Читать книгу Neues Vertrauen - Ute Dombrowski - Страница 7
5
ОглавлениеLia lag im Bett und wollte gerade aufstehen, als plötzliche Kopfschmerzen sie zurück ins Kissen sinken ließen. Ihr war gestern Abend schon nicht sehr wohl gewesen, aber sie hatte es auf das Wetter geschoben. In letzter Zeit waren die Anfälle häufiger gekommen, dabei hatte ihr Arzt nichts einzuwenden gehabt, dass sie über Weihnachten und Neujahr zu ihrer Schwester nach Italien fahren wollte.
„Oh Mann“, stöhnte sie.
Sie wollte ausschlafen, dann eine Fahrkarte kaufen und sich zum Kaffee mit Karin treffen. Seit heute hatte sie Urlaub. Am Schrank stand der halb gepackte Koffer. Die Kinder hatten ihr gestern alle noch ein selbstgemaltes Bild geschenkt. Jetzt versuchte Lia sich aufzusetzen, doch der Schmerz pochte hinter ihrer Stirn und alles drehte sich vor ihren Augen. Die Aura aus Regenbogenfarben, die sich vor ihrem linken Auge aufbaute, war immer ein Zeichen, dass ein großer Anfall bevorstand. Der Lichtkreis wurde größer und intensiver, breitete sich über das gesamte Sichtfeld auf der linken Seite aus. Nervös tastete sie nach ihrem Handy.
Bei Karin nahm niemand ab. Sie war auf der Arbeit und hatte ihr Handy sicher nicht eingeschaltet. Wo lagen die Tabletten? Im Bad. Dorthin zu gehen wäre jetzt viel zu gefährlich, denn bei einem Anfall konnte sie jederzeit krampfend zusammenbrechen. Angst breitete sich in ihrem Körper aus, doch sie zwang sich, ruhig zu bleiben. Sie lauschte ihren Atemzügen, die gleichmäßig waren. Ihr Herz klopfte schnell.
Lia schickte Karin eine Sprachnachricht, dann legte sie das Handy weg und schloss die Augen in der Hoffnung, der Anfall möge schnell vorübergehen. So heftig war es lange nicht mehr gewesen. Einen Moment später drehte sich alles, der Schmerz im Kopf hielt an und jetzt verhärtete sich ihr Nacken. Die Panik wollte sich ihren Weg suchen, aber sie kämpfte dagegen an.
Endlich klingelte das Telefon und Karin war dran.
„Lia! Was ist los? Ich habe Bescheid gesagt und bin gleich bei dir. Halte durch! Soll ich den Arzt rufen?“
„Nein“, murmelte Lia. „Danke, dass du kommst.“
Dann legte sie auf und lag weiter ganz still. Karin hatte einen Schlüssel und stand zwanzig Minuten später im Schlafzimmer. Sie setzte sich zu Lia ans Bett.
„Der Anfall ist vorbei, aber ich bin sehr schwach und müde. Das war dieses Mal total anstrengend. Schön, dass du hier bist.“
„Mach die Augen zu und ruh dich aus. Brauchst du etwas?“
„Die Tabletten aus dem Bad.“
Karin lief hinaus und kam mit einer Schachtel zurück, in der mehrere Medikamente standen. Lia zeigte auf eine blaue Dose mit weißem Deckel. Karin holte ein Glas Wasser aus der Küche und hielt den Kopf ihrer Freundin, während sie zwei kleine weiße Pillen schluckte. Dann sank Lia zurück ins Kissen und atmete tief ein und aus.
Karin drehte die Pillen-Dose in den Händen hin und her.
„Sind das die Dinger, die es nicht mehr gibt?“
„Nein, nein, mach dir keine Gedanken, der Doc besorgt sie mir schon. Jetzt ist mir besser, ich schlafe ein bisschen. Kannst du hierbleiben? Tut mir leid, dass wir nicht Kaffee trinken können.“
Karin strich ihr über das Haar und rückte die Decke zurecht, dann setzte sie sich in den Sessel ans Fenster und wachte über Lias Schlaf. Ihre Gedanken gingen spazieren. Wie es wohl werden würde mit der neuen Mitbewohnerin? Hatte sie sich vorschnell entschieden? Aber sie hatte ein gutes Gefühl gehabt und diese Susanne war ihr auf Anhieb sympathisch gewesen.
Karins Blick fiel auf die Medikamente. Sie nahm sie vom Nachttisch zu sich und stellte die einzelnen Dosen und Packungen auf das Fensterbrett. Es gab etwas gegen Durchfall, auch Hustentropfen erkannte sie, dazu Ibuprofen, was wohl jeder in seiner Hausapotheke hatte. Die Pillen, die gegen Lias Anfälle helfen sollten, waren in den blauen Dosen. Es befand sich keine Beschriftung darauf und Karin schüttelte den Kopf.
