Читать книгу Andrea – Liebe ist nicht heilbar. - V. A. Swamp - Страница 8
Es läuft nicht rund.
ОглавлениеIrgendetwas stimmt mit mir heute Morgen nicht. Ich bin aufgewacht und fühle mich wie gelähmt. Nicht, dass ich normalerweise jubilierend aus dem Bett springe. Das habe ich übrigens noch nie gemacht. Auch nicht, als ich jünger war. Im Gegenteil, ich habe immer gerne lange geschlafen und mir Zeit genommen beim Aufstehen. Die wenigen Male, als ich die Nacht durchgemacht habe, hatten immer zur Folge, dass mindestens der nächste Tag scheußlich war. Ich habe dann immer ziemlich lang gebraucht, bis mein Motor wieder richtig rund lief. Deshalb gehörte ich gewöhnlich immer zu den Ersten, die eine Party verließen. Rita hat das genervt, da sie selten ein Ende fand. Wie war das eigentlich mit Andrea? Schon die Frage ist irgendwie dämlich. Mit Andrea habe ich eine ganz andere Zeit verbracht. Wir haben studiert und konnten in aller Regel ausschlafen, wenn wir über die Stränge geschlagen haben. Habe ich das so richtig in Erinnerung? Ist ja auch egal. Es ist alles schon so lange her. Jedenfalls geht es mir heute Morgen nicht gut. Ich schleppe mich ins Bad und selbst das Rasieren bereitet mir Mühe. Dabei kann ich mein Unwohlsein gar nicht einordnen. Schmerzen habe ich keine. Aber eine seltsame Antriebslosigkeit hat meinen ganzen Körper befallen. Ich habe schon seit Langem keinen Arzt mehr aufgesucht. Brauche ich auch nicht. Ich bin stark und mein Körper verfügt über fantastische Selbstheilungskräfte.
Als ich die Küche erreiche, um mir mein Frühstück zuzubereiten, haut es mich mir nichts dir nichts von den Beinen. Einfach so. Im Zeitlupentempo sacke ich zusammen. Dabei gelingt es mir immerhin so auf den Fliesenboden zu fallen, dass ich mir nicht ernsthaft wehtue oder gar irgendetwas breche. Ist das jetzt der Anfang vom Ende? Ich fühle immer noch keine Schmerzen, nur ein wenig Panik. Das iPhone habe ich auf dem Nachttisch liegen lassen und jetzt liege ich hier hilf- und fast bewegungslos auf den kalten Küchenfliesen. Na, so eine Scheiße, denke ich. Dann geht das Licht aus…
Als ich wieder zu mir komme, ist schon früher Nachmittag. Wie viele Stunden habe ich hier gelegen? Immerhin kann ich meine Arme bewegen und auf meine Armbanduhr schauen. Fünf Stunden errechne ich. Ich drehe mich im Zeitlupentempo auf die Seite und dann auf meine Knie. Tot bin ich demnach noch nicht. Irgendwie kriege ich die Tischkante zu fassen und so bewege ich mich langsam wieder in die Vertikale. Was für ein Wochentag ist heute? Dienstag, das ist gut. Vielleicht kann ich jemanden in der Arztpraxis in der Nähe meiner Wohnung erreichen? Wie ein Schlafwandler schlürfe ich langsam zum Schlafzimmer, wo ich mein iPhone vermute. Es liegt tatsächlich auf dem Nachttisch. Ich habe Glück. Die Sprechstundenhilfe stellt mich gleich zu einer der Ärztinnen durch. Ich erkläre ihr, was mir passiert ist. Sie versucht mich zu beruhigen und das beunruhigt mich in hohem Maße. Immer, wenn Ärzte sagen, das sei vermutlich nicht so schlimm, läuten bei mir die Alarmglocken. Die Ärztin fragt mich, ob ich mich stark genug fühle, sie in ihrer Praxis aufzusuchen oder ob sie mir einen Krankenwagen schicken soll. Ich bin mir nicht sicher, ob ich es alleine dorthin schaffe. Aber ich will mich nicht hängen lassen und erkläre ihr so kraftvoll wie möglich, dass ich es schon schaffen werde.
