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Prolog

Große, lange Lastengleiter schwebten über der Baustelle, in der seit einiger Zeit Xiron und sein Team an der Errichtung neuer, modernster Wohneinheiten arbeiteten. Lautlos glitten diese Transportgiganten mit ihrer schweren Last über unfertige Gebäude. Nur das leise Summen der straffen Taue drang in die empfindlichen Ohren des Maboriers.

Die stetige, leichte Strömung ließ die Taue in einem gleichmäßigen Rhythmus schwingen. Ganz sanft wippte die große Dachkonstruktion, die an vier Seilen unter dem Transportgerät hing, in dieser Unterwasserwelt hin und her. Jeden Augenblick würde die Crew des Lastengleiters damit beginnen, die große Muschelplatte herabzulassen, um sie passgenau auf die Unterkonstruktion der neuen Wohneinheit zu setzen.

Im selben Augenblick drehten sich auch schon die mächtigen Umlenkrollen, die unterhalb des Gleiters zur Hälfte herauslugten und die Halteseile aus dem Innern des Lastengleiters entließen. Somit erhöhte sich langsam die Länge der Taue. Diese Verlängerung bewirkte eine Veränderung der Eigenschwingung, wie eine Gitarrensaite, die man entspannt. So vibrierten sie in einer niedrigeren Frequenz als zuvor. Die dicken Seile durchschnitten das Wasser mit einem immer dumpferen und lauter werdenden Vibrieren, das Xiron deutlich hören konnte. Für ihn der Hinweis, dass sich die Last nicht nur herabsenkte, sondern gegen die Strömung drehte.

Ihm war bewusst, dass dieser Moment die volle Konzentration des Lastenpersonals verlangte. Schon die kleinste Unachtsamkeit würde die große Muschelplatte unkontrolliert in der leichten Strömung, die über der Stadt herrschte, pendeln lassen. Die vier Taue, die die ovale Muschelplatte hielt, beulten sich merklich in Richtung der Strömung aus.

Während die Platte sich senkte, schoss das Wasser durch die vorbereiteten Öffnungen, die es den Bewohnern später ermöglichen sollten, aus ihrer Wohnung ins Freie zu schwimmen. So senkte sich das Dach der neu errichteten Wohneinheit immer mehr seinem Endpunkt entgegen. Jeden Augenblick würde sie sich auf die Wände legen, die ebenfalls aus großen Muschelplatten bestanden.

Dieses Dach sollte den Abschluss der nun schon fünfstöckigen Wohneinheit bilden. Die vorherigen Etagen konnte Xiron mit seinem Team problemlos auf die darunter befindlichen Wände aufsetzen. Ohne jegliche Probleme fügte sich eine Etage auf die nächste. Er war äußerst zufrieden mit sich und vor allem mit seinen Arbeitern, die die entscheidenden Arbeitsschritte ausführten.

»Ihr müsst noch etwas weiter nach links«, rief er seinen Mitarbeitern über Funk zu.

Äußerst konzentriert versuchten sie, die Platte in Empfang zu nehmen, um sie in die vorbereiteten Verankerungen zu versenken. Mit kräftigen Flossenbewegungen stemmten sie sich gegen die träge Last, die sich nur langsam nach links bewegte. Unentwegt sogen sie dabei Atemwasser in ihre Kiemen ein, um ihren mit dicken Muskeln bepackten Körpern genug Energie zur Verfügung zu stellen. Nur so würden sie den enormen Herausforderungen gewachsen sein. Ihre Schuppen schimmerten durch diese immerwährenden Pumpbewegungen in einem glänzenden, pulsierenden Blau. Mit größter Anstrengung versuchten sie, gegen die große Last anzukämpfen. Deren Trägheit erforderte es von Xirons Team, die letzten Kraftreserven zu aktivieren. Gemeinsam packten sie die schwere Platte, um sie zu ihrem Ruheplatz zu manövrieren. Nur langsam driftete sie in die richtige Position.

Xiron ergriff erneut sein Funkgerät, um seinen Leuten mitzuteilen, dass sich das neue Dach immer mehr seiner Endposition zubewegte. Genau in diesem Moment sah er, wie die große Platte, ohne Vorwarnung, anfing unkontrolliert, zu schwanken. Nur leicht, aber dennoch ausreichend, schwebte sie immer weiter über den Verankerungsbereich hinweg. Entsetzt sah er seinen Leuten zu, wie sie sich vehement gegen die Abdrift der Platte wehrten.