„Wenn das nicht von einem Arzt käme, würde man denken, das ist irgendetwas Illegales. Mir würde das Angst machen, unbeschriftete Pillen zu schlucken. Gott sei Dank helfen die.“
Oder auch nicht? Eigentlich hatte Lia erklärt, dass diese Medikamente den Anfällen vorbeugen sollten. Und dann schluckte Lia sie nach einem Anfall? Das war unlogisch. Karin nahm sich vor, der Sache auf den Grund zu gehen, aber so, dass es Lia nicht mitbekam. Sie wollte ihr keine Angst machen und ihr Verhältnis zum Arzt sollte nicht erschüttert werden. Wenn man so krank war wie die Freundin, dann war das Vertrauen zum Arzt sehr wichtig. Und Lia vertraute Dr. Miltzer total. Aber Karin glaubte immer noch, dass der Arzt Lia besonders gut behandelte, weil er in sie verknallt war.
Kein Wunder, dachte sie, Lia ist ja auch eine ganz besondere Frau. Sie hatten sich sofort gemocht und Karin wusste beim ersten Gespräch, dass sie Freundinnen werden würden. Als sie erfuhr, wie krank Lia war und ist, kümmerte sie sich öfter und sehr gern um sie. Sie hatten ausgemacht, dass Karin im Notfall der Ansprechpartner ist.
„Ob der Arzt wirklich so unspektakulär aussieht, wie Lia immer sagt?“
Sie nahm ihr Handy und gab seinen Namen in die Suchmaschine ein. Es ploppten einige Beiträge auf, aber nirgends gab es ein Bild von Dr. Gero Miltzer, nicht mal auf der Homepage seiner Praxis. Karin seufzte.
„Schade, ich hätte ihn mir gern angesehen.“
Zwei Stunden später bewegte sich Lia und hob den Kopf.
„He! Danke, dass du noch da bist.“
Karin setzte sich wieder ans Bett ihrer Freundin.
„Wie geht es dir jetzt?“
„Wie lange habe ich geschlafen?“
„Über zwei Stunden. Magst du etwas essen oder trinken?“
„Ich möchte aufstehen und aufs Klo. Dann sehen wir weiter.“
Lia kam vorsichtig hoch und um sie herum blieb alles ruhig. Sie setzte sich hin, schwang die endlos langen Beine aus dem Bett und hielt sich beim Aufstehen an Karin fest. Dann stand sie aufrecht, wackelte ein paarmal mit dem Kopf und nickte.
„Es ist wieder gut. Kam doch nicht so heftig, wie ich dachte.“
Lia ging ins Bad und Karin in die Küche, wo sie zwei Scheiben Toast in den Toaster schob. Dann stellte sie Butter und Marmelade auf den Tisch und nahm Teller und Messer aus dem Schrank. Als Lia, noch im Nachthemd, in die Küche kam, lächelte sie.
„Ach Karin, wenn ich dich nicht hätte. Danke für deine Hilfe.“
Sie aßen und tranken Tee, dann grinste Karin.
„Ich wollte mit dir Kaffee trinken, weil ich eine Neuigkeit habe.“
Lia war ganz Ohr.
„Ich habe gestern bereits eine Mitbewohnerin gefunden.“
Jetzt berichtete Karin ausführlich und sah dabei die Freude in Lias Augen.
„Das ist toll! Siehst du, und so schnell!“
„Das dachte ich auch, aber es war wie Schicksal, dass Susanne beim Bäcker saß, ausgerechnet dort, wo ich die Anzeige aufhängen wollte. Wir sind uns rasch einig geworden.“
„Wann lerne ich sie mal kennen? Wann zieht sie ein?“
„Ich habe ihr einen Schlüssel gegeben. Sie fängt morgen an zu arbeiten, aber ich denke, du bist schnell wieder so fit, dass du zu mir kommen kannst, oder? Dann stelle ich sie dir vor und wir essen etwas Kleines zusammen.“
„Gerne, Karin, ich bin so stolz auf dich. Siehst du, wie du dein Leben selbst in die Hand nehmen kannst?“
Karins Blick wurde bei Lias Worten weich.
„Wenn du mir nicht ständig Dampf gemacht hättest, würde ich immer noch in der großen Hütte sitzen und Trübsal blasen. Aber jetzt denke ich, dieser Mann hatte mich einfach nicht verdient und ich bin besser dran ohne ihn. Ich habe einen tollen Job, die beste Freundin der Welt und auch noch eine interessante Mitbewohnerin.“
„So seid ihr Weihnachten nicht allein.“
Lia wurde mit einem Mal sehr traurig.
„In diesem Zustand kann ich unmöglich so weit reisen.“
Tränen traten ihr in die Augen und Karin legte ihr eine Hand auf den Arm.
„Meinst du? Du hattest dich doch so gefreut.“
„Ich muss morgen Dr. Miltzer fragen. Aber es nützt ja nichts, wenn ich auf der langen Fahrt einen Anfall bekomme.“
„Wenn das nicht klappt, dann feiern wir Weihnachten gemeinsam.“
„Danke, das ist lieb. Aber vielleicht erlaubt er mir ja auch zu fahren.“
„Ich drücke dir die Daumen.“
Die beiden saßen bis zum Abend zusammen. Karin hatte mit Susanne telefoniert und machte sich dann auf den Weg nach Hause, wo die neue Mitbewohnerin schon wartete.