Читать книгу Ganz für mich allein - Ute Dombrowski - Страница 4
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ОглавлениеMichael Verskoff brummte ein mürrisches „Guten Morgen“ in die kleine Runde, die sich auf dem Parkplatz am Oestricher Kran eingefunden hatte. Die Kollegen hatten den Bereich weiträumig abgesperrt. Von der Bundesstraße am Rheinufer brandete der Lärm des Berufsverkehrs herüber. Blaulicht durchschnitt die Dunkelheit und wütend hupende Autofahrer fuhren am Parkplatz vorbei. Sie kamen jeden Morgen hierher und stellten ihre Fahrzeuge ab, um entweder im Ort zu arbeiten oder als Pendler umzusteigen. Heute war das nicht möglich.
„Was ist passiert?“, fragte Michael Jürgen von der Spurensicherung, der schweigend und routiniert seine Arbeit tat.
„Siehst du doch. Oder denkst du, die Dame hält hier ein Schläfchen? Wo ist denn deine Dame? Und vor allem, wo ist der junge Mitarbeiter?“
Michael achtete nicht weiter auf seinen Kollegen und trat an die Leiche heran. Die Frau war jung und hübsch, aber ihre schönen Gesichtszüge waren qualvoll verzerrt. Sie lag auf dem Rücken und man sah deutlich die Strangulationsmale am schlanken Hals. Sie trug einen hellen Mantel und elegante Schuhe. Ihre Handtasche stand neben ihr und der Inhalt war um sie herum verstreut.
Michael seufzte. Frauenhandtasche - eine eigene Welt, dachte er. Wenn er sah, was seine Freundin und Kollegin Bianca so alles in ihrer Handtasche mit sich herumtrug, hatte er schon oft den Kopf geschüttelt. Auf seine Frage, was sie mit dem ganzen Zeug wolle, hatte sie gegrinst und erklärt, dass das die Dinge seien, die eine Frau immer brauche.
„Ich habe keine Ahnung, wo Benedikt sich schon wieder herumtreibt. Sein Handy ist aus. Fehlt etwas?“, fragte er nach hinten.
Jürgen schüttelte den Kopf.
„Es ist alles da: Ausweis, Geld, alles. Es war kein Raubmord. Sie heißt Sophia Wieselburger, dreißig Jahre alt, wohnt in Eltville. Der Täter hat sie erdrosselt.“
„Du weißt also bereits, dass es ein Täter war. Na fein, hast du auch schon seine Adresse?“
„Mein lieber Kollege, wenn ich dich nicht so gut kennen würde, würde ich denken, dass du ein richtig fieser Typ bist, aber ich kombiniere mal: Bianca ist nicht da und du hast deshalb so schlechte Laune.“
Der Kommissar nickte und grinste. Er war unrasiert, die blonden, kurzen Haare standen in alle Richtungen, er hatte dasselbe Hemd an wie am Vortag und sich in den letzten zwei Tagen von Fastfood und Kaffee ernährt.
„Entschuldige, aber du hast recht. Bianca ist auf dem Lehrgang. Sie soll schließlich meine Vorgesetzte werden.“
„Wie geht es dir damit? Schon blöd, dass ihr wegen eurer Beziehung als Team auseinandergerissen werdet. Aber vielleicht ist es auch besser so.“
„Ich weiß nicht, was ich denken soll. Wir waren immer ein gutes Team und hatten viel Erfolg. Aber der Chef meint nun mal, dass es ordentlicher ist. Ich bin mir nicht sicher, ob es mir gefällt, wenn sie meine Chefin ist. Sie ist ziemlich streng.“
Die Männer lachten, was im Moment so gar nicht zur Situation passte und es entging ihnen nicht, dass die ältere Frau, die die Tote gefunden hatte, den Kopf schüttelte und ungehalten fragte, ob sie gehen dürfe.
