Читать книгу Blüten gucken auf Malle - Ute Vogell - Страница 7

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2 - Krankenhaus

Der Mann, der im Flughafen das Schild „Ulla Wokkel“ in die Luft hielt, war ihr völlig fremd.

Als sie auf ihn zuging, versuchte sie angestrengt, irgendeine Ähnlichkeit mit dem Kind Manuel zu entdecken.

Vergeblich.

Allenfalls die kurzen weißen Stehhaare erinnerten entfernt an den weißblonden Mecki-Schnitt des Jungen. Sie hatte einen ganz normalen Fünfziger vor sich, von der Perle im linken Ohr und der extravaganten Hornbrille abgesehen.

„Manuel?“

Er nickte. „Herzlich willkommen, Ulla.“

Er umarmte sie kurz und schien keinerlei Zweifel an ihrer Identität zu hegen. Wahrscheinlich hatte Mama die Familienbilder herumgezeigt.

„Schade, dass wir uns unter diesen traurigen Umständen wiedersehen müssen.“

Sie schaute ihn genauer an.

Seine Gesichtszüge fielen sehr regelmäßig aus, fast hübsch. Auch seine hochgewachsene Figur erinnerte mehr an seine Mutter als an den kleinen, rundlichen Onkel Ed mit seinem großzügigen Bauch.

Er blickte sie unsicher an.

Ihre Frage nach Mamas Zustand schnitt er ab. „Komm, ich fahr dich sofort hin.“

Erst als Manuel einen Schritt zur Seite trat, erblickte sie den rosa Buggy. Ein kleines Mädchen, ebenfalls in Rosa, mit aschblonden Locken, nuckelte am Daumen und schlief.

„Deine Enkelin?“, fragte Ulla, froh einen gemeinsamen Gesprächsstoff zu entdecken.

„Nein, meine Tochter.“ Manuel reagierte kurz angebunden.

Ulla verkniff sich einen Kommentar und hastete hinter Manuel her, der mit langen Schritten vorauseilte.

Die Fahrt verlief einsilbig.

Fragen nach Mama überhörte Manuel und konzentrierte sich stark auf den – eigentlich sehr geringen – Autobahnverkehr.

Im schwachen Schein des Halbmondes versuchte Ulla, die Strecke wiederzuerkennen.

Immerhin war sie schon zweimal auf Mallorca gewesen; einmal mit KH allein und einmal mit ihm, Eni und Domi – als Geschenk zu Enis dreißigstem Geburtstag, die nicht den Bremer Rathausplatz als Unverheiratete fegen wollte – zur Schadenfreude ihrer Freunde und Bekannten.

Es fiel Ulla schwer, Bekanntes zu entdecken. Entweder hatte sich vieles verändert oder in der Dunkelheit wirkte die Gegend anders.

Einmal stoppte Manuel auf dem Seitenstreifen, um drei Fahrzeuge der Guardia Civil passieren zu lassen, die sich mit Blaulicht und Sirenen ihren Weg bahnten.

„Ein Unfall“, mutmaßte Ulla.

„Hmm. Vielleicht. Vielleicht haben sie auch den Vermissten gefunden.“ Eher widerwillig gab Manuel diese Information preis.

„Ein Vermisster? Seit wann?“

„Seit vorgestern. Psst.“

Manuel legte den Finger an den Mund. Mit einer Kopfbewegung nach hinten deutete er an, dass sie die Kleine nicht aufwecken sollte.

„Ich wusste gar nicht, dass du verheiratet bist“, flüsterte Ulla, um das Gespräch nicht schon wieder stocken zu lassen.

„Bin ich auch nicht“, sein Mund formte die Worte fast geräuschlos.

„Bitte sei jetzt still. Ich bin froh, dass die Kleine endlich schläft.“

Seufzend fügte sich Ulla in das Schweigen.

Glücklicherweise hatte sie sofort nach der Landung KH erreicht, der offensichtlich schon am Telefon gelauert hatte.

„Schön, dass du dich meldest, Liebes!“

Es hatte gutgetan, seine Stimme und seine Erleichterung zu hören.

Er hatte bereits ihre Schwester Ingrid, ihre Kinder Eni und Björn und auch seine eigene Schwester Hilde informiert.

„Alle sind entsetzt und drücken ganz fest die Daumen. Sie wünschen uns viel Kraft. Ich soll sie sofort anrufen, wenn ich etwas Neues weiß.“

Ja, wenn!

Ulla sehnte den Moment des Wiedersehens mit Mama herbei und fürchtete sich gleichzeitig schrecklich davor.

Wie lange es wohl noch dauern würde? Wo waren sie überhaupt?

Manuel fuhr schnell auf kurviger Nebenstrecke zwischen Steinzäunen und Obstplantagen, die wenig Orientierung zuließen.

Aber sie hatte den Eindruck, dass er viel zu früh von der MA-13 abgebogen war.

Unmöglich konnten sie jetzt schon in Port d’Alcudia sein.

Vor sich sah sie im schwachen Mondlicht massive Felsen, bizarr gezackt.

Das war doch die Tramuntana, nicht das Meer!

Ein Straßenschild, das sie im Vorbeifliegen entzifferte, bestätigte ihre Vermutung: Sóller 13 km.

„Stopp, Manuel, stopp!“

Ihre harte Ansage weckte die Kleine; sie fing an zu weinen.

„Shh, mein Schatz, es ist alles gut. Schlaf schön weiter.“ Er nahm die rechte Hand vom Steuer und versuchte, das Bein seiner Tochter im Kindersitz hinter sich zu tätscheln. „Nimm’s Däumchen!“

Das Weinen verstummte.

