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1. Die Unterwasserwelt von Maborien

Nur einige Schwimmstunden von Darimar entfernt, befand sich eine der größten Städte Maboriens namens Lorkett. Mit vielen in die Höhe ragenden Gebäuden, von denen sicherlich einige durch die Flossenhände von Xirons Team errichtet worden waren. Über eine weite Ebene erstreckte sich diese Stadt, die von einem hohen Hang begrenzt wurde. Halbrunde Gebilde, deren Korallengeäst sich fest in diesem Hang eingrub und somit den Strömungswidrigkeiten enormen Widerstand leisteten.

Mit hunderten von Durchlässen, die in die Dachkonstruktionen der Wohneinheiten so eingefasst wurden, dass diese ins unendliche Oben zeigten. Ebensolche Öffnungen zierten die dicken Muschelwände. Dies ermöglichte es den Bewohnern, direkt von ihrer Wohnung hinauszuschwimmen, um in den Trubel der Großstadt einzutauchen. Wie übereinandergeschichtete Pilze, mit ihren weit nach außen reichenden Köpfen, standen diese Unterwassergebäude eines neben dem anderen. Manche überlappten sich, weitere lagen teilweise in den Felswänden eines angrenzenden Hanges verborgen. Nur wenige ragten über zehn Etagen in die Höhe.

Die einzelnen Etagen wurden von weitverzweigten, runzligen Korallenarmen gehalten, die außerhalb sowie zwischen den verschiedenen Wohneinheiten ihren natürlichen Wuchs vollzogen. Dieses Gitternetz aus Korallenarmen hielt die Gebäude fest umklammert. Sogar die schirmartigen Dächer, die weit über die Außenwände der einzelnen Etagen hinauslugten, wurden überwiegend von ihnen getragen. Sehr alte Korallenarme verwuchsen bereits mit ihnen. So bildeten die Gebäude mit dem Korallenkonstrukt eine feste Einheit.

Diese Bauweise zog sich über sämtliche Etagen hinauf. Mal waren es nur drei Etagen, während gleich nebenan vier bis sechs Etagen der angrenzenden Gebäude in die Höhe ragten. Dutzende dieser Bauwerke waren so in Gruppen zusammengefasst und bildeten eine Gemeinschaft, die von Schwimmschneisen und Flitzerstrecken getrennt wurde. Unzählige Gemeinschaften von diesen Wohneinheiten bildeten diese Stadt.

Innerhalb dieser Wohnsiedlungen reihten sich ausgiebige Anpflanzungen an, die sich in der stetigen, gleichmäßigen Strömung dieser Unterwasserwelt sanft hin und her wiegten.

Am Grund, zwischen den Gebäuden wucherten unzählige leuchtende Kristalle in einem hellen Grün. Aus Spalten dieser Kristalle wuchsen die verschiedensten Pflanzen, mit denen sie eine symbiotische Beziehung eingingen. Darunter eine besonders breitflächige, wuchernde Art, die von dem grünen Licht der Kristalle regelrecht durchleuchtet wurde. Deren schachtelhalmartige Struktur streute das Licht zu strahlenförmigen Gebilden, die sternförmig das umgebende Wasser erleuchteten.

Diese gegenseitige Symbiose stellten die hiesigen Wissenschaftler vor ein großes Rätsel. Man hatte Versuche angestellt, diese Pflanzen ohne die Kristalle anzupflanzen, was nicht gelang. Ebenso verhielt es sich umgekehrt. Entfernte man die Pflanzen mit den Wurzeln aus den Rissen der Kristalle, verloren diese schnell ihre Leuchtfähigkeit. Man konnte nicht herausfinden, was die beiden verband. Über viele Zeitzyklen hinweg, bildeten diese Kristalle mit ihren, in Symbiose lebenden Pflanzen, die einzige natürliche Lichtquelle in dieser Unterwasserwelt.

Nun, nachdem sich der technische Fortschritt in Maborien ausbreitete, wurden die Schwimmschneisen und Flitzerstrecken sowie die Wohneinheiten der Bewohner immer mehr elektrisch beleuchtet. Aber diese Vorgehensweise setzte sich nur schleppend durch. Die Natürlichkeit sollte bewahrt werden. Dieses Bild zeigte sich in sämtlichen Schwimmschneisen in den Städten dieser Welt. In sehr alten Stadtgebieten drangen diese leuchtenden Kristalle aus uralten Fundamenten der Gebäude empor. Noch ältere gediehen sogar unterhalb dieser Fundamente und erhellten die entstandenen Hohlräume.

In den neuen Ansiedlungen setzte man nicht nur auf das moderne elektrische Licht. Man züchtete heutzutage sogar die Kristalle und integrierte diese in die Wände der Gebäude, damit sie sich von Beginn an mit der Bausubstanz verbinden konnten. In den entstehenden Ritzen fanden die Pflanzen ausreichend Halt, um ihren unaufhörlichen Wuchs zu beginnen. Einige von ihnen umklammerten sogar die unteren Korallenarme, an deren Geäst sie bis hinauf zu den ersten Etagen der Wohneinheiten wuchsen. Dies ermöglichte die natürliche Beleuchtung auch in dieser Höhe.

In den äußeren Gebieten wurden sogar künstliche Anbauanlagen errichtet, um den wachsenden Bedarf der Leuchtkristalle zu gewährleisten. Auch wenn man bis heute noch nicht verstand, wie es zu diesem Leuchten kam, konnte man doch eine florierende Industrie etablieren, die genügend Leuchtkristalle produzierte. Wo früher die Siedlungen nur dort gebaut werden konnten, an deren Standort auch die Kristalle und deren Pflanzen wuchsen, konnten heutzutage überall Wohnanlagen errichtet werden.

In einer dieser Siedlungen erwachte die Wissenschaftlerin Zeru. Nur langsam, erst zu zwei dünnen Schlitzen, öffnete sie ihre großen, ovalen Augen. Vorsichtig ließ sie das schwache grüne Leuchten der Kristalle bis zu ihrer Netzhaut durchdringen. Erst als sie sich an das Licht gewöhnt hatte, zwang sie sich dazu, ihre Augen gänzlich dem frühmorgendlichen Schein auszusetzen.

Sie würde am liebsten noch ein wenig weiterschlafen. Diese modernen Schlafnischen der neuen Siedlung erwiesen sich als so bequem, dass sie liebend gern noch ein wenig liegen bleiben würde. Schlaftrunken rekelte sie sich noch eine Weile in ihrer Schlafnische. Nachdem sie aber argwöhnisch den Zeitmesser betrachtet hatte, schaltete sie den automatischen Schlafnischenerneuerer ein und schwamm zur Körperreinigungsdusche.

Bevor sie sich für die Fahrt zum Wissenschaftskomplex aufmachen konnte, musste sie ihre tägliche Körperreinigung über sich ergehen lassen. Jedes Mal, wenn sie das tat, dachte sie an Darimar. An die Stadt, die nur wenige Schwimmstunden von hier entfernt lag und vor nicht mal zwei Zeitzyklen von einer grauenvollen Katastrophe heimgesucht worden war. Dieser Katastrophe verdankte sie es, dass sie jeden Morgen diese lästige Körperreinigungsdusche über sich ergehen lassen musste. Seit diesem Ereignis herrschte in dieser Welt eine so starke Verschmutzung mit Algen, dass die Gefahr einer Veralgung nur durch diese tägliche Prozedur abgewendet werden konnte. Aber dennoch war sie froh, dass nicht ihre Stadt von dieser Befallskatastrophe heimgesucht wurde.

Eine glückliche Verspätung jener Strömung, die immer zur selben Zeit über Lorkett hinwegfegte, ließ damals diese Befallskörper an ihrer Stadt vorbeiziehen. Eigentlich sollte die Strömung schon vor einigen Zyklen über Lorkett hinwegfegen, wie sie es jeden Zeitzyklus tat. Aber diesmal verspätete sie sich um die glücklichen sechzehn Zyklen.

Schon seit Langem stellte man in Maborien fest, dass die starken Strömungen, die sich zyklisch in den verschiedensten Höhen in sämtliche Richtungen fortbewegten, immer unregelmäßiger stattfanden. Einige blieben sogar gänzlich aus. Andere wiederum verspäteten sich nicht nur, sie nahmen neue, unerwartete Routen ein, die verheerende Auswirkungen in der Unterwasserwelt von Maborien auslösten.

Auch wenn Zeru froh war, damals verschont worden zu sein, trauerte sie doch um die vielen Maborier, die vor zwei Zeitzyklen in Darimar dieser Katastrophe zum Opfer fielen.

Wissenschaftliche Untersuchungen belegten damals, dass dieser Befallsstrom vermutlich aus dem oberen Schleier kam. Erst kurz bevor er den Grund erreichte, wurde er durch diese Strömung in Richtung Darimar abgelenkt. Hätte es diese verspätete Strömung nicht gegeben, würde Lorkett, Zerus Wohnort, nun Schauplatz der Katastrophe sein.

Nach diesen zwei Zeitzyklen begann für Maborien eine Periode, die mit Entbehrungen und Katastrophen verbunden war. Wie doch die Zeit verging, wunderte sich Zeru. Nun waren schon wieder zwei Zeitzyklen vergangen. Das waren 648 Zyklen, die sie hier in ihrer Wohnung ungehindert verbringen konnte. Wo würde sie jetzt wohl wohnen, wenn diese Katastrophe über ihre Stadt herniedergegangen wäre. Sie wusste es nicht und wollte es auch nicht wissen. Sie verfolgte seitdem jeden Bericht, der über dieses Ereignis verfasst wurde.

