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Einzelveröffentlichungen * NIGHTSHIFT: NACHTSCHICHT

„Mein ganzes Leben als Schriftsteller bin ich immer von einem überzeugt gewesen: In der Fiktion muss die Geschichte selbst so gut sein, dass sie alle anderen Qualitäten des Autors in den Schatten stellt; Charakterisierung, Stil, Thema, Stimmung, das alles bedeutet nichts, wenn die Geschichte langweilig ist. Und wenn die Geschichte fesselt, kann der Leser alles andere verzeihen.“

Vorwort zu NACHTSCHICHT, 1978

Stephen King ist in erster Linie als Romancier bekannt, doch gerade seine Kurzgeschichten geben einen Einblick in die schriftstellerische Entwicklung und Vielseitigkeit des Autors. Einigen (hauptsächlich frühen) Geschichten merkt man deutlich an, dass sie aus Geldmangel geschrieben und dementsprechend auf bestimmte Märkte zugeschnitten wurden, in anderen entfaltet er sein wahres Können. King ist ein Erzähler, wie er im Buche steht, seine Storys wirken mitunter mühelos aufgebaut, die Charaktere lebensecht. Es sind die Menschen von nebenan, der Typ aus der Kneipe, der Verkäufer aus dem Supermarkt um die Ecke, die dem Leser begegnen, Menschen, mit denen er sich mühelos identifizieren kann.

Zahlreiche frühe Kurzgeschichten Kings liegen in seiner ersten Sammlung NACHTSCHICHT (NIGHT SHIFT, 1978) vor. Weitere sind in seiner zweiten (BLUT, SKELETON CREW, 1985) bzw. dritten Sammlung (ALPTRÄUME, NIGHTMARES AND DREAMSCAPES, 1993) veröffentlicht worden, doch einige wenige Geschichten will King nicht mehr einem breiteren Publikum zugänglich machen: ALPTRÄUME, so schrieb er im Vorwort zu der Collection, sei „ein Buch, das eine Trilogie vollendet, deren ersten Bände Nachtschicht und Blut sind. Jetzt liegen alle guten Geschichten gesammelt in Buchform vor; die schlechten habe ich, soweit ich konnte, unter den Teppich gekehrt, und da sollen sie auch bleiben.“

Die frühen ungesammelten Kurzgeschichten

Bereits im Alter von dreizehn Jahren hat sich Stephen King als Kurzgeschichtenautor betätigt. Seine frühesten bekannten Storys erschienen in einem Fan-Magazin, das er gemeinsam mit seinem Freund Chris Chesley verfasste, druckte und vertrieb. Ein Vorwort und achtzehn Geschichten umfasst People, Places and Things, wie die beiden Jungschriftsteller ihr Werk nannten. Acht dieser Geschichten stammen von King, neun von Chesley, eine verfassten sie gemeinsam. „The Hotel at the End of the Road“, „I’ve Got To Get Away!“, „The Dimension Warp“, „The Thing At the Bottom of the Well“, „The Stranger“, „I’m Falling“, „The Cursed Expedition“, „The Other Side of the Fog“ und „Never Look Behind You“ (mit Chesley) sind kurze Geschichten von wenigen Seiten, die unter dem Einfluss der EC-Horrorcomics bzw. der Horrorfilme der fünfziger Jahre entstanden: kleine Pointenstorys mit wenig Charakterisierung oder Tiefgang, die typisch sind für erste schriftstellerische Versuche in diesem Alter. Diese Zeitschrift ist extrem selten: King besitzt ein Exemplar, ansonsten sind nur wenige Fotokopien bekannt.

Ebenfalls im Eigenverlag als Fanzine erschien 1964 „The Star Invaders“, eine SF-Story, in der heldenhafte Menschen eine neue Waffe gegen böse Invasoren aus dem All entwickeln.

Ein Jahr später veröffentliche King erneut eine Geschichte in einem Fanzine, das ein Horrorfan aus Alabama, Mike Garrett, herausgab und das den Titel Comics Review trug. „I Was a Teenage Grave Robber“ erzählt von einem Waisenjungen, der als Grabräuber für einen verrückten Wissenschaftler arbeitet und später seine Freundin aus dessen Klauen retten muss.

Im Herbst 1967 erschien mit „The Glass Floor“ in dem Magazin Startling Mystery Stories die erste Geschichte, die King an einen professionellen Verlag verkaufen konnte. Kurz nach dem Tod seiner Schwester, die in einem „verfluchten“ Zimmer von einer Leiter fiel, besucht Charles Warton seinen Schwager und besteht darauf, das Zimmer zu sehen. Es verfügt über einen gläsernen Fußboden, der Wartons Wahrnehmung völlig durcheinanderbringt, und er erleidet dasselbe Schicksal wie seine Schwester.

