Читать книгу Blüten gucken auf Malle - Ute Vogell - Страница 9

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4 - Verdächtig

„Du musst sofort diese ETA sprechen“, schlug ihr KH am Telefon vor. „Das hört sich doch verdammt seltsam an.“

Wieder im Hotel angekommen, nutzte Ulla KHs kluge Logik, um mit ihm verschiedene Möglichkeiten zu diskutieren.

„Glaubst du, dass Mama vielleicht keinen geeigneten Platz zum Pipi machen auf ihrer Straßenseite gefunden hat und dann beim Überqueren der Straße von einem unbekannten Auto erfasst wurde? ETA hat dies vielleicht nicht bemerkt – laute Musik – oder sie war abgelenkt. Später hat sie dann Mama im Gebüsch gefunden hat, als sie sie suchte, weil die nicht zurückkam?“

Ulla wusste nicht, ob ihre Stimme ihre eigenen Zweifel widerspiegelte.

KH klang skeptisch: „Ich weiß nicht. Genauso gut kann diese ETA aus Versehen den Rückwärtsgang eingelegt und deine Mutter angefahren haben.“

Ulla war erschrocken. „Nein, das hätte sie dann doch im Krankenhaus gesagt. Warum sollte ETA lügen?“

„Und wie erklärst du die Unfallspuren an Manuels Auto?“ KH ließ sich nicht überzeugen. „Schließlich hat der andere Bruder doch angedeutet, dass ETA gefahren ist, oder nicht?“

„Das hätte er aber nicht getan, wenn seine Mutter diejenige gewesen wäre, die Mama angefahren hätte“, wandte Ulla ein.

„Hätte, hätte!“, KH wurde ungeduldig. „Du hast mir doch eben selbst die Dellen beschrieben!“

„Ja, aber – die können doch eine ganz normale Ursache haben. ETA hat einfach ein Hindernis beim Rückwärtsfahren übersehen oder …“ Ullas Stimme verstummte, weil sie kein Argument mehr fand.

„Ich hab’ keine Lust auf weitere Theorien“, schnitt KH einen möglichen weiteren Redefluss ab.

„Am besten sprichst du mit ETA. Oder“, er zögerte nur einen kurzen Moment, „du schaltest gleich die Polizei ein.“

***

Ulla entschied sich gegen die Polizei.

Erstens war alles viel zu unklar; auch der junge Arzt hatte ja nur von „unserer Theorie“ gesprochen. Zweitens wollte sie ihre Verwandten, die Mama immerhin eingeladen hatten, nicht verärgern. Drittens sprach sie kein Spanisch.

Nein, es würde sich alles aufklären. Falls nicht, könnte sie sich immer noch an die Polizei wenden.

Eigentlich hätte sie wissen müssen, dass dies die falsche Entscheidung war.

***

Weder Manuel noch Elmar gingen an ihre Handys. Von ETA hatte sie keine Nummer, erst recht nicht von Jenny.

Also, was nun?

Ulla beschloss, ihren Balkon auszuprobieren.

Ja, der Blick war wie im Urlaubsprospekt angezeigt: Pools unter Palmen, Sonnenliegen zwischen blühenden Blumen, dahinter weißer Sandstrand; zum krönenden Abschluss von türkis bis dunkelblau schattierendes Meer.

Ulla wählte die Nummern aufs Neue. Wieder keine Antwort. Sie verbot sich schlechte Gedanken.

Nochmal wählen – wieder kein Ergebnis.

Ulla fröstelte. Ihr Balkon lag gegen Osten, also erreichte ihn keine frühe Nachmittagssonne.

Sie beschloss, ihre weiteren Anrufversuche unten im Garten auf einer der Sonnenliegen durchzuführen.

Als sie ihr Zimmer eilig verließ, wäre sie fast mit einem der Zimmermädchen zusammengestoßen, die ihren Putzwagen vorbeischob.

Ach nein, Room-Service hieß das ja heutzutage.

Ulla entschuldigte sich und fing einen merkwürdigen Blick ein.

Als sie am Fahrstuhl wartete, hatte sie den Eindruck, dass die junge Frau ihr nachkam und sie prüfend anschaute.