Michael trat zu ihr und sagte neutral: „Natürlich dürfen Sie nicht gehen. Ich bin Kommissar Verskoff. Wer sind Sie und wie haben Sie die Tote gefunden?“
„Ich dachte immer, dass die Polizisten freundlich mit den Mitbürgern, die ihre Steuer zahlen, umgehen und ich hoffe, dass Sie eine unrühmliche Ausnahme sind. Ich bin Johanna Bilkrat. Ich stelle mein Auto hier ab, wenn ich zur Arbeit komme. Dann laufe ich das letzte Stück. Sie sehen ja, dass hier noch nicht viel los ist. Ich habe gleich gewusst, dass etwas nicht stimmt. Und da lag sie dann. Die arme Sophia. So eine nette Person.“
Sie maß Michael mit einem Blick, der deutlich sagte, dass er nicht zu den netten Personen zählte.
„Wo arbeiten Sie denn? Ich würde denken, sie …“
„… sind schon zu alt dafür? Unverschämt. Es geht sie zwar nichts an, aber ich habe keine riesige Beamtenpension und verdiene mir morgens etwas mit Putzen dazu. Ich reinige hier alle Arztpraxen.“
„Woher kennen Sie die Tote?“
„Sie betreibt ein kleines Café am Markt. Gestern war Musik dort.“
Michael wollte etwas sagen, aber er schüttelte den Kopf. Mit einem unfreundlichen Knurren schickte er die Frau, deren Daten Jürgen bereits notiert hatte, nach Hause. Wütend rauschte Johanna Bilkrat davon.
Der Spurensicherer hatte grinsend zugehört.
„Dann hoffe ich, dass Bianca bald zurück ist. Du bist sehr unsensibel.“
„Ich gehe mal und suche das Café.“
Michael machte sich auf den Weg. Jürgen hatte recht, aber er fühlte sich sehr einsam und irgendwie unvollständig, wenn Bianca und er nicht zusammen sein konnten. Noch drei Tage, dachte er und lächelte.
Das Café mit dem klangvollen Namen „Sophias Melodie“ lag an einem kleinen Marktplatz, der zum Parkplatz umfunktioniert worden war. Schon um diese unfreundliche Uhrzeit war alles voller Autos. Sicher gehörten sie den Anwohnern und Geschäftsleuten, die hier in den kleinen Orten im Rheingau vom Tourismus und der Winzerkultur lebten. Vor dem Taschenladen gegenüber saß eine Frau auf einer Bank und rauchte. Neben ihr auf dem kleinen Tisch stand eine Tasse Kaffee. Sie hatte eine unförmige Strickjacke um sich geschlungen und schaute müde unter dem wirren blonden Haar hervor. Argwöhnisch beäugte sie Michael, der versuchte, durch die Scheiben des Cafés ins Innere zu sehen.
„Was machen Sie da?“
Michael drehte sich um und kam zu ihr herüber. Er grüßte kurz und setzte sich auf den freien Platz. Nachdem er in die Innentasche seiner Jacke gefasst hatte, präsentierte er der Frau seinen Dienstausweis.
„Ach du Schande, Kripo. Ist etwas passiert?“
„Sie sind?“
„Dorothee Enzmacher. Ich bin die Besitzerin des Taschenladens. Jetzt sagen Sie schon! Was ist denn los?“
Michael fröstelte und fragte sachlich: „Kennen Sie die Besitzerin des Cafés?“
„Sophia? Ja, natürlich kenne ich sie. Wir sind Nachbarn und fast schon Freundinnen. Oh nein!“
Sie schwieg und sah den Kommissar ängstlich an. Ein leichtes Zittern durchlief ihren Körper.
„Was ist passiert?“, flüsterte sie nun voller Entsetzen.
„Frau Wieselburger ist heute Nacht Opfer eines Verbrechens geworden. Wir haben sie tot aufgefunden, auf dem Parkplatz am Rhein.“
Die Frau hatte zu weinen begonnen und schüttelte immer wieder den Kopf.