Ein gewaltiges Beben und die daraus entstandene Strömung hatte demnach damals Maborien überrannt. Aber nicht dieses Beben verursachte unmittelbar darauf die größten Schäden, sondern dessen Folgen, die im Laufe der zwei Zeitzyklen immer bedrohlicher wurden. Darimar war zum Katastrophengebiet erklärt und weiträumig abgesperrt worden. Die wenigen Überlebenden verteilte man auf die übrigen Städte Maboriens.

Dieses Beben und die anschließende Befallskatastrophe betrachtete man zuerst wie eine vorübergehende Laune der Natur. Niemand konnte sich so recht den Ursprung der Gesteinsbrocken erklären.

Wissenschaftler sprachen davon, dass sich eventuell durch dieses Beben irgendwo diese Felsbrocken gelöst haben könnten und schließlich durch eine andere Strömung nach oben gerissen wurden. Nachdem sie nachließ, ergossen sich diese Partikel über ihre Welt. Aber wissenschaftliche Analysen der Gesteinsbrocken zeigten, dass sie keiner Gesteinsart ihrer Welt entsprachen.

Nur zögerlich schickte man Reinigungstrupps in die betroffenen Gebiete, die die Stadt von diesem Befall befreien sollten. Aber diese schwarze Substanz erwies sich als so hartnäckig, dass man nicht so recht damit vorankam. Als sich schließlich die wenigen verbliebenden Bewohner und das Reinigungspersonal über einen merkwürdigen Algenbefall beklagten, entschloss man sich dazu, Darimar endgültig zu verlassen. Irgendwie schienen die unbekannten, schwarzen Gesteinsbrocken für die damals geringe, vorwiegend in den äußeren unbewohnten Gebieten vorkommende Algenpopulation wie ein Katalysator zu wirken.

Nach diesen vielen Zyklen hatte sich der Algenbefall so stark ausgebreitet, dass ganz Maborien davon betroffen war. Sogar vor den Bewohnern selbst machten die Algen keinen Halt. Es wurde so schlimm, dass sie jeden Zyklus dafür sorgen mussten, sich davon zu reinigen.

Zeru begab sich dafür in die Körperreinigungsdusche und ließ besonders behandeltes Wasser mit einem hohen Druck auf ihren nackten Körper prasseln.

Früher hatte sie diese Druckduschenbehandlung gemocht, aber heute dagegen, mit den chemischen Zusätzen, war es einfach nur noch lästig. Nachdem diese Prozedur überstanden war, begab sie sich in Richtung Wohnungsauslass und schwamm nun doch gut gelaunt aus der Deckenöffnung ihrer Wohnung.

Über ihr erstreckte sich die unendliche dunkle Weite ihrer Welt, mit dem Unergründlichen, bis jetzt verborgen gebliebenen Oben. Sie sah hinauf und versuchte, ihre Augen so gut es ging zu fokussieren, um Einzelheiten im Schleier zu erkennen. Vor einiger Zeit konnte sie noch viele hundert Meter in die Höhe schauen und erkannte doch nicht das Geringste des Obens, das sich so unendlich weit entfernt befand. Nur tiefstes Blau entgegnete ihr.

Wegen der Algenverschmutzung brach sie jedoch diesen Versuch nach nur wenigen Sekunden ab und setzte so enttäuscht wie jeden Zyklus ihren Weg fort. Sie war stets auf ein Neues traurig und wütend über diese Enttäuschung. Wie gern würde sie sich mit ihrem Flitzer hinaufbegeben, in die tiefsten Höhen des Schleiers. Um zu ergründen, was es dort oben, in diesem unbekannten Ort gab. Bedauerlicherweise lag das im Augenblick außerhalb ihrer Möglichkeiten.

Da ihr aber bewusst war, dass dieser Wunsch in wenigen Zyklen doch in Erfüllung gehen könnte, begab sie sich trotz alledem enthusiastisch zu ihrem Flitzer. Wie jeden Morgen freute sie sich auf die lange Fahrt zum Wissenschaftszentrum. Sobald sie an ihre Arbeit dachte, waren auch die negativen Gedanken verschwunden.

Mit einem leichten Druck auf die Luke des Flitzers öffnete sich diese mit einem leisen Zischen, indem sie sich in der Mitte teilte und in die seitlichen Verkleidungen verschwand. Zeru bewegte daraufhin kurz ihre Flossenbeine und schwamm in die Kabine des Flitzers hinein. Noch während sie in die Sitznische des Gefährts eintauchte und ihre Flossenbeine um die innere Haltevorrichtung schlang, berührte sie mit der linken Flossenhand die linke Seitenwand des Flitzers. Unmittelbar danach ertönte abermals das Zischen und die beiden Lukenhälften fuhren aus den seitlichen Wänden des Unterwassergefährts heraus und trafen sich über Zerus Körper. Sie umschloss mit der linken Flossenhand das Steuer und startete gleichzeitig mit der rechten den Motor, der gleich daraufhin am Heck das Wasser zum Herumwirbeln brachte.

Der schlanke Flitzer, dessen Besitzer der Länge nach in ihm Platz nahm, sauste daraufhin über den Dächern der Wohneinheiten hinweg. Dieses lag außerhalb der Stadt. Vorbei an Vakuumbahnen, deren Wände im Abstand von wenigen Metern mit durchsichtigen Fenstern versehen waren. So konnte man ab und zu eine Bahn in der Röhre entlang sausen sehen.

Bald darauf reihte sich Zeru in den endlosen Strom von Unterwasserflitzern ein, die alle unterwegs waren, um zu ihren Arbeitsstätten zu gelangen. Nur einige Schwimmminuten später, führte sie ihr Weg fort von den Flitzerströmen, hin zu entlegenen Gegenden.

Hier wuchsen nur vereinzelt die leuchtenden Kristalle. Besonders in Gräben und Ansammlungen von Gesteinsformationen gediehen sie zahlreich. Auf weiten, flachen Ebenen sah man dagegen kaum welche. Dort wiederum gab es umso mehr Korallen, die aber im Vergleich zu den Korallenkonstrukten, die die Wohneinheiten hielten, winzig ausfielen. Zwischen ihnen tummelten sich die verschiedensten niederen Lebensformen, die unentwegt nach Nahrung suchten oder ihr Revier gegen Eindringlinge verteidigten.

In der Ferne machte sie mehrere große Niedriglebensformenschwärme aus. Sie fand es immer wieder wunderbar, wenn sie mit ihrem Flitzer in diesen einsamen Gebieten unterwegs sein konnte. Besondere Freude bereitete es ihr, durch diese farbenfrohen Schwärme zu flitzen. Wie sie aufgebracht zu allen Seiten auseinanderströmten, fand sie faszinierend.

Ihr Weg führte sie weiter vorbei an den Muschelminen. Hier wurden, im großen Stil, Muscheln gezüchtet, um deren harte Panzer als Baumaterial zu nutzen. Dazu waren aufwendige Prozeduren notwendig. Nach der mühsamen Ernte wurden sie der Größe nach sortiert und einer Qualitätskontrolle unterzogen. Erst danach wurde entschieden, ob sie sich eher zur Baumaterialgewinnung eigneten oder aber nur, als Dekomaterial verarbeitet wurden. Bei beiden Verfahren entfernte man zunächst den fleischigen Kern, ehe die Muschel in die Weiterverarbeitung kam.

Den nahrhaften Kern verarbeitete man zu Futtermitteln, um die zahlreich in dieser Gegend befindlichen Niedriglebensformenmastanlagen zu versorgen. Die großen Muscheln, und Zeru hatte schon welche gesehen, die mehrere Quadratmeter maßen, wurden zu quadratischen Baumaterialien gesägt und der Bauindustrie übergeben. Sie stellten beliebte Materialien für den Wohneinheitenbau dar. In der Bausubstanz von Altbauten fand man an den Fassaden immer wieder uralte Maserungen von Muschelarten, die es gar nicht mehr gab. In diesen Gebieten bestand eigentlich ein striktes Schwimmverbot. Um aber ihren Weg abzukürzen, wagte sie es immer wieder, diese Anlage zu überschwimmen.

Ihr Weg zur Arbeit führte sie weiter, entlang der unzähligen Arbeitskomplexe ihrer Welt. Besonders hier befanden sich viele industrielle Arbeitsstätten. Nach einigen Minuten des Dahinflitzens erreichte sie die Zuchtanlagen, in denen verschiedenste Zuchtlebewesen gehalten wurden.

Zu diesen Anlagen hatte Zeru ein gespaltenes Verhältnis. Sie wusste, ohne die Zuchtindustrie würde ihre überbevölkerte Welt Hunger erleiden müssen. Dennoch, dachte sie, brauchte es nicht so viele davon zu geben. Es gab nur noch wenige frei herumschwimmende Niedriglebensformenschwärme. Wenn man sie etwas natürlicher halten würde, könnte sich Zeru beim Verzehr der Nahrung viel wohler fühlen.

So wurden sie in riesigen, netzartigen Käfigen gehalten, die hunderte Kubikmeter fassten. Am oberen Ende befanden sich ballonartige Kugeln. Sie wurden mit dem Sauerstoff gefüllt, den die hiesigen Pflanzen als Nebenprodukt produzierten. Der Auftrieb dieses Elements hielt die Käfige in der Waage. So wurde gewährleistet, dass sich die Lebensformen frei in diesen Gehegen bewegen konnten. Aber von Niedriglebensformenschutzorganisationen, die regelmäßig die Zustände in diesen Behältnissen dokumentierten, wusste man, dass die Anzahl der gehaltenen Zuchttiere den natürlichen Platzverhältnissen überstieg.