Die Praxis ist kaum zwei Kilometer von meiner Wohnung entfernt, aber es sind gefühlt sehr lange Kilometer. Ich bin froh, als ich endlich im Wartezimmer angekommen bin. Noch froher bin ich, als ich endlich der Ärztin gegenübersitze. Sie macht die üblichen Untersuchungen wie Blutdruck messen, Lunge abhören und so weiter. Sie findet nichts Auffälliges und tippt auf eine vorübergehende Kreislaufschwäche. Diese Diagnose stimmt mich fast schon euphorisch. Ich bedanke mich für den schnellen Untersuchungstermin. Die Ärztin empfiehlt die Einnahme eines Medikamentes zur Stärkung oder so. Das Rezept soll ich mir bei der Sprechstundenhilfe anholen. Ich bedanke mich nochmals, erhebe mich von dem Stuhl und steuere die Tür an…
Das Paradies ist tatsächlich so, wie ich es einst im Konfirmandenunterricht beschrieben bekommen habe. Es ist hell, fast gleißend und weiß. Der Engel, der sich mir nähert, hat zwar keine Flügel, soweit ich das in dieser strahlenden Helligkeit ausmachen kann, aber ansonsten passt er prima ins Bild. So wie mein Zustand. Es fühlt sich alles sehr leicht an, fast schwerelos. Falls ich in diesem Zustand die nächsten paar tausend Jahre verharren darf, ich habe nichts dagegen. Der Engel nähert sich meinem Gesicht und ich bin sicher, dass er mich gleich küssen wird. Das machen Engel üblicherweise immer. Woher ich das weiß? Ist mir entfallen. War es dieser blöde Pfarrer aus dem Konfirmationsunterricht, der manchmal aus Wut seine Bibel in unsere Richtung geschmissen hat, wenn wir ihn nicht ernst genug genommen haben? Nein ich denke nicht, der hat sicher nicht von küssenden Engeln, sondern nur von den Qualen der Hölle erzählt. Ich hoffe, dass wenn es eine Hölle gibt, was ich mir natürlich nicht vorstellen kann, dass er dann darin schmort. Er wurde nämlich der Unzucht mit Minderjährigen beschuldigt und ich glaube sogar verurteilt. Oder wurde er nur versetzt? Der Engel schaut mir in die Augen und ich hoffe, dass ich ihm gefalle. Dann sehe ich nichts mehr. Ich will nur noch schlafen. Der Trip ins Paradies kostet mich eine Menge Kraft…
Ich wache auf. Das Paradies ist verschwunden. Die Leichtigkeit ebenfalls. Mein rechter Arm schmerzt. An meinem linken Arm hängt ein Plastikschlauch, der an einem Tropf endet. Die Nummer mit dem Engel hat mir besser gefallen. Ich höre, wie sich eine Tür öffnet und dann stehen plötzlich zwei Personen neben meinem Bett. Sie sind beide weiß gekleidet, aber von Engeln keine Spur.
»Guten Morgen. Wie geht es Ihnen?«
Die Frage irritiert mich, zumal sie mich so unvorbereitet trifft. Ich antworte mit einer Gegenfrage, was man eigentlich nicht tun sollte.
»Wer sind Sie?«
»Entschuldigung. Ich vergaß, mich vorzustellen. Ich bin der leitende Stationsarzt Krösing.«
»Dr. Krösing?«
»Falls Sie es so genau wissen wollen: Professor Krösing.«
Ich scheine mich also in einem Krankenhaus zu befinden.
»Wie bin ich hierhergekommen?«
»Ihre Hausärztin hat Ihre Einweisung verfügt, nachdem Sie in ihrer Praxis zusammengebrochen sind.«
Immerhin kann ich mich an den Besuch bei der Hausärztin erinnern. Aber warum diese Einweisung in ein Krankenhaus? Ich hasse Krankenhäuser und alles, was damit zusammenhängt. Ich muss schleunigst sehen, dass ich hier wieder rauskomme.
»Was fehlt mir denn, Herr Professor Krösus?«
»Krösing ist mein Name.«
Er klingt leicht pikiert. Wahrscheinlich hat er gemerkt, dass ich ihn ein wenig reizen wollte. Das ist gut, ich scheine mich auf dem Weg der Besserung zu befinden.
»Wir wissen noch nicht, warum sie zusammengebrochen sind. Ihre Blutwerte sind normal. Wir hoffen, dass ein CT uns weiterbringen wird.«
CT? Ach ja, Computertomografie oder heißt es Computertopografie? Na egal, auf jeden Fall ist es eine moderne und sicher auch sehr teure Untersuchungsmethode.
»Wann wollen Sie die Untersuchung machen?«
»Ich denke, wir sollten keine Zeit verlieren. Falls Sie einverstanden sind, werden wir das heute am frühen Nachmittag erledigen.«
Einverstanden? Habe ich eine Wahl? Na ja, bei so einer Untersuchung kann, so glaube ich, hoffentlich nicht allzu viel passieren. Jedenfalls habe ich noch nie gehört, dass jemand dabei den Löffel abgegeben hätte. Ich nicke zustimmend, was Professor Krösing wohl gefällt.