„Oh nein“, murmelte sie, „ich habe ihr ständig gesagt, dass sie hier einen Parkplatz anmieten soll, damit sie im Dunkeln nicht mehr durch die Gegend laufen muss. Oh, wie fruchtbar! Wer tut so etwas? Sie ist ein Engel und hat doch keine Reichtümer! Nicht einmal die Einnahmen hatte sie dabei. Die bringt sie immer erst mittags zur Bank.“
„Es wurde wahrscheinlich nichts gestohlen, also muss es einen anderen Grund geben.“
„Aber … aber … sie wurde doch hoffentlich nicht noch … ähm … missbraucht?“
„Darüber darf ich Ihnen nichts sagen. Ich hätte noch einige Fragen, aber können wir nicht irgendwo hineingehen?“
Dorothee stand auf und nahm Michael mit in das warme Geschäft. Dort ging sie in den hinteren Bereich, wo sich anscheinend die Werkstatt befand, schaltete das Licht ein und brachte ihm unaufgefordert eine Tasse Kaffee mit. Michael hatte sich auf einen Sessel gesetzt und ließ seine Blicke an einem Bücherregal entlangwandern. Es war schon eine Ewigkeit her, dass er mal ein Buch gelesen hatte, so lange, dass er sich nicht mal mehr an den Titel erinnerte. Außerdem fragte er sich, was ein Bücherregal in einem Taschengeschäft zu suchen hatte.
Dorothee folgte seinem Blick und setzte sich auf den breiten Rand des Regals. Ein Lächeln saß in ihren Augenwinkeln.
„Ich liebe Bücher. Sie enthalten mehr Leben als die Realität. Sie öffnen neue Welten und bringen mich an den Rand menschlicher Abgründe. Ich lese oft hier und auch so manche Kundin, wenn sie darauf wartet, dass ich ihre Tasche repariere. Lesen Sie?“
Michael schüttelte den Kopf und nippte an dem heißen, schwarzen Getränk. Sogleich fühlte er sich wohlig warm.
„Frau Enzmacher, wer könnte einen Grund haben, Frau Wieselburger zu töten? Hatte sie Feinde? Neider? Ex-Männer?“
„Niemand hatte einen Grund! Sophia ist eine ganz liebe Person. Sie ist immer nett und freundlich und wenn einer zu wenig Geld hatte, hat sie ihm auch schon mal einen Kaffee ausgegeben. Ich sage doch: Sie ist ein Engel.“
Sie schwiegen eine Weile. Dann schluchzte Dorothee plötzlich los.
„Ihre armen Eltern! Sie lebt bei ihnen auf dem Weingut und kümmert sich rührend um die beiden. Wissen die schon Bescheid?“
Michael schüttelte den Kopf.
„Ich fahre gleich zu ihnen. Hatte Sophia einen Freund? Oder einen Mann?“
„Ich glaube, im Moment ist sie alleine. Irgendwann hatte sie mal einen Freund, einen richtig hübschen mit toller Ausstrahlung. Er saß manchmal bei ihr im Café und hat sie oft abgeholt, aber eines Tages kam er nicht mehr. Das ist schon ein oder zwei Jahre her.“
„Danke, Frau Enzmacher, auch für den Kaffee. Den hatte ich echt nötig. Hier ist meine Karte. Wenn Ihnen noch etwas einfällt, rufen Sie mich bitte an, auch wenn es Ihnen unwichtig scheint. Eine Frage noch: Sind Sophias Eltern gesund und fit?“
„Sie werden es verkraften, das meinen Sie doch, oder?“
Michael nickte und verabschiedete sich. Jürgen war noch beim Sichern der Spuren, ein weiterer Streifenwagen stand an der Straße und sperrte den Bereich jetzt komplett ab. Es wurde langsam hell und Michael schaute den Rücklichtern des Leichenwagens, der eben fortgefahren war, hinterher.