Читать книгу Nanopark - Uwe Hermann - Страница 8
Ungebetene Gäste und die Schwierigkeit, eine Frau ins Bett zu bekommen
ОглавлениеEtwa zur gleichen Zeit, als Simon den Park betrat, fuhr ein silberfarbener Mercedes-E-Transporter mit blauen Streifen und dem Werbeaufdruck eines Malerfachbetriebs aus Berlin-Niederschönhausen in eine der Parkbuchten. Der Fahrer, ein unauffälliger Mann in einem schwarzen Overall und mit einer tief ins Gesicht gezogenen Schirmmütze, stieg aus. Ohne der Kuppel einen Blick zuzuwerfen, ging er zur Sensorsäule hinüber und hielt seine Eintrittskarte davor. Noch bevor der Transporter sich senkte, tauchte der Mann im Strom der Besucher unter. Doch im Gegensatz zu ihnen wollte er nicht zur Kuppel. Er hatte ein anderes Ziel.
Der Transporter fuhr hinab auf das Parkdeck, wo eine Hydraulik ihn über ein Hebe- und Schienensystem zu seiner endgültigen Parkposition beförderte. Im Inneren des Fahrzeugs saßen sieben Personen in Tierkostümen und warteten darauf, dass der Transporter zum Stehen kam. Keiner sagte etwas, aber das war auch nicht nötig. Sie hatten ihren Plan in den letzten Wochen so oft durchgespielt, dass jedes weitere Wort überflüssig war.
Nachdem ihr Fahrzeug stand, griff der Anführer, ein Mann in einem Gorillakostüm, nach dem Sender, der neben ihm auf dem Sitz lag, und aktivierte ihn. Ein paar hundert Meter entfernt unterbrach der Empfänger die Stromversorgung für die Sicherheitskameras. Einige der vielen Kontrolllichter im Schaltraum erloschen.
Die schweigsamen Gestalten im Inneren des Fahrzeugs trugen schwarze Fingerhandschuhe, geschnürte Stiefel und jede ein anderes Tierkostüm. Jetzt setzten sie ihre Masken auf, griffen nach den Sporttaschen vor sich und sprangen aus dem Transporter. Sie orientierten sich kurz, bevor sie einen schmalen Wartungssteg betraten und durch ein Gewirr aus sich bewegenden Fahrzeugen davonliefen.
Leon Hoffmann war einer der Mitarbeiter, die hinter ihren Kontrollpulten in der Steuerzentrale saßen und den Ablauf der Attraktionen überwachten. Heute war er allerdings nicht bei der Sache. Er blickte geistesabwesend auf den Monitor vor sich, ohne auf die Anzeigen zu achten. In einer Hand hielt er seinen siebten Becher mit Kaffee, in der anderen einen Kugelschreiber mit dem Aufdruck eines christlichen Gesangsvereins. Er überlegte, wie er Janina Müller aus der Verwaltung ins Bett bekommen konnte. Sie sagte zwar, sie liebe ihn, aber anscheinend nicht genug, um mit ihm in die Kiste zu steigen. Seit vier Wochen wartete er bereits darauf, dass sie nachgab. Er hatte sie schon mehrere Male zum Essen ausgeführt – einmal sogar in dieses neue, schweineteure Tofu-Restaurant in Berlin, in dem sich die reichen Typen und ihre aufgebrezelten Frauen trafen, doch auch diese Ausgabe hatte sich für ihn nicht rentiert. So langsam verlor er die Geduld. Er verstand nicht, warum sie sich so anstellte. So gut sah sie nun auch wieder nicht aus. Die anderen Frauen, mit denen er sich getroffen hatte, waren doch auch nicht so anstrengend gewesen. Er blickte zu Hannas unbesetztem Arbeitsplatz hinüber, der an sein Kontrollpult angrenzte. Mit Ausnahme dieser blöden Ziege. Er erinnerte sich nur ungern an die Betriebsfeier im letzten Monat. Sie hatten alle reichlich getrunken und er war auf den dummen Gedanken gekommen, Hanna anzumachen. Nicht, dass sie sein Typ gewesen wäre. Er mochte keine rothaarigen Frauen und solche mit Übergewicht schon gar nicht, aber die Menge an Alkohol, die er in kurzer Zeit in sich hineingeschüttet hatte, hätte jede Frau in ein Fotomodell verwandelt. Außerdem hatte er angenommen, dass sie zwei Monate nach ihrer Scheidung mal wieder Sex gebrauchen könnte. Doch Fehlanzeige. Hanna hatte ihn dermaßen angefahren und vor allen zum Gespött gemacht, dass er sich eine Woche lang dumme Sprüche hatte gefallen lassen müssen. Das hatte er ihr bis heute nicht verziehen. Noch immer ruhte sein Blick auf ihrem Arbeitsplatz. Die einzigen privaten Dinge waren ein gerahmtes Foto ihrer Kinder und der Kaktus, den sie von ihnen geschenkt bekommen hatte. Ein Kaktus! Welches Kind kam auf die Idee, seiner Mutter einen Kaktus zu schenken? Wahrscheinlich war sie bei ihrer Familie genauso unbeliebt wie bei ihren Kollegen. Leon hatte sich hämisch gefreut, als Doris Junker, die Leiterin der Steuerzentrale, sie dazu verdonnert hatte, sich um den Typen von der Versicherung zu kümmern. Entsprechend schlecht war heute Morgen Hannas Laune gewesen – was Leon nur noch mehr gefreut hatte.
