Читать книгу Die exzentrische Lebensgeschichte des Künstlers und Verbrechers Benvenuto Cellini - Uwe Neumahr - Страница 6

Vorwort

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B envenuto Cellini gilt als das enfant terrible unter den Künstlern der italienischen Renaissance. Er scheint all das in seiner Persönlichkeit zu vereinen, was das Klischee des Renaissancemannes auszeichnet. Dazu zählen seine Sinnlichkeit und Gewalttätigkeit – er beging zwei Morde und einen Totschlag –, sein Verlangen nach Schönheit, das stolze Bewusstsein seiner künstlerischen Geschicklichkeit, sein abenteuerlicher Lebenswandel.

Streitsüchtig und unangepasst, wurde er oft inhaftiert, einmal sogar zum Tod verurteilt. Darüber hinaus besaß Cellini die Fähigkeit, seine Gedanken, Gefühle und Erfahrungen in einer hinreißenden Lebensbeschreibung mitzuteilen. Dass er es darin mit der Wahrheit nicht immer genau nimmt und heftig prahlt, passt zu seinem schillernden Naturell. Cellini, der sehr viel konnte und alles wagte, war in seinem Leben vieles: Musiker, genialer Goldschmied und Bildhauer, Soldat, Münzmeister, Teilhaber eines Wettbüros, päpstlicher Stabträger, Fachbuchautor, Dichter und Festungsingenieur. Seine schöpferischen Energien entluden sich auf erstaunlich vielen Gebieten. Von seinen bildkünstlerischen Werken blieb jedoch nur ein Bruchteil erhalten. Das wenige, das der Nachwelt überliefert ist, etwa seine Skulptur des Perseus auf der Piazza della Signoria in Florenz, sein Marmorkruzifix im Escorial oder sein Salzfass im Kunsthistorischen Museum Wien, zählt zum Kanon der abendländischen Kunst.

In Österreich hat Cellinis Salzfass geradezu identitätsstiftenden Status erlangt. Verantwortlich dafür war auch der spektakuläre Raub des Prunkstücks aus dem Kunsthistorischen Museum Wien, der ein tosendes Medienecho und eine mehrjährige Fahndung nach sich zog. Dank hervorragender Polizeiarbeit nahm die Suche 2006 ein glückliches Ende. Infolge einer ausgefeilten Marketingstrategie des Museums gibt es das Salzfass heute als Souvenir auf Halstüchern, als Puzzle oder Flaschenöffner. In den Sommermonaten der letzten Jahre konnten Besucher vor dem Haupteingang ein übergroßes Exponat der Saliera besteigen, das zum beliebten Fotopoint geworden ist. Cellini, dem Ruhmsüchtigen, der sich oft unterschätzt fühlte, würde dies wahrscheinlich schmeicheln.

Cellinis Lebenslauf lässt sich grafisch mit einem Giebeldach vergleichen, wobei die als aufwärtsstrebend zu bezeichnende Seite länger ist als die abfallende. Aus der Florentiner Mittelschicht stammend, ging es für ihn beruflich steil bergauf, auch wenn die ersten vierundfünfzig Jahre seines Lebens nicht linear verliefen und dramatische Karriereknicks enthielten. Er arbeitete für die Päpste in Rom, die Medici in Florenz, den französischen König und bewohnte in Paris zeitweise ein Schloss. Nach der Aufstellung seiner Perseus-Skulptur 1554 in Florenz – dem künstlerischen Höhepunkt seines Lebens – ging es bergab. Cellini wurde zu einem Außenseiter am Hof der Medici, größtenteils selbst verschuldet, obwohl er das Gegenteil behauptete. Cellini schlug lebenswirkliche Fakten immer gern über einen literarischen Leisten.

Bereits der Kulturhistoriker Jacob Burckhardt sah in Cellini das „Urbild des modernen Menschen“.1 Modern ist, aus heutiger Perspektive betrachtet, vieles an Cellinis Persönlichkeit. So etwa seine Haltung den Großen und Mächtigen gegenüber. Cellini hatte stets das Verlangen, sich vom Diener-Herr-Verhältnis des Künstlers zu emanzipieren und Gleichwertigkeit zu beanspruchen, teilweise mit drastischen Konsequenzen für sich selbst. Noch heute wird Cellini als Vorkämpfer für die Anerkennung des Künstlers in einer Welt gefeiert, die Künstler entwertet, zuletzt im Musical Cellini.2 Wagemut und Durchhaltevermögen zeichneten ihn aus, ja man kann Cellini als vormodernen Self-Made-Man bezeichnen. Er hatte sich aus eigener Kraft hochgearbeitet, weitgehend ohne Unterstützung und gegen den Widerstand vieler.

Doch nicht nur in gesellschaftlicher Hinsicht, auch auf technischem und künstlerischem Gebiet war Cellini ein Grenzüberschreiter. Bei der Herstellung von Münzpressen erwies er sich als Innovator. Dass Cellini seine bronzene Perseus-Figur aus einem Stück goss und sie nicht aus mehreren zusammensetzte, war eine staunenerregende Meisterleistung. Da er als Kunsthandwerker auch den kreativen Akt der Erfindung (invezione) beanspruchte, leistete er einen wichtigen Beitrag zum modernen Begriff des „Künstlers“. Münzmeister und Medailleure galten als Handwerker, die größtenteils nach fremden Entwürfen arbeiteten, da man sie nur in geringem Maße zu kreativer Eigenleistung fähig hielt. Nicht so Cellini, der einen Ganzheitsanspruch hatte. Er ist ein Beispiel für autonomes Künstlertum, das aus dem subalternen Kunsthandwerk hervorging.

