Читать книгу Umweg ins Glück - Ute Dombrowski - Страница 8

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Nach Feierabend hatte Marius Nelly erneut geküsst und nun saßen sie nach einem entspannten Grill-Abend eng aneinander gekuschelt unter der Kastanie. Sie küssten sich, bis Nelly ein Schauer über den Rücken lief, denn es war kühl geworden. Marius zog seine Jacke aus und legte sie um ihre Schultern.

„Ich werde dann mal nach Hause fahren, Süße. Morgen bin ich wieder da.“

„Schade, jetzt, wo ich mich gerade so gut fühle. Aber in Ordnung, solange ich dich morgen sehe, darfst du jetzt heim.“

Marius wäre gerne geblieben, aber er hatte noch immer nicht mit ihr geredet. Sein kläglicher Versuch war vor einer Stunde im Keim erstickt worden, als Nelly von ihren Alpträumen berichtet hatte. Wenn du wüsstest, dachte er und erhob sich. Noch einmal schloss er Nelly in die Arme.

„Gute Nacht, Nelly. Ich … ich liebe dich.“

„Ich liebe dich auch, Marius.“

Nelly lag später in ihrem Bett und plötzlich fiel ihr ein, dass es genau das war, was er im Rettungswagen zu ihr gesagt hatte. Ja, er hatte gesagt: „Ich liebe dich.“

Wuschel grunzte in seinem Körbchen und mit einem guten Gefühl schlief auch Nelly ein. Im Weingut war auch alles ruhig, nur Oliver lag noch wach. Er war einerseits froh, dass es Nelly gut ging und sie sich wieder verliebt hatte, aber in letzter Zeit hatte es immer in der Gegend seines Herzens geschmerzt. Er konnte die Gefühle, die er für Nelly hatte, schon länger nicht mehr einordnen.

„Sie ist doch mein kleines Mädchen“, flüsterte er in die Dunkelheit seines Zimmers.

Am nächsten Morgen saß Simona mit am Tisch. Sie hatte die Brötchen mitgebracht und plapperte schon seit einer halben Stunde ohne Pause. Jetzt setzte Marius seine Tasse geräuschvoll ab. Wie immer hatte er fürchterlich geschlafen. Simona zuckte zusammen.

„Was hast du denn für ein Problem am frühen Morgen?“

„Ich habe ein Problem damit, dass DU am frühen Morgen schon so unanständig wach bist. Kannst du mal Luft holen beim Reden, dann kommen auch andere Menschen zu Wort.“

„Was willst du denn sagen?“, fragte Simona angriffslustig.

„Ich nicht, aber Nelly hat eine Neuigkeit, die dich sicher interessiert.“

„Neuigkeit? Was für eine Neuigkeit? Los, rede!“

Nelly hatte zu lachen begonnen und die anderen stimmten amüsiert mit ein. Nun zwinkerte sie ihrer Freundin zu.

„Marius und ich sind ein Paar.“

Simona schaute Nelly mit großen Augen an und schwieg. Die Männer genossen den Moment der Stille, denn sie wussten, dass in Kürze ein Schwall an Fragen auf Nelly niederprasseln würde. Simona holte Luft und wollte lossprudeln.

„Stopp!“, rief Benjamin. „Wir gehen arbeiten und dann könnt ihr schnattern, solange ihr wollt. Auf, Männer!“

Sie standen auf, die beiden Mädchen blieben sitzen. Marius küsste Nelly zärtlich zuerst auf den Mund, danach auf die Stirn. Simona sah fasziniert zu. Dann waren sie allein.

„Was für eine Neuigkeit! Ich dachte, du willst nie wieder einen Mann?“

„Er ist der Richtige, ich fühle eine sehr starke Verbundenheit.“

„Das kommt davon, dass er dich gerettet hat. Wie romantisch! So wie bei Noah und mir, nur dass er mich nicht retten musste.“

Nelly machte gute Miene zum bösen Spiel und dachte: Wenn ich dich nicht bald vor ihm retten muss. Aber sie wollte ihrer Freundin nicht die gute Laune verderben, also verkniff sie sich jede Bemerkung zu Noah. Simona indessen plante schon gemeinsame Aktivitäten. Sie hielt kurz inne, denn ihr war etwas eingefallen.