»Ich schicke Ihnen nachher eine Schwester mit den notwendigen Papieren vorbei.«
Ist die Sache doch nicht so harmlos, wenn ich mich dazu einverstanden erklären muss? Auf einmal ist die Energie, die ich soeben noch gefühlt habe, weg und ich fühle mich wieder unendlich schlaff. Jetzt muss ich erst einmal schlafen.
Die Sache mit dem CT und das ganze Drumherum habe ich kaum mitgekriegt. Weiß der Teufel, was die mir in die Infusionsflasche rein tun. Ich bin unglaublich schläfrig und teilnahmslos. Ich liege übrigens in einem Einzelzimmer. Ob das ein Vorteil ist, weiß ich nicht, aber ich bin halt gut versichert. Vielleicht ist das auch der Grund, warum sie sich hier ein Bein ausreißen, oder tun sie das in Wirklichkeit gar nicht? Es muss schon später Nachmittag sein, jedenfalls kündigt sich vor dem Fenster so etwas wie Dämmerung an. Ich denke, ein kleines Nickerchen kann im Moment nicht schaden. Rita ist wieder da. Sie steht direkt vor mir mit ihrem hellblauem Cashmerepullover und ihrem ultrakurzen Jeansrock. Ihre langen Beine enden in schlanken Oberschenkeln. Mit meiner linken Hand streichel ich die Innenseite ihres linken Oberschenkels. Ganz zärtlich, wie sie das gerne hat. Dann fühle ich den weichen Stoff ihres Tangas und darunter ihren Venushügel. Ich fühle, wie mein Schwanz hart wird. Ich werde noch warten, bis ich ihren Tanga langsam beiseiteschieben und die Feuchtigkeit ihrer Spalte prüfen werde. Aber Rita zieht meine Hand aus dem Bereich ihrer Pussy und so sehr ich mich anstrenge, es gelingt mir nicht, die Hand wieder unter ihren Rock zu schieben.
»Wie geht es dir, Großer?«
Ritas Stimme klingt so verändert. Ich bewege meine Lippen, aber irgendwie bekomme ich keinen Ton heraus.
»Soll ich später noch einmal wiederkommen?«
Jetzt weiß ich, wo ich bin. In meine Nase dringt eine Mischung aus Desinfektionsmitteln und zartem Parfum. Der Parfumgeruch ist neu. Ich versuche meine Augen zu öffnen und das braucht eine Zeit, weil meine Lider irgendwie verklebt sind. Mir wird bewusst, dass irgendjemand meine Hand hält. Es ist Andrea.
»Ich wollte Dich nicht stören.«
Andrea? Wie ist sie hierhergekommen? Ich versuche meine Gedanken zu ordnen, was gar nicht so einfach ist. Ich beschließe Andrea irgendwann später zu befragen, wie sie herausgefunden hat, dass ich in diesem Krankenhaus liege. Sie sieht toll aus und sie riecht extrem gut. Ich erinnere mich an den Abend auf ihrer Geburtstagsparty. Sie trägt ein dunkelblaues, leicht tailliertes Kostüm, bei dem die Ränder mit einem circa zwei Zentimeter weißen Band eingefasst sind. Sieht sehr chic aus. Ich würde gerne ihre Beine sehen, aber das ist in dieser Lage sehr schwierig. Es tut mir gut, dass Andrea da ist. Ich umschließe ihre zarte Hand nahezu vollständig. Sie ist warm und verströmt ein fast elektrisches Kribbeln.
»Es ist super, dass Du da bist.«
Mehr bekomme ich momentan nicht raus. Andrea lächelt.
»Ich habe schon mit der Schwester gesprochen. Die wollte zunächst nicht mit der Sprache raus, aber als ich mich als Deine Schwester zu erkennen gegeben habe hat sie mir erzählt, dass es nicht allzu schlimm um Dich bestellt ist.«
Nicht allzu schlimm? Was heißt das? Weiß Andrea jetzt mehr als ich?
»Sie haben ein CT gemacht, aber es gibt noch kein Ergebnis. Auch das hat mir die Schwester verraten. Du kriegst das Ergebnis morgen bei der Visite. Ich werde dann morgen gegen Mittag noch einmal kommen. Ich muss jetzt leider wieder gehen. Ich habe noch eine Verabredung und die konnte ich nicht absagen.«
Aha, wahrscheinlich ein anderer Liebhaber, denke ich. Anderer Liebhaber? Das „andere“ bezieht sich nicht auf mich, sondern auf ihren Mann. Ich bin definitiv nicht Andreas Liebhaber, obwohl ich derzeit nicht einmal etwas dagegen hätte. Andrea beugt sich zu mir runter und dann schmecke ich ihre weiche lüsterne Zunge, die sie mir ungeniert in den Mund schiebt.
