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Ferdinand war verärgert, weil sich Susanne Wescham noch nicht bei ihm gemeldet hatte. Er saß am Schreibtisch, trommelte nervös mit den Fingern auf die Tischplatte und überlegte, ob er ihr eine weitere Nachricht schicken sollte.

Jetzt hob er den Kopf, weil es klopfte. Eine Frau Mitte dreißig, deren braune Haare in einem dicken Zopf über ihre rechte Schulter fielen, sah ihn ernst an und trat ein. Ihre vollen Lippen hatte sie aufeinandergepresst und eine merkwürdige Unruhe ging von ihr aus.

„Susanne Wescham, die Neue.“

Ferdinand winkte sie zu sich. Auch er schaute ernst, denn er war misstrauisch, nachdem er mit ihrem ehemaligen Vorgesetzten geredet hatte.

„Ferdinand Waldhöft. Ich hatte sie früher erwartet.“

Es sollte nicht vorwurfsvoll klingen, doch Ferdinand hatte den Tonfall nicht getroffen, sodass sich Susannes Blick direkt verdüsterte.

„Na, jetzt sind Sie ja da“, versuchte er mit einem Lächeln das Gesagte milder klingen zu lassen. „Setzen Sie sich!“

Susanne nahm vor dem Schreibtisch Platz. Ihr neuer Chef musste Mitte vierzig sein. Das dunkle Haar war kurz geschnitten, erste graue Strähnen fanden sich an den Schläfen und seine grauen Augen strahlten eine gewisse Wärme aus. Sie musterten sich einen Moment, dann begann Ferdinand.

„Herzlich willkommen in Eltville, ich hoffe, Sie hatten eine gute Anreise.“

„Ja, danke, es lief gut. Ich habe sogar schon eine Wohnung, das war purer Zufall und darum konnte ich mich auch nicht früher melden.“

„Sie brauchen keine Ausrede …“

„Das ist keine, so etwas habe ich nicht nötig. Ich wollte erstmal ankommen. Schließlich wurde mein ganzes Leben auf den Kopf gestellt.“

„Woran Sie nicht ganz schuldlos sind. So war das auch nicht gemeint. Ich hatte nur gehofft, dass ich Ihnen alles in Ruhe zeigen kann und ich dachte, dass Sie vielleicht noch Hilfe brauchen.“

Susanne war immer noch angespannt.

„Wenn Sie mir die Sache, wegen der ich hierher versetzt wurde, jeden Tag vorwerfen, hänge ich den Job an den Nagel. Das wollte ich Ihnen nur sagen. Ich möchte einen Neuanfang, der auch wirklich so gemeint ist.“

Ferdinand musste grinsen. Diese Frau war aus gutem Grund versetzt worden, sie hatte Glück, dass sie nicht aus dem Dienst entlassen worden war. Und nun saß sie hier und ging direkt in die Offensive.

„Ich habe nicht vor, Ihnen Steine in den Weg zu legen oder ständig auf der Sache herumzureiten. Als Vorgesetzter möchte ich aber schon über meine Mitarbeiter informiert sein. Ansonsten müssen wir kein Wort darüber verlieren, wenn ich Sie mit den Kollegen bekanntmache. Einzig der Staatsanwalt und ich kennen Ihre Vorgeschichte. Was immer Sie auch von uns denken, Tratschtanten sind wir nicht. Ich hoffe, Sie haben sich im Griff und machen bei uns gute Arbeit.“

Susanne kam ein winziges Lächeln über die Lippen. Erleichtert atmete sie auf.

„Sorry, ich dachte wirklich, dass ich sofort in Ungnade falle.“

„Ach was, jeder hat eine zweite Chance verdient. Sind Sie verheiratet?“

„Nein, ich habe … hatte einen Freund. Aber das ist vorbei.“

„Also totaler Neustart. Na dann!“

Ferdinand stand auf und gab ihr die Hand. Susanne hatte einen festen Griff, was ihm imponierte und er hoffte, dass solch ein Vorfall wie in ihrem alten Leben der Vergangenheit angehören würde. Obwohl sie anstelle von Bianca nun mit Robin die Fälle lösen sollte, hatte er Angst, dass sie seinen Vorstellungen nicht entsprach. Sie würde Bianca niemals ersetzen können und obwohl er wusste, dass er so nicht ur­teilen sollte, konnte er nicht anders, als die beiden Frauen miteinander zu vergleichen.