„Wie macht ihr denn das in der Schule? Schließlich ist er ja der Sohn vom Direx. Hast du ihn schon zuhause besucht? Habt ihr schon … ich meine … Sex?“

„Oh Mann, Simona, es geht doch nicht um Sex. Nein, wie haben noch nicht miteinander geschlafen, ich war auch noch nie bei ihm zuhause. Und ich weiß auch nicht, warum das alles in der Schule zu einem Problem werden sollte. Wir sind ein Paar. Punkt. Außerdem ist es doch erst seit gestern so richtig amtlich.“

„Wie schön, Nelly, ich freue mich für dich. Auf dass du mit ihm genauso glücklich wirst wie ich mit Noah.“

„Wann siehst du ihn? Heute?“

„Nein, diese Woche ist er in Berlin zu einem Seminar über irgendwas mit Technik. Er kommt erst am Sonntag zurück.“

„Dann können wir ja noch ein bisschen Spaß haben.“

„Wann ist denn die Verhandlung?“

Nelly war vor Schreck das Herz in die Hose gerutscht. Die Verhandlung war etwas, das ihr Angst machte. Sie würde dort Gabriel und Martin wieder begegnen und das war schlimm. Darum hatte sie sich gezwungen, nicht jeden Tag daran zu denken und nun fing Simona ohne Vorwarnung damit an.

„Oh Mann, Nelly, ich hätte ja voll Schiss, den beiden Auge in Auge gegenüberzusitzen. Also da brauchst du eine Menge Mumm. Kann ich mitkommen?“

„Papa sagt, es dauert noch bis zum Herbst. Leon meinte, sie kommen vor ein Schwurgericht und werden richtig lange ins Gefängnis gehen. Es war ja ein versuchter Mord und besonders heimtückisch, weil sie mich vorher betäubt hatten.“

Vielleicht ist es gut, mit jemandem darüber zu reden, dachte Nelly, und beschrieb ihre Alpträume, die sie so häufig plagten. Simona hörte gebannt zu und strich ihr über den Arm.

„Wenn man überlegt, dass Martin schon wieder mit dem Gesetz in Konflikt gekommen ist … aber ich denke, dieses Mal werden ihn die Anwälte seines Vaters nicht heraushauen. Ich hoffe es jedenfalls. Und denkst du, dass Gabriel genauso bestraft wird?“

„Schon, aber ich habe ausgesagt, dass sicher Martin den Mord geplant hatte. Das macht einen Unterschied, glaube ich. Unser Familienanwalt geht mit und wir sind Nebenkläger. Ich habe sehr viel Angst vor dem, was da auf mich zukommt.“

„Ich stehe dir bei! Immer! Es tut mir leid, dass ich dich fallengelassen habe, es wäre vielleicht nicht passiert, wenn ich besser auf dich aufgepasst und zu dir gehalten hätte.“

„Du bist jetzt für mich da und das ist gut so, danke. Lass uns aber heute bitte über etwas anderes reden. Ich glaube, dass ich mich erst direkt vor der Verhandlung damit auseinandersetzen werde.“

„Genau!“, rief Simona. „Und jetzt möchte ich bitte alle Einzelheiten über dich und Marius hören.“

Sie redeten bis zum Mittag, als aus Simonas Handtasche ein Klingeln kam. Sie ging dran und schimpfte in den Hörer. Am anderen Ende war Noah, der sie um weitere drei Tage vertröstete. Nachdem Simona aufgelegt hatte, standen Tränen in ihren Augen.

„Er bleibt noch länger. Mist. Ich liebe ihn so sehr, da vermisse ich ihn immer ganz grausam. Was denkst du? Sollte ich zu ihm fahren? Dann ist er nicht so alleine auf seinem Seminar.“

„Ich weiß nicht, aber lass das lieber, sonst denkt er noch, dass du ihm nachspionierst.“

Nelly lächelte, aber ihr war eigentlich danach zumute, ihrer Freundin gehörig die Meinung zu sagen. Noah war mit Sicherheit auf keinem Seminar, sondern bei einer seiner Freundinnen, die ihn aushielten.

„Ich muss noch zur Bank und ihm ein bisschen Geld überweisen, kommst du mit?“

„Warum musst du ihm Geld überweisen?“

„Er hat seine EC-Karte beschädigt, da kann ich ihn doch nicht hängenlassen.“

„Gut, ich komme mit“, erklärte sich Nelly einverstanden, aber ihr war schlecht geworden, denn was hier abging, konnte ein Blinder sehen, nur Simona hatte die Augen davor verschlossen.

Die beiden Mädchen liefen los und erreichten im letzten Moment den Bus in die Stadt, wo Simona in der Bank ihr letztes Taschengeld auf Noahs Konto überwies. Sie versicherte, dass sie selbst nichts bräuchte, denn sie ging für die alte Nachbarin einkaufen und da erhielt sie immer ein großzügiges Trinkgeld. Nelly schüttelte insgeheim den Kopf und nahm sich vor, am Abend mit der Familie und den Freunden darüber zu reden. Auf dem Rückweg versuchte Simona Noah vergeblich anzurufen.