Weit in der Ferne konnte sie schon die Lichter der Energieerzeugungsanlagen ausmachen. Diese Anlagen produzierten den nötigen Strom aus Wärmeförderer. Ein Netz aus gigantischen Kraftwerken umspannten ihren gesamten Lebensraum. Sie nutzten die natürliche Wärmeenergie aus dem Inneren ihrer Welt. Generationsübergreifend wurden in zahlreichen Schwimmstunden lange, verzweigte Gräben in den Untergrund getrieben. Einige reichten bis tief in die Bereiche des heißen, flüssigen Kerns.

Anfangs, vor dem Fortschritt der Technik, wurden nur einzelne Wärmeförderer gebraucht. Vorwiegend zur Nutztierhaltung. Niedriglebensformenschwärme, die mit Wärme versorgt wurden, gaben einen höheren Ertrag ab. Zeitzyklus um Zeitzyklus kamen weitere Wärmeverbraucher hinzu. Deshalb trieb man immer mehr Gräben in den Untergrund. Als die Maborier entdeckte, dass man aus dieser Wärme elektrische Energie erzeugen konnte, explodierte dieser Zweig der Nutzbarmachung der Innenwärme.

Nun existierten so viele Energieerzeugungsanlagen, dass einige Naturschützer behaupteten, die Innenwärme nehme ab. Der Kern würde abkühlen und wäre Ursache für schreckliche Phänomene, die in ihrer Welt stattfanden. Besonders seit der Befallskatastrophe beschleunigte sich dieser Vorgang. Das machte Zeru ein wenig nachdenklich. Auch wenn sie und Professor Bereu nicht auf diesem Gebiet forschten, so wusste sie doch, dass man den Naturschützern mehr Glauben schenken sollte.

Vor ihr breitete sich eine weite Ebene aus. Auch hier tummelten sich einige kleinere Niedriglebensformenschwärme.

Als sie diese Schwärme passierte, konnte man einen ovalen Gebäudekomplex ausmachen. Auch hier beschwamm man die Gebäude entweder durch die an der Seite jeder Etage angebrachten Einschwimmdurchlässe oder durch die am Dach integrierten Eingangsöffnungen. Neben den Forschungskomplex befanden sich große, runde Parabolantennen, deren viele Meter durchmessene Antennenschüsseln nach oben in den Schleier zeigten.

Zeru parkte ihren Flitzer neben vier anderen in einem Hangar, der seitlich des Komplexes lag. Dort dockte sie ihn an einen freien Ladeplatz an, damit er zum Feierabend voll betriebsbereit zur Verfügung stand. Sobald der Flitzer mit der Ladestation gekoppelt war, schaltete er sich automatisch aus und öffnete die Einstiegsluke. Mit eben solch einem Satz, wie sie vor einigen Schwimmminuten in ihr Gefährt schwamm, entwand sie sich ihm und stieg graziös in die Höhe.

Ohne die, mit vielen Riffeln bedeckte Muschelwand zu berühren, glitt sie nur wenige Millimeter an ihr vorbei und schwamm zu der ersten Dachöffnung, in der sie rasch verschwand.

Ihr Weg führte sie durch verschiedenste Flure, vorbei an Vakuum gesicherten Rechnerschränken, in denen ständig tausende von Analysen berechnet wurden. Als sie auf die letzte Luke traf, die sie vom Rechnerraum trennte, atmete sie noch mal einen kräftigen Schwall Atemwasser ein.

Zeru arbeitete schon so lange in diesem Institut. Professor Bereu hielt viel von ihr. Das wusste sie. Auch mit den anderen Mitarbeitern kam sie gut aus.

Aber, wie an jedem neuen Arbeitszyklus, verweilte sie für ein paar Sekunden vor der Luke zum Hauptraum, die sie vor den erneuten Herausforderungen trennte. Ein letztes Mal sammelte sie ihre mentalen Kräfte, nahm einen kräftigen Zug Atemwasser in ihre Kiemen auf. Erst dann, nachdem sie sich gesammelt hatte, überwand sie sich und schwamm in den Öffnungsbereich der Luke.

Mit einem Zischen fuhr die Trennvorrichtung nach oben und ließ den Blick in den großen Hauptraum zu. Wie an jedem neuen Zyklus herrschte schon rege Betriebsamkeit in den Laboren. Sie und weitere, hochqualifizierte Mitarbeiter arbeiteten hier unter der Leitung von Professor Bereu an der Erforschung des Obens. Erst viele Zeitzyklen, nachdem der Professor sein Institut gegründet hatte, stieß Zeru dazu und unterstützte von da an das Team. Professor Bereu erfuhr von der jungen Wissenschaftlerin, als sie einige interessante Abhandlungen über die Entschlüsselung von alten Inschriften längst vergessener Sprachen veröffentlicht hatte.

Diese Inschriften hatte sie in den nördlichsten Gegenden Maboriens gefunden, die schon lange zu Ruinen verfielen. Über viele tausende Zeitzyklen hinweg vergaßen die Maborier ihre Herkunft und die damit verbundene vergangene Geschichte. Nur wenige interessierten sich für die Historie ihres Volkes. So kam es dazu, dass die einst verlassenen Städte und die daraus hervorgegangene Geschichte ihrem Schicksal überlassen wurden.

Die wenigen Maborier, die den Werdegang ihrer Welt wieder für die Gemeinschaft zugänglich machen wollten, arbeiteten am Rande der Legalität. Nicht nur, dass die Gesellschaft der Maborier so gut wie keine Vergangenheitsaufarbeitung kannte, war es sogar verpönt, sich mit der Vergangenheit zu beschäftigen. Daher erwies es sich für die Wissenschaftler, wie Zeru es eine war, immer wieder als sehr schwierig, von der Gesellschaft akzeptiert zu werden.

Es kam sogar vor, dass man sie von Regierungsbeauftragten beobachten ließ. Man fürchtete offensichtlich die Entdeckungen der Forscher. Diese Entdeckungen könnten beweisen, dass die Maborier nicht die einzigen Lebewesen sind, die zu intelligenten Handlungen fähig waren oder immer noch sind.

Das ist alles schon so lange her, dachte Zeru. Inzwischen wurden die Fundstätten allesamt von der Eisbarriere eingeschlossen und bereiteten einer genauen Untersuchung ein jähes Ende. Immer wieder diese verdammte Eisbarriere, ärgerte sich Zeru.

Aber bevor sie die Ruinen verlassen musste, konnte Zeru noch ein Artefakt retten. Dieses überzeugte sie davon, dass nicht nur die Maborier diese Welt bevölkerten, sondern, dass offensichtlich im Oben mehr existierte, als man allgemein annahm.

Dieser Gegenstand beinhaltete Schriftzeichen, die Zeru auf keinem der bisher Gefundenen entdecken konnte. Sie unterschieden sich so dermaßen von den Schriftarten ihrer vergangenen Urahnen, dass sie zu der Erkenntnis gelangte, dass sie nicht von Maboriern geschrieben sein konnten. Nicht nur diese speziellen Schriftzeichen auf dem Artefakt überzeugten sie von der Andersartigkeit der Erschaffer dieses Fundstückes. Es war die Form des Gegenstandes und der Fundort oder, besser gesagt, dessen Lage. Es steckte regelrecht im Grund der einstigen Stadt.

Sie untersuchte die Ruinen schon seit vielen Zyklen. In jedem noch so entlegenen Winkel stöberte sie nach Anzeichen der Maborier, die einst hier gelebt und ihre Hinterlassenschaften zurückgelassen hatten. Unzählige Gegenstände, die die alten Schriftzeichen enthielten, hatte sie schon aufspüren können. Sie hatte dadurch so viel Wissen über diese einstige Sprache erlangt, dass sie deren Leben und Kultur nachbilden konnte.

Aber dann stieß sie auf dieses seltsame Ding. Es steckte senkrecht im Boden dieser vergangenen Stadt. Ein silbern glänzendes, längliches Objekt, das nach unten hin spitz zulief. So, wie es aussah, nahm Zeru an, dass es nur ein Bruchstück eines größeren Gegenstandes sein musste.

Aber das Erstaunlichste an dem Artefakt waren die kleinen Schriftzeichen, die eingestanzt sich an der Innenwand befanden. Sie hatten nichts mit den Schriftzeichen dieser verlassenen Stadt zu tun. Im Gegenteil, sie sahen völlig anders aus. Sie ähnelten denen der Maborier nicht im Geringsten. Nicht der Maborier der Vergangenheit, noch der Maborier der Gegenwart. Davon war Zeru überzeugt.

Sollten die vielen unheimlichen Geschichten um das Oben völlig anders sein? Sie wusste nicht mehr, was es war, dass sie dazu bewegt hatte, damals nach oben zu blicken, hinauf in den Schleier. Ob es Eingebung war oder nicht. Sie war fest davon überzeugt, dass dieses Artefakt nur aus dem Oben stammen konnte, das sich hinter dem Schleier befinden musste. Für sie war das der Beweis, dass dort oben intelligente Lebewesen existierten. Nur Professor Bereu schenkte ihr die gebührende Aufmerksamkeit.

