Читать книгу Wer fürchtet sich vor Stephen King? - Uwe Anton - Страница 10
ОглавлениеCARRIE: CARRIE * ’SALEM’S LOT: BRENNEN MUSS SALEM! * THE SHINING: SHINING * THE STAND: DAS LETZTE GEFECHT
„Der Ursprung [des Begriffs „Shining“] war ein Song von John Lennon und der Plastic Ono Band namens Instant Karma. Der Refrain lautete ‚We all shine on‘.“
Im Gespräch mit Bhob Stewart, Heavy Metal 1980
CARRIE (1974) – das ist Carrie White, das hässliche Entlein der amerikanischen Kleinstadt Chamberlain, von allen herumgestoßen, Opfer ihrer religiös-fanatischen Mutter, nicht aufgeklärt und naiv. Als sie in der Schule ihre erste Periode bekommt und von ihren Klassenkameradinnen wieder gehänselt wird, bricht bei ihr die latent schlummernde Kraft der Telekinese aus, der Fähigkeit, mittels bloßer Gedanken Gegenstände zu bewegen. Es scheint, als könne sich Carrie nun von ihrer beherrschenden Mutter befreien und auch mit ihren Schulgefährten besser auskommen, doch als die ihr auf einem Abschlussball einen grausamen Streich spielen und sie mit einem Eimer Schweineblut – man beachte den Rückgriff auf den Romanbeginn – übergießen, kommt es zur Katastrophe: Carrie rächt sich fürchterlich, legt die ganze Stadt in Schutt und Asche und tötet jene, die ihr so übel mitgespielt haben.
Ein dünner Plot – und ein dünnes Buch. 98 Manuskriptseiten soll es in seiner Urfassung gehabt haben, und deshalb kam der Autor auf die Idee, es mit Einschüben zu verlängern: mit Zitaten aus Sachbüchern, Zeitungsausschnitten, Fernschreiben, Dokumenten. Und er kam auf den Trick, immer wieder Gedanken seiner Protagonisten kursiv oder in Klammern einzuschieben, den Charakteren damit eine gefühlsmäßige Tiefe zu verleihen, die sonst nur schwer zu erreichen gewesen wäre – ein Kniff, den er seitdem immer wieder anwendet.
In der überarbeiteten Form brachte Stephen King mit seiner ersten Romanveröffentlichung ein rasant geschriebenes, gut lesbares Buch zusammen, das den Nerv der Zeit traf und vom Publikum sofort akzeptiert wurde. Zum einen war da der (auch später immer wieder verwendete) Schauplatz High School, der seinen Lesern sofort vertraut vorkam. Stephen King zeigte sich schon in CARRIE als der typische amerikanische Junge von nebenan, der den American way of life so lebensecht schildert wie kaum sonst jemand. Zum anderen lebte bereits CARRIE von Kings instinktiver Fähigkeit, die Ängste seiner Leserschaft zu erkennen, sie unter Einsatz übersinnlicher Einflüsse oder Erscheinungen zu veräußerlichen und ihnen damit die Form spannender Horrorromane zu geben, ohne diese Ängste jedoch zu verleugnen oder sie mit erhobenem Zeigefinger – „Seht her, das ist mein Thema, das ich nur schwach verschleiere, und jetzt erkennt euch gefälligst in meinen Büchern wieder!“ – zu präsentieren. Nein, King fand eine Möglichkeit, die Identifikation seiner Leser mit seinen Gestalten zu gewährleisten, und schuf damit eine Grundlage für seinen anhaltenden, überwältigenden Erfolg.
In CARRIE ist es die Angst vor der Sexualität, die King beschreibt, der Übergang zum Erwachsenenalter, die Abnabelung von den Eltern – in diesem Fall von der Mutter –, aber auch die Wandlung des hässlichen Entleins zum schönen Schwan und die Befriedigung, die der Leser verspürt, wenn Carrie sich dafür rächt, dass ihr bescheidener Traum von Anerkennung und Glück zunichtegemacht wird. Dies konnten besonders jüngere Leser nachempfinden, von denen viele King mittlerweile 40 Jahre als Leser treu geblieben sind. (Gibt es einen Leser, der nicht auch gewisse schlechte Erinnerungen an seine Schulzeit hat und mit einem gewissen süffisanten Genuss den Gedanken hegen würde, sich für das vermeintlich oder tatsächlich erlittene Unrecht zu rächen – nur, um sich dann entsetzt zu fragen, ob er zu solchen Taten fähig wäre, wenn er Fähigkeiten wie diese unscheinbare Schülerin hätte?) CARRIE legte das Fundament, und nun galt es, darauf ein solides Gebäude zu erreichten.
