Читать книгу Europa - Tragödie eines Mondes - Uwe Roth - Страница 10

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4. Der Aufstieg

Um die Zeit bis zum Aufstieg zu überbrücken, forderte der Captain Jirum auf, ihnen die Lage ihrer Welt zu erklären.

»Jirum, Sie können uns doch bestimmt am besten schildern, was mit unserer Welt geschieht?«

Der Geologe ließ sich treiben und sah in die Runde. Seine Augen erblickten fragende Gesichter, die zwar durch Bildfernübertragungen informiert wurden, aber von einem echten Geologen diese Geschehnisse erklärt zu bekommen, erschien allen sehr entgegenkommend.

»Ja, ich werde es versuchen.« Nach kurzem Überlegen begann er zu erläutern.

»Also, wie Sie ja bestimmt wissen, ist der Kern unserer Welt seit Milliarden von Zeitzyklen die Energiequelle allen Lebens bei uns. Auch unser lebenswichtiges Wasser wird durch den Kern schon ewig flüssig gehalten. Es gab Zeiten, in denen unser Lebensraum so groß war, dass wir manchmal unendlich lange Zeitzyklen brauchten, um zu unseren Nachbarsiedlungen zu gelangen. Unser Lebensraum schrumpft schon immer. So lange wie wir Aufzeichnungen darüberführen, verloren wir innerhalb eines Zeitzyklusses vielleicht einen Zentimeter Wasser an das Eis. Seit dem Ereignis vor zwei Zeitzyklen hat sich das Ganze um ein Mehrfaches erhöht. Durch dieses Ereignis muss irgendetwas mit unserem inneren Kern passiert sein. Ich verstehe das Ganze selber nicht. Der Kern war immer stabil. Nach Auswertung aller seismologischer Daten und natürlich durch die Arbeiten von Professor Bereu und ihnen, werte Zeru, und sämtlichen Aufzeichnungsgeräten stellten wir fest, dass unsere gesamte Welt durch irgendetwas erschüttert wurde. So unfassbar das klingt, ist es auch. Seit diesem Beben registrieren wir diesen Temperaturabstieg. Das Seltsame daran ist, dass die Temperatur des Untergrundes nur wenig gesunken ist. Nun sinkt nicht nur die Temperatur des Wassers immer schneller, auch der Untergrund ist nun immer mehr davon betroffen. Sie wissen ja selbst, wie eng unser Lebensraum in den letzten Monaten geworden ist«, jeder im Raum nickte dem Geologen zu. Zustimmende Worte machten die Runde, »Die Temperaturabsenkung des Kerns ist nicht die Ursache dieser Katastrophe. Wir hätten noch viele Millionen Jahre hier in Ruhe leben können. Es ist dieses gewaltige Beben gewesen, das unserer Welt diese Katastrophe brachte«, erläuterte er den Anwesenden.

Er hatte sich in den letzten Zyklen ausgiebig mit Professor Apuretus vom seismologischen Institut deswegen unterhalten. Genauso wie Jirum war auch er davon überzeugt, dass der Kern nicht schuld an dieser Tragödie war. Jirum kannte Apuretus gut. Er hatte einige Zeit mit ihm im seismologischen Institut gearbeitet und konnte sehen, dass er eine Koryphäe auf seinem Gebiet war. Mehr als er, musste Jirum zugeben. Das sollte aber nicht bedeuten, dass er für diese wichtige Mission nicht qualifiziert war. Im Gegenteil. Er sah sich als einen der führenden Geologen in Maborien, natürlich nach Professor Apuretus, »erst dieses Beben brachte den Kern aus seinem Takt. Die Temperaturabsenkung des Kerns ist eine direkte Folge des gewaltigen Bebens.«

Plötzlich blinkte ein Lämpchen am Pult auf. Wie die Pausenglocke einer Schule wurde die Mannschaft von dieser Signallampe aus diesem Vortrag in die Realität zurückgeholt.