Der Professor galt als eigensinnig und Querdenker, fast genauso wie sie. Die Gremien mussten ihn dulden, da er des Öfteren mit seinen Forschungen das Leben der Maborier vor einigen Katastrophen bewahren konnte. Er erforschte schon seit vielen Zeitzyklen das Oben. Mit einem fähigen Team von Wissenschaftlern baute er eine Forschungsstation auf, die mit riesigen Antennen den oberen Schleier abhorchten. Erst die Veröffentlichung ihrer Arbeiten brachte Professor Bereu dazu, Zeru in sein Team aufzunehmen.

Von dem Oben erhoffte sie weitere Erkenntnisse, mit deren Hilfe sie Rückschlüsse zu ihrer, zu der Vergangenheit der Maborier, erlangen würde. Auch wenn sie von den Gremien dafür argwöhnisch beobachtet wurde. Das interessierte sie nicht im Geringsten. Sollten sie doch mit ihren alten Vorstellungen von der Einzigartigkeit der Maborier hausieren gehen. Sie würde sich nie davon beeinflussen lassen. Für sie stand fest, dass dort oben weit mehr existierte als nur der undurchdringbare Schleier.

All ihre Unentschlossenheit beiseiteschiebend schwamm Zeru zu Professor Bereu.

»Hallo Zeru, schön dich zu sehen. Die in den letzten Zyklen empfangenen Daten stehen zur Analyse bereit!«, sagte er zu Zeru.

»Das ist wunderbar. Werde sie mir gleich vornehmen. Ich bin froh, weiter an den Daten arbeiten zu können.«

Seitdem Zeru an diesem speziellen Projekt forschte, konnte sie an nichts Anderes denken. Mit voller Hingabe arbeitete sie mit ihren Kollegen die anfallenden Daten der Empfangsanlage ab. So begaben sich die beiden zu den Beobachtungsinstrumenten.

Schon seit vielen Zeitzyklen beobachtete das Forschungsteam den oberen Schleier ihrer Welt. Diese Welt war, soviel wie sie wussten, rund fünf Mrd. Zeitzyklen alt. Im Kern herrschte so eine ungeheure Hitze, dass das Leben hier ungehindert gedeihen konnte.

Viele Forscher spekulierten darüber, wieso ihr Kern so heiß war, niemand fand eine halbwegs plausible Erklärung für dieses Phänomen. Manche nahmen an, dass irgendeine größere Kraft den Kern wie einen Gummiball drückte und wieder losließ. Seismologische Messungen zeigten gewisse Abweichungen in den einzelnen Zyklen, zwischen der Lebensaktivität und der Ruhephase der Maborier. War die eine Hälfte eines Zyklusses von hoher Aktivität des Kerns bestimmt, so verringerte sie sich auf ein minimum in der anderen Hälfte.

Im Laufe der tausenden Zyklen stellte sich sogar ein festdefinierter Lebensrhythmus ein, nach dem sich die Maborier richteten. Ein Zyklus entsprach eben eine Dehnungsperiode. Sogar in grauer Vorzeit ließen sich ihre Vorfahren von diesem Rhythmus leiten, dessen Ursachen nun von der Wissenschaft erklärt werden konnte.

Durch diesen Dehnungsrhythmus entstanden im Innern ihrer Welt Reibungskräfte, die für die Erwärmung Mabories verantwortlich sein mussten. Andere nahmen an, dass der Kern aus einem hochenergetischen Material bestand und ihren Lebensraum erwärmte.

Egal, wie dieser Rhythmus entstand. Seit der Befallskatastrophe hatte ihn irgendetwas durcheinandergebracht. Die Abstände zwischen diesen Dehnungsphasen wurden ständig größer. Und seitdem wurde es in Maborien immer kälter.

Dieses Leben begrenzte sich nur auf die unteren zweitausend Meter. In dreitausend Metern Höhe musste man schon Schutzanzüge gegen die niedrigen Temperaturen und den enormen Druckabfall tragen. Ab viertausend Metern fing die Todeszone an, in der es für die Bewohner unmöglich war, zu existieren. Messungen ergaben eine ungefähre Höhe von einhundert Kilometern. Man wusste daher nicht genau, wie es dort oben aussah.

Deshalb gab es diese Forschungseinrichtung, in der Zeru zusammen mit anderen Wissenschaftlern daran arbeiteten, etwas von dieser oberen Welt zu erfahren. Die Maborier lebten somit auf dem Grund einer mit Wasser gefüllten Welt.

Oberhalb dieser einhundert Kilometer fing der Bereich des ewigen Eises an, von dem die Maborier aber nichts ahnten. Dieser Panzer aus Eis umgab ihre gesamte Welt. Da diese Schicht aus Eis von dem dichten, unüberwindbaren Schleier vor den Maboriern verborgen blieb, pflanzte sich der Begriff des Obens in den Sprachgebrauch der Wesen dieser Welt ein.

Nur in alten Erzählungen, die trotz der Verweigerung der Vergangenheit überliefert wurden, gab es immer wieder Berichte von unheimlichen Wesen, die dort oben ihr Unwesen trieben. Schon aus diesem Grund verpönte die Gesellschaft die Beschäftigung mit diesen Dingen. Man fürchtete sich zu sehr vor dem, was dort oben sein könnte.

Immer wieder wurde ihre Welt von leichten bis schweren Kernbeben erschüttert. Diese Beben existierten schon vor vielen ihrer Zeitzyklen. Von Nord nach Süd rollten diese Seebeben über ihre Wohneinheiten hinweg.

Meistens handelte es sich nur um leichte Beben, die die Röhren ihrer Vakuumbahnen schaukeln ließen, Das wurde gar nicht mehr wahrgenommen. Zwischen den einzelnen Beben lagen manchmal unglaublich lange Zeitzyklen, bis sie wieder in kurz aufeinander folgenden Zyklen auftraten. In letzter Zeit gab es ausgedehnte Phase der Ruhe, in der nur leichte Beben registriert wurden. Über viele Generationen hinweg blieben die Maboriern von heftigeren Beben verschont. Sie kannten sie nur aus alten Erzählungen.

Aber das Beben, welches sich vor zwei Zeitzyklen ereignet hatte, war anders als alle Vorherigen. Kurze Zeit nach diesem Beben gab es schließlich diesen merkwürdigen Befall einer Stadt in der Nähe von Lorkett, wo unbekannte Gesteinsbrocken auf die Dächer der Stadt Darimar herabregneten. Die Seismologen stellten fest, dass dieses Beben nicht aus dem Inneren ihrer Welt kam, sondern vom Oben, das sich oberhalb des Schleiers befinden muss.

Zeru erinnerte sich sehr deutlich an diesen Zyklus. Sie trat damals ihre Arbeit in dem Institut von Professor Bereu erst vor wenigen Zyklen an. Auch wenn sie unter ihren neuen Kollegen überaus angesehen war, hielt sie sich doch in dieser Zeit immer noch im Hintergrund.

Sie saßen gerade an ihren Instrumenten, als ein schwerer Schlag durch das gesamte Gebäude fuhr. Sämtliche Einrichtungsgegenstände wurden erschüttert. Eigentlich hätte es eine gewaltige Katastrophe werden können. Aber da der Lebensraum dieser Wesen rundherum abgedichtet war, wurde die Schockwelle von einer Seite des Mondes zur andere getragen. Die Auswirkungen auf der Mondoberfläche erwiesen sich als viel verheerender, als es sich die Maborier vorstellen konnten. Da sie aber nichts von der Mondoberfläche wussten, brauchten sie sich auch keine Gedanken darübermachen.

»Professor, was war das denn?«, fragte Zeru damals den Professor, der wie sie keine Erklärung für dieses Ereignis hatte.

Sie sah sich erschrocken um. Sämtliche Gegenstände, die sich, der Schwerkraft folgend, im Laufe der Zeit auf den unterschiedlichsten Regalen abgesenkt hatten, trieben nun daraufhin losgelöst im Raum herum. Wie sie später erfuhr, kroch anschließend diese gewaltige Strömung durch Maborien, die nicht nur Darimar verwüstete, sondern unzählige andere Ortschaften ihrer Welt. Glücklicherweise wurde die Region um Lorkett verschont.

»Das kann ich auch nicht sagen«, gestand der Professor, der verwundert die unzähligen treibenden Gegenstände betrachtete, »ich werde mich bei der seismologischen Station informieren.«

Der Professor schaltete die Datenverwaltungskontrollen ein, die sowohl als Rechner fungierten, als auch zur Kommunikation und Bildinformationsübertragung dienten. Auf dem Bildschirm erschien ein mit tiefen Furchen und Narben besetztes Gesicht. Seine Schwimmfinger drehten im Hintergrund an mehreren Apparaten. Der Seismologe, dessen seismologische Station eine Direktverbindung zu dem Institut hatte, in dem Zeru und ihre Kollegen nach Antworten über das Oben suchten, erschien auf dem Monitorbild.

»Ah Apuretus, ich grüße Sie. Was war das eben?«, fragte der Professor ungläubig den Seismologen.

Zeru und er sahen den Maborier im Monitor gespannt an. Sie wusste, dass Apuretus ein Vertrauter des Professors war. Er sprach des Öfteren mit der seismologischen Station. So war es auch nicht verwunderlich, dass Professor Bereu gleich eine Verbindung zu ihm aufbauen konnte.

»Tja, ein Kernbeben war das nicht. Wir haben keinerlei Kernbewegungen registriert. Wir können uns das auch nicht erklären.«, stammelte der Seismologe.

