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ОглавлениеEisblaue Sehnsucht
Ute Dombrowski
Mystery-Thriller
Teil 1
1. Auflage 2021
Copyright © 2021 Ute Dombrowski
Umschlag: Ute Dombrowski
Lektorat/Korrektorat: Anna Altendorf
Satz: Ute Dombrowski
Verlag: Ute Dombrowski Niedertiefenbach
Druck: epubli
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Autors und Selbstverlegers unzulässig.
Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.
Kira rappelte sich auf. Die Bücher aus der Bibliothek lagen auf dem Gehweg. Die Stelle an ihrem Hinterkopf tat weh, wo der Mann in schwarz sie gegen die Mauer, die den Stadtpark umschloss, gestoßen hatte. Wie aus dem Nichts war der andere aufgetaucht und ein Kampf hatte begonnen. Eisblaue Blitze zuckten durch schwarzen Nebel und es sah aus wie in einem Fantasyfilm, in dem die Superhelden kämpften und die Welt retteten. Sie hatte den beiden fasziniert zugesehen. Ihr Retter hatte den Angreifer schnell vertrieben. Plötzlich stand er direkt vor ihr, zwinkerte, drehte sich blitzschnell um sich selbst und löste sich in eisblauen Rauch auf. Eine ebensolche Farbe hatten seine Augen gehabt. Eine Sekunde später wusste Kira nicht mehr, was geschehen war, einzig das Lächeln des Mannes hatte sich in ihr Herz eingebrannt und ein neuartiges Gefühl in ihr entfacht.
Sie hob die Bücher auf, lief nach Hause und kam gerade in dem Moment an, als der Himmel sich öffnete und riesige Tropfen herunter prasselten. Kira schlüpfte durch die Tür und ließ sich in ihrer Wohnung auf den großen Sessel am Fenster fallen. Die Füße legte sie auf die Couch, nachdem sie die Schuhe abgestreift hatte. Unwillkürlich rieb sie die Stelle an ihrem Hinterkopf.
Vor ihrem Inneren zogen eisblaue Augen vorbei, doch sie konnte sie niemandem zuordnen. Was war auf dem Heimweg passiert?
Seit sie in der Stadt lebte, war sie oft allein auf dem Weg durch die Nacht. Sie fühlte sich manchmal einsam, aber sie wollt dieses Studium unbedingt und auch auf eigenen Beinen stehen. Mama war traurig gewesen, sie hätte ihr einziges Kind lieber behütet und beschützt als Erzieherin im winzigen Dorfkindergarten gesehen. Kira jedoch wollte schon lange Kunst studieren und ihre Bilder gaben ihr Recht. Sie hatten eine faszinierende Wirkung auf die Menschen, waren voller Liebe, Wärme und Fantasie. Das hatte auch ihr Lehrer erkannt und sie zu einem Eignungstest in die Stadt geschickt.
Als sie ihre Mappe vorgelegt hatte, schob Professor Bimberger seine Brille auf die Nasenspitze und nickte. Sein Lächeln nahm Kira die Angst, denn eine Minute zuvor hatte sie sich noch davor gefürchtet, ausgelacht zu werden. Sie fühlte, dass sie mit ihren Bildern die Herzen der Menschen berührte, doch oft kämpften in ihr zwei Mächte: die Zuversicht und der Zweifel.
„Kira, du hast ein unschätzbares Talent! Wenn du die richtigen Unterstützer findest, kannst du eine große Künstlerin werden. Deine Portraits sind wie aus einer anderen Welt.“
Das waren die Worte, die ihr der alte Dorf-Lehrer mit auf den Weg gegeben hatte. Kira war in eine besondere Kunst-Klasse aufgenommen worden, die bisher aus nur vier Schülern bestand, und dort saugte sie den Lernstoff auf wie ein Schwamm. An den ersten Wochenenden war sie heimgefahren, aber da interessierte sich kaum jemand für ihre Kunst. Dort gab es andere Themen und Kira wurde nur belächelt.
„Ich habe es geschafft, ganz allein und aus eigener Kraft“, flüsterte sie, „es ist Zeit, sich ganz abzunabeln und die alte Heimat hinter sich zu lassen.“
Und so wurden die Besuche zuhause seltener.
