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Mosaik aus Marokko
ОглавлениеZellige sind kleine Mosaiksteine, unscheinbare, glasierte Terrakotta-Stücke in einfachen geometrischen Formen und wenigen Farben, die zusammengesetzt eines jener faszinierenden Mosaikbilder ergeben, wie man sie in Marokko in allen Städten, an Brunnen, Wänden und Böden finden kann. In den Palästen und schmucken Riads in Fes, Meknes und Marrakesch, aber auch in der groβen Moschee Hassan II. in Casablanca präsentieren sie sich ihrer künstlerischen Hochform, quasi als Inbegriff maurischer Architektur und Baukunst. Ein Stern mit acht, sechzehn, achtundvierzig und mehr Ecken dient ihnen als Ausgangsmuster. Es ergibt eine Welt der Sterne, unendlich, schön. Reisende aus aller Welt haben sich schon in ihre geniale Einfachheit verloren und Mathematiker in ihre komplexe Geometrie. Die miteinander verbundenen Muster können in Unendlichkeit fortgedacht werden, sie sind also immer Teil eines alles überragenden Ganzen. Dabei sind die Zellige-Mosaiken einerseits in all ihren Teilen absolut perfekt, erlangen andererseits aber erst durch leichte Unebenheiten ihre unbeschreibliche Kraft und Lebendigkeit. Diese Welt der Sterne ist alles in allem vielleicht die beste Wahl, sich dem Land Marokko zu nähern, denn sie nimmt bei all ihrer Perfektion und Schönheit doch auch schon die Widersprüchlichkeiten in sich auf. Denn die wunderbar glänzenden Keramikteile für das Gesamtmosaik werden nach wir vor in mühevoller Handarbeit gefertigt und bringen doch auch viel Staub und wenig Lohn mit sich.
Vorab gebrannt und emailiert werden Zellige aus einem Kachelstück gebrochen und dabei bleibt die Genauigkeit und Geschwindigkeit dieser Arbeit angesichts des kargen Werkzeugs für mich ein absolutes Faszinosum. Unglaubliche dreihundert Zellige sollen geübte Hände dabei pro Tag schaffen können. Es ist uralte Erfahrung, lange Übung, oft noch immer vom Vater auf den Sohn weitergegeben und es braucht sicher etliche Jahre, Jahrzehnte bis zur Meisterschaft. Der Name dieses Meisters, der daraus dann auch das Mosaik legt, tritt aber praktisch nie in Erscheinung. Es geht um die Schönheit des Werkes und dessen Vewurzelung in der Tradition und nicht um die Person des Künstlers und dessen Eitelkeit. Das schöne Spiel mit Sternen und Mustern ist aber nicht nur hohe Kunst. Es ist auch Verzierung des Alltags und findet sich praktisch überall, auf schnöden Fabrikflieβen, auf einfachen Tellern oder auf hennabemalten Händen.
Eine Art Mosaik soll auch auch diese kurze ‚causerie sur le Maroc‘, diese 'Plauderei über Marokko' sein: Bunte Fragmente persönlicher Wahrnehmungen und scheinbar unscheinbare Erzählungen über das Land und seine Bewohner mögen sich zu einem ganzheitlichen Marokkobild zusammenfügen und sollen dabei gleichzeitig Linien der Orientierung und eine Ahnung von der Komplexität dahinter bieten. Vor allem aber soll das von mir hier gezeichnete Bild offen und endlos bleiben und durch Ihre eigenen Wahrnehmungen und Erfahrungen als Reisegast in diesem Land weitergeführt werden. Denn Marokko erfahren und besser verstehen, ist unbedingt eine groβe Bereicherung. Da, wo ich herkomme, wird noch immer allwöchentlich das Trottoir gefegt, die Hecken haben Fassonschnitt und die Busse kommen exakt nach Plan. Alles ist aufgeräumt, sauber, bestens organisiert und allemal überschaubar. Wie wunderbar wild dagegen wuchert hier die Bougainvillia, wie herrlich weit ist das Land und wie heiter und entspannt durcheinander ist Marokko im Vergleich dazu. Manchmal aber eben auch karg und anstrengend chaotisch. Alles ist irgendwie in Bewegung, nichts ist sicher, die Buszeiten nicht, die Paragraphen nicht und die Stromversorgung auch nicht. Viele Dinge verlieren hier ihre gewohnte Selbstverständlichkeit und Betrachtungsweise, können so aber auch einmal von einer ganz anderen Seite gesehen werden. Legt man die Angst als auch die Exotik beiseite, kann man in Marokko meines Erachtens eine ziemliche Erdung, einen Blick für Wesentliches und einiges an Zufriedenheit und Dankbarkeit mitbekommen.
Foto: Bereicherung Marokko: geheimnisvoll, heiter, anders