»Eine Nachricht für Sie, Shatu!«

Der Regierungsbeauftragte nahm die Kopfhörer und lauschte der Stimme am anderen Ende. Seine Kiemen bewegten sich etwas schneller. Sicheres Anzeichen dafür, dass es eine wichtige Nachricht sein musste. Nachdem er »ist in Ordnung«, ins Mikrofon gesprochen hatte, legte er den Kopfhörer wieder an seinen Platz zurück.

Nun ist es also so weit, dachte er, wieder zwei Todesopfer, die der Barriere zum Opfer gefallen sind. Langsam wird die Situation wirklich Ernst, befürchtete er. Shatu spürte, wie das Atemwasser hastig durch seine Kiemen drang und versuchte, sich zu beruhigen. Während er sich langsam in seine Sitznische zwang, schaute er seine Mitstreiter an.

»Was ist, Shatu?«, fragte der Captain. Tarom bemerkte seine schnelle Atmung und kombinierte, dass die Nachricht nicht erfreulich war.

»Ich habe gerade eine Nachricht vom Oberkommando erhalten. Demnach ist ein Sicherheitstrupp, der die äußeren Siedlungen überprüfen sollte, von der Barriere überrannt worden. Ehe Hilfe eintreffen konnte, befanden sich die beiden mit ihrem Flitzer schon viele Meter in der Eisbarriere. Aufklärungsteams sind an andere Stellen entlang der Eisbarriere geschickt worden. Auch dort wurde festgestellt, dass sich die Eisbarriere schneller fortbewegt, als bis jetzt angenommen.«

Die Expeditionsteilnehmer sahen sich ungläubig an. Niemand wollte diesen Worten Glauben schenken, die der Regierungsbeauftragte eben von sich gab.

»Was gedenken Sie jetzt zu tun, Captain?«, fragte Zeru, die ebenso entsetzt war, wie alle anderen Mitglieder der Expedition.

Tarom drehte sich zu Shatu um. Er wusste, dass nur er den Startbefehl geben konnte. Deshalb wartete er auf dessen Befehl.

»Shatu?«, erwähnte Tarom nur fragend seinen Namen.

Shatu hatte schon längst die Weisung zum Start der Mission von der Regierung bekommen. Er kostete diese Wichtigkeit seiner Person voll aus. Ab dem Startbefehl würde Tarom die Befehlsgewalt übernehmen, bis zu dem Moment, an dem sie Kontakt erhalten würden.

»Wir werden Augenblicklich aufbrechen. Ich bitte Sie daher, sich in ihren Sitznischen festzuhalten.«

Endlich, dachte Zeru, die sofort im Innern der Sitznische die Haltevorrichtung umklammerte und es sich bequem machte.

Jirum packte seinen Schreibrahmen beiseite, den er gebraucht hatte, um seinen Erklärungen graphische Unterstützung zu geben. Tarom betätigte die Sprechtaste, um dem Missionsleiter am anderen Ende der Funkverbindung ihre Startbereitschaft zu melden.

»Ich wünsche ihnen viel Erfolg«, sagte er daraufhin und trennte das Aufstiegsschiff von dem Überwachungsposten. Somit war die letzte Verbindung zur Zivilisation unterbrochen. Die sechs waren nun auf sich allein gestellt und würden in eine neue, unbekannte Welt emporsteigen.

Tarom startete die Schiffstriebwerke. Ein leichtes Ruckeln wurde spürbar, das schnell abnahm. Gleichzeitig hörte man ein leises Summen. Auf einem Kontrollmonitor, der zwischen den beiden großen Fenstern angebracht war, sahen die Crewmitglieder, wie die Hangarluke am Dach geöffnet wurde. Langsam schoben sich die wabenähnlichen Lukenklappen in einen blauerhellten Zwischenraum zurück, der den Lukenrand umgab. Nachdem sie unterhalb der Decken verschwunden waren, änderte sich die Signalfarbe. Ein grüner Rand aus vielen, einzelnen Signallampen pulsierte daraufhin auf und ab. Das stellte das Signal dar, das die Luke freigegeben war.