Sie stand auf, nahm die Bücher vom Flurschrank und legte sie auf den Schreibtisch. Die Wohnung hatte nur ein großes Zimmer, in dem sich eine Kochnische befand, vom winzigen Flur ging eine Tür ins Badezimmer ab. Es gab eine Dusche, ein Waschbecken und eine Toilette. Sie schlief in einem altmodischen Bett neben dem Backofen. Aber Kira war bescheiden. Dazu kam eine Portion Stolz, denn sie hatte die Wohnung vom Erlös ihrer ersten Bilder und mit der heimlichen Unterstützung ihres Vaters gekauft. Sie war ihr Eigentum und niemand konnte ihr reinreden.
Nach einer Scheibe Brot mit Käse und einer Limonade schaltete sie den Fernseher ein und ging bald darauf schlafen. Mitten in der Nacht schreckte sie hoch und ein Schauer lief über ihren Rücken.
War das ein Traum? War das die Erinnerung an etwas Reales? Ein Mann hatte sie auf dem Heimweg angerempelt. Sie war gegen die Mauer gestoßen worden und plötzlich war von der Seite ein weiterer Mann gekommen. Er hatte den Angreifer verjagt und war in einer Wolke aus eisblauem Rauch verschwunden. Jetzt sah sie wieder diese Augen vor sich: eisblau, leuchtend, sanft und kühl. Nein, das konnte kein Traum gewesen sein.
Bis zum Morgen wälzte sie sich unruhig hin und her. Müde und wie gerädert machte sie sich auf den Weg zur Uni. Das Frühstück hatte sie ausfallen lassen.
„Guten Morgen, Kira“, sagte Professor Bimberger. „Sie sehen ja zum Fürchten aus.“
Kira winkte ab.
„Ich habe nur schlecht geschlafen.“
Marius Bimberger sah wie ein typischer Professor aus. Er war Mitte sechzig, weiße, wild gelockte Haare umrahmten ein kerniges Gesicht. Die randlose Brille schob er oft auf die Nasenspitze und sah sein Gegenüber dann mit warmen grauen Augen an. Er sprach leise und mit einer unvergleichlichen Melodie, die einen sofort beruhigte. Sie hatten schon viel über die alten Künstler diskutiert, meist ging es um Farben, denn die waren sein Steckenpferd und er hatte in Kira eine ebenbürtige Gesprächspartnerin gefunden.
„Dann holen Sie sich doch schnell einen Kaffee und malen sich munter. Ich gehe nochmal ins Büro.“
Kira sah sich im Atelier um, zog die Jacke aus und hängte sie an den schmiedeeisernen Garderobenständer. Noch war niemand weiter da, sie war morgens wie immer die Erste. Sie liebte die Ruhe und das Licht, beides änderte sich im Laufe des Tages mehrmals. Nachher hatte sie noch eine Vorlesung in Kunstgeschichte, aber den Rest des Tages würde sie malen.
„Sich munter malen“, murmelte Kira und lachte. „Der findet aber auch immer wieder neue Wörter.“
Sie lief zum Kaffeeautomaten, zog sich einen Milchkaffee und ging zurück ins Atelier. Dort setzte sie sich auf den Hocker, nippte am Kaffee und betrachtete das Porträt, das auf der Staffelei stand. Sie hatte ihre Freundin Mariella aus dem Gedächtnis gemalt. Die warmen Farben schmeichelten dem schönen Gesicht und setzten ihre rote Mähne perfekt in Szene. Kira freute sich schon auf Mariellas Meinung. Wenn man das Bild ansah, spürte man tiefe Freundschaft, Offenheit und Ehrlichkeit. Und so war Mariella auch, sie kannten sich, seit Kira hier studierte, und sie hatten so manches Erlebnis geteilt.
Jetzt fielen ihr die eisblauen Augen wieder ein. Sie sprang auf, nahm einen Skizzenblock und zeichnete die Umrisse. Ja, das waren die Augen, doch ohne diese einzigartige Farbe fehlte etwas. Kira ging zu ihrer Palette und drückte einzelne Kleckse Farbe aus den Tuben. Dann begann sie zu mischen und endlich kam ein leuchtendes, kaltes Blau zum Vorschein. Sie fuhr mit dem Pinsel hindurch und betrachtete die Farbe dicht vor ihren Augen. Es war, als würde er sie ansehen.
„Wer bist du?“, flüsterte sie.