Genau vor solchen unvorhersehbaren Ereignissen fürchtete sich Xiron. Denn schon die kleinste Strömung könnte das gesamte Vorhaben scheitern lassen. Daher hoffte Xiron, dass es sich nur um eine schwache Strömung handelte, die schnell über die Baustelle hinwegtrieb.

Wahrscheinlich gab es schon wieder mal eines von diesen Kernbeben, die sich in unbestimmten Abständen in Maborien ereigneten. Irgendwo am Ende ihrer Welt erzeugte solch ein Beben diese Strömung, die daraufhin unaufhörlich durch Maborien kroch. Mit der Zeit immer schwächer werdend, löst sie sich erst am anderen Ende dieser Unterwasserwelt auf. Es konnten viele Zyklen vergehen, ehe solch eine Strömung in sich zusammenbrach. Seine Erfahrung als Bauleiter riet ihm in derartigen Fällen dazu, sofort jegliche Arbeiten einzustellen. Erst wenn sie vorübergezogen war, würde er seinen Leuten die Weiterarbeit erlauben.

Er sah zu dem Lastengleiter hinauf, den er völlig aus den Augen verloren hatte. Eigentlich brauchte er während dieses Abschnittes der Absenkung nicht auf den Gleiter achten, da dieser seine korrekte Position bereits eingenommen hatte. Der Crew des Transportgerätes oblag es, ihn ruhig zu halten, damit seine Mitarbeiter die Deckenplatte ordnungsgemäß verankern konnte.

Aber, wie Xiron mit Schrecken erkennen musste, schob diese starke Strömung den Lastengleiter ebenfalls von seiner Position weg. Ehe er seinen Leuten den Befehl geben konnte, für diesen Augenblick die Arbeit ruhen zu lassen, stellte er sein Funkgerät auf die Frequenz des Lastengleiterpersonals.

»Hey, was macht Ihr denn da? Habt Ihr die Strömung nicht bemerkt?«, rief er erschrocken über Funk dem Kapitän des Lastengleiters zu.

Er schaute fassungslos dem Schauspiel zu, das an Intensität zu nahm. Entsetzt sah er, wie der Gleiter immer mehr seinen Standort verließ. Aber offensichtlich bemerkte der Kapitän die Strömung bereits. Denn er registrierte, wie kleine Steuerungsdüsen aktiviert wurden, die ihn wieder in Position bringen sollten.

»Wir haben sie bemerkt und versuchen unser Bestes!«, ertönte es genervt aus Xirons Funkgerät.

Der Kapitän des Lastengleiters, mit dem Xiron nicht das erste Mal zusammenarbeitete, war ein fähiger Maborier. Das konnte er schon oft auf ähnlichen Baustellen beobachten. Er war sich sicher, dass der Kapitän in diesem Moment alle Flossenhände zu tun hatte, um gegen diese starke Strömung anzukämpfen.

Die Strömung, die den Lastengleiter in seinen Griff nahm, schien gewaltiger als sonst zu sein. Xiron konnte die unzähligen herumschwimmenden, niederen Lebensformen erkennen, die in ihr Mittrieben. In einem langgezogenen Strom, der sich deutlich von dem umgebenen Bereich unterschied, zog dieses Band aus mitgerissenem Leben über seine Baustelle hinweg. Solch eine heftige Strönung hatte er in seiner langen Tätigkeit als Bauleiter noch nie gesehen. Sie übertraf alles, was er bis dahin kannte. Das Erschreckende war aber, dass diese gewaltige Strömung nicht die letzte war, die auf den Lastengleiter zu raste.

In der Ferne überquerte eine Vakuumbahn die Stadt, die in diesem Moment von einer unsichtbaren, mächtigen Flossenhand ergriffen und mitgerissen wurde. Xiron beobachtete mit Schrecken, wie sich die Röhre der Bahn zu ihm hin ausbeulte. Schließlich unter dem enormen Druck der heranrollenden Superströmung nachgab und auseinanderriss.

