Читать книгу Eisblaue Sehnsucht - Ute Dombrowski - Страница 9
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ОглавлениеAm nächsten Morgen war Kira sich nicht mehr sicher, ob das Erlebnis im Park real gewesen war. Sie reckte und streckte sich, schlüpfte aus dem Bett und war eine Stunde später auf dem Weg in die Uni. Es war noch früh, aber sie war wach und fühlte sich frisch und voller Elan.
Die kalte Luft kroch in Kiras Nase und streichelte ihre Wangen, als sie mit raschen Schritten durch den Park lief. Der Dunst, der von ihren Lippen aufstieg, erinnerte sie an den schwarzen und blauen Nebel, der die beiden Männer umgeben hatte. Und ja, es war real gewesen, Kira sah die beiden jetzt wieder vor sich. Ihr hitziges Gespräch hatte sich um eine Frau gedreht. Es klang, als hätte der Mann mit den eisblauen Augen eine Freundin oder Frau, die er beschützen musste. Darum hatte ihr auf dem Rückweg in ihre Wohnung auch das Herz so wehgetan. So würde sie ihn niemals kennenlernen. Und wer war die Feuerbraut, von der Linus gesprochen hatte? Sie würde ihn heute fragen.
Sie brachte in der Bibliothek ein Buch zurück, gab zwei Stunden dem Porträt von Mariella den letzten Feinschliff und besuchte eine Vorlesung in Kunstgeschichte. Dann fieberte sie dem Treffen mit ihrer Freundin entgegen. Auf dem Flur war ihr niemand Bekanntes begegnet, auch Linus hatte sich nirgends blicken lassen. Gedankenversunken kramte sie in ihrer Tasche und sah auf ihr Handy, als sie aus dem Hörsaal trat. Wie groß war Kiras Schreck, als sie mit jemandem zusammenstieß, dessen Bücherstapel auf den Boden rutschte.
„Mann, pass doch auf!“, fuhr der junge Mann sie an.
Als sie aufschaute und eine Entschuldigung stotterte, sah sie in seine Augen, die böse funkelten. Plötzlich schien sich sein Ausdruck zu verändern. Er starrte sie an und war blass geworden.
„Tut mir leid, dass ich dich angefaucht habe, es war nicht fair. Schließlich bin ich in dich reingelaufen.“
Seine Stimme berührte Kiras Herz voller Wärme, doch als sie etwas erwidern wollte, raffte er die Bücher zusammen und lief davon. Sie sah ihm nach und zuckte zusammen, als sich eine Hand auf ihre Schulter legte.
„Das ist Alexandro, der ist ein bisschen verpeilt, meine Liebe“, hörte sie Linus sagen.
Sie fuhr herum und erkannte hinter ihm die junge Frau von gestern Nacht.
„Beeil dich, Linus, die Vorlesung fängt gleich an“, sagte sie unfreundlich.
„Geh schon vor, Lima, ich komme sofort.“
Die junge Frau zog die Augenbrauen hoch und ging mit erhobenem Kopf an ihnen vorbei. Linus achtete nicht weiter auf sie. Er hatte seine Hand noch nicht von Kiras Schulter genommen und jetzt schob sie sie weg.
„Warst du gestern im Park?“, fragte sie und bereute es in der nächsten Sekunde.
Linus‘ arroganter Blick verfinsterte sich zusehends, aber nur, um im nächsten Moment von ihr weg durch den Flur zu fliegen. Kira drehte sich um und sah Mariella auf sich zukommen. Sie lächelte und wollte Linus stehenlassen, aber die Freundin hatte nur Augen für den gutaussehenden Mann.
„Kira, endlich habe ich dich gefunden!“, rief sie und umarmte sie überschwänglich. „Aber wer ist denn der nette junge Mann?“
Linus ging an Kira vorbei, nahm Mariellas Hand und führte sie zu seinen vollen Lippen. Bei der Berührung zuckte Mariella zusammen, konnte ihren Blick aber nicht von Linus abwenden. Es kam Kira vor, als hätte er sie in eine Art Bann gezogen.
„Ich bin Linus Karelios und studiere hier Mathematik. Und wer bist du schönes Wesen?“
„Mariella Wörks, ich bin Tierarzthelferin aus Überzeugung.“
Sie sahen sich so tief in die Augen, dass Kira sich räusperte.
„Können wir los?“
„Wohin?“, fragte Mariella und schüttelte sich.
„Falls du dich nicht mehr erinnerst“, erwiderte Kira lachend, „ich bin Kira, deine Freundin, du bist hier, um mich abzuholen, denn du hast heute frei. Wir wollten in die Stadt gehen.“
„Aber Linus kann doch mitkommen!“
Der Student hob abwehrend die Hände.
„Nein, ich muss noch in die Vorlesung und wenn ich nicht sofort losgehe, ist die Tür zu.“
Er griff in die Innentasche seiner Jacke und holte eine Visitenkarte heraus, die er Mariella überreichte.