Das nächste Buch, BRENNEN MUSS SALEM! (1975), mutet auf den ersten Blick wesentlich konventioneller an als CARRIE. Es handelt sich ausgerechnet um einen Vampirroman, also ein Werk eines Genres, das seit Jahrzehnten als tot galt. (Stephenie Meyer war zu diesem Zeitpunkt nicht einmal zwei Jahre alt.) Der Schriftsteller Ben Mears kehrt 1975 nach Jerusalem’s Lot zurück, einer Kleinstadt in Neuengland, in der er einige glückliche Kindheitsjahre verbracht hat. Er will ein Buch über ein angebliches Spukhaus schreiben, das allerdings ein Fremder, Richard Thockett Straker, gekauft hat, um dort einen Antiquitätenladen zu eröffnen.
Mears verliebt sich in die ortsansässige Susan Norton, doch sein Glück wird getrübt durch einige Tote, die plötzlich das wohlgeordnete Leben in der wohlgeordneten amerikanischen Kleinstadt durcheinanderbringen. Eins der ersten Opfer ist der zehnjährige Danny Glick, der im Krankenhaus an Anämie stirbt – und als Vampir aufersteht. Straker entpuppt sich als Strohmann Kurt Barlows, eines uralten Vampirs, der in besagtes Spukhaus eingezogen ist.
King gelingt es fabelhaft, immer wieder Indizien dafür anzuführen, dass ein Vampir sein Unwesen in Jerusalem’s Lot treibt. Schließlich dringen der elfjährige Mark Petrie und Susan in das Spukhaus ein, doch während Mark den Helfer Straker töten und dann fliehen kann, wird Susan von Barlow gebissen. (Mark bezieht seine Kenntnisse, wie man mit Vampiren umzugehen hat, übrigens aus ähnlichen Comics, wie King sie als Jugendlicher gelesen hat.) Mears muss seine Geliebte töten, um zumindest ihre Seele zu retten, und immer mehr Einwohner der Stadt werden zu Vampiren, bis schließlich nur noch Mark und Ben Sears übrig bleiben. Ihnen gelingt zwar, Barlow in letzter Sekunde im Schlaf zu töten, doch das Böse ist nicht besiegt: Jerusalem’s Lot wird von Vampiren beherrscht. Mears und Mark Petrie müssen fliehen und die Stadt dem Regiment des Grauens überlassen.
Auch in diesem Roman, der durch eine stringente Handlung beeindruckt und von der literarischen Kritik zwar vernachlässigt wurde, aber immerhin das Lob bekam, seinen literarischen Vorbildern in nichts nachzustehen und eine moderne, zeitgenössische Version des Sujets Vampirroman zu sein, griff er unterschwellig auf urtypische amerikanische Ängste zurück: die Angst vor einer Kleinstadt, deren Bewohner eine verschworene Gemeinschaft bilden, aber auch die Angst vor Entfremdung, vor dem Verlust anderer (geliebter) Menschen. Veräußerlicht wird diese Angst durch ein typisches Sujet des Bösen, den Vampir, der schleichend seine üble Saat verbreitet. Und natürlich stellt BRENNEN MUSS SALEM! auch – wer will es dem zweiten veröffentlichten Roman eines jungen Autors verübeln? – eine Hommage an seine Vorbilder dar (wie auch die thematisch zusammenhängende Kurzgeschichte „Briefe aus Jerusalem“ belegt, dort an H.P. Lovecraft, dessen Ratten in den Gemäuern sich genauso schleichend manifestieren, wie King diesen Roman geschickt aufgebaut hat).
Erfüllte King mit BRENNEN MUSS SALEM! alle Erwartungen, die das selbstgewählte Genre ihm auferlegte, betrieb er mit seinem dritten (veröffentlichten) Roman SHINING wieder eine gewisse Selbstanalyse und Aufarbeitung eigener Ängste. Nicht ohne Grund stellt Stephen King einen Auszug aus Edgar Allan Poes „Die Maske des Roten Todes“ seinem SHINING (1977) voran, denn Poe, einer der wenigen Klassiker der Horror-Literatur, hat sich nicht dem „Schrecken, der aus Deutschland kommt“ – gemeint ist die Gothic Novel, die Schauerromantik, also der äußere Horror –, sondern dem „aus der Seele“ gewidmet. So gesehen steht Kings Roman also in eindeutiger Tradition zu jenem inneren, dem „einzig wahren“ Horror, wie Poe sich ausdrückte, und ist genauso ein tiefenpsychologisches wie ein ungemein spannendes Stück Gebrauchsprosa.