Die beiden zerberstenden Röhrenenden wurden mit der Strömung in Xirons Richtung gebogen und sogen augenblicklich Unmengen Wasser in die Medium freien Röhren ein.

Aus dem rechten, zerfransten Röhrenende schoss wenige Sekunden nach dieser Katastrophe eine Vakuumbahn ins offene Terrain, die aber durch das einströmende Wasser in ihrem Sturz gebremst wurde. Nachdem die Bahn dennoch einen weiten Bogen über die Stadt zeichnete, stürzte sie in die Wohneinheiten Darimars. In einem flachen Winkel durchschnitt sie erst die Dächer mehrerer Gebäude, um letztendlich, die aus massiven Muschelplatten bestehenden Wände zu durchbohren.

Die ersten Waggons behielten ihren nach vorn gerichteten Sturz noch bei. Während die Bahn weiter vorwärts schoss, neigten sich aber die hinteren Waggons zur Seite und mähten so komplette Wohneinheitenzeilen nieder.

Ein Waggon raste so unglücklich gegen die Kante eines Daches einer Wohneinheit, dass er der Länge nach in der Mitte zerteilt wurde. Xiron erkannte unzählige Passagiere, die zerstückelt aus dem Waggon geschleudert wurden und im Wasser mit den Trümmerteilen umhertrieben.

Nur langsam begriff Xiron, dass diese gewaltige Strömung auch auf seine Baustelle zuraste. Sein Blick trennte sich daraufhin augenblicklich von dem schrecklichen Ereignis. Er richtete seine Aufmerksamkeit wieder dem Lastengleiter zu, der immer noch die große Muschelplatte am Haken hielt.

Die Steuerdüsen stellten bereits ihre Arbeit ein, da die kleine Strömung vorübergezogen war. Ehe er das Funkgerät erneut zu seinem Mund führen konnte, um die Crew des Gleiters zu warnen, geschah schon das Unglaubliche.

Ganz langsam, aber mit einer unsagbaren Endgültigkeit entkrampfte sich seine Flossenhand, die mittlerweile das Funkgerät fest umschlossen hielt und entließ dieses ins Lebenswasser. Dessen noch leichte Strömung trug das sanft taumelnde Gerät von Xiron fort. Vor dem herannahenden Schrecken weiteten sich seine großen, ovalen Augen und schienen so seinen gesamten flachen Kopf auszufüllen. Sie registrierten die vielen, kaum sichtbaren, winzigen Lebewesen, die so derb fortbewegt wurden, dass für Xiron keine Chance mehr bestand, irgendetwas zu unternehmen.

Ihm war bewusst, dass der Kapitän des Lastengleiters den Widrigkeiten der Strömung unbarmherzig ausgeliefert war. Er wurde ebenso wie die kleinen Lebewesen so derb mitgerissen, dass sich die Taue zum Bersten spannten. Der Lastengleiter drehte sich daraufhin um neunzig Grad und setzte sich schwerfällig in Bewegung.

Der Kapitän des Lastengleiters aktivierte im selben Moment erneut die Steuerdüsen, um sich gegen die Strömung zu stemmen. Erst langsam, aber immer mehr mit der Eigengeschwindigkeit der Strömung, entfernte sich der Lastengleiter dennoch von der Baustelle weg. Die Muscheldecke setzte sich ebenso in Bewegung. Auch wenn sich seine Arbeiter vehement widersetzten, ebenfalls in diesen Sog zu geraten, wurden sie trotzdem durchs Wasser gewirbelt wie die unzähligen Arbeitsutensilien seiner Crew.

Wäre die Platte nach oben mitgerissen wurden, entstände sicherlich nicht allzu viel Schaden. Da aber die Strömung den Lastengleiter eher nach unten drückte, senkte sich die große Platte hinab. So bewegte sie sich immer weiter in die schon fertiggestellten Wohneinheiten und riss unzählige Etagen dieser nieder. Wie eine riesige Flossenhand, die eine Spielzeugstadt niedermähte.

Immer wieder wurde diese Zerstörungsfahrt durch mächtige, hochragende Korallenarme gebremst, in deren Konstrukt die einzelnen Gebäude hingen. Unter ohrenbetäubendem Krachen brach ein Korallenarm nach dem nächsten und riss Teile der Wohneinheiten, die in diesem Konstrukt verankert waren, mit sich. So hinterließ die Deckenplatte eine Schneise der Zerstörung.