Zerus Blick schweifte von dem Fernsprechmonitor zu einem weiteren Monitor ab, der die Daten von dem Oben aufzeichnete.

»Professor, sehen Sie. Unsere soeben empfangenen Daten.« Bereu wandte sich von Apuretus ab und blickte zu Zeru, die verwundert auf einen anderen Monitor sah. Professor Bereu erkannte sofort die außergewöhnlichen Anzeigen, die sich ihm dort präsentierten.

»Was geht da bei Ihnen vor sich, Professor?«, wollte Apuretus wissen, der mitbekam, wie Professor Bereu sich von ihm abwandte.

»Einen kleinen Augenblick Geduld, Apuretus«, unterbrach ihn der Professor forsch. Er schaute Zeru aufgeregt an. Er wusste um die Bedeutung der Entdeckung, auf die sie ihn aufmerksam machte.

»So, wie es aussieht, lag der Ausgangspunkt über uns«, interpretierte er die Daten zweifelnd.

»Professor Bereu, wie meinen Sie das?« Apuretus, der ungeduldig am anderen Ende der Verbindung schwamm, wollte Näheres wissen. Er konnte nicht fassen, dass man ihn so lange hinhielt. Ihn, der in der Wissenschaftswelt hoch angesehen war. Aber er wusste auch, dass er sich bei Professor Bereu in Geduld üben musste.

»Sie haben recht, Apuretus. Das Beben war wirklich kein Kernbeben.«, erklärte er ihn.

»Sondern? Sagen Sie schon, was war es?«, wurde er eindringlicher von Apuretus aufgefordert, ihm endlich zu antworten.

Der Professor schwamm zu den vielen Apparaturen, die für die Erkundung der oberen Hemisphäre zuständig waren. Er überprüfte Skalen und checkte Datenmengen ab. Aufgeregte Blicke wanderten zwischen Zeru und ihm hin und her. Beide waren sich über die Ergebnisse einig. Zeru fühlte sich äußerst zufrieden. Sie verspürte eine innere Genugtuung bei der gemeinsamen Betrachtung und anschließenden Analyse der Daten.

»Professor, was geht da vor sich?« Unaufhaltsam verlangte am anderen Ende der Kommunikation Apuretus eine Erklärung vom Professor.

Langsam und mit ernstem Gesicht drehte sich der Professor zu dem Kommunikationsmonitor um.

»So wie es aussieht, haben wir die ersten vernünftigen Daten von der oberen Hemisphäre erhalten. Das Beben kam vom Oben. Irgendetwas ist dort oben passiert. Ich kann mir nicht erklären, was das gewesen sein könnte. Die Daten sagen ganz deutlich, dass dort oben eine riesige Erschütterung stattgefunden hat.« Bereu schaute begeistert und doch besorgt den Seismologen an.

»Wie kann das sein, Professor? Sind Sie sich da ganz sicher? Vielleicht gibt es Störungen in Ihren Geräten?«, spekulierte Apuretus.

»Unsere Geräte funktionieren einwandfrei. Die Erschütterung kam eindeutig vom Oben.«, sprach Bereu beleidigt und voller Überzeugung in die Kommunikationsanlage.

Zeru ahnte damals nicht, welche Auswirkungen dieser Zyklus in ihrem Leben und dem aller Bewohner Maboriens bedeuten würde. Wie lange war das nun schon her, dachte sie, wie doch die Zeit vergeht. Und wir haben seitdem keine neuen Erkenntnisse über die Ursache der Erschütterung erhalten, grübelte sie.

Das frustrierte sie. Aber immer, wenn sie Enttäuschungen und Niederlagen hinnehmen musste, erinnerte sie sich an das Artefakt, das sie seit damals in einem kleinen Bauchrucksack mit sich trug. Es gab ihr immer wieder die Kraft, weiter zu forschen und niemals aufzugeben.

Bereits nach einigen Zeitzyklen dieses Ereignisses kam es zu gravierenden Veränderungen in der Unterwasserwelt. Das Forschungsinstitut, welches sich mit der Erforschung der oberen Hemisphäre beschäftigte, erhielt seltsame Ergebnisse. In den unteren Regionen der bewohnbaren Welt sank die Temperatur bedrohlich schnell. Wurden bei eintausend Metern noch vor dem Ereignis etwa zehn Grad gemessen, so waren es jetzt nur acht Grad. Das war nicht weiter besorgniserregend. Es gab immer mal Abweichungen von den üblichen Werten, aber diese normalisierten sich schnell wieder. Nun blieb es bei den gemessenen Daten.

In den nördlichen Stadtwelten sank ebenfalls die Temperatur. Aber dort erreichten sie erschreckende Ausmaße. War die Temperatur auf dem gesamten Innenraum ihrer Welt stets gleich gewesen, etwa vierundzwanzig Grad, so sank sie in den nördlichen Gegenden bereits auf achtzehn Grad.

Die Tierwelt flüchtete in den Süden, wo es keine Temperaturveränderung gab. Die Pflanzenwelt starb langsam ab. Man begann damit, diese Bereiche zu evakuieren. Aber viele der Bewohner wollten ihr Zuhause nicht verlassen. Heizapparaturen wurden in den Wohnsiedlungen installiert. Das entschärfte erstmal die Situation.

Einige Viertel Zeitzyklen später begann sich die Lage zu verschärfen. Die lichtgebenden Pflanzen starben in entlegenen Gebieten vollends ab und damit die Kristalle. Es wurde immer dunkler. Das Licht der Kristalle, begann in den nördlichen Bereichen zusehends schwächer zu werden. Die Temperatur sank abermals um zehn Grad, auf gerade mal acht Grad.

Nun gab es hier kein Leben mehr. Alle Bewohner packten ihre Sachen und wurden aus dem Gefahrenbereich evakuiert. In den übrigen Lebensräumen der Unterwasserbewohner breitete sich die bekannte Algengefahr erschreckend weit aus. Es kam zu Übergriffen von freilebenden Raubquallen, einer sonst in entlegenen Breiten vorkommene Art von Raubtieren, die eigentlich keine Gefahr für die Maborier bedeuteten. Nun aber wurden sie durch die Umweltbeeinflussung aus ihren Jagdgründen vertrieben und versuchten ihr Glück in den Siedlungen der Maborier. Hunderte von ihnen fielen den gefräßigen Raubtieren zum Opfer. Spezielle Säuberungstrupps wurden entsendet, um der Plage her zu werden. Nachdem aber die Tiere an Übermacht gewannen, evakuierte man auch diese Städte.

Es wurde mit jedem neuen Zyklus kälter. In den Reihen der verantwortlichen Regierungsverwaltung wurde das Problem lange diskutiert. Zu lange. Als die Temperaturen die Minusgrade erreichte, war es zu spät für irgendwelche Gegenmaßnahmen. Was hätte man auch tun können? Man war gegen diese Naturgewalt machtlos. Die nördliche Hemisphäre begann einzufrieren.

Aber ganz tatenlos waren die Bewohner der Unterwasserwelt nicht. Besonders die Wissenschaftler bemühten sich um Aufklärung der Ursachen dieses Phänomens. Mit den Beobachtungsmessergebnissen, die die Forschungseinrichtung um Professor Bereu während des Ereignisses machte, begann man eine bemannte Expedition auszurichten. Sie sollte durch den Schleier emporsteigen, um das dort darüber vermutete Oben zu finden.

Mit bisher geheim gehaltenen neuen Techniken und wissenschaftlichen Errungenschaften schafften es die Ingenieure, ein Forschungsschiff zu konstruieren, das mit einer sechs Mann Besatzung aufbrechen sollte. Die Crew erhielt den Auftrag, diese unbekannte Hemisphäre zu erforschen. Erkenntnisse zu beschaffen, um zu ergründen, was sich dort oben vor so vielen Zeitzyklen ereignet hatte. Man setzte alle Hoffnung in diese Mission. Aber für Zeru und Professor Bereu war die Frage wichtig, was sich dort oben verbarg. Insbesondere wollten sie in Erfahrung bringen, ob sie an diesem unbekannten Ort Hilfe für ihre gebeutelte Welt erwarten konnten. Und vor allem hoffte Zeru, dort oben die Herkunft ihres Artefaktes zu finden.

Inzwischen waren etwa zwei Zeitzyklen vergangen. Mehrere Kilometer der nördlichen Gebiete waren durch einen undurchdringbaren, glasklaren Eispanzer vereinnahmt wurden. Man errechnete den Ausgangspunkt der Befallskatastrophe, der das Ziel dieser bemannten Mission werden sollte.

In der Rechnerzentrale herrschte rege Betriebsamkeit, als Zeru schwimmend den Raum beschwamm. Die vielen Anzeigen der Datenverarbeitungsgeräte, die die gesamten Wände einnahmen, blinkten unaufhörlich. In ihnen wurden die empfangenen Daten ständig analysiert und neu kombiniert. Diese Arbeiten verrichteten die Geräte schon lange vor dem Zeitpunkt, an dem das seltsame Beben stattfand.

Die Mitarbeiter, die in dem großen Raum ihren Forschungen nachgingen, unterbrachen für kurze Zeit ihre Arbeit und schauten zu Zeru, wie sie graziös ihre Flossenbeine bewegte. Den Schwung bis zum Äußeren ausnutzend, schwebte sie an Verkum vorbei. Der bewunderte, wie an jedem neuen Zyklus, ihre wunderschöne Erscheinung. So graziös, wie sie in den Raum schwamm, beendete sie ihren Weg zu ihrem Arbeitsplatz.