Jack Torrance, trockener Alkoholiker, zieht mit Frau und Sohn Danny (der über das Shining verfügt, die Präkognition [das zweite Gesicht], die Fähigkeit, vergangene und zukünftige Dinge zu sehen, und telepathisch mit anderen des Shinings mächtigen Menschen zu kommunizieren) den Winter über als Hausmeister ins Overlook-Hotel, um dort einen Roman zu schreiben. Torrance wurde als Kind misshandelt; sein Vater war Alkoholiker, hat seine Frau geprügelt und die Kinder mit der ständig ausrutschenden Hand erzogen. Er starb, als Jack dreizehn Jahre alt war, hinterließ aber einen starken Eindruck auf seinen Sohn. Nun scheint sich die Geschichte zu wiederholen: Das Overlook übt einen schädlichen Einfluss auf Jack Torrance aus; er verfällt dem Wahnsinn, das Übersinnliche verführt ihn und bekommt ihn in den Griff wie früher der Alkohol: Wie vor Jahren ein früherer Hausmeister Frau und Töchter getötet und zerstückelt und sich danach eine Kugel in den Kopf geschossen hat, läuft auch Torrance Amok.
Anders als in Kubriks Filmfassung wird Torrance im Roman getötet, als das Hotel niederbrennt; die reinigende Kraft des Feuers zieht sich als Motiv durch große Teile von Kings Werk. Auch überlebt im Roman Dick Hallorann, der ebenfalls des Shinings fähige farbige Koch. Überhaupt weisen Buch und Film beträchtliche Unterschiede auf. Angelegt wie ein klassisches Theaterstück mit seiner Einteilung in fünf Akte, mit Beginn, Verwicklung, Steigerung, Auflösung und Schluss, gewinnt das Buch eine phänomenale Spannung durch Kings Schreibtechnik, in jedem Kapitel (übertragen jeder Theaterszene) die Schauplätze und Personen rasant zu wechseln. Die Handlungsfäden ergänzen sich, laufen nebeneinander her, steigern sich gegenseitig zu schier unerträglicher Spannung empor. Im Roman sind die Charaktere wesentlich besser ausgearbeitet als im Film; King verfügt über die Begabung, Personen zu schildern, dass man tatsächlich glaubt, sie könnten jeden Augenblick den Seiten des Romans entspringen. Sie reagieren psychologisch exakt motiviert, sind äußerst glaubhaft und plastisch.
Kings Sprache ist exakt und treffend. Anders als im Film, in dem die Umgebung und das Overlook-Hotel in geometrisch genau festgelegten Figuren aufgezeigt und dem Zuschauer geradezu eingehämmert werden, beschwört King im Buch ein wildes, farbiges Eigenleben der Natur herauf, ja eine dämonische Allgegenwärtigkeit. Und Kings Protagonisten sind Teil der Natur, ihr und ihren Gesetzen unterworfen, können sich ihr nicht entziehen. Diesen Gesetzen folgt auch der Wahnsinn, der sich in Jack Torrance bildet; er ist feinfühlig und präzise geschildert, baut sich langsam auf. Ebenso langsam schleicht sich das Übernatürliche, der Horror sozusagen, in den Roman: Aus lapidaren, befremdlichen Vorfällen in einer anfangs ganz gewöhnlichen Alltagswelt baut King behutsam ein Gefühl der Bedrohung auf. Aus scheinbar völlig zusammenhang- und bedeutungslosen Vorfällen, die die Sphäre der Normalität, der Rationalität, zögernd ankratzen, entwickelt sich ein Mosaik des immanenten Schreckens, das erst bei seiner Vervollkommnung umkippt und die bis dahin vorherrschende Alltagswelt begräbt. Dieses Übersinnliche ist natürlich (auch) ein Sinnbild der nach außen dämonisierten Angst vor dem Alkohol, des Einflusses, den der Alkohol auf Torrance (und vielleicht auch auf King selbst) ausübt; schon früh führt King die Formel, die wesentlich zu seinem Erfolg beitrug, zur Meisterschaft: Er verleiht hier stärker denn je zuvor inneren Ängsten, Zwängen (also „Dämonen“) sichtbare Gestalt, womit sich der Schrecken des Lesers natürlich vervielfacht und sich die Identifikation des Lesers mit Kings Charakteren wesentlich verstärkt. King gelingt es, Torrance so beeindruckend zu schildern, indem er seine eigenen Probleme mit dem Alkohol verarbeitet und seine eigene Angst vermittelt, durch den Dämon Alkohol so zu werden wie seine Hauptfigur.
