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Ute Dombrowski
1. Auflage 2018
Copyright © 2018 Ute Dombrowski
Umschlag: Ute Dombrowski mit www.canva.com
Lektorat/Korrektorat: Julia Dillenberger-Ochs
Satz: Ute Dombrowski
Verlag: Ute Dombrowski Niedertiefenbach
Druck: epubli
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Autors und Selbstverlegers unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.
Luna hatte gerade fünf Minuten lang versucht, das Knopfloch über den Knopf ihrer Jeans zu ziehen. Vergeblich, nun taten ihr die Finger weh und sie lag schwer atmend und mit hochrotem Kopf auf dem Bett.
„Scheiße, wenn der schon nicht zugeht, dann kann ich den Reißverschluss erst recht vergessen.“
Sie richtete sich auf, riss die Hose von ihren Beinen und stellte sich mit geschlossenen Augen vor den großen Spiegel. Langsam öffnete sie ein Auge und schloss es direkt wieder. Sie zog den Bauch ein, hielt die Luft an, lächelte und öffnete nun mutig beide Augen.
„Oh Mann“, flüsterte sie, und als sie jetzt die Luft hastig ausstieß, war da wieder dieser Bauch. „Ich bin fett. So wird er mich nie ansehen.“
Luna Bergis war fünfzehn und das erste Mal richtig verliebt. Der neue Sinn ihres Lebens hieß André Reifeltz, war ebenfalls fünfzehn und vor sechs Wochen mit seiner Mutter neu in die Nachbarschaft gezogen. Er hatte grüne Augen, fast schwarze Haare, die er modisch kurz nach hinten gekämmt trug, und eine glatte, schön gebräunte Haut. Seufzend schlüpfte sie in ihre ausgebeulte Jogginghose und ging nach unten. Doretta Bergis, Lunas Mutter, hatte eine Gemüselasagne auf den Tisch gestellt. Lunas Bruder Joago holte drei Teller dazu und kramte im Schrank nach dem Besteck.
„Was ist das? Warum kann Papa nicht für uns kochen?“, fragte Luna und schaute auf die grünliche Masse in der Auflaufform.
Joago ließ sich auf den Stuhl am Kopfende des Tisches fallen und grinste fies. Er schaute zuerst die Lasagne an, dann wanderte sein überheblicher Blick am Outfit seiner Schwester hinunter und blieb an der Jogginghose hängen.
„Wag ja nicht, etwas zu sagen!“, drohte Luna.
„Warum nicht? Ich kann doch nichts dafür, dass du in der letzten Zeit solche Zelte anziehst. Finde dich damit ab: Du bist eben unförmig.“
In diesem Moment fuhr Dorettas Kopf herum.
„Bitte lass deine Schwester in Ruhe! Ich finde, das war gerade keine höfliche Bemerkung. Luna ist gut so, wie sie ist.“
„Ja klar, in ihrem Format mag sie nett sein“, stichelte der Sechzehnjährige weiter. „Aber so fett kriegt sie nie einen Mann ab.“
„Joago!!!“, rief seine Mutter.
Sie setzte sich zu ihren Kindern an den Tisch und schaute Luna, die den Tränen nahe war, mitleidig an.
„Du hast halt weibliche Formen und musst dich nicht schämen, meine Kleine. Das bisschen Babyspeck verwächst sich.“
Jetzt brach Luna in Tränen aus, stieß den Stuhl zurück und rannte in ihr Zimmer, wo sie die Tür zuknallte. Mit diesen Menschen da unten wollte sie nie wieder etwas zu tun haben. Weinend warf sie sich auf das Bett.
Bald legte sich Luna auf den Rücken und strich sich im Liegen über den weichen flachen Bauch. Sie war schon immer ein hübsches Mädchen gewesen und das hatte sich auch jetzt nicht geändert. Aber was brachten die strahlenden blauen Augen, die wallenden blonden Locken, um die sie alle anderen Mädchen aus der Klasse beneideten, wenn sie fett war? Mit ihren ebenmäßigen Zähnen knabberte sie an ihrer Unterlippe.
Wenn Joago, der große Bruder, der aussah wie ein Surfer mit seinen langen blonden Locken, auch gemein zu ihr gewesen war, ihre Lieblingsjeans hatte deutlich gesagt, dass er recht hatte. Weil alles klemmte und unförmig aussah, hatte sie oft Hosen mit Gummizug und zu große T-Shirts an. Es fiel nicht sehr auf, weil viele in der Schule ihre Markensporthosen trugen, aber sie wagte es auch nicht, ihre Mutter nach einer neuen Jeans zu fragen.
