Читать книгу Andrea – Liebe ist nicht heilbar. - V. A. Swamp - Страница 9

Überraschender Besuch.

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Ich bin jetzt schon wieder eine Weile zu Hause. Am Anfang war ich besorgt und ich habe auch nicht so toll geschlafen. Dieser plötzliche Zusammenbruch meines bislang immer tadellos funktionierenden Körpers beschäftigt mich schon. Vor allem, weil die Ärzte keine plausible Erklärung dafür geliefert haben. Ich schlucke die Pillen, die sie mir verschrieben haben, und ich bemühe mich, keinen Gedanken mehr an Krankenhäuser, Aneurysmen und ähnlichen überflüssigen Quatsch zu verschwenden. Die Zeitung berichtet, dass in Afghanistan ein deutscher Offizier einen Luftangriff auf zwei Tanklastzüge verursacht hat. Die Tankwagen sind vorher angeblich von den Taliban entführt worden. Wahrscheinlich ist das eine Lüge, um die Militäraktion zu rechtfertigen. Spielt bei der Vielzahl von Lügen, die sie uns täglich auftischen, allerdings auch keine Rolle. Es heißt, dass man befürchtete, die vollgetankten Fahrzeuge würden als rollende Bomben eingesetzt. Plausibel klingt das für mich nicht, aber ich bin ja nur ein unwissender Zeitungsleser, der willig seine Abonnementsgebühren bezahlt. Überhaupt ist nichts klar in der Berichterstattung über Afghanistan. Aber irgendwie müssen die ja den Einsatz unserer Soldaten dort rechtfertigen, besonders die Toten und Verletzten. Ich bin kein Pazifist und ich weiß, dass ohne den Einsatz der Amerikaner im Zweiten Weltkrieg wir diesen Hitler und seine Mörderbande niemals losgeworden wären. Aber ich weiß auch, dass es keine gerechten Kriege gibt und schon gar keine humanen. Mit was für einem Zeug beschäftige ich mich eigentlich heute? Andrea habe ich seit ihrem Besuch im Krankenhaus nicht mehr gesehen. Sie wollte doch noch einmal wiederkommen, oder? Wahrscheinlich habe ich das Ganze nur geträumt. Kein Wunder bei den Mittelchen, die sie mir über den Tropf verabreicht haben.

Ich bin schon eine Weile nicht mehr ausgegangen. Aber heute Abend werde ich in eine meiner Lieblingskneipen, die „Kleine Weltlaterne“, gehen. Es ist Donnerstag und an diesem Tag spielt da immer eine Jazzband. Meistens Dixieland, seltener etwas modernerer Jazz. Ich werde mich um 21 Uhr auf den Weg machen, früher ist da ohnehin nichts los. Um zehn Minuten vor 21 Uhr geht die Wohnungsklingel. Es ist ungewöhnlich, dass um diese Zeit noch jemand bei mir klingelt mit Ausnahme der Nachbarin, die mich gelegentlich um irgendetwas bittet, was sie gerade selbst nicht zur Hand hat. Aber vor der Wohnungstür steht niemand. Ich drücke den Türöffner für die Haustür. Nach einer Weile klingelt es erneut. Ich schaue durch den Türspion. Es ist Andrea. Woher weiß sie, wo ich wohne? Na klar, ihre rosafarbene Einladung hat ja auch den Weg zu mir gefunden.

»Bist Du überrascht?« fragt sie mich.

»Das kann man wohl sagen. Nur wenn Keira Knightley jetzt an Deiner Stelle hier stehen würde, wäre ich noch überraschter.«

Keira Knightley ist derzeit meine Lieblingsschauspielerin, aber das tut hier ja nichts zur Sache. Andreas unvermitteltes Erscheinen verunsichert mich. Auch wenn ich mich aufrichtig freue.

»Darf ich reinkommen?«

»Natürlich, ich wollte zwar gerade gehen, aber bitte komm erst einmal herein.«

Andrea trägt ein klassisches Kostüm in Schwarz-weiß. Mit den abgesteppten weißen Bordüren sieht es aus wie CHANEL oder zumindest LAGERFELD. Rita hat mir ein bisschen was über edle Designermode beigebracht. Sie war eine Zeit lang im Modebusiness tätig. Andrea huscht katzengleich an mir vorbei und ich wundere mich, wie geschmeidig sie sich bewegen kann. Als ich Ihr aus der Kostümjacke helfe, sehe ich, dass mein erster Eindruck richtig war. Es ist ein Modell von CHANEL. Dem Mädchen scheint es finanziell nicht schlecht zu gehen.

»Wohin willst Du gehen?« fragt sie mich ohne Umschweife.

»In die Kleine Weltlaterne, da spielen sie heute Jazz.«

Andrea schaut mich überrascht an.

