Читать книгу Eisblaue Sehnsucht - Ute Dombrowski - Страница 8
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Mariella sah Kira entsetzt an.
Sie saßen am Kamin im Wohnzimmer von Mariellas Elternhaus. Es war liebevoll und warm eingerichtet. Erdtöne und grün verwandelten die Umgebung in ein wirkliches Zuhause. Die Flammen wuchsen wieder höher, nachdem Mariella zwei Holzscheite nachgelegt hatte. Ihre Mutter war bei einer Freundin.
„Ich musste ihn einfach suchen, verstehst du, ich MUSSTE. Es war wie ein innerer Zwang.“
„Du wirst doch nicht etwa verrückt, meine liebe Kira? Nicht, dass ich dich zu einem Psychiater schleppen muss.“
„Nein, ich bin nicht verrückt und ich werde es auch nicht. Vielleicht, wenn ich meinen neuen Auftrag ausgeführt habe.“
„Erzähl!“
Kira berichtete von der Geschichte des Parks und der neuen Aufgabe. Sie zeigte der Freundin den Ausweis für das Archiv.
„Uh, unbegrenzter Zugang. Du kannst jetzt alles über die Stadt und die Uni recherchieren, was du willst. Ich werde mir mal die hübschen Studenten ansehen und dann besorgst du mir die Adresse von ein paar netten Männern.“
Kira lachte.
„So ein Quatsch, es ist das Archiv und nicht die Datei derer, die jetzt dort studieren.“
„Ach Kira, das war ein Spaß! In letzter Zeit legst du jedes Wort auf die Goldwaage. Wenn ich einen gut finde, frage ich ihn selbst nach der Adresse. Du hättest deinen Typen im Park auch einfach fragen sollen, wie er heißt. Und der andere? Der dich heimgebracht hat? Sah er gut aus?“
„Ja, er sah gut aus, aber er hatte irgendetwas an sich, was mir nicht gefallen hat. Er schien kalt und doch war da eine Verbindung. Verstehst du, was ich meine?“
„Oh ja, die Sorte kenne ich. Sie sind arrogant und denken, sie können alles haben. Die lächeln dich an und du erfrierst. Wenn man mit so einem zusammen ist, ist man nur hübsches Beiwerk für ihr Image. Deren Herz wirst du nie erobern. Du hast gut daran getan, ihn nicht nochmal zu treffen. Vielleicht treffe ich mich mit ihm.“
„Er stand vor dem Atelier, als ich heute früh ankam.“
„Nein! Was wollte er? Woher wusste er, dass du schon so früh da bist?“
„Oh Mann, Mariella, du fragst Sachen. Ich habe keine Ahnung, woher er das wusste und es war komisch, was er mir sagte, bevor er ging.“
„Was denn?“
„Er meinte wieder, es sei gefährlich, nachts in den Park zu gehen. Das hatte er in der Nacht auch schon mal gesagt.“
„Recht hat er! Nicht auszudenken, was passieren kann. Räuber, Diebe, Vergewaltiger, eben düstere Gestalten, könnten über dich herfallen und dir wehtun.“
„Na super, willst du mir jetzt auch noch Angst machen?“
Mariella sah die Verunsicherung in Kiras Augen und legte einen Arm um sie.
„Nein, es tut mir leid. Ich werde dich nachher nach Hause bringen, damit du dich nicht fürchten musst.“
Kira nickte und schluckte ihre Angst hinunter. Sie wusste, dass es Mariella nur gut meinte.
„Das mit der Geschichte des Parks ist wirklich krass“, fuhr die Freundin fort, „warum weiß keiner was davon? Sonst reden die Leute auch über solche Sensationen.“
„Ich denke, das ist ein Kapitel der Uni, mit dem man nicht an die Öffentlichkeit gehen will. Vielleicht wurde früher darüber geredet und wir sind eine Generation, die es vergessen hat.“
„Oh Mann, du hast mich ganz neugierig gemacht. Das nächste Mal komme ich mit!“
Mariella war aufgesprungen und lief hin und her.
„Ich helfe dir!“
„Das geht nicht, das kann ich nicht verlangen.“
„Doch! Und weißt du was? Wir gehen heute Nacht nochmal hin. Zusammen ist es weniger gruselig und wenn dein Typ auftaucht, verschwinde ich. Dann fällst du in Ohnmacht und er kniet sich zu dir und …“
„Mariella, jetzt geht die Fantasie mit dir durch. Wer weiß, falls ich es mir doch nur eingebildet habe, sehen wir niemanden.“
„Den anderen sicher. Wenn er öfter dort laufen geht. Und du sagtest, er sieht gut aus.“
„Linus kann ich dir auch in der Uni vorstellen, dazu brauchen wir nicht nachts durch den Park zu rennen.“
„Da sage ich nicht nein. Ich hole dich morgen ab, ich habe nämlich frei, dann suchen wir ihn.“
Kira seufzte. Mariella würde nicht lockerlassen, bis sie alles wusste, aber es fühlte sich auch gut an, eine Verbündete zu haben. Gegen elf Uhr machte sich Kira auf den Heimweg. Es hatte sie eine halbe Stunde Zeit gekostet, um Mariella davon abzuhalten, sie zu begleiten. Sie hatte ein mulmiges Gefühl im Bauch, als sie vor ihrem Haus in Richtung Park sah. Der Wind hatte aufgefrischt und die Bäume warfen gespenstische Schatten auf die Wege.