»Du bist aber gut gelaunt«, stellte Verkum fest.

Das war sie wirklich, fand Zeru. Sie wusste, dass sie dazu allen Grund hatte. Sie würde immerhin bald eine aufregende Reise antreten.

»Ja, bin ich das?«, neckte sie Verkum.

Sie wusste, dass er sie gerne als Partnerin hätte. Aber sie wollte sich noch nicht binden. Schon gar nicht vor dieser Reise.

Der Projektleiter Bereu saß an der Empfangsanlage und gab Daten ein. Seine, mit dem Alter entsprechend laschen, faltigen mit Schwimmhäuten überzogenen Hände, huschten nur so über die Vakuumbildschirme. Diagramme und Daten erschienen, wurden bearbeitet und verschwanden wieder, um neuen Daten Platz zu schaffen. Zeru begrüßte ihn besonders höflich. Er erwiderte ihren Gruß mit einem leichten Lächeln und betrachtete erneut den Monitor.

»Gruß an alle.« Zeru nickte den übrigen Mitarbeitern zu und schwamm an eine Datenverarbeitungskonsole, kurz DVK genannt, und aktivierte ein Eingabemenü. Sie öffnete die Datei mit den vor einigen Zyklen aufgefangenen Signalen. Auf dem Bildschirm erschien eine Reihe von Diagrammen, die unterschiedlich hohe Amplituden aufwiesen. Zeru sah sich die Eingangszeiten der Signale genauer an und bemerkte eine Gemeinsamkeit der Daten.

»Professor, sehen Sie«, forderte sie ihn auf, sich ihre Beobachtung anzusehen, »Die Empfangsstärke ändert sich im Verhältnis zu den Eingangszeiten.«

Der Professor schwamm augenblicklich zu ihr rüber. Er hoffte endlich, einen Ansatzpunkt gefunden zu haben, wie sie mit den Signalen umgehen sollten.

»Zeig her, Zeru, das würde bedeuten, dass…«, er überlegte kurz und versuchte das Erfahrene, zusammenzusetzen und spekulierte weiter, »irgendetwas, die Signale stärker werden lässt«, beendete er seinen Gedankengang.

Für Zeru stand diese Erkenntnis schon beim Betrachten der Daten fest. Aber sie wollte dem alten Mann nicht sein Recht auf Alterserkenntnis rauben. Sie wusste, dass er ihr jeden Erfolg gönnte. Da er schon länger in dieser Einrichtung arbeitete, ließ sie ihm den Vortritt. Außerdem war er ihr Mentor und Freund.

»Was haben wir Neues aufgefangen?«, fragte Verkum, der Techniker in der Runde. Auch er bekam mit, wie Zeru dem Professor etwas zeigte, das ihn in Aufregung versetzte.

»Kommen Sie her, Verkum. Wir könnten Ihr technisches Verständnis gebrauchen.«

»Ich helfe gerne bei technischen Dingen aus«, scherzte er und schwamm zu ihnen hinüber.

»Vielleicht können Sie uns das erklären?«, hoffte Bereu. Er schlug einmal kräftig seine Flossenbeine und war im Nu bei ihnen. In jedem der fünf Wissenschaftler, die sich in dem Raum aufhielten, blitzte es regelrecht in den Augen. Verkum sah sich ebenfalls die Daten an und blickte verständnislos in die Runde.

»Tja, ich kann nichts Ungewöhnliches feststellen«, erklärte Verkum verlegen.

Professor Bereu überlegte und schien eine vage Erklärung für die Daten parat zu haben, die sie im letzten Ruhezyklus empfangen hatten. Deshalb ergriff er als Erster das Wort, indem er sich zu Verkum umdrehte. Aufgeregt fing er an, seine Vermutungen preiszugeben.

»Ich weiß nicht, wie ich es erklären soll, aber wenn ich dies hier richtig interpretiere, dann sieht es so aus, als ob die, die die Signale gesendet haben, entweder die Stärke der Signale erhöht haben, oder…«, er machte eine kleine Pause und sah jetzt zu Zeru, die zustimmend nickte, »der Sender hat sich an uns angenähert.« Er sah seine Mitarbeiter einen nach dem anderen an und beendete den Rundblick bei Zeru. Er gab ihr zu verstehen, sie solle die Erklärung weiterführen.

»Das würde bedeuten«, fuhr sie fort, »wenn dort oben irgendetwas oder irgendwer existiert, dann hat er sich uns zubewegt. Er ist uns nähergekommen.« Sie fühlte sich in dieser Situation wunderbar und war ihrem Professor dankbar für die Chance, seine Ausführung fortzusetzen.

Die letzten Minuten waren so aufregend, fand sie. Und wünschte, es würde nie zu Ende gehen. Sie würde sicher lange damit beschäftigt sein, diese Datenmengen auszuwerten.

»Jetzt wissen wir also, dass wir unsere Antennen auf den richtigen Punkt gerichtet haben«, folgerte Verkum.

Er hoffte, von Zeru anerkennend gelobt zu werden, da er es war, der den Vorschlag machte, die Parabolantenne auf den errechneten Ausgangspunkt der Befallskatastrophe auszurichten. Zeru nickte dem Techniker lobend zu, was Verkum in Verlegenheit versetzte.

»Da hast du sehr gutes Gespür gezeigt, Verkum«, freute sie sich über seine weise Voraussicht.

»Da unsere liebe Zeru nicht mehr lange zur Verfügung steht, sollten wir keine Zeit verlieren. Wir haben noch viel zu analysieren, Freunde«, unterbrach Bereu den Disput und forderte jeden auf, an seine Arbeit zu gehen.

Zeru schwamm an ihren DKV und öffnete sich die empfangenen Signale einzeln auf ihren Bildschirm. Nach längerem Vergleichen und Interpretieren machte sie eine erstaunliche Feststellung. Umso energischer wurde sie in ihrer Überzeugung bestärkt, etwas Wichtiges entdeckt zu haben. Sie würde jetzt ohne Professor Bereus Erlaubnis ihre Theorie dazu erläutern.

»Professor, ich glaube es sind immer die gleichen Datenblöcke, die wir von dort empfangen.«

Sie war nervös, denn sie wusste nicht so recht, wie ihr Vorgesetzter auf ihren Vorstoß reagieren würde. Sie schickte ihre Daten an den Rechner des Professors. Der öffnete die Datei und sah sich Zerus Erkenntnisse an.

»Ah, ich habe die Daten jetzt auf meinem DVK.« Der Professor sah sich die Struktur der Daten an und erkannte, dass Zeru auf dem richtigen Weg war und sah, genauso wie sie, eine Gemeinsamkeit.

»Professor Bereu, was ist, wenn das Funksignale sind?« Alle sahen sie erstaunt an. Bereu überlegte angespannt und ergriff das Wort. Er sah nicht erbost aus, dachte Zeru. Aber etwas eingeschüchtert schaute sie ihn doch an. Der wusste, wie seine junge Kollegin tickte. Sie war impulsiv, manchmal preschte sie sogar vor, ohne nachzudenken. Aber hier hatte sie eine logische Folgerung der Daten hervorgebracht. Andere ältere Professoren würden diese vorlaute Äußerung sicherlich tadeln, aber er gehörte nicht zu diesen Rückständlern.

»Du meinst also, dass da irgendetwas ist, das durch den Schleier vom Oben Funksignale zu uns sendet? Aber das würde ja bedeuten…«, ihm stockte fast der Atem bei den weiteren Worten.

»Nein, nicht uns direkt. Aber sie sind vielleicht unbeabsichtigt zu uns gelangt«, überlegte Zeru laut und legte ihren Kopf etwas schräg, was bei ihr ein Ausdruck von Verlegenheit war.

Die Angst mit solchen Äußerungen nur Hohn und Spott zu ernten war groß, das hatte sie ja schon des Öfteren feststellen müssen. Aber hier, in dieser Runde, brauchte sie davor keine Angst zu haben. Sie wusste, dass sie eine voll respektierte Mitarbeiterin in ihrem Institut war und von jedem ernst genommen wurde. Ihre Kollegen schätzten ihre Vorschläge, die immer handfeste Argumente enthielten.

»Wenn dort wirklich intelligentes Leben existiert und uns diese Signale schicken. Selbst wenn sie nur durch Zufall zu uns gelangen. Das wäre unglaublich.«

Der Professor schüttelte ungläubig den Kopf und hantierte an seinem DVK herum. Alle Mitarbeiter warteten auf seine nächste Reaktion. Immer wieder wiegte er langsam den Kopf hin und her und sprach dabei mit sich selbst. Trotz des undeutlichen Gemurmels konnte sie seine Worte deutlich hören: »Das würde unsere Weltanschauung über den Haufen werfen. Sollten dort oben wirklich Geschöpfe existieren, die sogar in der Lage sind, irgendwelche Signale zu senden? Eine Sensation.«

Diese spießigen, vom Glauben über die Einzigartigkeit der Maborier verblendeten Gruppen waren Zeru schon lange ein Dorn im Auge. Sie war fest davon überzeugt, dass sie nicht die einzigen intelligenten Wesen in dieser Welt waren. Die Antworten dazu lagen oberhalb des Schleiers, die sie noch sehr überraschen würden. Davon war sie fest überzeugt.

Der Professor spekulierte und kombinierte leise vor sich hin. Seine Mitarbeiter folgten seinen Ausführungen aufmerksam weiter. Sie wagten nicht, ihn jetzt bei dieser hohen Konzentration zu stören.

