt, weil es seit dreißig Jahren immer wieder zu Streitereien gekommen war. Die Absender dieses Schreibens geben sich zu erkennen als der »königlich großbrittanisch und churfürstlich braunschweigisch-lüneburgische Cammer-President« und seine »Cammer-Räthe«. Sie monieren, dass ihnen »Fälle vorgekommen« seien, »daß die Mohr-Anbauer in Gedanken stehen als wären sie von den Register-Abgiften, von sonstigen öffentlichen Landes-Abgaben frey«. Das aber sei durchaus nicht der Fall, und das müsse ihnen nicht nur gleich am Anfang »sorgfältig bedeutet« werden, wenn sie ihre Stellen antreten, sondern dies habe auch in den Meyerbriefen schriftlich niedergelegt zu werden. Was die Freijahre bedeuten, ist dagegen genau definiert – sie sind ausschließlich die Freiheit vom Pachtzins an den Grundherrn.

Dem Landesherrn gegenüber bestand immerhin für die Zeit der Freijahre eine »Contributions- und Einquartirungsfreyheit«, und das war in einer Epoche permanenter Kriege kein geringes Privileg.

Das riesige Vorhaben der Moorkolonisation führte zu einem neuen Kontakt zwischen Staatsbeamten und dem gemeinen Volk. Aus den Themen und auch dem Ton der Briefwechsel lässt sich schließen, dass nicht nur die Bauern, sondern auch die Amtmänner und ihre Vorgesetzten oft auf eine harte Geduldsprobe gestellt wurden. Was nicht deutlich und unmissverständlich beschrieben und geordnet war, interpretierten die Bauern zu ihren Gunsten – bis ihnen eine neue, präzisierte Anordnung den Spielraum nahm.

So geschah es auch mit der Berechnung der Freijahre. So hieß es in diesem Schreiben, »… declariren Wir hiermit, daß man damit nicht etwan warten müße, bis alle Stellen eines Mohr-Anbaues vollzählig sind, oder wie einige Mohr-Anbauer in dem Wahn stehen, bis alle Dämme, Canaln, Brücken und dergleichen völlig fertig sind, sondern, daß die einer neuen Mohrdorfschaft verstrichenen Frey-Jahre für jeden einzelnen Mohr-Anbauer von dem Jahre angerechnet werden sollen, da er seine Mohr-Anbauerstelle antritt, und in Arbeit nimmt.« Ebenso solle man, hieß es weiter, diese Zahlungen streng einfordern, »damit die Anbauer sich gleich von Anfang an, an eine accurate Entrichtung ihrer Abgaben gewohnen«. Schließlich werde ja wohl, so nahm man irrigerweise an, nach Ablauf der Freijahre ein »guter Wohlstand« erreicht sein, sodass man das Pachtgeld dann »mit Fuge [rechtens] verlangen« könne.

Zurück zu den Anbauern im Bachenbrucher Moor und den Klagen über sie, die Amtmann Schubart in seinem Brief 1790 zusammenfasste. Es war offenbar unerträglich für die zuständigen Behörden, dass selbst Pastoren bei diesen Bauern manchmal nicht die rechten Amtswege einzuhalten wussten. So wird beklagt, es hätten Pastoren einer falschen Ortschaft »Copulationes vorgenommen«, also Eheschließungen vollzogen, und zwar »ohne Bescheinigung der geschehenen Proclamation«, also ohne das öffentliche Aufgebot aus der Heimatgemeinde anzufordern. Selbst Taufen sind von den falschen Pastoren getätigt worden, und die zuständigen »Prediger« hätten sich »über die Eingriffe bereits bey hiesigem Consistorium beschwert«. Denn die »richtigen« Pastoren, die ja von den Mitgliedern ihrer Gemeinde für jede Amtshandlung bezahlt wurden, hatten den Schaden davon gehabt.

Nur wenige Tage nach diesem höflichen, aber doch auch deutlichen Amtsbrief gibt der nächsthöhere Beamte die Sache schon weiter nach Hannover an die »Hochwohlgebohrnen Herren, Höchstgeehrtesten Herren Geheimte Räthe«. Man stelle sich hier die Perücken noch etwas feiner gelockt und gepudert und die Kniestrümpfe seidiger vor.