Quatsch, nun fang nicht an, zu spinnen, wies sie sich selbst zurecht. Du hast ja nichts Unrechtes getan. Selbstverständlich kannst du nachmittags allein aus einem Hotelzimmer kommen!

Aber auch die Sonnenliege hatte Tücken.

Zwar erwärmte sich Ulla schnell, aber nun blendete das Display ihres Handys. Wieder keine Antwort.

Ulla beschloss, ihre Nachrichten zu überprüfen.

Sie seufzte. Nichts von Manuel oder Elmar, dafür drei Hinweise auf Anrufe von KH – offenbar als sie sich noch im Flugzeug befunden hatte.

Mehrfach Werbung von Vodafone bezüglich günstiger Tarife in Spanien.

Und zwei Nachrichten von Eni.

Ulla freute sich. Wenigstens ihre Tochter war zuverlässig.

Die erste Botschaft stammte bereits von Sonntagabend, als sich Ulla und KH noch völlig unwissend am Konzert in der Alten Oper erfreut hatten.

Ulla stolperte über einen Satz und las noch einmal:

Domi hat Schnupfen, besonders im rechten Nasenloch. Sonst geht’s uns gut. Uroma ist ungezogen. Haben euch lieb Eni und Domi.

Eine typische Eni-Nachricht: „besonders im rechten Nasenloch“!

Natürlich konnte ein Vierjähriger Schnupfen haben, vor allem im norddeutschen Februar. Kein Grund zur Besorgnis, sogar nicht für Oma Ulla, die den kleinen Dominic fest in ihr Herz geschlossen hatte.

Seltsam war eher die Bemerkung über Uroma.

Normalerweise ließ Eni nichts auf ihre Oma, Ullas Mutter und Domis Uroma, kommen.

Aber Enis Zorn war leicht zu erregen; anscheinend hatte es jetzt sogar die geliebte Uroma erwischt.

Allerdings: „Komische Wortwahl – ungezogen. Mama ist doch kein Kind mehr.“

Offenbar hatte Ulla laut vor sich hingeredet, denn sie bemerkte die sonderbaren Blicke eines jungen Gärtners, der in ihrer Nähe ein Beet harkte.

Nerven behalten, Ulla!

Sie baute sich selbst auf, bevor sie Manuels und Elmars Nummern erneut wählte. Wieder nichts.

Die zweite Nachricht Enis stammte vom Dienstagvormittag, war also erst vor wenigen Stunden gesendet worden: Domi musste ein Knopf aus dem rechten Nasenloch entfernt werden. Dein Knopf. Sonst geht’s uns gut. Grüß Uroma. Haben dich lieb Domi und Eni.

Offenbar war der Streit mit Uroma nicht so schlimm gewesen oder Eni hatte ihn angesichts des Unfalls vergessen.

Oder sie hatte ihren Ärger nun auf Ulla verlagert – dein Knopf deutete darauf hin.

Ulla verdrängte weitere Gedanken und wählte erneut.

„Hola“, sagte eine vergnügte Kinderstimme.

Ulla schaltete schnell: „Hallo, ich meine, Hola. Hola, Veronica. Du bist doch Veronica, oder?“

„Si, und wer bist du?“

„Ich bin Ulla. Du hast mich gestern mit deinem Vater vom Flughafen abgeholt. Aber du hast mich nicht gesehen, du hast geschla …“

Veronica protestierte plötzlich lautstark und Ulla hörte Manuels Stimme.

„Hola. En que puedo ayudarie? Was kann ich für Sie tun?

„Manuel, ich möchte gern ETA sprechen.“

Keine Reaktion.

„Hier ist Ulla. Es ist wichtig.“

Ulla hörte schnelle Schritte, dann räusperte Manuel sich.

„Du kannst ETA nicht sprechen. Das geht nicht. Sie schläft.“

„Dann weck’ sie auf, es ist wirklich sehr dringend. Wegen Mama.“ Ulla spürte, wie ihre Empörung ihr fast die Stimme abschnitt.

Mama lag bewusstlos im Krankenhaus und ETA hielt ein Mittagsschläfchen, als ob nichts geschehen sei!