»Was ist, wenn es sich nicht um irgendwelche Datensignale handelt. Wenn es wirklich Funksignale sind?«, wiederholte er diese Feststellung und so schoss es aus dem Professor heraus. Nicht wie eine daher gesagte Äußerung, sondern wie eine absolute Gewissheit.

»Ist sie nicht genial, unsere Zeru?«, schwärmte Verkum.

»Ja, das ist sie«, bestätigte stolz der Professor. Professor Bereu schloss hastig mehrere Geräte zusammen. Es herrschte unglaubliche Spannung in dem Raum. Zeru und ihre Kollegen sahen ihm zu und wunderten sich über seine Einfälle.

»Zeru, gib mal den Signalumwandler her!« Er wedelte hastig mit seinen Flossenarmen und forderte sie dazu auf, sich zu beeilen. Er verband den Datenspeicher mit dem Signalumwandler. Es handelte sich um ein großes, klobiges Ding, mit einer doppelten Wandung, die hier jedes Gerät besaß. Sie sollte das Vakuum im Gerät aufrechterhalten und deren Innenleben vor ihrer natürlichen Lebensumgebung, dem Wasser, schützen.

»Was wollen Sie mit den Signalumwandler?«, stutzte Verkum verblüfft. Auch er verfolgte die Anstrengungen des Professors und wunderte sich über dessen Handlungen.

»Überlegen Sie doch mal, Verkum, sehen Sie sich doch die Signale an. An was erinnert Sie die Struktur der Signale?« Verkum sah ein weiteres Mal konzentriert auf den Monitor. Zeru schwebte amüsiert daneben. Sie hatte schon längst des Professors Gedanken erraten können.

»Verkum, manchmal bist du aber sehr begriffsstutzig«, neckte Zeru den Techniker. Der schaute sich weiterhin die Daten an und fing an, seine Mundwinkel leicht zu einem Lächeln zu verziehen.

»Ja, natürlich«, versuchte er endlich zu schlussfolgern,

»wenn Sie annehmen, dass es sich um Funksignale handelt, dann müssen wir sie auch hören können.«

»Genau, Verkum. Es hat zwar lange gedauert aber irgendwie kommst du dann doch hinter das Geheimnis der Erkenntnis, was?«, scherzte Zeru.

»So nun lasst uns mal hören, was uns die dort oben zu sagen haben.« Verkum sah ihn immer noch verwundert an und signalisierte schließlich Erkenntnis.

Das zeigte mal wieder, dass der Professor nicht umsonst zu den Fähigsten ihrer Welt gehörte. Nachdem Professor Bereu mit seiner Flossenhand am Monitor ein Abspielsymbol gedrückt hatte, lief die aufgenommene Audiodatei ab. Es herrschte völlige Ruhe. Jeder starrte auf die Signatur aus der oberen Hemisphäre. Der Techniker Verkum ergriff als Erster das Wort, nachdem eine Minute lang nichts zu hören gewesen war.

»Professor, haben Sie denn die Schallgeber angeschlossen?«, fragte Verkum.

Verkum, der fast gleichzeitig zu der Erkenntnis wie Professor Bereu und vor ihm Zeru kam, überprüfte sofort die Anschlüsse. Im gleichen Augenblick verkabelte er die Leitungen, die sich ebenfalls in dünnen vakuumrisierten Schläuchen befanden. Es funktionierte trotzdem immer noch nicht. Er überprüfte ein zweites Mal die Verbindungen. Aber alles schien ordnungsgemäß angeschlossen zu sein. Kein Ton war zu hören. Enttäuschung machte sich unter den Wissenschaftlern breit.

»Mm, merkwürdig, wir haben doch aber eindeutig eine Audiodatei vor uns. Aber wieso hören wir dann nichts? Verkum, können Sie sich das erklären?«, fragte Bereu, der immer noch fragend die Schallgeber ansah.

Der Techniker sah sich nochmal genau die Daten auf seinem DVK an. Ohne eine Antwort parat zu haben, wandte er resigniert seinen Blick dem Professor zu, in dessen Gesicht er eine Erkenntnis aufblitzen sah.

»Zeru, in was für einen Frequenzbereich sprechen wir?«

»Ich denke, zwischen eintausend und zweitausend Hertz.« Zeru sah verwundert den Professor an. Sie konnte nicht verstehen, was er mit dieser Frage bezweckte.

»Auf was wollen sie hinaus?«

»Auf diese Frequenz sind auch unsere Schallgeber ausgerichtet. Andere Frequenzen höher oder sogar niedriger könnten sie gar nicht wiedergeben. Stimmt das Verkum?« Verkum neigte den Kopf zur Seite, während er nachdachte.

»Sie meinen, die dort oben kommunizieren in einem anderen Frequenzbereich? Das ist ja unglaublich. Was müssen das für Wesen sein, die dort oben wohnen? Aber Sie haben Recht. Unsere Schallgeber können nur die von uns zu hörenden Schallwellen wiedergeben. Ich glaube, es gibt solche speziellen Schallgeber. Es wurden mal Versuche mit höheren Frequenzen gemacht, um die Kristalle oder deren Pflanzen zu beeinflussen und sie somit zu einer größeren Lichtintensität zu zwingen. Was natürlich nicht gelang. Aber was nützen uns diese Schallgeber, wenn wir die Töne trotzdem nicht hören können?« Der Einwand des Technikers Verkum leuchtete allen ein.

»Ich werde versuchen, die Signalfolge auf unser Gehör umzurechnen. So, dass die Schallgeber ohne Schwierigkeiten diese Signale wiedergeben können.«

Verkum tippte hastig auf einige in Kristallen eingebettete Tasten, die die neuen Berechnungen sofort an den Rechner weitergaben. Alle anderen schwammen zu ihm rüber und schauten gespannt über seine Schultern.

»So, nun muss der DVK nur noch rechnen. In wenigen Minuten muss die fertige Datei erscheinen.« Verkum versetzte sich in eine bequeme Lage, indem er sich schwebend die Arme verschränkte und Zeru ansah.

Er hatte sich mit der jungen Maborierin angefreundet, seitdem sie hier im Institut arbeitete. Aber trotzdem wusste er nicht viel von ihr. Gerne würde er sie näher kennenlernen wollen. Er hoffte, dass sich bald eine Gelegenheit dazu ergeben würde.

Nach kurzer Rechenzeit war der DVK fertig. Auf dem Monitor erschien die gleiche Signalfolge, nur um etwa zwanzig kHz gesenkt. Als ob der jetzige Tastendruck die Welt anhalten würde, sahen alle Mitglieder der kleinen Forschungsgruppe auf die Hand des Professors, der die Ehre besaß, die Datei ein weiteres Mal abspielen zu lassen. Umso erschrockener war jeder, nachdem die Sequenz ablief und ein undefiniertes Zirpen mit rhythmischen Auf- und Abschwellungen zu hören war.

»Was ist das?«, versuchte Zeru als Erste die Stille zu brechen.

»Nimm die Frequenz noch etwas niedriger«, forderte der Techniker Zeru auf.

Nachdem Verkum nochmals alles durch den DVK gejagt und den Professor aufgefordert hatte, auf den Wiedergabebutton zu drücken, ertönte ein viel feinerer Ton aus den Schallgebern. Dumpfe Laute, als ob jemand Sätze sprach, erklangen im Raum. Immer, nach ein paar Sekunden, setzte eine Pause ein, die aber nicht lange andauerte. Unmittelbar darauf folgte eine weitere Signalfolge, deren Lautstärke stark variierte.

»Das ist ja unglaublich. Das hört sich ja wirklich wie Sprache an, eben nur zu schrill. Das bedeutet ja, dass dort oben doch Leben existiert. Aber was ist dort oben über dem Schleier, dass dort wirklich Lebewesen existieren können?« Der Professor war fassungslos vor Aufregung.

»Es sind definitiv gesprochene Worte«, folgerte Zeru, nachdem der Professor die Datei mehrmals hinter einander hatte ablaufen lassen.

Sie griff mit der Flossenhand an ihren kleinen Bauchrucksack, in dem sich das Artefakt befand. Sie spürte die ungewöhnliche Wölbung des außermaborischen Gegenstandes, bis hindurch zu ihrem dünnen, hautengen Overall, den sie trug. Es beulte nur wenig die enge Kleidung aus, die ihre natürliche Beschuppung erahnen ließ. Sie spürte regelrecht die Zusammengehörigkeit des Artefaktes zu den Funksprüchen der Fremden. Es schien in diesem Augenblick, so nah an ihrem Körper, zu glühen. Aber nach nur wenigen Sekunden des Glücksgefühls wandte sie sich wieder dem Monitor zu.

Nach dem gleichen Prinzip gingen sie bei den anderen Dateien vor, die in kleinen Zeitabständen aufgezeichnet wurden.

»Hier handelt es sich definitiv um die gleiche Art von Sprache«, stellte Bereu fest.

Niemand traute sich das Wort Sprache auszusprechen, aber jeder von ihnen wusste, dass es sich nur um Sprache handeln konnte.

»Aber diese ist von einem anderen Individuum gesprochen worden«, erklärte Zeru, die als Kommunikationswissenschaftlerin die meiste Erfahrung im Umgang mit Sprachen hatte.

»Sehen Sie, Professor. Die Frequenzen dieser Datei, die nur wenige Sekunden später eintraf, sind etwas kleiner. Damit also etwas tiefer in der Stimme, würde ich sagen.« Ihre Entdeckung faszinierte den Professor.