»Die gibt es noch? Die „Kleine Weltlaterne“ in Kreuzberg? Da hatten wir doch damals eine gute Zeit, nicht wahr?«

Ich gehe besser nicht da drauf ein.

»Irgendwann in den achtziger Jahren sind sie von Kreuzberg nach Wilmersdorf gezogen? Es ist für mich ein letzter Rest vom alten Westberlin.«

»Du warst schon immer ein Romantiker, nicht wahr?«

Bin ich ein Romantiker? Noch nie hat mich jemand als solchen bezeichnet. Na ja, vielleicht hat Andrea recht. Ohne mich weiter zu beachten, geht sie zielstrebig ins Wohnzimmer, so als wenn sie schon hundertmal in dieser Wohnung gewesen wäre. Ich folge ihr etwas irritiert. Andrea lässt ihren Blick schweifen.

»Schön hast Du es hier. Na ja, Geschmack hattest Du ja schon immer.«

Ich bedanke mich für ihre freundliche Bemerkung. Ich sollte sie fragen, was sie hier will, aber irgendwie finde ich jetzt die Frage unpassend.

»Möchtest Du etwas trinken? Einen kleinen Sherry vielleicht?«

Andrea lacht.

»Ich trinke selten Alkohol, aber ein kleiner Sherry kann vielleicht nicht schaden.

»Trocken oder halbtrocken?«

»Wie meinst Du das?«

»Nun ich weiß nicht, möchtest Du lieber einen trockenen Sherry oder einen nicht so trockenen?«

»Gib mir bitte den nicht so Trockenen. Kann ich den auf Eis haben?«

»Himbeere oder Vanille?« frage ich. Andrea lacht.

»Ein Eiswürfel täte es auch, ohne Geschmack.«

Ich nehme zwei Aperitif-Gläser und gehe zum Kühlschrank. Hatte ich Andrea eingeladen? Ich kann mich nicht erinnern. Ist das jetzt beginnende Demenz? Ich entnehme aus dem Eisbeutel im Gefrierabteil zwei mittelgroße Stücke und werfe diese in die Gläser. Anschließend fülle ich die Gläser bis zur Hälfte mit Sherry. Andrea kommt mir ein Stück entgegen und nimmt mir eines der Gläser ab. Sie schaut mich an, mit ihren dunklen Augen.

»Dann auf uns, Großer. Zum Wohl!«

Ich vermeide, den Trinkspruch zu untermauern. Nur ein schlichtes „Salute“ kommt mir über die Lippen. „Salute“ klingt irgendwie weltmännisch, nicht wahr? Ich überlege, ob ich sie fragen soll, warum sie mich damals im Löwenhardt hat sitzen lassen, und wie es ihr gelungen ist, mich im Krankenhaus aufzuspüren. Auch warum sie das zweite Mal dann nicht mehr gekommen ist und warum sie heute unvermittelt hier aufkreuzt. Zu viele Fragen. Ich entscheide mich gegen die Fragerei.

»Bitte lass uns setzen.«

Mit einer Handbewegung leite ich Andrea zum Sofa. Wir schauen uns an. Irgendwie ist die Situation merkwürdig und ich weiß auch nicht, wie ich eine unverfängliche Unterhaltung beginnen soll. Nach einem Moment des Schweigens eröffnet Andrea das Gespräch.

»Heute war es schon ein bisschen wie Frühherbst. Findest Du nicht? Und das Anfang September. Ein komisches Wetter dieses Jahr, findest Du nicht auch? Verbringst Du die kommende schlechte Jahreszeit in Berlin?«

Ich schaue sie an. Was für eine Frage ist das?

»Es wird mir wohl nichts anderes übrig bleiben. Vielleicht werde ich ein paar Wochen auf die Kanaren fliegen. Ich bin schon lange nicht mehr da gewesen.«

Ich denke natürlich nicht im Traum an einen Urlaub auf den Kanarischen Inseln. All die fröhlichen und meistens besoffenen Skandinavier und Engländer, auf Gran Canaria zum Beispiel, wären das Letzte, was ich mir antun würde. Aber irgendwie muss ich ja die Unterhaltung am Leben halten.

»Das ist eine gute Idee,« meint Andrea, »wann wollen wir fahren?

Das soll doch jetzt ein Witz sein, oder? Ich schaue Andrea irritiert an, sage aber nichts dazu. Andrea lässt nicht locker.

»Ich denke um Weihnachten rum wäre das keine gute Idee, aber so Mitte Januar, wenn der ganze Rummel erst einmal vorbei ist, könnten wir ein paar Wochen dort Sonne tanken. An welche Insel hast Du denn gedacht?«

Ich habe an keine Insel gedacht und ich will diese Unterhaltung auch nicht fortsetzen. Aber anstatt dies Andrea klar zu machen, sage ich rein mechanisch:

»Gran Canaria.«

Andrea ist entzückt.