In Manuels Telefon knatterte ein Motorrad vorbei. Offensichtlich war er nach draußen gegangen.

„Hör zu, Ulla“, er schrie beinahe, „lass uns endlich in Ruhe! Wir haben unsere eigenen Sorgen. Deine Mutter interessiert uns nicht. Verstanden?“

Einzig Ullas Zorn verhinderte, dass sie sprachlos auflegte. „Entweder ich kann jetzt mit ETA sprechen oder ich informiere die Polizei!“, drohte sie, über sich selbst erstaunt.

Manuel seufzte. „Du kannst ETA nicht sprechen. Sie ist bewusstlos. Der Arzt hat ihre eine Spritze gegeben.“

„Wieso …?“ Ulla fühlte sich überrumpelt.

Manuel fiel ihr ins Wort. „Sie hatte einen Nervenzusammenbruch“, flüstere er.

Dann legte er auf.

***

KH beantwortete weder das Telefon noch sein Handy. Ulla prüfte ihre Uhr – halb vier, Zeit zum Packen. Er würde sich den Koffer aus dem Keller holen.

Vielleicht war es auch besser, wenn er jetzt keinen Kommentar abgeben konnte. Schließlich schien er mit seinen Vermutungen über Mamas Unfall die richtige Spur getroffen zu haben.

Zur Ablenkung entschied sich Ulla für einen Strandspaziergang. Ein Lichtbad würde ihr guttun!

Um diese Zeit sonnten sich im Hotelgarten deutlich weniger Gäste.

Als Ulla einen Blick um die Hausecke warf, sah sie hinter einem breiten Oleanderstrauß das Zimmermädchen von heute Morgen und den jüngeren der beiden Gärtner in einem vertrauten Gespräch. Womöglich hatten sie sich sogar geküsst. Jedenfalls strebten sie sofort schuldbewusst auseinander, als sie Ulla bemerkten.

Das tat Ulla leid.

Auch strenge Arbeitgeber, fand Ulla, mussten Frühlingsgefühle bei ihren Angestellten tolerieren! Selbst dann, wenn sich Gäste beschwerten!

Ein himmelblauer Latexpfad stieß direkt an den Hotelgarten; offenbar führte er vom Hafen nach Can Picafort.

In den Osterferien vor fünf Jahren hatten KH und sie eine schöne Zeit in einem dortigen Apartment-Hotel verbracht und sie waren häufig am Strand entlang Richtung Port d’Alcudia gelaufen.

Damals hatten sie das wunderbare Berg-Panorama hinter der blauen Bucht genossen, die netten Hotels und wohlhabenden Sommerhäuser bewundert.

KH und sie hatten phantasiert, wie es wäre, selbst einmal Besitzer einer Strandvilla zu sein.

Ulla bog nach rechts. Sicherlich würden sie die alten Erinnerungen aufmuntern.

Jetzt im Februar wirkte der Strand deutlich ruhiger als damals Ende März.

Viele Hotels waren noch geschlossen. Fensterläden oder feste Gardinen verdeckten den Blick in die meisten Ferienwohnungen und Häuser.

Auffällig viele sa vendre – for sale Schilder.

Das hatte es vor fünf Jahren nicht gegeben; Ulla war sich sicher. Wahrscheinlich zeigten hier die spanische Finanzkrise und die von der EU verordneten drastischen Einsparmaßnahmen ihre Wirkungen.

Vereinzelt erledigten Handwerker Reparaturarbeiten; ein einsamer Gärtner säuberte Wege.

Die wenigen Spaziergänger bestanden aus älteren Menschen; viele führten Hunde mit. Häufig nutzten sie ihre Hunde als Grund, um mit anderen Hundebesitzern ins Gespräch zu kommen.

Ein alter Mann quietschte selbstvergessen auf einer gelben Gummi-Ente, bevor er sie fortwarf, damit sein schwarz-weiß gefleckter Liebling sie freudig schwanzwedelnd apportieren konnte.

Ein junger Vater warf sein jauchzendes Baby in die Luft, während die Mutter in Ruhe auf einer Bank ein Buch las.