Wie von einer magischen Kraft angezogen, ging Kira hinüber und drückte das schmiedeeiserne Tor auf. Sie hörte das Knirschen von Kies unter ihren Füßen, als sie den Weg in Richtung Uni lief. Ihr war kalt und sie war müde, doch eine innere Unruhe trieb sie weiter. War dort nicht eine Bewegung?
Sie lief neben dem Weg weiter und jetzt hörte man nur noch den Wind, der kräftig an den nackten Zweigen zerrte. Plötzlich hörte sie Stimmen und versteckte sich hinter dem Stamm einer dicken Buche.
„Nein, es ist nicht richtig. Du weißt, was zu tun ist.“
Die Stimme gehörte zu einer Frau, die eine dicke Winterjacke trug und die Kapuze aufgesetzt hatte. Der Mann, mit dem sie redete, war Linus. Er war wieder in Sportkleidung unterwegs. War das seine Freundin?
„Ich kann nicht, da ist eine Stimme in mir, die mir sagt, dass ich es lassen soll.“
„Ach was, sie ist wichtig, du musst es tun.“
„Nein, schlag dir das aus dem Kopf. Ich will zuerst die Rothaarige.“
Kira zuckte zusammen. Über wen sprach Linus? Über Mariella? Sie schüttelte sich, denn das konnte nicht sein. Außerdem gab es nicht nur eine rothaarige Frau auf der Welt. Dann lief ihr eine Gänsehaut über den Rücken, denn Linus schaute genau in ihre Richtung.
Er wollte gerade auf sie zugehen, da blitzte es eisblau zwischen den Bäumen. Die Frau schrie kurz auf und rannte in Richtung Uni davon. Linus blieb stehen und straffte sich. Aus einem blauen Nebel löste sich eine schwarzgekleidete Gestalt und ging mit festen Schritten auf ihn zu.
Kira hielt die Luft an und überlegte, ob sie weglaufen sollte, doch sie konnte sich nicht bewegen. Ihr Herz tat plötzlich weh vor Sehnsucht. Das konnte nur eines bedeuten: Der Mann, der aus dem Nebel gekommen war, war ER. Sie presste sich mit aller Kraft an den Baum, um nicht gesehen zu werden. Es war kein Fünkchen Angst in ihr, nur Aufregung und eine unbeschreibliche Energie, die sie noch nie wahrgenommen hatte.
Linus sagte laut: „Was willst du hier?“
„Das gleiche könnte ich dich fragen. Suchst du ein neues Opfer? Suchst du nach ihr?“
„Opfer? Nach ihr? Wovon redest du?“
„Das weißt du ganz genau! Ich bin mir sicher, dass die entführten Menschen der letzten Zeit auf euer Konto gehen.“
Er stand jetzt direkt vor Linus und eisblauer Nebel hüllte beide ein.
„Lächerlich!“
Jetzt stieß der Mann Linus vor die Brust, aber er bewegte sich nicht von der Stelle.
„Du hast sie schon einmal angegriffen. Wage es nicht, ihr nochmal zu nahezukommen.“
Linus lachte, aber es war ein hässliches Lachen.
„Du wirst sie nicht retten können. Ich habe gleich geahnt, dass sie zu dir gehört, doch du kannst nicht immer bei ihr sein. Vergiss das nicht! Aber erstmal hole ich mir die Feuerbraut.“
Der Nebel wurde schwarz, er begann sich wie ein Tornado zu drehen und Kira konnte nichts mehr erkennen. Was passierte hier?
Eine Minute später war der Spuk vorbei und sie stand allein im Park. Wer war die Frau? Woher kannte Linus den Mann mit den eisblauen Augen?
Aus der Ferne hörte sie ein Flüstern: „Kira … Kira, geh fort von hier … du bist in Gefahr …“
Die Stimme wurde eins mit dem Rauschen des Windes und alles schien wie ein irrer Traum. Jetzt dachte sie an das Wort Feuerbraut, die Frau, die Linus sich holen wollte. Sie spürte die Gefahr, die von ihm ausging, aber gleichzeitig hatte sie wieder die Verbindung gefühlt. Verwirrt machte sie sich auf den Heimweg und jetzt war es die Kälte, die sie zittern ließ. Es war zwei Uhr, als sie in ihrer Wohnung stand.
„Wohin ist die Zeit gegangen? Wer bist du?“
Sie schaute aus dem Fenster in die schwarze Nacht und ihr Herz klopfte laut. Sie horchte in sich hinein, aber sie hatte keine Angst mehr, seit sie IHN gesehen hatte. Irgendwie wusste sie, dass alles einen tieferen Zusammenhang hatte, den sie unbedingt entschlüsseln musste. Und sie würde Linus morgen suchen und zur Rede stellen. Mariella freut sich bestimmt, dachte sie und ging ins Bett. Entschlossen, das Rätsel zu lösen, schlief sie ein.