Es war nicht die erste Geschichte, die King an dieses Krimi-Magazin geschickt hatte, und stilistisch hatte er sich beträchtlich verbessert. Auch vermochte er seine Geschichten nun besser zu strukturieren, und „The Glass Floor“ erweckt in der Anlage gewisse Anklänge an Edgar Allan Poe: Die Story ist eine Fingerübung in psychologischem Schrecken und vom Anfang bis zum Ende als solche durchkonzipiert.

Kings nächste Geschichte, „Slade“, erschien in acht Fortsetzungen im Juni und August 1970 in der Studentenzeitschrift The Maine Campus. Es handelt sich um eine überdrehte Western-Parodie (in der sich kaum Anklänge an den späteren Dunklen Turm finden) um Jack Slade, den „härtesten Revolvermann im Südwesten“, der in dem Kaff Dead Steer Springs aufräumt, aber schließlich die Belohnung in Gestalt seiner großen, alten Liebe ausschlägt, weil die sich unsterblich in den Bösewicht verliebt hat, und so ziemlich alles umnietet, was sich bewegt, einschließlich der alten Freundin und des Schurken, bevor er schließlich auf seinem geliebten Pferd in den Sonnenuntergang oder wohin auch immer reitet.

Im Januar 1971 erschien in Onan, dem literarischen Magazin der Studenten der University of Maine, „The Blue Air Compressor“, erneut eine stark von Poe beeinflusste Geschichte um einen Schriftsteller, der von seiner Vermieterin, der fetten Mrs. Leighton, wegen einer seiner Geschichten barsch verspottet wird, sie umbringt und die Spuren nach dem Vorbild von Poes „Das verräterische Herz“ verbirgt. Die Story wurde zehn Jahre später in dem Comic-Magazin Heavy Metal nachgedruckt.

Eine seltsame Entstehungsgeschichte hat die 1982 veröffentliche Skizze „Skybar“: Für das von Tom Silberkleit und Jerry Biederman herausgegebene Buch THE DO-IT-YOURSELF BESTSELLER verfassten mehrere bekannte Autoren, darunter auch King, jeweils den Anfang und das Ende einer Geschichte, und die Leser sollten den Mittelteil schreiben. Der Anfang der Story schildert, wie der Erzähler den Vergnügungspark Skybar besucht und ein Junge von der Achterbahn geschleudert wird, und das Ende beschreibt, wie die Leiche dieses Jungen den Erzähler jagt. Allerdings hat King den Mittelteil dieser Geschichte bis heute nicht nachgereicht.

„The Night of The Tiger“ erschien 1978 im Magazine of Fantasy and Science Fiction und erzählt von Mr. Legere, der einem Zirkus nachreist und sich besonders vom Dompteur Indrasil und dessen Tiger „Green Terror“ beeindruckt zeigt. In einer dunklen und stürmischen Nacht kommt es zum Showdown zwischen dem Fremden und Indrasil und zur vorhersehbaren Pointe: Der Dompteur verwandelt sich in sein Lieblingstier.

Zwei Geschichten aus Herrenmagazinen – „Weeds“, Cavalier 1976, und „The Crate“, Gallery 1979 – verwertete King für den Film CREEPSHOW und nahm sie ebenfalls in keine seiner Sammlungen auf. Während „Die Kiste“ (auch in Deutschland) in mehreren Anthologien vorliegt, ist Weeds heutzutage im Internet greifbar.

Eine Kuriosität ist „The Killer“, eine Geschichte von zwei Seiten Umfang, die King Anfang der sechziger Jahre geschrieben und an die Zeitschrift Famous Monsters of Filmland geschickt hatte. Dort grub man sie dann 1994 durch Zufall wieder aus und veröffentlichte sie in der Ausgabe 202. Es ist eine typische SF-Pointen-Story, wie sie wohl jeder verfasst, der in diesem Alter schreibt.

„Man with a Belly“, die letzte frühe, in keine Sammlung Kings aufgenommene Kurzgeschichte, erschien ebenfalls in dem Herrenmagazin Cavalier (Dezember 1978) und ist eine psychologisch recht unglaubwürdige Mainstream-Story um einen Mafia-Boss, der einen Killer beauftragt, seine Frau zu verprügeln und zu vergewaltigen, weil sie der Familie nicht genug Respekt entgegenbringt. Die Frau des Bosses rächt sich, indem sie den Killer beauftragt, sie zu schwängern …

NACHTSCHICHT, Kings erste Geschichtensammlung, umfasst 20 Kurzgeschichten, von denen 16 vorab in Magazinen wie Cavalier und Penthouse erschienen sind.