Da hat sie doch mal wieder den richtigen Riecher gehabt, dachte er und war sehr stolz auf sie.

Es war die richtige Entscheidung von ihm, Zeru diesen Posten anzubieten. Seine Hartnäckigkeit gegenüber dem Vorstand hatte sich voll bezahlt gemacht. Er nickte ihr zustimmend zu.

»Und wenn wir uns die Nachfolgenden ansehen«, folgerte Bereu weiter, »dann stellen wir fest, dass es sich wieder um den ersten Sprecher handelt.« Zutreffender konnte der Professor das nicht sagen, überlegte Zeru und ließ ihn weiterreden.

»Es handelt sich also um zwei Teilnehmer, die miteinander kommunizieren.« Urplötzlich schlug er kurz kräftig mit seinen Flossenbeinen und schwamm nachdenkend im Labor herum.

»Nein, nein, das kann nicht sein«, sagte er und wiegte dabei seinen großen, nicht mehr so stromlinienförmigen Kopf, hin und her. »Es sind bis dort oben unvorstellbare Weiten, die überbrückt werden müssen. Und ich rede da noch nicht mal von dem ungeheuerlichen Minusdruck, den diese Wesen ausgesetzt sind.«

Er schwamm wieder zu dem Monitor, der die unwiderlegbaren Daten anzeigte. Zeru und die anderen machten ihm ausreichend Platz, damit er ungehindert zu dem Anzeigegerät gelangen konnte. Diese plötzlichen Ausbrüche kannten sie schon zu Genüge. Dann durfte man ihm nicht in die Quere kommen. Er schwamm unaufhörlich in dem großen Raum herum. Das Wasser wurde so sehr aufgewirbelt, dass Zeru und die anderen Mitarbeiter sich nur durch leichte Flossenbewegungen an ihren Plätzen halten konnten.

Sie alle arbeiteten hier am Rande der Legalität. Von der Regierung wurden sie nur geduldet, weil sie sich von den Forschungen Hinweise auf die Kältekatastrophen der letzten Zeit erhofften. Die Gremien, die höchste Instanz Maboriens, vertraten die Meinung, dass nur ihre Welt, hier am Grund des Wassers, intelligentes Leben hervorbrachte, sonst nirgendwo. Dass in dem Oben, oberhalb des undurchdringbaren Schleiers, keine Art von Leben, geschweige denn Intelligentes, existieren könnte. Andere Behauptungen galten als Ketzerei.

Aber als es vor einem Zeitzyklus zu der Befallskatastrophe kam und die Kälte auf dem Vormarsch war, billigte man solche Forschungen wie die um Professor Bereu. Als die Situation immer bedrohlicher wurde, hatte man in Erwägung gezogen, eine bemannte Expedition in den Schleier zu entsenden, an der sogar eine Mitarbeiterin ihrer Forschungseinheit teilnehmen sollte. Die Teilnehmerin hieß Zeru.

Ich werde Zeru sehr vermissen, stellte Professor Bereu fest, als er mit dieser Erkenntnis daran erinnert wurde.

Die Zyklen vergingen. Die analysierten Daten wurden ausgiebiger untersucht. Jede noch so kleine Nuance in der Tonfolge schaute sich Zeru daraufhin immer wieder an. Sie wollte keine Einzelheit überhören, die wichtige Ergebnisse liefern könnte. Diese Entdeckung festigte ihren Glauben an die Intelligenzen im Oben. Umso mehr fieberte sie dem Start der Expedition entgegen. Schon bald wird es so weit sein, dachte sie. Dann könnte sie endlich in Erfahrung bringen, um was es sich bei dem Artefakt handelte, das sie bei sich trug.

Während sie wieder über den Analysen der Daten hing, schwamm der Professor in ihr kleines Labor. Die kahlen Muschelwände, an denen sich in den Ecken ein leichter Algenbefall befand, schimmerten in verschiedenen Perlmuttfarben. Die beiden Monitore, die Zeru zur Analyse ihrer Daten benutzte, hingen an vier Korallenstangen, die in der Decke verankert waren. Schwebend verharrte sie vor den Bildschirmen, deren Tastatur sich in einer kleinen Muschelplatte befand. Diese Muschelplatte war mit samt dem dazugehörigen Unterbau in einem Gewirr von Korallengeäst befestigt, das sich wiederum mit den Korallenstangen der Monitore verband.

Mit den flinken Fingern ihrer Flossenhand tippte sie über mehrere winzige in Kristallen eingebettete Symbole, die nacheinander auf dem Monitor erschienen. Sie bemerkte sofort, dass irgendetwas nicht stimmte. So aufgelöst hatte sie den Professor das letzte Mal gesehen, als sie die seltsamen fremden Töne aus dem Schallgeber hörten. Unvorhersehbares musste geschehen sein, vermutete Zeru. Langsam ließ sich der Professor vor Zerus Monitor sinken und blickte ihr Ernst in die Augen.

»Zeru, es ist so weit. Ich erhielt soeben die Nachricht, dass die Expedition vorverlegt wurde.«

Ihr kleiner, schmaler Kopf erhob sich von dem Monitor und schaute den Professor mit einem leichten Lächeln an. Auch wenn Zeru wusste, dass diese Expedition insbesondere wegen der Eisbarriere stattfand, konnte sie ihre Freude nicht unterdrücken.

»Jetzt schon? Aber Professor wieso denn?«, fragte sie den ihn.

»Ich weiß es nicht. Aber ich nehme an, dass es mit dem schnelleren Fortschreiten der Barriere zu tun hat«, erklärte er. Nie hätte er gedacht, dass das Eis so schnell voranschreiten könnte. Aber nun musste er mit Bedauern feststellen, dass es so war.

»Ja, ist gut. Ich werde gleich aufbrechen. Aber zuerst muss ich noch diese Daten analysieren«, erklärte sie ihm. Der Professor wusste, wenn Zeru die Sprache entschlüsseln könnte, dann würde das ein entscheidender Vorteil im Umgang mit den Intelligenzen sein und die Expedition eine andere Gewichtung bekommen.

»Du nimmst die Daten doch sowieso mit an Bord des Aufstiegsschiffs. Dort kannst du in Ruhe deine Forschung weitertreiben. Aber sieh dir erstmal die Nachricht an, die für dich hinterlegt wurde!«, erklärte er ihr.

Sie war sehr aufgeregt. Sie wusste, dass diese Nachricht für ihr weiteres Leben eine Wendung bedeutete. Sie war zwar für die Mission angenommen wurden, aber es könnte immer noch eine Absage erfolgen.

Zeru öffnete verschiedene Ordner, bis sie auf der betreffenden Seite angelangt war, in dem die Nachricht gespeichert war. Sie hoffte auf eine positive Information des Kommandos. Nach den vielen Anträgen und Begutachtungen der Forschungsergebnisse war lange nicht klar, ob die Expedition stattfinden würde. Vor zehn Zyklen erhielt sie schließlich die Bestätigung. Sie war so erleichtert. Mit Spannung las sie die Mitteilung.

Dort stand, dass der Start vorverlegt wurde. Sie solle sich morgen in der Kommandozentrale melden, wo alle Startvorbereitungen getroffen werden sollten. Mit einer unendlichen Genugtuung schaltete sie den Monitor aus. Sie hob ihren Kopf und lächelte den Professor an, der erwartungsvoll versuchte, in ihrem Gesicht zu lesen.

Sie würde nicht unbedingt behaupten, der Professor wäre wie ein Vater für sie. Aber eine freundschaftliche Beziehung hatte sie schon zu ihm. Seine Bindung zu ihr war etwas stärker ausgeprägt. Ihm lag viel daran, wie Zeru ihr Leben weiterlebte. Daher empfand er tiefste Trauer über ihre Abreise und doch freute er sich für sie. Wenn er überlegte, dass sie auf diese gefährliche Mission ging, schauderte es ihm. Aber wiederum gönnte er ihr diese einmalige Chance, dieses Oben aus der Nähe zu erforschen. Wenn er jünger wäre, würde er selbst auf diese aufregende Reise gehen. Dafür war er aber zu alt.

»Es freut mich für dich. Ich wünsche dir alles Gute auf eurer Fahrt. Und pass mir ja gut auf dich auf. Ich möchte meine beste Mitarbeiterin wieder gesund zurückhaben.« Der Professor nahm sie in die Flossenarme und drückte sie fest an sich.

Manchmal konnte er so ein Biest sein, dachte sie, und dann war er wieder der gute Freund, der mich so oft gefördert hatte. Sie war unendlich traurig, dass er nicht mitkommen konnte. Aber da ließen die alten den jungen Forschern doch den Vortritt.

»Zeichnet ja alles auf, was dort oben passiert, damit wir hier unten eine Menge Arbeit haben.«

»Das tun wir. Jetzt werden wir endlich erfahren, wie unsere Welt dort oben beschaffen ist, was sich dort oben verbirgt. Ich bin so stolz darauf, mit dabei sein zu dürfen.«

»Ich werde die neuen Daten noch auf einen Datenspeicher übertragen, damit du sie weiter untersuchen kannst«, erklärte er ihr, »vielleicht sind sie hilfreich, dort wo ihr hinschwimmen werdet.« Er drückte sie nochmals und ließ sie ziehen.

Als sie in ihrem Flitzer die Forschungseinrichtung verließ, schaute ihr der Techniker Verkum hinterher. Er hoffte, sie bald wiederzusehen.

Europa - Tragödie eines Mondes

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