„Er hat sicher zu tun.“

Sie verabschiedeten sich an der Bushaltestelle. Simona ging heim und Nelly machte sich auf den Weg ins Weingut. Es war schon Nachmittag, also bereitete sie das Abendessen vor. Katja kam nach einer Stunde dazu und Nelly berichtete von ihren Sorgen wegen Simona. Katja seufzte.

„Sie ist immer noch blind vor Liebe? Die arme Simona, das Erwachen wird furchtbar sein, wenn sie hinter die Wahrheit kommt.“

„Ich bin nur traurig, weil ich gar nicht weiß, wie ich ihr helfen kann, ohne sie zu verletzen. Mama, was soll ich nur machen? Sie einfach in ihr Unglück rennen lassen?“

Katja zuckte mit den Schultern.

„Vielleicht haben die Männer eine Idee. Lasst uns heute Abend Kriegsrat halten. Es wird wehtun, aber so wie es jetzt ist, kann das auch nicht weitergehen. Ich bin da, wenn du mich brauchst. Wie läuft es denn mit Marius?“

„Ach Mama, das ist so schön. Es ist, als würden wir uns ewig kennen. Wir verstehen uns super und er küsst ganz toll. Das ist wie nach Hause kommen. Ich bin schon sehr glücklich. Mit ihm kann ich den ganzen Mist mit Gabriel und Martin vergessen. Es ist auch schön, dass wir nach den Ferien zusammen in die Schule gehen. Er fängt ja nochmal an.“

„Dein Abitur steht bevor, das wirst du sicher mit Bravour meistern. Willst du danach wirklich nach Südfrankreich gehen?“

Nelly beschrieb ihre Ideen und Katja lauschte, hatte sie doch selbst immer alles alleine entscheiden müssen. Sie versprach Nelly ihre Unterstützung.

„Papa und Benni stehen auch hinter dir. Wir sind sehr stolz auf dich. Es gibt so viele junge Leute, die haben keine Perspektive und auch keine Ideen, was sie aus ihrem Leben machen sollen.“

Als die Männer kamen, küsste Marius Nelly zärtlich. Es war Freitagabend und das Wochenende stand bevor. Sie saßen noch eine Weile draußen zusammen, als ein Polizeiauto vor dem Haus hielt. Leon und seine Kollegin kamen um die Ecke.

„Hallo, guten Abend. Nelly, ich dachte mir, dass du hier bist. Können wir kurz reden? Keine Angst, es ist eher privat. Wir waren gerade in der Nähe.“

Der dunkelhaarige Italiener war ruhig und gelassen, hatte er Nelly doch verziehen, dass sie Paolo so enttäuscht hatte. Schließlich war sie ja selbst Opfer. Nelly hatte eine Gänsehaut, folgte ihm aber ins Haus. Die junge Kollegin setzte sich zu den anderen.

„Ich wollte dich nur mal fragen, wie es dir geht“, begann Leon drinnen.

„Es geht mir gut, danke der Nachfrage. Bist du nur deswegen gekommen? Hast du etwas von Gabriel und Martin gehört? Oder … oder von Paolo?“

„Nelly, ich habe ihn vor einer Woche besucht und ihm alles erzählt. Du kannst dir vorstellen, wie er sich fühlt. Die Schuldgefühle sind heftig. Er macht sich Vorwürfe, dass er so schnell aufgegeben hat.“

„Das hat er wirklich, aber ich kann ihn verstehen. Bleibt er jetzt für immer in Italien?“

Leon berichtete, dass Paolo das Weingut seines Großvaters übernommen hatte und sich mächtig ins Zeug legte, um Erfolg zu haben. Er war sichtlich stolz, dass sein Cousin so weit gekommen war. Die Arbeit bei Benjamin hatte ihm einen guten Start ermöglicht.

„Er kommt in zwei Wochen für ein paar Tage zu mir. Sicher wird er dann mit dir reden wollen. Das finde ich übrigens auch richtig.“

Nelly war zusammengezuckt und starrte Leon an.

„Oh weh. Dass wir uns wiedersehen, damit hätte ich niemals gerechnet.“

„Ich wollte dir das nur sagen, damit du nicht überrumpelt wirst.“

Sie gingen hinaus zu den anderen, Leon und seine Kollegin verabschiedeten sich und fuhren vom Hof. Alle sahen aufmerksam in Nellys Gesicht. Sie war blass und still geworden.

„Was ist passiert?“

Nelly schaute in die Runde und ihr Blick blieb an Marius hängen. Sie räusperte sich.

„Paolo kommt in zwei Wochen zu Besuch.“


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