Diese zwanzig Storys lassen sich grob in vier Unterarten der Horrorliteratur einteilen: Zum einen wären da „Hommagen an EC“, jenen amerikanischen Comic-Verlag, der seine Blütezeit vor der Einführung des Comic-Codes hatte. Hierbei handelt es sich um gradlinige Horrortexte, die einem Höhepunkt, einer überraschenden, vielleicht moralisierenden, aber immer mehr oder weniger schrecklichen Pointe entgegenstreben. Inwieweit diese Pointen zünden, hängt von der Phantasie und Fabulierkunst des Autors ab.

Beispiele dafür sind etwa „Das Schreckgespenst“, in der Lester Billings die Hilfe des Psychiaters Dr. Harper sucht. Ein Schreckgespenst hat seine drei Kinder umgebracht, seine Frau will sich scheiden lassen, er steht kurz vor dem Zusammenbruch. Allerdings bittet Billings genau den Falschen um fachlichen Rat …

In „Graue Masse“ verwandelt sich der Protagonist in einen Blob, der den B-Filmen der 50er Jahre nachempfunden ist, und in „Schlachtfeld“ wird ein Profi-Killer seiner gerechten Strafe zugeführt, als Spielzeugsoldaten zum Leben erwachen. „Ich bin das Tor“ beschreibt das unglückliche Ende des ersten bemannten Flugs zur Venus. Jahre später wachsen einem überlebenden Astronauten kleine Augen und übernehmen seinen Körper … „Der Rasenmähermann“ entpuppt sich als Abgesandter des Gottes Pan, der ungehalten reagiert, wenn man sich darüber beschwert, wie er den Rasen mäht, und „Einen auf den Weg“ führt nach Jerusalem’s (auch bekannt als ’Salem’s) Lot. Mitten in einem Sturm taumelt ein Fremder in eine Bar und bittet die Einheimischen um Hilfe, weil sein Wagen mit Frau und Tochter darin von der Straße abgekommen ist. Die Einheimischen haben jedoch weniger Angst vor dem Blizzard als vor den Vampiren, die in der Stadt ihr Unwesen treiben …

Die zweite Kategorie von Geschichten beschreibt das Übersinnliche, Übernatürliche, das langsam auf unsere moderne, hochtechnisierte Welt übergreift; ganz eindeutig liegt hier ein übersinnlicher oder übernatürlicher Einfluss vor. Paradebeispiele dafür sind „Der Wäschemangler“, eine der konsequentesten, brutalsten Horrorgeschichten überhaupt: Eine Wäschemangel scheint Appetit auf Menschen zu entwickeln, und es stellt sich heraus, dass eine übersinnliche Besessenheit nicht auf Lebewesen beschränkt ist. Die Geschichte löst pure Angst aus. Als King in einer Wäscherei arbeitete, fragte er sich, was passieren könnte, wenn so eine Maschine ein Eigenleben entwickelte, und es gelingt ihm, seine Ängste vor diesem Alptraum an den Leser weiterzugeben.

„Lastwagen“ folgt einem ähnlichen Plot: Fünf Männer und eine Frau werden in einem Truckstop-Imbiss von Lastwagen belagert, die plötzlich zum Leben erwacht sind. Auch „Kinder des Mais“ gehört dazu, in der es ein Ehepaar in eine abgelegene Kleinstadt verschlägt, in der die Kinder die Erwachsenen getötet haben und den „Gott, der hinter den Reihen geht“ verehren, der sich als übernatürliches, aber nichtsdestotrotz reales Wesen entpuppt – eine der spannendsten Geschichten des Autors. Hier zeigt sich King erneut als meisterhafter Erzähler, der den Leser nicht aus seinem Bann lässt. Gerade aus der Alltäglichkeit des ersten Teils der Geschichte – Eheschwierigkeiten, das Unbehagen, sich verfahren zu haben – entsteht eine Vertrautheit mit den Charakteren, die den nachfolgenden phantastischen Teil umso glaubhafter geraten lässt.

In „Spätschicht“ gerät der Wanderarbeiter Hall mit seinem Vormann Warwick aneinander, der seine Arbeiter schikaniert und schlecht behandelt. Doch der vordergründig wahre Schrecken in Form von mutierten Riesenratten lauert im Keller … Das Ende der Geschichte bleibt offen; ein sehr wirkungsvoller Kniff, denn da der Leser mehr weiß als Kings Protagonisten, bleibt es seiner Phantasie überlassen, sich den Fortgang auszumalen. (Diese drei Geschichten wurden übrigens verfilmt, wobei die Kinoversionen leider aufzeigen, dass die Handlung einer Kurzgeschichte wahrlich nicht für 90 Minuten auf der großen Leinwand ausreicht.)