Manuel blickte Ulla vorwurfsvoll an. „Es ist wirklich alles gut. Wir sind gleich da. Deine Mutter liegt im Hospital Joan March. Hinter Palmanyola.“

***

Auf den restlichen Kilometern presste sie so viel wie möglich aus Manuel heraus.

So viel er wusste, waren ETA und Mama heute Morgen zum „Blütengucken“ gefahren. Zwischen Santa Maria del Cami und Bunyola würden die vielen Mandelbäumchen gerade ihre volle Pracht entfalten, hatte es in der mallorquinischen Presse geheißen.

Irgendwo in dieser Gegend musste es wohl geschehen sein. Mama war in einem Gebüsch verschwunden, um einem dringenden Bedürfnis nachzugehen, hatte wohl dabei das Gleichgewicht verloren und war gestürzt. Auf den Kopf.

„Wer hat sie gefunden und ins Krankenhaus gebracht?“ Ulla wollte Genaueres wissen.

Manuel seufzte.

Seine Mutter hatte ihn angerufen. Er hatte die beiden eine halbe Stunde später auf einer Nebenstrecke entdeckt und Mama wurde ins Krankenhaus gefahren.

„Und deine Mutter, was ist mit der?“

Er sah sie seltsam an, schüttelte den Kopf und blickte starr auf die Straße.

Ulla beschlich ein ungutes Gefühl.

„Was ist los, Manuel? – Bitte, sag mir alles“, bat Ulla aufgeregt.

Da fing das Kind wieder an zu weinen.

Dieses Mal wurde es nicht von seinem Vater getröstet. Der fuhr robotermäßig die letzten Kurven des Berges hinauf und hielt dann vor einem großen weißen Gebäude.

„Wir sind da.“

***

Ihre Mutter sah entsetzlich aus: weißbandagierter Kopf, Schläuche aus der Nase, je ein Schlauch im linken Handrücken und in der rechten Armbeuge. Abschürfungen in der rechten Gesichtshälfte und auf der rechten Hand. Sie war leichenblass und atmete kaum. Ihre Augen waren geschlossen.

„Mama!“ Ulla beugte sich vorsichtig über sie und küsste sie zart auf eine freie Stelle im Gesicht.

„Mama, hörst du mich?“

Keine Reaktion. Ulla strich sanft über ihre rechte Hand.

„Ich soll dich herzlich grüßen. Von KH. Und Ingrid und Eni und Björn. Und natürlich von Domi.“

Bildete sie es sich ein oder bewegte ihre Mutter wirklich ihre Augenlider?

„Mama“, sagte sie beschwörend, „alle wünschen dir gute Besserung. Du sollst ganz schnell gesund werden. Hörst du? Gesund!“

„Das ist genug!“

Eine Ärztin mit müden Augen stoppte Ulla.

„Mehr ist nicht gut für Ihre Mutter. Bitte verstehen Sie das!“ Ihre Aussage erfolgte in fast akzentfreiem Deutsch.

„Kann ich an ihrem Bett sitzenbleiben?“

Das Nein kam prompt und entschieden.

„Sie muss zurück auf die Intensivstation. Dorthin können Sie sie nicht begleiten. Machen Sie sich keine Sorgen. Ihre Mutter ist zäh. Sie wird es überleben.“

Ulla meinte, eine Bewegung im Gesicht ihrer Mutter wahrzunehmen.

Sie küsste sie erneut.

„Mach’s gut, Mama. Ich bin morgen früh wieder da.“

***

Auf der Weiterfahrt zum Hotel vermied Manuel jegliches Gespräch.

Eine Zeit lang fuhr er auf Nebenstraßen.

Als sie das Geheul einer Motorrad-Staffel hörten, bog er in einen Hof und stellte das Licht ab.

Ullas Verwunderung veranlasste ihn zu einer Erklärung: „Wegen der Kleinen. Sie hat Angst vor Krach.“

Mehr war ihm während der gesamten Fahrt nicht zu entlocken. Er lieferte sie im Hotel ab. „Ich fahr dich morgen ins Krankenhaus. Um 9.00 Uhr hier am Eingang! Ciao.“

Als er den blauen Golf auf dem Hotelparkplatz wendete, bemerkte Ulla im Schein der vielen Lampen tiefe Schrammen über die gesamte linke Autoseite vom Vorderrad bis zum Hinterrad. Eine dicke Beule verunstaltete die Fahrertür, der linke Scheinwerfer schien nur noch lose in seiner Fassung zu hängen. Und der linke hintere Kotflügel war tief eingedellt.

Sie starrte ihm nach, wurde aber vom Nachtportier aus ihren Gedanken gerissen.

„Bitte, Señora, Ihre Unterlagen und Ihr Schlüssel. Falls Sie noch eine Kleinigkeit essen wollen, die Bar ist bis 2.00 Uhr geöffnet. Viel Spaß in unserem Hotel.“

***

Trotz allem erfreute sich Ulla am Blick vom Balkon auf den dunkel leuchtenden Pool, an den mondbeschienenen Palmen und natürlich am blass glänzenden Meer.

Vor allem genoss sie aber das Telefongespräch mit KH.

Ihre Erleichterung übertrug sich auf ihn, er wurde deutlich ruhiger.

„Übermorgen haben wir uns ja wieder, Kallilein! Und weißt du, was das Beste ist?“

„Nein, was?“

„Als die Ärztin sagte Ihre Mutter ist zäh, hat Mama gelächelt!“

Sie spürte durch die Leitung, dass auch KH erleichtert schmunzelte.

„Typisch Mama“, sagte er, „sie ist nicht tot zu kriegen.“

Blüten gucken auf Malle

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