Er trank einen Schluck Kaffee und stieß sich dabei mit dem Becher gegen seine vorstehenden Zähne. Der Kaffee schwappte über und kleckerte auf sein neongelbes T-Shirt, auf dem sich ein Smiley mit blutunterlaufenen Augen über zu viel Stress auf der Arbeit beschwerte.
Am anderen Ende des Raumes saß Doris Junker in einem durch Milchglasscheiben abgegrenzten Bereich. Durch die offenstehende Tür sah sie zu, wie Leon den Fleck mit der Hand verrieb und es dadurch nur noch schlimmer machte. Auch wenn sie es sich nicht anmerken ließ, Leon war ihr durch und durch unsympathisch. Er war arrogant, selbstgefällig und hatte einen fürchterlichen Modegeschmack. Wie konnte er nur dieses grässliche T-Shirt tragen? Außerdem empfand sie den Aufdruck als persönlichen Affront. Leon war niemand, der sich durch ein Übermaß an Einsatzbereitschaft auszeichnete, geschweige denn sich überarbeitete. Wie also konnte er sich über zu viel Stress beschweren?
Der Lautsprecher auf ihrem Schreibtisch schaltete sich ein: »Wir haben eine Störung auf dem Parkdeck.«
Doris löste ihren Blick von Leon, der aufgestanden war und in Richtung der Toiletten verschwand, wohl um dem Fleck mit Wasser zu Leibe zu rücken. Sie schaute zu Jonas Zimmermann hinüber. Dieser saß zusammen mit Lea Schäfer im vorderen Bereich des Raumes vor einer Wand aus Überwachungsbildschirmen und hielt den Knopf der Sprechanlage gedrückt: »Ist schon wieder so ein Idiot seinem Wagen hinterhergesprungen?«, fragte Doris.
»Nein.« Jonas’ Stimme klang völlig emotionslos. Er war das genaue Gegenteil von Leon: aufmerksam, pflichtbewusst, aber leider auch komplett ohne Humor.
»Auf dem Parkdeck sind die Kameras zwölf bis neunzehn ausgefallen.«
»Wieder Ratten?«
»Kann sein. Das Diagnoseprogramm läuft gerade und pingt die IP-Adressen der Kameras an.«
Doris wartete ab.
Noch ein paar Sekunden schüttelte Jonas den Kopf. »Die Kameras melden sich nicht.«
»Dann soll sich ein Techniker auf den Weg machen. Und am besten auch gleich ein Kammerjäger, der die Viecher endlich erledigt!«
Jonas griff nach dem Telefonhörer, als die erste Kamera wieder ein Bild lieferte. Dann erwachte eine weitere. »Jetzt booten sie neu. Vielleicht gab es eine Spannungsspitze im Netz, die die Kameras hat abstürzen lassen.«
»Behalt sie im Auge. Wenn es wieder zu einem Ausfall kommt, schick jemanden hinunter. Nach Roberts Tod können wir uns keine weiteren Probleme leisten.«
Doris ahnte nicht, dass Ratten oder ausgefallene Kameras in den nächsten Stunden ihr geringstes Problem sein würden.