Der Captain bewegte den Steuerjoystick etwas nach vorne. Augenblicklich begab sich das Gefährt in Bewegung. Mit der rechten Flossenhand drückte er das Höhenruder ein wenig nach hinten, wodurch das Schiff sanft in Richtung der Luke aufstieg. Geschwindigkeit erlangte das Aufstiegsschiff, indem Tarom den Joystick mehr nach vorn drückte. Das Gleiche tat er mit dem Höhenruder.

Das Schiff bewegte sich in die Höhe, ohne dass die Besatzung irgendeinen Druck auf ihren Körpern spürte. Bedingt durch den mit Wasser gefüllten Innenraum kannten die Maborier solche Probleme des Druckausgleichs nicht. Die Luke wurde immer größer. Die einzelnen grünen Lampen des Signalringes konnte man deutlich erkennen. Innerhalb weniger Sekunden glitten sie durch die Öffnung, die wie ein Schlund aussah, der sie in eine fremde Welt entließ. Nachdem sie durch die Luke ins offene Wasserland gedrungen waren, wechselte der grüne Signalring seine Farbe wieder zu Blau. Langsam glitten die Lukenblätter aus ihrem Gefängnis und verschlossen das Hangardeck.

Die Schiffsscheinwerfer versetzte die Umgebung vor den Sichtfenstern in ein grünschimmerndes Meer, das von der Besatzung argwöhnisch betrachtet wurde. Tarom brachte das Schiff in eine Siebziggradlage und ließ es einige Meter in die Höhe steigen, ehe er es wieder in die Waagerechte zwang und es vom Auftrieb des Wassers emporsteigen ließ. Schnell wurde das Hangardeck unter ihnen immer kleiner. Mehr Fahrt aufnehmend vollführte das Schiff einen Bogen nach rechts und überschwamm langgestreckte, grüne Algenbänke. Hinter den Algenbänken sichteten sie größere Kopfkrebse, die mit ihren Vorderkrallen in Kristallablagerungen nach Nahrung suchten.

»Nun geht es endlich los.« Zeru konnte es sich vor Anspannung kaum in ihrer Sitznische bequem machen. Sie sah aus dem großen Frontfenster und betrachtete fasziniert, wie die Welt unter ihnen immer kleiner wurde. Stetig stieg das Aufstiegsschiff empor. Nach und nach konnten sie Einzelheiten weiterer ihrer Städte erkennen, die aber mehr und mehr von dem trüben Wasser umhüllt wurden.

Tarom schaltete die starken Scheinwerfer ein, um besser durch das grünschimmernde Wasser sehen zu können. Aber schnell merkte er, dass er sie weniger wegen der Algenverschmutzung eingeschalt hatte, sondern um der einsetzenden Dunkelheit entgegenzuwirken. Denn, je höher sie stiegen, umso mehr nahm die Algenverschmutzung ab und destso dunkler wurde es. Die Strahlen der Scheinwerfer durchschnitten nun eine Dunkelheit, die die Besatzungsmitglieder vorher noch nie gesehen hatten. Die Zivilisation entfernte sich mit jedem Meter, den sie in die Höhe stiegen.

Zeru fühlte sich plötzlich so dermaßen einsam, dass sie Heimweh nach ihrem Zuhause und ihrem Kollegen Verkum bekam. Sie hatte sich so lange auf diese Reise gefreut. Aber nun, nachdem sie sich fernab allen Lebens befanden, empfand sie nur noch Angst. Angst davor, was sie dort oben vorfinden würden. Ebenso fürchtete sie sich davor, dass sie gar nichts entdecken könnten. Noch mehr bangte sie um ihre Welt. Wie würde Maborien nach ihrer, hoffentlich glücklichen Rückkehr aussehen? Sie wusste nun, dass ihr Zuhause in größter Gefahr steckte und dass man sich auf sie verließ.

Shatu saß neben ihr gelassen in seiner Sitznische und verfolgte gebannt die Bewegungen der Bedienungscrew. Auch er sah nach draußen und empfand, anders als Zeru, Stolz, seine volle Kraft in dieses Unternehmen setzen zu können. Aber was sie alle gemeinsam hofften, war eine glückliche und erfolgreiche Mission.

Europa - Tragödie eines Mondes

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