Erst als unzählige Wohneinheitenzeilen von der Deckenplatte niedergemäht wurden, wirkte sie wie ein Anker, der sich in den so entstandenen Trümmern der Korallenverästelungen festkeilte. So wurde nach einigen Dutzend Metern, diese Zerstörungsfahrt beendet, und der Lastengleiter stürzte ebenfalls in die Wohneinheiten Darimars.

Aus dem Funkgerät ertönten die verzweifelten Rufe des Lastengleiterkapitäns. Trotz dessen, dass das Funkgerät schon einige Meter von Xiron fortgetrieben wurde, konnte er die zu entsetzten Schmerzensschreien werdenden Flüche des Kapitäns hören. Das Medium Wasser war eben ein guter Schallleiter. Die Flüche des Kapitäns ebbten aber schnell ab. Dies war nicht nur dem Umstand geschuldet, dass er nicht mehr in der Lage war, Schmerzensschreie über den Äther zu senden. Vielmehr lag es daran, weil sich das Funkgerät immer schneller von Xiron fortbewegte. Die Strömung erreichte nun auch seinen Schwebepunkt, den er in den letzten Minuten innehielt.

Das dumpfe Donnern der zerberstenden Trümmerteile, das Xiron daraufhin vernahm, ebbte aber schnell ab. Hier schien das Wasser die auseinander berstenden Trümmerteile in ihrem Schallgetöse abzudämpfen. Deshalb konnten sich seine Ohren nur bedingt in Richtung des zerstörerischen Donnerns ausrichten. Langsam schmiegten sie sich daraufhin wieder an seinen flachen Kopf an.

Aber nur wenige Sekunden später spürte Xiron, wie sich seine Ohren von einem überaus gewaltigeren Donnern wiederaufrichteten. Noch das zurückliegende Ereignis in den Nervenbahnen als Schallquelle gespeichert, bewegten sie sich sofort in Richtung der verheerenden Katastrophe. Aber Xiron spürte schnell, wie seine Ohren nicht dies als Quelle des erneuten Donnerns ausmachten. Unentwegt versuchten sie sich, in die Richtung zu bewegen, von der das Donnern wirklich kam. Aber egal wie sehr sich Xiron anstrengte, seine Ohren konnten die Quelle nicht lokalisieren. Das grollende Donnern schien von überall her zu kommen.

Es war ein gewaltiges Grollen. So etwas hatte Xiron noch nie gehört. Erst vermutete er, dass es sich um ein weiteres, mächtigeres Kernbeben handeln könnte. Aber diese Beben erwiesen sich nie als so bedrohlich. Und schon gar nicht in Begleitung eines solchen unheimlichen Grollens.

Langsam löste sich Xiron aus seiner Lethargie, die ihn wie angewurzelt verharren ließ. Er sah zu seinen Mitarbeitern, die er aber nicht mehr lokalisieren konnte. Überall, rings um ihn herum, breitete sich das Chaos aus. Wenn er nicht auch sterben wollte, wie in diesem Moment seine Crew, dann müsste er endlich damit beginnen, sich in Sicherheit zu bringen. Mit dieser Erkenntnis wandte er sich von der Katastrophe ab und setzte sich in Bewegung, um sich von diesem Ort des Schreckens zu entfernen.

Langsam, aber immer kraftvoller schlug er seine Flossenbeine auf und ab. Um schneller voranzukommen, breitete er auch noch seine Flossenarme aus, um mit kräftigen Flossenarmbewegungen seine Geschwindigkeit zu erhöhen.

Er wusste nicht, wohin er flüchten sollte. Ihm war klar, dass er ebenso keine Chance hatte, sich zu retten, wie seine Crew. Mit Schrecken sah er immer wieder nach hinten, zu der gewaltigen Strömung, die unaufhaltsam auf ihn zuraste. Er versuchte, seine Schwimmbewegungen zu erhöhen. Aber je schneller er seine Extremitäten bewegte, umso unkoordinierter wurden diese. Deshalb zwang er sich, mit größter Anstrengung, sich nur auf seine Glieder zu konzentrieren.