Auch handwerklich ist Kings Roman gelungen. Sehr originell meistert der Autor das Problem, das Shining, also die unerklärliche Wahrnehmung vergangenen oder zukünftiger Ergebnisse, in die Gegenwart einfließen zu lassen. Dannys kleine Visionen und Vorahnungen werden genau wie Jack Torrances Erinnerungen und die Attacken des Wahnsinns bzw. des dämonischen Ichs auf seinen Verstand kursiv zwischen fortlaufende Satzteile eingesetzt (CARRIE lässt grüßen); dabei hämmert King in seiner klaren, einfühlsamen Syntax die fremde, übersinnliche Welt, der sich weder Danny noch sein Vater entziehen können, in die Wirklichkeit hinein. Der Roman kommt ohne große äußerliche Schockmomente aus; die Spannung entwickelt sich von innen, genau wie der Schrecken, der Horror, wie immer man dieses Gefühl bezeichnen möchte. Eigentlich ist SHINING kein „Meisterwerk der modernen Horrorliteratur“, wie es der Klappentext der amerikanischen Ausgabe vermeldet, sondern ein psychologischer Roman mit übersinnlichen Einflüssen, der von der Beschreibung psychologischer Vorgänge und Entwicklungen lebt. Und dies hebt ihn aus der großen Masse anderer Horror-Romane weit hinaus. King schildert, genau wie Poe, nur in moderner, aktueller Fassung, den einzig wahren Schrecken, den der Mensch erleben kann: den der Seele, ihrer eigenen Zwänge, ihrer Alpträume, ihrer Paranoia, kurz gesagt ihrer „Dämonen“. Sein Buch ist weit mehr als ein Meisterwerk moderner Horrorliteratur: Es ist moderne Literatur, und das ist das höchste Lob, das man einem Horrorroman machen kann.
Mit seinem nächsten Roman, DAS LETZTE GEFECHT (1978), versuchte sich King schon in frühen Jahren an einem Opus magnum, ein wahrhaft ehrgeiziges Unterfangen. Allerdings entspricht es seiner typischen „Lagerfeuermentalität“ – „Kommt und setzt euch zu mir, ich erzähle euch eine Geschichte!“ – und brachte ihm den Vorwurf der Geschwätzigkeit ein, ein Vorwurf, den allerdings nur die Kritik erhob, nie die Leserschaft. Ihr war bereits zu dieser Zeit ein neues Buch von King mit 700 Seiten allemal lieber als eins mit 250 Seiten. Bei 763 engbedruckten Seiten (der deutschen Erstausgabe) wagt der Leser sich nicht unbedingt enthusiastisch an ein neues Buch. Umso überraschter ist er, wenn er nach begonnener Lektüre zum ersten Mal aufblickt, feststellt, dass er Seite 80 bereits erreicht hat, eigentlich kaum etwas geschehen ist, aber dieses Wenige so fesselnd und eindrucksvoll erzählt ist, dass er es kaum erwarten kann, auch noch die restlichen 683 Seiten zu lesen.
Dabei ist die Geschichte nicht unbedingt neu: der Weltuntergang auf Amerikanisch (und zwar recht patriotisch). Ein paar Überlebende finden sich zusammen und versuchen, sich durchzuschlagen. Dabei ist die eigentliche Gefahr noch längst nicht gebannt. Das übersinnlich Böse manifestiert sich in Gestalt von Randall Flagg, dem Dunklen Mann, dem Teufel in Menschengestalt, und das Gute in Gestalt einer einhundertundachtjährigen Farbigen. King kontrastiert hier mehrere dualistische Aspekte – das Leben und die persönlichen Probleme vor und nach der Katastrophe, das Science Fiction-Szenario eines misslungenen Gen/Viren-Experiments und den übersinnlichen Endkampf zwischen Gut und Böse – und verschmilzt sie. Eine Synthese, die eigentlich überhaupt nicht gelingen kann, aber trotzdem funktioniert: Der Roman liest sich durchgehend glatt. Das Gute siegt, der amerikanische Traum kann neu beginnen (nachdem das Übel aus der Welt vertrieben wurde), doch King lässt einen seiner Charaktere fragen, ob die Menschen selbst nach diesem rigorosen Neuanfang je vernünftig werden.