„Briefe aus Jerusalem“ führt den Leser wieder in die aus dem gleichnamigen Roman bekannte Stadt, in der das Grauen bereits 1850 geherrscht hat. In Briefform erfährt der Leser von dem merkwürdigen Ort in Maine, der irgendwie böse zu sein scheint. Von Ratten in den Mauern bis hin zu einem riesigen Wurm und Vampiren reicht das Spektrum des Grauens, das sich Charles Boone, dem Verfasser der Briefe, langsam und hervorragend in Szene gesetzt, Schritt um Schritt offenbart. King erweist hier H.P. Lovecraft Tribut, doch man kann die Geschichte auch als Prolog zu BRENNEN MUSS SALEM verstehen.

In „Erdbeerfrühling“ wird eine Stadt in Neuengland in Abständen von zehn Jahren von einem Serienmörder heimgesucht, und zwar immer, wenn sich dichter Nebel über die Stadt senkt. Doch der Mörder ist nur Werkzeug zum Zweck – der eigentliche Täter ist dieser Nebel, der vom Erdbeerfrühling verursacht wird. „Ich weiß, was du brauchst“ schließlich beschreibt einen perfekten Menschen, den Elizabeth Rogan kennen- und lieben lernt. Als ihre Freundin glaubt, er sei einfach zu perfekt, kommt sie einer Wahrheit auf die Spur, die Elizabeth gar nicht schmeckt …

Eine dritte Art von Geschichten beschreibt einen psychologischen Schrecken: den vielzitierten „Horror aus der Seele und nicht aus Deutschland“. Der Leser wird im Zweifel gelassen, ob ein übernatürliches Element eine Rolle spielt, alles nur in der Phantasie des Protagonisten stattgefunden oder eine natürliche Erklärung hat. „Manchmal kommen sie wieder“ ist ein Paradebeispiel dafür: Ein Lehrer tritt nach einem Nervenzusammenbruch eine Stelle an einer neuen Schule an, als er Gestalten aus seiner Vergangenheit begegnet, die nicht älter geworden sind – übersinnliche Erscheinungen oder die Dämonen seiner Psyche, seiner Erinnerung? Eine Abwandlung stellen jene Storys dar, in denen King eindringlich das Seelenleben seiner Charaktere schildert, etwa einen Verrückten in „Der Mann, der Blumen liebte“: Während das Radio von einem Hammermörder und dem Vietnamkrieg berichtet, verteilt der Protagonist Blumen, um Freude in die Welt zu bringen. Allerdings handelt es sich bei dem Mann um den besagten Mörder. Hier erzeugt der Autor seinen Schrecken durch die zumeist überraschende Schilderung einer abnormen Psyche.

Schließlich sind in dieser Sammlung noch einige Mainstream-Storys enthalten, Geschichten ohne jedes übernatürliche Element; eine grausame Rache in „Der Mauervorsprung“, eine typische Suspense-Geschichte für amerikanische Herrenmagazine; eine todsichere Methode, sich das Rauchen abzugewöhnen („Quitters, Inc.“), oder auch eine Diskussion der Sterbehilfe („Die Frau im Zimmer“). „Die letzte Sprosse“ schließlich ist eine realistische Geschichte um Entfremdung, Schuld und Sühne. Hier beweist King, dass er dem Genre nicht mit Haut und Haaren verfallen, sondern auch imstande ist, andere literarische Wege zu beschreiten.

Sieht man von der Prämisse ab – die Menschheit wurde, wie im Roman DAS LETZTE GEFECHT – von einem Schnupfenvirus vernichtet, zählt auch „Nächtliche Brandung“ zu dieser Kategorie. Die letzten Überlebenden ergeben sich in ihr Schicksal und beseitigen nur noch die Leichen …

Nicht nur Schmuckstücke bietet diese Auswahl. Der Plot von „Ich bin das Tor“ ist gelinde gesagt platt und könnte einem B-Film der sechziger Jahre entsprungen sein. Wenn aber beispielsweise Burt die „Kinder des Mais“ beobachtet und zu einer atemberaubenden Flucht ansetzt, der Psychiater in „Das Schreckgespenst“ seine Maske lüftet oder der Dämon in „Die Wäschemangel“ sein wahres Gesicht zeigt, zeigt sich auch King von seiner besten „Horrorseite“.


Wer fürchtet sich vor Stephen King?

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