„Wer ist wer?“
Erschrocken fuhr sie herum und sah in das grinsende Gesicht von Tom Brinzler. Sein Blick fiel auf den Pinsel.
„Wow, wie hast du das hinbekommen?“
Kira zuckte mit den Schultern.
„Weißt du, dass solch ein Blau einen um den Verstand bringen kann?“
„Wie meinst du das?“
„Du hast eine Gabe, meine Liebe, niemand kann so gut mit Farben umgehen wie du und das ist unheimlich. Echt verrückt, Wahnsinn! Wenn du deiner Mariella solche Augen malst, dann sieht man den Rest nicht mehr. Mich friert, wenn ich dieses eisige Blau sehe. Es ist so … so … irgendwie … unrealistisch, wie aus einer anderen Welt.“
„Nein, das werde ich nicht tun, Mariella hat nicht solche Augen. Das ist nur … eine Art Projekt. Ich hatte eine Idee.“
„Dann mal los, setze sie um!“
Tom ging an seine Staffelei und betrachtete sein Selbstporträt.
„Wenn ich dagegen meine Bilder ansehe, finde ich sie fade.“
„Nein!“, rief Kira. „Das ist ein sehr gutes Bild. Es trifft dich sehr genau, die Farben sind das, was du bist. Milde, gütig, ehrlich.“
Tom hielt den Kopf schief. Kira hatte recht, es war wirklich gut, aber dieses Einzigartige, was seine Mitstudentin erschaffen konnte, fehlte ihm. Sie war etwas Besonderes. Noch dazu war sie nett und er mochte ihre unkomplizierte Art. Doch Tom würde es nie wagen, sie zu einem Date einzuladen. Er seufzte.
„Danke, es bedeutet mir sehr viel, dass du das alles in meinem Porträt siehst.“
In dem Moment betrat der Professor das Atelier und Kira zeigte ihm das Eisblau. Sie sah, wie Marius Bimberger leicht zitterte, obwohl er es verbergen wollte.
„Wow, wie machen Sie das?“
„Ich weiß nicht, ich habe gesehen, dass Sie … sich geschüttelt haben. Was denken Sie?“
„Diese Farbe ist außergewöhnlich, unvergleichbar und schön. Ich bin immer wieder beeindruckt, Kira!“
Sie freute sich über das Lob und überlegte, ob sie ihm von ihrem Traum erzählen sollte, schwieg dann aber. Es wäre, als wenn sie ein Geheimnis verraten würde. Sie würde IHN malen, aber nicht hier im Atelier, sondern zuhause, dort, wo es niemand sehen konnte.
Die Tür öffnete sich und wie immer schwebte Camilla Ackelbach in das Atelier. Sie trug einen langen weißen Mantel, weiße Stiefel und ihre langen blonden Haare hatten sich wie ein Schal über ihre Schultern gelegt. Obwohl sie freundlich grüßte, schien sie mit ihren Gedanken woanders zu sein. Camilla war wie eine Elfe, süß und lieblich, zart und zerbrechlich. Ihre Hände waren schmal und feingliedrig, die Nägel kurz geschnitten. Mit einer sanften Stimme summte sie vor sich hin.
Die märchenhafte Stimmung wurde zerstört, als Rudolf Trickberg und Jenny Bäckeltz lachend hereinpolterten. Sie neckten sich gegenseitig und riefen ihren Gruß fröhlich in die Runde. Vor der Staffelei verwandelte sich Rudolf schnell in einen ernsten, düsteren Künstler. Auch seine Bilder lebten von dunkeln Farben und er schaffte es, unendliche Nuancen von Dunkelheit auf die Leinwand zu bannen.
Jenny war ganz das Gegenteil: Alles an ihr war pink, laut und schrill. Die Kleidung, die Haare, ihre Lippen, ihr Schmuck, selbst ihre Bilder waren pink. Sie war die Tochter eines wohlhabenden Managers, der mit seinem Vermögen die Kunstfakultät unterstützte. Auch wenn viele annahmen, dass Jenny nur wegen ihres Vaters zu der kleinen elitären Gruppe gehörte, strafte sie die Neider mit ihren Werken Lügen. Sie waren so besonders, dass die junge Frau schon mehrere Bilder verkauft hatte. Sie traf den Geschmack der heutigen Zeit.