»Ja, das ist eine gute Idee. Gran Canaria kenne ich noch nicht. Spielst Du eigentlich Golf?«

Was soll das nun wieder. Wie kommt sie von Gran Canaria auf Golf?

»Hin und wieder, nicht sehr erfolgreich.«

»Prima, dann bis Du mein idealer Golfpartner. Lass uns unsere Schläger mit nach Gran Canaria nehmen. Meine Freundin hat mir vor einiger Zeit ganz begeistert von einem Golfplatz dort erzählt. Soweit ich mich erinnere, heißt der Ort Polamus oder Lapomas, ach ich weiß es nicht mehr.«

Ich verzichte darauf Andrea zu verraten, dass sie wahrscheinlich Las Palomas meint. Ganz sicher, was den Namen angeht, bin ich mir allerdings nicht. Viel wichtiger für mich ist in diesem Moment die Frage, wie es Andrea gelingt, immer das Heft des Handelns in die Hand zu nehmen. Ich werde sie jetzt fragen, was denn ihr Mann dazu sagen wird, wenn wir gemeinsam nach Gran Canaria fahren. Aber Andrea lenkt schon wieder ab.

»Hast Du keine Musik? Ich finde ein bisschen Hintergrundmusik wäre jetzt sehr schön.«

Sie wartet die Antwort nicht ab, sondern prostet mir zu und nippt an ihrem Glas.

»Schmeckt gut, das Zeug.«

»Es ist eine SANDEMANN. Ich glaube, der gehört mit zu den Besseren.«

»Na dann Prost auf die Besseren.«

Ich habe den Eindruck, dass meine Bewegungen irgendwie roboterhaft und gefühllos sind. Andrea wirft mich total aus der Bahn. Ich werfe nochmals ein kleines Stück Eis in mein Glas und schenke mir Sherry nach. Andreas hat an ihrem Drink nur genippt, und als ich zu ihr mit der Flasche komme, wehrt sie ab. Habe ich mich eigentlich zu den Gran Canaria-Plänen geäußert? Ich hoffe nicht. Im CD-Player liegt eine Van-Morrison-CD. Ich drücke die PLAY Taste und drehe danach den Lautstärkeregler ein wenig herunter. Die CD beginnt mit „Astral Weeks“. „Noch einmal geboren werden, in einer anderen Welt, in einer anderen Zeit?“ Passt das Lied hierher?

»Schöne Musik. Gefällt mir,«meint Andrea, »dafür hast Du schon damals ein Händchen gehabt. Komm, setz Dich zu mir. Da drüben kann ich Dich nicht riechen.«

Ich werde Andrea jetzt sagen, dass ich mich auf die Kleine Weltlaterne gefreut habe und dass ich jetzt gehen möchte. Auch wenn ich das eigentlich nicht will, könnte sie mich ja eventuell begleiten. Dann setze ich mich zu ihr auf das Sofa und sie drückt gleich ihren Körper an meinen. Will ich das? Ich bin sehr unsicher. Am Ende bringe ich sie noch einmal in Atemnot. Andrea streichelt mir übers Haar und dann zieht sie meinen Kopf zu ihr, bis sich unsere Lippen berühren. Ich bin völlig willenlos. Ich fühle wieder ihre Zunge, schmecke ihren Mund, spüre das Kribbeln in meinem Bauch und kann das alles nicht fassen. Als sie mich kurzfristig loslässt, meint sie spöttisch:

»Du bis verspannt, Großer. Das müssen wir ändern.«

Sie ergreift meine linke Hand und führt sie zu ihrem Busen, um dann sofort wieder mit ihrer Zunge meinen Mund zu erkunden. Ich fühle mich wie ein siebzehnjähriger Teenager, der soeben von seiner wesentlich älteren Nachbarin verführt wird. Aber Andrea schmeckt gut und sie tut mir gut. Und es ist mir letztlich auch alles egal, was jetzt passiert. Nein egal ist es mir nicht. Ich finde es toll!

Eine Stunde später ist Andrea verschwunden. Sie ging so schnell, wie sie gekommen ist.

»Na, bis dann, mein Großer.« Das ist alles, was sie noch rief, bevor sie in den Hausflur entschwand. Wo nimmt dieses späte Mädchen nur diese Energie her? Diesmal hatte sie bei unserem Sex auch keine Atemnot. Im Gegenteil, sie hatte mehr Puste als ich. Ist das normal, was wir hier treiben? Ich habe in der ganzen Zeit, in der sie bei mir war, nicht ein einziges Mal an Rita gedacht und ich komme mir jetzt irgendwie treulos vor. Dabei sollte Andrea so denken, sie hat ihre Wunderkugel jetzt schon zweimal mit mir betrogen. Na ja, sagen wir eineinviertel Mal.

Andrea – Liebe ist nicht heilbar.

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