Noch während er versuchte, seine Schwimmbewegungen wieder in Einklang zu bringen, erreichte ihn die gewaltige zweite Strömung und zog ihn mit sich. Egal wie sehr er seine Extremitäten durchs Wasser zog, er wurde erbarmungslos dorthin mitgerissen, wohin die Strömung unterwegs war.

Ihre Baustelle befand sich am Rand der Stadt Darimar. Hier hatte er schon unzählige Wohneinheiten errichtet, über die er nun brutal hinweggeschleudert wurde. In diesem Moment wünschte er sich, dass die Strömung in die entgegengesetzte Richtung über die Stadt hinwegfegen würde. Dann müsste er nicht befürchten, in irgendeines der Bauwerke geschleudert zu werden.

So aber wurde er und unzählige andere Arbeiter sowie Bewohner dieser Stadt, in Richtung der Altstadt mitgerissen. Nur wenige Meter über den Dächern der Altstadt von Darimar schoss er hinweg. Immer wieder stieß er mit Trümmerteilen oder anderen Maboriern zusammen, die sich ebenfalls in diesem Strudel des Grauens befanden. Egal wie sehr er sich anstrengte, durch Flossenbewegungen diesen Zusammenstößen zu entgehen, es half nichts. Die Welle spülte ihn erbarmungslos durch zerberstende Korallenkonstrukte, mit deren dicken Verstrebungen er immer wieder zusammenstieß. Entsetzt musste er dabei mitansehen, wie diese, mit samt Teilen der von ihm errichteten Muschelwänden, aus ihrem festen Gebäudeverbund gerissen wurden.

Langsam ergriff ihn ein immer größer werdendes Schwindelgefühl, das durch seine taumelnden Bewegungen verursacht wurde. Dadurch entging ihn jenes Trümmerteil, dass ihn endgültig weiter nach unten stieß. Der Schlag, den er erhielt, trug noch mehr zu einer beginnenden Ohnmacht bei. Herumschleudernd und kurz vor der Bewusstlosigkeit stürzte er in die Tiefe und landete zwischen zwei Dachkonstruktionen, in denen er festgekeilt wurde. Im Unterbewusstsein spürte er, wie urplötzlich das Grollen aufhörte und sich eine unheimliche Stille über die Stadt legte.

Die Strömung schien außerdem in sich zusammen zu fallen. Ehe er vollends in die Ohnmacht glitt, registrierte Xiron, wie die übrigen mitgerissenen Maborier und die unzähligen Trümmerteile, über den schönen, kunstvoll gestalteten Dächern der Altstadt zum erliegen kamen und langsam auf die Stadt hinabsanken.

Als Xiron wieder aus seiner Ohnmacht erwachte, konnte er nicht sagen, wie viel Zeit vergangen war. Aber es musste ewig her sein, dass er in diese Lage geriet. Denn, um ihn herum schien wieder Ruhe eingekehrt zu sein.

Mit Entsetzen sah er sich um. In seiner unmittelbaren Umgebung trieben mehrere Maborier leblos umher. Trümmerteile lagen auf den Dächern der Wohneinheiten, vermengt mit unzähligen, zerborstenen Korallengestängen. Deren bucklige Oberfläche durchzogen Dutzende Risse. Trotz der extremen Festigkeit der Muschelmauern wurden zahlreiche dieser Bauwerke von den Trümmerteilen eingerissen. Überall wo er hinsah, erkannte er nur Zerstörung und Verwüstung. Und zwischen all dem trieben leblose, nicht mehr metallisch glänzende, sondern all ihrer Farbe beraubter Leiber umher.

Er versuchte, sich zu orientieren, und drehte deshalb seinen schmalen, lädierten Körper. Dabei durchschoss ihm ein so heftiger Schmerz, dass er sofort in der Bewegung innehielt. Dieser durchdringende, stechende Schmerz schien von seinen Flossenbeinen zu kommen. Erst jetzt erinnerte er sich daran, dass ihn die Strömung in diese missliche Lage gebracht hatte.