Der Beamte stellt den Räthen – heute etwa Minister oder Staatssekretäre – die ganze Sache noch einmal vor. Auch er, der Erklärer, macht wieder Fehler, was die Zuständigkeiten angeht. Und er schließt mit dem entscheidenden Hinweis, auch der Amtsschreiber Nanne, der bisher für die Leute des »Anbaus in dem zum Lande Hadeln gehörenden Bachenbrucher Mohre« zuständig sei, habe gemeint, die Höfe seien »in ihrem Fortkommen so weit gediehen«, dass man sie jetzt »der unmittelbaren Besorgung der Obrigkeit in Otterndorf füglich ganz überlaßen« könne. Er empfiehlt den hohen Herren, dieses Moordorf ganz zum Amte Otterndorf zu schlagen.

Man will sie loswerden.

Und man ist sie losgeworden. Einige Jahre später, nämlich 1809, lesen wir in einem Dokument von einem Stück Land, das zu einem Meyerhof in einer Nachbargemeinde gehörte, dass es nunmehr »an Bartel Lafrenz, Neuenbachenbruch Amts Otterndorf abgetreten worden«. Damit wären wir wieder bei unserem Nachbarn zur Rechten – und fast auch schon beim endgültigen Dorfnamen Neubachenbruch, wie er hier in einer frühen Version auftaucht.

Der dokumentierte Akt war kein simpler Kaufakt, wie man ihn heute kennt. Vielmehr wurde 1809 ein höchst kompliziertes Dokument aufgesetzt, das den Eintritt des Barthel Lafrenz in die Meyerrechte und -pflichten des vorherigen Pächters regelt.

Zwar handelt es sich nur um ein kleines Stück Land, aber mit der Transaktion sind nicht nur die beiden beteiligten Bauern beschäftigt, sondern dazu der Grundbesitzer – in diesem Fall tatsächlich ein Gutsherr –, sein Verwalter und der Staat in Gestalt des Amtsschreibers. Denn auch die an das Land gebundenen Rechte müssen übertragen werden, und es muss dafür ein Geld, eine Gebühr, ein Zins und ein »Weinkauf«* bezahlt werden.

Von irgendwoher mussten die Gelder ja kommen für die seidenen Strümpfe und die feinen Überröcke, das gute Leben der Beamten.

Was aber nun der Amtswechsel für die Moorbauern von Neuenbachenbruch bedeutet hat, können wir nur noch vermuten. Mindestens ist ihr Weg zu den zuständigen Beamten, Schreibern und Händlern ein wenig kürzer geworden. Denn zu den nördlichen Nachbargemeinden schipperte man per Kahn über die Wettern und Gösche – den örtlichen Wasserwegen, die damals die Hauptwege waren. Und von dort aus gelangte man mit dem Kahn über die träge fließende Medem bis nach Otterndorf zu Markt- oder Amtsgeschäft. So jedenfalls hat es Rektor Voß beschrieben, dass nämlich die Sietländer auf Kähnen über die Medem kamen und ihre Milch verkauften, vor allem auch die Butter, von den Bäuerinnen in kühlende Kohlblätter gewickelt. Milchprodukte gab es auf der Marsch noch wenig. Da regierte der Getreideanbau, der Umstieg auf Milch- und Mastvieh lag noch in der Zukunft.

Mit dem Wegfall von Neuenbachenbruch für das Amt Bremervörde war man den Ärger mit diesen Anbauern los, die sich reichlich frech benahmen. Und die übrigens fortfuhren, aus ihrer Lage am Rande von gleich drei Kreisen und Zuständigkeiten Vorteile zu ziehen, ganz gleich, ob die Zentralregierung hannoversch, französisch oder preußisch war. Irgendwie war dieses Dorf in einem moorigen Bermudadreieck gelandet, in dem sich jegliche Obrigkeit abschwächte und sogar, zumindest auf Zeit, auch einmal ganz versank.

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