Doretta war sechsunddreißig, blond wie die Kinder, gertenschlank und wunderschön. So empfand es nicht nur ihre Tochter, auch Piet Bergis, ihr Mann, machte ihr ständig Komplimente. Sie achtete auf ihre Ernährung und lächelte über ihren Ehemann, der einen kleinen Bauchansatz vor sich hertrug.
„Schatz, wenn ich dich nicht wie verrückt lieben würde, müsstest du sofort eine Diät machen“, sagte Doretta immer und dann küsste sie ihn liebevoll.
Luna aß gerne bei ihrem Vater im italienischen Restaurant. Er war dort Koch und Teilhaber. Doretta betrieb in der Nähe ein kleines Café mit Laden, wo es hauptsächlich Vollkornprodukte und Dinkelkuchen gab. Die Eltern waren auch im Lebensstil das genaue Gegenteil, aber die Beziehung funktionierte schon seit neunzehn Jahren perfekt. Joago ging wie Luna in die Gesamtschule, er war in der zehnten Klasse und hatte jeden Monat eine neue Freundin, Luna besuchte die neunte Klasse und hatte bisher nur mit ihren Freundinnen über die Jungs gekichert.
Luna hatte sich in ihrem Körper immer wohlgefühlt, sogar die Veränderungen hin zum Erwachsenwerden machten ihr keine Probleme. Sie war sportlich und agil, also machte es ihr nichts aus, dass sie nicht so dürr war wie ihre Freundin Gianna.
Aber jetzt war André in ihr Leben getreten und alles hatte sich verändert. Als es leise klopfte, setzte sie sich auf und Doretta, die wieder ihren besorgten Mutterblick zeigte, trat ein. In ihrer Hand hielt sie einen Teller mit einer winzigen Portion Gemüselasagne und drei Scheiben Gurke.
Luna kroch an das Kopfende ihres Bettes und sah ihre Mutter beleidigt an.
„Das kannst du alleine essen“, schmetterte sie ihr entgegen.
„Aber Kind, Luna, du bist ein hübsches Mädchen, ich verstehe nicht, was sich jetzt verändert hat. Komm, rede mit mir. Wir haben doch sonst auch über alles gesprochen.“
Luna überlegte, aber sie konnte ihrer Mutter nicht lange böse sein, denn diese hatte recht: Sie waren wie Freundinnen, die über alles reden konnten.
„Ach Mama, Joago ist zwar ein Arsch, aber ich bin wirklich fett.“
„Arsch sagt man nicht. Er ist dein Bruder, da ist ein bisschen Spaß normal.“
„Der hat gut reden: Waschbrettbauch, tausend Weiber, die an ihm kleben und der darf auch schon viel mehr als ich. Außerdem bin ich echt fett geworden. Ich brauche eine neue Jeans. Leider eine Nummer größer.“
„Echt? Ach darum läufst du immer in dem Ding da herum. Wir gehen morgen einkaufen, in Ordnung? Und lass dir nichts einreden, du wirst eine Frau, da verändert sich der Körper nun einmal. Du wächst dann wieder und schon bist du rank und schlank.“
„Meinst du? Also gut, ich bete mal dafür und bis dahin esse ich den Matsch hier und nicht mehr bei Papa.“
„Am Wochenende gönnst du dir was, ja?“
„Nein, nie wieder. Nie, nie, nie, nie wieder.“
„Aber sonst war doch immer … ah … ich denke, ich verstehe. Hm, Süße, bist du etwa verliebt?“
Luna nickte und schon bekam sie diesen sanften Mäuschen-Blick, wenn sie an André dachte. Er war ja so süß.
Wie aus weiter Ferne hörte sie die Stimme ihrer Mutter: „In wen denn? Mag er dich auch? Seid ihr zusammen?“
„Das ist noch nichts, was ich dir erzählen kann. Außerdem weiß er nichts davon. Wenn es soweit ist, sage ich es dir, ja?“
„Aus deiner Klasse oder älter?“
„Auch fünfzehn, keine Sorge, alte Kerle interessieren mich nicht.“
„Gut, dann drücke ich dir die Daumen.“
Doretta küsste Luna auf die Wange und ging aus dem Zimmer.