Nicht die Story ist eigentlich so interessant, sondern die Weise, wie sie erzählt wird. Die Personen, die King wie kein zweiter Horrorschriftsteller plastisch und lebendig schildert, machen vor, während und auch nach der Katastrophe glaubwürdige Entwicklungen durch; der Leser zittert mit ihren mit. Dabei greift King immer wieder auf ihre jeweiligen Ängste zurück (und beschränkt sich nicht nur auf ein Thema, das er veräußerlicht): Für jeden Leser ist etwas dabei, der ureigene Alptraum wartet auf der nächsten (oder übernächsten) Seite. Dieser Horror kann metaphysisch, aber auch ganz realistisch sein, und DAS LETZTE GEFECHT weist durchaus realistisch-brutale Szenen auf: „Hinter ihm lag das Skelett der Ratte, die er vor fünf Tagen […] getötet hatte. Der lange rosa Schwanz der Ratte hing noch am Skelett. Lloyd hatte wiederholt versucht, auch den Schwanz zu essen, aber er war zu zäh. […] Gestern Abend war es ihm gelungen, […] einen Kakerlaken zu fangen, und er hatte ihn lebendig gegessen; wie verrückt war er in seinem Mund herumgerannt, bis er ihn halb durchgebissen hatte. Er hatte nicht einmal schlecht geschmeckt, viel besser als die Ratte.“) Solche Szenen sind allerdings meilenweit von der vordergründigen Brutalität billiger Schlitzer-Romane entfernt und fordern vom Leser Einfühlungsvermögen und Mitdenken. Eingebettet sind all diese individuellen Ängste in die große pauschale Angst vor dem Ende – vordergründig dem der Welt, letztlich damit aber dem des eigenen Lebens.
Als King 1978 den Roman veröffentlichte, war er noch nicht der Stephen King; er musste sich nach dem Markt richten, nicht – wie man heute den Eindruck hat – der Markt nach ihm. Sein damaliger Verlag war der Auffassung, 12,95 Dollar seien das Äußerste, was die Leser für ein neues Hardcover von King zahlen würden, und zu diesem Preis ließ sich das Buch nicht rechnen. Es war schlicht und einfach zu umfangreich. Um vierhundert Seiten – mehr, als manche Romane überhaupt umfassen – wurde das Manuskript von King gekürzt.
1990 erschien der Roman in einer Neufassung. Nicht in der Länge des ursprünglichen Manuskripts, wie King in seinem Vorwort den Leser warnt, sondern als Ausweitung des 1978 erschienenen Romans; ein modernisierter Text, der der Originalfassung aber sehr nahe kommt. King hat den Roman um zehn Jahre auf 1990 vorverlegt, behutsam modernisiert – Roger Rabbit und Freddy Krueger werden erwähnt –, einen neuen Anfang und ein neues Ende geschrieben sowie die Kürzungen zum größten Teil wieder eingefügt. Ob es nun der Mülleimermann oder Frannie ist, die Charaktere erleben und agieren viel mehr, gewinnen an Glaubwürdigkeit, werden noch plastischer geschildert.
Die ursprünglichen Kürzungen sind sehr geschickt vorgenommen. Anfangs fehlen einige Absätze, vielleicht die eine oder andere Seite; hauptsächlich in der Mitte hat King die erste Fassung stark gekürzt. So sind (ohne Gewähr auf Vollständigkeit) die Kapitel 11, 12, 14, 17, 20, 31, 35, 38 und 49 neu hinzugekommen; die Kapitel 18, 22, 23–26, 28, 35, 39, 41, 43, 44–48, 49, 51 und 73 wurden verändert, was auch bedeuten kann, dass man mitunter jeweils an die 30 vorher unbekannte Seiten findet.
DAS LETZTE GEFECHT ist zweifellos einer von Kings besten Romanen; es macht Freude, das Buch noch einmal aufzuschlagen und über alte Bekannte zu lesen; besonders, wenn sie etwas Neues zu erzählen haben, was hier der Fall ist. Mit dem LETZTEN GEFECHT hatte King im Jahr 1978 seinen Ruf nicht nur gefestigt, sondern geradezu betoniert.