In der Ferne sah sie Reiter, die ihre braunen Pferde ins Wasser trieben.

Und natürlich Jogger – meist junge Paare oder Frauen mittleren Alters –, die aufeinander Rücksicht nahmen.

Im Schnellsprint einzig Männer, offenbar getrieben vom ehrgeizigen Willen, das schnellste Tempo vorzulegen.

Nur die Hubschrauber am blauen Himmel störten die Idylle.

Ulla entfernte sich vom Wasser und stapfte gerade durch den weichen Sand in die mit Pinien bewachsenen Dünen, als KH anrief.

„Was ist, Liebes? Tut mir leid, ich war im Keller, als du angerufen hast und hab’s jetzt erst gemerkt. Geht’s dir gut?“

Ja, es ging ihr erstaunlich gut, in ihr war sogar etwas wie Urlaubsstimmung aufgekommen. Das sagte sie ihm.

„Und weißt du, wo ich jetzt stehe? Vor diesen Doppelhaus-Villen im spanischen Stil, sandbraun, große Balkons mit gedrehten Balustraden und handgearbeiteten Tonziegeln auf dem Dach. Jedenfalls sehen sie handgearbeitet aus, auch wenn sie maschinell gefertigt wurden. Erinnerst du dich noch daran? Ich glaub, jetzt sehe ich unsere Traum-Villa. Die mit den Ananas-Palmen und den Azaleen und dem Oleander im Garten. Hier blühen schon ein paar von diesen südamerikanischen Kakadu-Blumen, Strelitzien oder so.“

KH musste lachen: „Ich merke, dir geht es besser, Liebes. Schön. Ich muss jetzt packen. Bis später.“

Durchs Telefon tauschten sie Küsse aus und Ulla hatte seit vielen Stunden zum ersten Mal das Gefühl, dass alles gut ausgehen könnte.

Leider erwies es sich als falsch.

Zwei Hubschrauber landeten plötzlich nahe an der Wasserlinie. Polizei!

Die Reiter legten an Geschwindigkeit zu, um sich ihnen zu nähern. Ulla erkannte, dass es sich um berittene Polizei handelte.

Sie zogen Netze hinter sich her. Wahrscheinlich hatte es etwas mit dem Vermissten zu tun. Ulla wendete ihren Blick ab und nahm ihr Nordic Walking Tempo an, um schnell ihr Hotel zu erreichen.

Sie hatte keine Lust auf eine Leiche.

***

Bei ihrem nächsten Anruf meldete sich Elmar sofort, aber er war kurz angebunden.

„Hör zu, ich sitze gerade am Steuer und die spanische Polizei handhabt das Handy-Verbot streng. – Wie, Nervenzusammenbruch? Na und? Den hat Elfi doch dauernd! Kein Grund zur Sorge – sie ist halt hysterisch.“ Er lachte.

Nach ihrer nächsten Frage schlich sich Vorsicht in seine Stimme.

„Was gehen mich Manuels Auto-Reparaturen an? – Nein, ich hab’ nicht gesagt, dass ETA gestern Morgen Manuels Auto gefahren hat. – Was? Nein, nein, ich meinte: ETA fährt manchmal Manuels Wagen und ihr passieren halt mal Schrammen. Mehr nicht.“

Mehr nicht.

Weiter war ihm nichts zu entlocken. Dennoch oder vielleicht gerade deswegen hatte Ulla den Eindruck, dass KH leider nicht so falsch mit seinen Vermutungen lag.

Erneuter Anruf bei Manuel. Besetztzeichen. Nach drei weiteren Versuchen war die Leitung endlich frei, aber es meldete sich niemand.

Ulla hatte die Hoffnung schon aufgegeben, als sie eine Frauenstimme hörte. „Si, en que puedo servirle? – Sie wünschen, bitte?“

„Ich möchte gern Elvira sprechen – oder Elfi. Bitte, es ist dringend.“ Ulla hoffte, dass ihr flehender Ton eine Frau weich stimmen würde.

Vergeblich.

„Elfi? – Elfi nicht hier. Elfi im Flugzeug. Nach Deutschland.“

Blüten gucken auf Malle

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