Langsam versuchte er nach unten, zu seinen eingeklemmten Flossenbeinen zu greifen. So sehr er sich aber anstrengte, sie schienen zwischen den zertrümmerten Muscheldächern unerreichbar zu sein. Trotz heftiger hin und her Bewegungen seines schlanken Körpers, blieben seine Flossenbeine eingeklemmt. Er verzog seinen schmalen, langen Mund zu einer schmerzverzerrten Grimasse.

Zwischen den schweren Muschelplatten quoll etwas von seinem blauen Blut hervor. Xiron nahm an, dass die Verletzung nicht schwerwiegend war. Wenn er aber keine Hilfe erhielt, könnte diese kleine Wunde seinen Tod bedeuten. Denn ohne eine schnelle Versorgung seiner Wunde, würde sich sein blaues Blut unweigerlich ins Lebenswasser ergießen.

Weiter weg, in der Ferne, konnte er den zerschmetterten Lastengleiter erkennen, der unzählige Wohneinheiten unter sich begraben hatte. Er fragte sich, ob der Kapitän oder dessen Mannschaft diese Katastrophe unverletzt überstanden hatten. Aber nachdem er die enormen Schäden am Lastengleiter sehen konnte, ging er davon aus, dass niemand überlebt hatte. Weiter entfernt lag die Muscheldecke, die ebenfalls ein Bild der Verwüstung hinterließ.

Erst zögerlich, schließlich immer klarer, bemerkte er die seltsamen schwarzen Klumpen, die sich auf den Trümmerteilen befanden. Ehe er über die Herkunft dieser Brocken spekulieren konnte, fielen einige von ihnen von oben an ihm vorbei und legten sich sanft auf die sich vor ihm befindlichen Trümmerreste.

Verwundert wandte er seinen Kopf nach oben, um zu sehen, woher diese seltsamen Gesteinsbrocken kamen. Ein stetiger Strom von diesem ungewöhnlichen Material bewegte sich lautlos von dem unendlichen Oben hinab in die Trümmerlandschaft Darimars, um sich sanft niederzulegen. Erst nur wenige, schließlich aber immer zahlreicher werdend, bedeckte schnell eine geschlossene Befallsschicht das Grauen um ihn herum. Soweit es sein begrenzter Blick erlaubte, sah er, wie dieses seltsame Phänomen die Stadt in Beschlag nahm.

Langsam richtete er seinen Blick wieder nach oben, in den unergründlichen Schleier. Dort, wo sich in unendlicher Ferne das Oben befinden musste. So weit, wie er nach oben sehen konnte, sah er, wie aus der Dunkelheit des Schleiers diese schwarzen Klumpen ihren Weg hinab in die Stadt suchten. Unaufhörlich fielen Unzählige von ihnen an ihm vorbei. Er konnte kleinere, nur wenige Zentimeter große Brocken ausmachen. Aber auch Größere, von zwanzig bis vierzig Zentimetern Durchmesser.

»Was ist das?«, sagte er nur so zu sich selbst.

Um über die Trümmerteile hinweg schauen zu können, zwang er seinen lädierten Körper in eine schmerzvolle, unbequeme Lage. Sogar sein schlanker Hals blieb von dieser Tortur nicht verschont. Die unzähligen zerstörten Wohngebäude versperrten ihm dennoch den Blick. Aber damit wollte er sich nicht zufriedengeben. Bevor er jegliche Kraft verlor, versuchte er es ein weiteres Mal. Als es ihm gelang, nun doch über den Rand einiger der Trümmer zu sehen, sah er, wie über der gesamten Stadt dieser schwarze Regen herabfiel. Es war ein fantastischer Anblick, stellte er fest, wenn er nur nicht so grauenvolle Folgen hätte. Die darauffolgenden Auswirkungen blieben Xiron und den übrigen Toten erspart.

Schicht um Schicht lagerte sich der Befall auf die Stadt und ihre Bewohner ab. Langsam, aber erbarmungslos wurden sie so in ein dunkles Grab gehüllt, das der Beginn einer noch viel größeren Katastrophe werden sollte. Unentwegt legte sich ein schwarzer, schleimiger Film auf Darimar. Über mehrere Zyklen hinweg regnete es diese dunklen Klumpen und machte von nun an diese einst so schöne Stadt unbewohnbar.

Europa - Tragödie eines Mondes

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