Bianca hatte immer etwas gehabt, was er bei keinem anderen Menschen je gespürt hatte. Ob das mit Robin gutgehen würde? Der Kollege hatte den Täter erschossen und das machte ihm heute noch zu schaffen. Einerseits wusste er, dass es richtig gewesen war, aber dann kamen die Zweifel, denn es war für ihn das erste Mal gewesen, dass er jemanden getötet hatte. Zusätzlich machte er sich Vorwürfe, dass er den Tod von Bianca nicht verhindern konnte.

„Kommen Sie, ich stelle Ihnen den Mann vor, mit dem Sie in Zukunft zusammenarbeiten müssen … dürfen.“

Er ging voraus und öffnete eine Tür im Erdgeschoss. Sie traten ein und am Schreibtisch hob ein junger Mann den Kopf, der ihr bekannt vorkam.

„Ah! Die wütende Frau.“

Ferdinand runzelte die Stirn. Was wusste denn Robin von der Sache? Das war doch alles geheim geblieben.

Robin kam zu ihnen und begrüßte Susanne mit einem Handschlag.

„Ich bin Robin Hinschler. Ursprünglich aus Brandenburg. Da habe ich ja das richtige Handy vor dem Ertrinken im Rhein gerettet.“

„Danke nochmal. Ja, ich war ein bisschen sauer. Ich bin Susanne Wescham aus Potsdam. Schön, einen Landsmann zu sehen.“

„Könnt ihr mich aufklären?“

„Sie wollte ihr Handy in den Rhein werfen und ich habe es gerettet.“

„Warum das denn?“

Die beiden Männer sahen Susanne an.

„Ich hatte ein sehr unerfreuliches Gespräch mit meinem Freund beziehungsweise Ex-Freund. Er ist der Meinung, dass er mich nicht hierher begleiten müsste und als ich ihn auf dem Handy angerufen habe, war eine Frau dran. Und wenn es Ihnen nichts ausmacht, möchte ich das Thema jetzt beenden.“

„Gut“, sagte Ferdinand, „dann lasse ich Sie mal bei Robin. Machen Sie sich bekannt. Wir sehen uns morgen früh um acht zur Einarbeitung, und ich hoffe, Sie haben schon Zeit. Der richtige Vertrag läuft dann zum fünften Januar.“

Ferdinand ging raus und atmete durch. Würde es Schwierigkeiten geben oder konnten die beiden gut miteinander?

Im Büro bot Robin Susanne einen Kaffee an. Sie nickte und zog den zweiten Schreibtischstuhl unter dem Tisch hervor. Als sie Robins Blick sah, zögerte sie.

„Ist das IHR Platz gewesen?“

„Ja, aber kein Problem. Wir sagen hier übrigens du, wenn …“

„Susanne.“

„Gut, ich bin Robin. Kommst du direkt aus Potsdam?“

„Ja, ich habe in Potsdam-West gewohnt.“

„Darf ich fragen, was dich hierher verschlägt?“

Anscheinend hatte Ferdinand Wort gehalten und niemandem etwas erzählt.

„Ich brauchte einen Neustart.“

„Kenne ich“, sagte Robin und stellte eine Tasse Kaffee vor Susanne ab. „Ich bin damals vor meiner Ex geflohen. Sie hat mich nach der Trennung gestalkt. Wie geht es dir?“

Susanne seufzte und nippte am Kaffee. Schon immer trank sie ihn schwarz, doch jetzt schien auch dabei eine Veränderung gut zu sein.

„Hast du Milch?“

„Oh, entschuldige.“

Robin sprang auf und holte Milch aus dem Kühlschrank.

„Danke. Mein Ex-Freund ist Künstler und Galerist. Er meinte, er könne sich nicht neu orientieren. Darum hat er eine Fernbeziehung vorgeschlagen, aber irgendwie fühlte es sich an, als wolle er mich nur loswerden. Am Telefon zeigte sich dann, dass ich richtig liege.“

„Ging echt eine andere Frau ans Handy? Da würde ich auch ausflippen.“

Sie nickten sich zu, tranken Kaffee und Robin erzählte von seiner Anfangszeit in Eltville. Im Gegenzug erzählte Susanne ihm von ihrer neuen Wohnung und wie sie sie gefunden hatte.

„Wenn du Hilfe brauchst, sag Bescheid. Eric hat mir damals seine Wohnung überlassen, als er zu Bianca gezogen ist. Sie haben mir auch beim Umzug geholfen.“

„Mal sehen. Wie war sie denn?“

„Wer?“

„Diese Bianca.“

„Sie war“, sagte Robin mit einem traurigen Lächeln, „etwas ganz Besonderes. Sie hatte ein Gespür für ihre Arbeit und war eine tolle Freundin.“

Susanne schluckte. Sie hatte Angst, den Ansprüchen der Menschen hier nicht gerecht werden zu können.

Neues Vertrauen

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