Hanna hatte gehofft, dass Simon jetzt, nachdem er den Unfallort gesehen hatte, nach Hause fahren oder zumindest sein Hotelzimmer aufsuchen würde, stattdessen wollte er die Schleuse sehen, durch die Robert in die Kuppel gekommen war. Es ärgerte sie, dass er so versessen versuchte, dessen Tod als Selbstmord hinzustellen. Doch auch wenn ihm das gelang, was würde es ändern? Die Polizei hatte bereits ihren Bericht geschrieben. Aber wahrscheinlich lief es dann am Ende auf einen langjährigen Rechtsstreit hinaus, der mit einem Vergleich enden würde, bei dem die Versicherung Geld sparte. So war es immer: Wer den längeren Atem hatte, gewann. Sie dachte an ihre Scheidung und daran, dass ihr Exmann Eric sich den richtigen Anwalt geholt hatte. Ihr war kaum etwas von ihrem Besitz geblieben. Er hatte das Haus, den größten Teil ihres Vermögens – das ganz und gar nicht groß gewesen war – und das Auto bekommen. Zumindest war ihr das Sorgerecht für die Kinder zugesprochen worden, aber für die hatte sich Eric sowieso nie sonderlich interessiert. Ihr fielen seine Anrufe ein. Kurz überlegte sie, ihr Handy einzuschalten und die Mailbox abzuhören, aber dann unterließ sie es. Sie ahnte, was Eric gewollt hatte. Er betreute die nächsten zwei Tage die Kinder und war sicher wieder einmal völlig überfordert. Nicht dass Emma und Moritz einfach waren, aber welche Kinder, die eine Scheidung hinter sich hatten, waren das schon?
Die Schleuse lag versteckt hinter dem Ausgang der Raftingbahn, die wegen eines Rohrbruchs geschlossen war. Aber auch wenn die Gondeln der Bahn besetzt gewesen wären, hätte niemand sehen können, wie Hanna und Simon vor einer Tür mit einem Codeschloss stehen blieben. Rechteckige Kunststoffblöcke, die für die Besucher wie mannshohe Bergkristalle aussahen, verdeckten sie.
Hanna hörte hinter sich das Tosen der Wildwasserbahn und das Jubeln der Menschen, wenn ihre Wagen in die Tiefe stürzten. Während sie ungeduldig zusah, wie Simon die Schleusentür untersuchte, kündigte eine Fanfare den Beginn einer neuen Show im Themenbereich der Piraten an. Jetzt würden ihre Kollegen in der Steuerzentrale alles für die Seeschlacht vorbereiten, in der sich spanische Galeeren mit einem Schiff der Piraten duellierten. Am Ende würden die Piraten gewinnen und unter dem Jubel der Besucher in den Hafen segeln.
»Ohne Codekarte lässt sich die Schleuse nicht öffnen«, erklärte Hanna mühsam beherrscht, als Simon keine Anstalten machte, die Untersuchung beenden zu wollen. Sie spürte, wie die Ungeduld ihre schlechte Laune zurückholte. Hoffentlich hatte der Versicherungstyp bald genug davon, Sherlock Holmes zu spielen. Sie verstand sowieso nicht, was das alles sollte. Ihr Exmann fiel ihr wieder ein. Dieses Mal zog sie das Telefon aus der Tasche und aktivierte es. Eric hatte fünf Mal angerufen und beim letzten Mal eine Sprachnachricht hinterlassen. Sie drehte die Lautstärke ihres Telefons so weit herunter, dass Simon nicht mithören konnte. Dann rief sie die Nachricht ab. Was Eric ihr erzählte, verdarb ihr endgültig die gute Laune.
»Ich muss zurück in die Steuerzentrale«, sagte sie und steckte das Telefon in die Tasche ihres Kittels. »Sie können sich gerne noch weiter umschauen, aber ich brauche den DeAktor.« Sie streckte die Hand aus.
»Ohne dieses Ding sehe ich aber nicht mehr als die übrigen Besucher.«
»Das lässt sich leider nicht ändern. Hier im Park gibt es Bereiche, die weder für Besucher noch für Ermittler von Versicherungsgesellschaften zugänglich sind. Auch wir haben unsere Geheimnisse. Wenn Sie wollen, komme ich später noch einmal vorbei und Sie dürfen gerne weiter herumschnüffeln.«
Missgestimmt nahm Simon das Armband ab und reichte es ihr. Er zuckte kurz zusammen, als die Nanoroboter in seinem Körper ihre Arbeit wieder aufnahmen und ihn zurück in die Traumwelt katapultierten. Hanna bemerkte, wie er erneut seinen rechten Arm verkrampfte. Ihr war zuvor schon aufgefallen, dass er ihn unbewusst schonte. Wenn es stimmte, was er ihr erzählt hatte, war er vielleicht bei einem Einsatz angeschossen worden und hatte deshalb seinen Polizeidienst beendet.
»Wie finde ich mein Hotelzimmer?«
Sie wedelte mit dem Finger in der Luft herum. »Fragen Sie einfach einen Parkangestellten!« Dann ging sie und ließ ihn mit einem verdutzten Gesichtsausdruck zurück.