»Mach schnell, dass Du hier rauskommst, damit wir das von neulich fortsetzen können.«
Ich versuche noch etwas zu sagen, aber Andrea wartet die Antwort nicht ab, da ist sie auch schon wieder verschwunden.
Das Frühstück war ordentlich, wenn auch nicht von der Qualität, wie ich es mir zuhause mache. Na ja, man kann wahrscheinlich auch nicht erwarten, dass sie einem hier Eier mit Speck und Bratkartoffeln servieren, oder? Durch die Tür kommt Professor Krösing. Er wirkt aufgeräumt und ausgeschlafen. Er lächelt mich an, auch wenn er das besser lassen sollte. Sein Lächeln hat so etwas Morbides. So werden auch Bestattungsunternehmer lächeln, wenn sie die Einzelheiten der Beerdigung besprechen wollen. Ich komme mir bei solchen Gedanken blöd vor.
»Wir haben ein Ergebnis und das sieht gar nicht so übel aus.«
Ich schaue ihn an und bemühe mich um eine optimistische Reaktion.
»Also, kein Krebs im vierten Stadium?«
Professor Krösing zeigt keinerlei Humor, jedenfalls keinen von der schwarzen Sorte.
»Wie kommen Sie auf Krebs?«
»Es sollte ein Witz sein. Entschuldigen Sie.«
Krösing guckt ein wenig sauertöpferisch, findet dann aber schnell seine Fassung wieder.
»Wissen Sie, was ein „Aneurysma“ ist?«
Ich habe keine Ahnung, wovon der Mann redet. Mein Blick hat ihm das sehr wahrscheinlich signalisiert.
»Ein Aneurysma ist eine spindel- oder sackförmige Erweiterung der Hauptschlagader. Ihr Aneurysma befindet sich im Bereich der Bauchaorta unterhalb des Abgangs der Nierengefäße.«
Ich bin beeindruckt, auch wenn ich mit diesen Informationen partout nichts anzufangen weiß.
»Und dieses Ding muss raus aus meinem Körper?«
Krösing lächelt ob meiner Einfalt.
»Zunächst einmal, Ihr Aneurysma ist noch nicht sehr ausgeprägt, sodass die Gefahr des Platzens nicht sehr groß ist. Von einer großen OP im Bauchraum können wir zunächst absehen.«
»Was wollen Sie stattdessen unternehmen?«
Ich fühle mich sehr mutig mit meiner Absicht, tiefer in die Materie einzusteigen.
»Nichts. Oder genauer gesagt zunächst nichts. Wir werden Ihnen ein blutdrucksenkendes Mittel verschreiben und Sie bitten, in sechs Monaten wieder vorstellig zu werden. Falls sich das Aneurysma nicht dramatisch verändert, müssen wir keine weiteren Schritte unternehmen.«
»Und andernfalls? Ich meine, falls das Ding sich zum Negativen verändert?«
Ich bin richtig stolz auf meine Ausdrucksweise.
»Dann könnten wir Ihnen einen Stent setzen. Den würden wir über die Leistenarterie einführen, um so den Bereich des Aneurysmas zu stabilisieren. Also zunächst ganz ohne Bauch-OP.«
Klingt doch gut, denke ich. Wir plaudern noch einen Moment und dann muss Krösing zu seinem nächsten Termin. Bevor er verschwindet, fällt mir aber doch noch eine Frage ein.
»Und dieses eher unbedeutende Aneurysma hat meinen gesamten Kreislauf zusammenbrechen lassen?«
Krösing kehrt zu meinem Bett zurück.
»Ich sagte nicht, dass das Ganze unbedeutend ist. Ich sehe nur derzeit keinen unmittelbaren Handlungsbedarf. Das ist ein Unterschied.«
Da ist er wieder, der Herr Professor. Oh, wie ich diese Typen hasse, mit ihren klug scheißenden Reden.
»Das heißt, ein solcher Zusammenbruch kann sich jederzeit wieder ereignen?«
»Das Einzige, was unsere Untersuchungen ergeben haben, ist das Aneurysma. Ob dieses in einem ursächlichen Zusammenhang mit ihrem Kreislaufzusammenbruch steht, vermag ich nicht mit Sicherheit zu sagen.«
Ich bin jetzt völlig konsterniert und ich vergesse Krösing zu fragen, wann er mich entlässt. Hoffentlich bald, denn hier will ich keine Minute länger als nötig bleiben. Es gibt keine Erklärung für meinen Zusammenbruch? Liegt das jetzt an diesen unwissenden Medizinern oder an meinem fehlgesteuerten Körper? Wahrscheinlich an beidem. Die Medizin ist eben alles andere als eine exakte Wissenschaft. Kann sein, kann nicht sein, kann eventuell auch ganz anders sein, mehr Präzision kann man eben von diesen Typen nicht erwarten.