Cellini muss ein attraktiver Mann gewesen sein. Einen Bischof lässt er über sich sagen, er habe eine gute Symmetrie des Körpers und der Physiognomie. Das einzig authentische Porträt scheint dieses Eigenlob zu bestätigen. Auf Vasaris Deckengemälde im Palazzo Vecchio sieht man Cellini, bereits sechzigjährig, mit hoher Stirn, wohlgeformter Nase, gleichmäßigen Gesichtszügen und grauem Vollbart.

Er zeugte zahlreiche Kinder, hatte aber auch eine erotische Disposition für junge Männer. Im Gegensatz zu anderen Künstlern der italienischen Renaissance, die ebenfalls unter dem Verdacht der Homosexualität standen, war Cellini einer der wenigen, der seine Homophilie vor Gericht zugeben musste. Dafür wurde er schwer bestraft. Weil er auch mit künstlerischen Mitteln für die Enttabuisierung der Homosexualität eintrat, wurde er zu einer Ikone der Homosexuellenbewegung des 20. Jahrhunderts.

Cellinis Leben bot Anlass zu konträren Deutungen. Oscar Wilde, der selbst wegen Homosexualität eingekerkert wurde, nannte ihn bei aller Bewunderung den „Erzschurken der Renaissance“.3 Für den englischen Literaturkritiker John Addington Symonds war Cellini ein Symbol der Lasterhaftigkeit. Seine Begierden seien „animalisch, zügellos und fast brutal“ gewesen.4 Friedrich Nietzsche hingegen, der Verächter aller christlichen Moral, sah in Cellini „die harmonische Ganzheit und den vielstimmigen Zusammenhalt in einer Natur“ verkörpert. Nach Nietzsche lebte Cellini seinen natürlichen Instinkten gemäß – jenseits von Gut und Böse.5 Goethe wiederum, für den Cellini zur Projektionsfläche seiner Sturm-und-Drang-Sehnsüchte im Weimarer Alltag wurde, sah in Cellini einen „Repräsentanten sämtlicher Menschheit“. Er deute das an, was „in jeden menschlichen Busen eingeschrieben“ sei.6 Held, Antiheld oder Künstlerverbrecher, so wird Cellini auch in Romanen, Filmen und Opernlibretti dargestellt.7 In Hector Berlioz romantischer Oper Benvenuto Cellini ist Cellini ein verkannter Künstler, der sich und sein Werk absolut setzt und am Ende alles gewinnt. In Kurt Weills Operette The Firebrand of Florence ist er der zweifelhafte Held einer derben Sexklamotte. Es ist schwierig, aus Cellinis literarischer Selbststilisierung und dem Firnis der Projektionen die historische Persönlichkeit herauszuarbeiten. Cellini hinterließ der Nachwelt eine Maske, hinter der er sich verbarg. Er widersprach sich häufig, war ein Mensch voller Obsessionen und Gegensätzlichkeiten. Gläubig, vertraute er gleichzeitig der Astrologie, und doch war seine Triebfeder die schöpferische Tat. Psychoanalytiker zu Beginn des 20. Jahrhunderts unterstellten ihm Paranoia und Paraphrenie, eine leichte Form der Schizophrenie.8 Sie zogen bei ihren Untersuchungen jedoch primär Cellinis Lebensbericht zu Rate, in dem Cellini seinen eigenen Mythos schafft und das Erlebte (um-)deutet. Auch bergen solch starre Auslegungen die Gefahr, dass Cellinis literarischem Hauptwerk ein falscher Akzent verliehen wird. Die Aufgabe des Biografen kann nun nicht nur darin bestehen, den Firnis abzutragen und vorzuführen, wie sehr Cellini die Fakten verzerrt. Vielmehr sollte er versuchen, die Modelle, denen Cellini folgte, zu identifizieren und zu analysieren, welche Funktion sie erfüllten, was sie leisteten, und schließlich, im Fall von Cellinis literarischen Texten, den Spannungen nachzuspüren, die zwischen dem Niedergeschriebenen und verfügbaren literarischen Formen bestanden.

Das vorliegende Buch, eine Einführung in Leben und Werk, ist die erste deutschsprachige Biografie des Künstlers. Dargestellt wird Cellinis Schaffen im Kontext seiner Zeit. Die Lebensbeschreibung ist auch ein Versuch, die innere Entwicklung Cellinis nachzuzeichnen, wie sie sich aus Briefen, Einträgen in seinen ökonomischen Tagebüchern und Dokumenten rekonstruieren lässt. Besonders akzentuiert wird Cellinis Rolle im „Feld der Kunst“ wie im „Feld der Macht“ (Pierre Bourdieu). Denn eines musste Cellini, der unter Machthabern erheblich zu leiden hatte, schmerzhaft erfahren: Große Fürsten können es „übel vermerken, wenn einer ihrer Diener […] die Wahrheit über ihr Benehmen äußert“.9

Die exzentrische Lebensgeschichte des Künstlers und Verbrechers Benvenuto Cellini

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