„Ruf mich an!“
Damit ging er an ihnen vorbei und verschwand hinter einer hohen Tür. Kira sah Mariella, die wie hypnotisiert schien, an und lachte. Dann hakte sie sich bei ihr ein und zog sie hinter sich her. Vor der Tür atmete Mariella auf und riss sich los.
„Oh, ich bin verliebt! Ich kann dir gar nicht sagen, was ich gerade fühle. Ich will diesen Mann! Er ist so … so … so besonders. Und hast du seine Augen gesehen? Grün wie Smaragde. Die Haare golden und die Haut ohne Makel.“
„Jetzt komm mal wieder runter. Das ist nur sein Äußeres, der schöne Schein. Du kennst ihn doch gar nicht. Seit wann bist du so oberflächlich?“
„Glaubst du an Liebe auf den ersten Blick?“
„Nein.“
Kiras Herz machte einen kleinen Sprung, denn sie musste sich eingestehen, dass sie sehr wohl daran glaubte. Sollte sie Mariella von gestern Nacht erzählen? Lieber nicht, denn wenn sie wirklich in Linus verliebt war, würde das kompliziert werden. Aus irgendeinem Grund waren Linus und der Unbekannte Feinde. Er hatte Linus offen den Kampf angesagt, aber auch Linus war in die Offensive gegangen und hatte ihm gedroht.
„Es gibt doch so viele nette Studenten, warum muss es ausgerechnet der sein?“
„Weil ich eine innere Verbindung spüre. Kennst du das nicht? Wir gehören zusammen, das Schicksal will es so.“
Sie starrte fasziniert auf die Visitenkarte.
„Linus Karelios, was für ein schöner Name, passend zu einem so schönen Mann.“
Kira winkte ab. Mariella war nicht mehr zurechnungsfähig. Sie musste sie im Auge behalten, damit sie sich nicht in etwas verrannte, was ihr am Ende nur Schmerzen bereitete.
„Rufst du ihn an?“
„Natürlich!“
„Versprich mir, mir alles zu erzählen.“
„Warum denn?“
Kira war überrascht, denn sonst war das überhaupt keine Frage zwischen ihnen.
„Ich will doch nur nicht, dass er dir wehtut.“
Jetzt nahm Mariella ihre Hand und zog sie in Richtung Stadt.
„Mach dir keine Sorgen, komm, wir trinken Kaffee. Meinst du, sie lassen mich in dieses Archiv rein?“
„Das werden wir sehen.“
Kira war immer noch unruhig, folgte ihrer Freundin aber trotzdem in ihr Stamm-Café. Dort tranken sie jede einen großen Milchkaffee und aßen ein Stück Donauwelle, die Spezialität des Hauses.
Nachdem Mariella für sie beide bezahlt hatte, liefen sie langsam zurück zur Uni. In einem der hintersten Gebäude war das Archiv ansässig. Die Tür war verriegelt und sah so stabil aus, dass niemand unbefugt eindringen konnte, also legte Kira den Daumen auf einen goldfarbenen Knopf neben einer Sprechanlage.
„Ja bitte?“, fragte eine krächzende Frauenstimme.
„Ich bin Kira Krickel und habe einen Ausweis für das Archiv.“
Statt eines Summens als Zeichen, dass sich die Tür aufdrücken ließ, stand plötzlich eine ältere Frau in einem eleganten grauen Kostüm vor ihnen. Sie trug die weiße Haarpracht hoch aufgetürmt und sah sie über die Spitze Nase hinweg neugierig an. Kira hielt ihr den Ausweis hin, den sie genau musterte.
„Aha, unbegrenzter Zugang. Na, Sie müssen ja wirklich eine besondere Studentin sein. Sonst kommt hier keiner rein, der nicht mindestens Professor ist. Wer ist das?“
Sie zeigte mit einem spitzen Zeigefinger auf Mariella.
„Das ist meine Freundin Mariella, die mich bei meiner Recherche unterstützen möchte.“
„Schlagen Sie sich das aus dem Kopf. Sie allein oder niemand.“
Sie stand aufgerichtet in der Tür und kniff die Augen zusammen, als wartete sie darauf, wie sich Kira entscheiden würde.
Die beiden Freundinnen sahen sich an. Mariella trat von einem Bein auf das andere. Es schien, als wolle sie sofort losrennen.
„Ich bin schon weg“, rief sie, ehe Kira etwas sagen konnte.
Mariella küsste sie auf die Wange und nickte der strengen Frau zu, die den Eingang zum Archiv wie ein Drache seinen Schatz bewachte. Jetzt trat sie zur Seite und ließ Kira mit einem Lächeln ein.
„Ich bin Myrna Sarolies, die Leiterin des Archivs. Kommen Sie, ich zeige Ihnen alles.“