Читать книгу Losing Game - Valuta Tomas - Страница 4
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ОглавлениеWie ein Mikroskop fokussiert sich Sams Blick auf einen silbernen Mercedes SLK 55, der in mäßiger Geschwindigkeit über den Schulparkplatz der UC Berkeley Extension Schule rollt. Die Blicke einiger Schüler ziehen sich auf den Wagen, weil man so ein schickes Vehikel eher selten auf diesem Gelände sieht.
Sams Aufmerksamkeit fällt auf die Fahrzeugführerin, die dieses silberne Schmuckstück sicher durch die Reihen steuert. Ihre Augen weiten sich.Ungewollt schluckt sie schwer. Ihrer Freundin Laura entgeht dies natürlich keineswegs. Sie lehnt sich auf der Ladeklappe eines schwarzen 89´er Chevy Pick Up zu ihr hinüber und grinst bis zu den Ohren. Mit einem Finger stupst sie Sam an den Mundwinkel.
»Dir hängt da etwas Sabber heraus«, stachelt sie auf Sams fokussierten Blick, der noch immer der Mercedesfahrerin gilt.
»Wow, verdammt ist die heiß«, haucht sie hypnotisiert.Sie beobachtet die Fahrerin, die ihren Wagen in eine Parklücke steuert und den Motor ausstellt. Sie lehnt sich zum Beifahrersitz, um dort in ihrer Handtasche zu wühlen. Mit einem Griff an den Hinterkopf, zieht sie ein Haargummi heraus, das ihre dunkelblonden Haare zu einem Pferdeschwanz gebunden hat. Achtlos lässt sie es in der Handtasche verschwinden.
Die Fahrerin steigt aus, schließt die Tür und steuert auf das Schulgebäude zu. Sie muss auf direktem Weg am Pick Up von Sam und Laura vorbei..
»Du oder ich?«, haucht Laura flüsternd in das Ohr ihrer Freundin. Die reagiert nicht. Sie verfolgt noch immer jeden Schritt der Mercedesfahrerin. Ihre Augen weiten sich begeistert, als die Frau an ihnen vorbeiläuft.
»Heißer Wagen schöne Frau, sie haben Geschmack«, ruft sie ihr zu.
»Danke«, murmelt die Fahrerin und wühlt in ihrer Handtasche, als wenn sich dort ein unendliches schwarzes Loch befinden würde. So kleine Taschen können aber auch unglaublich groß sein.
»Ok, du«, stöhnt Laura geschlagen.Sie blickt der Frau ebenfalls hinterher, die ihren Weg zum Schulgebäude fortsetzt. Fast hat es den Anschein, als wenn sie sich von nichts und niemanden aufhalten lassen würde.
Laura stupst Sam in die Seite und richtet deren Aufmerksamkeit auf eine große Tasche, die die Frau bei sich trägt.
»Die ist Lehrerin, willst du wirklich immer noch?«, lacht sie gehässig. Sie scheint aber noch immer nicht bei ihrer Freundin anzukommen, weil diese ohne ein Wort von der Ladefläche springt, der offensichtlichen Lehrerin folgt und sich unterwegs eine Zigarette anzündet.
»Ich habe sie hier noch nie gesehen. Welche Klasse unterrichten sie?«, fragt sie unaufgefordert und läuft ungebeten neben der Frau her. Als wenn sie die Frage nicht gehört hätte, läuft die Frau einfach weiter, was Sam als recht unfreundlich einstuft. Provokant stellt sie sich der Frau in den Weg und blickt sie auffordernd an.
»Ich bitte freundlich um eine Antwort auf meine gestellte Frage«, säuselt sie ungewöhnlich höflich und lächelt die Frau an. Diese hebt ihren Blick und sieht Sam das erste Mal direkt an. Sie schaut sie mit ihren blaugrünen Augen über den Rand der hellblauen Sonnenbrille an. Sam glaubt für einen kurzen Moment, ein kleines Funkeln in ihren Augen gesehen zu haben. Oder war es doch eher ein schnelles und kurzes Augenbrauenzucken? Sie weiß es nicht und kann sich auch nicht mit dieser Sachlage auseinandersetzen, als die Frau nach der Zigarette in ihrem Mund greift, ihr brutal von den Lippen reißt und mit einer Fußbewegung auf dem Boden austritt.
Sofort dringt ein lautes Raunen über den Parkplatz, das eindeutig von Laura kommt, die diese Situation leise und zurückhaltend beobachtet. Sam kann nicht glauben kann, was hier passiert ist. Wut steigt in ihr auf, während sie fassungslos auf die zertretene Zigarette blickt.
»Hast du ein Problem?«, faucht die Mercedesfahrerin mit einer hellen, aber dominanten Stimme.
Sam hebt den Kopf, blickt der Frau direkt in die Augen und will gerade Luft holen, um sie wie eine Milbe zusammenzustauchen. Denn niemand wagt es so mit ihr umzugehen, niemand! Auch nicht so eine hinreißende und wunderschöne Frau wie die, die ihr im Augenblick gegenübersteht.
Sie will zum ersten verbalen Angriff ansetzen, als plötzlich ein Bild vor ihrem inneren Auge auftaucht. Sie sieht sich selbst in einem kleinen Raum stehen, der in einem merkwürdigen Rotlicht getaucht ist. Die Mercedesbesitzerin hat ihr Gesicht in ihren Händen. Sie küsst Sam zärtlich, aber zugleich unglaublich gierig.
Wie bei einem Filmriss ist das Bild plötzlich verschwunden. Mit offenem Mund und geweiteten Augen steht Sam der Fahrerin erschrocken gegenüber. Fassungslos starrt sie sie an. Diese reagiert nicht darauf und murmelt nur irgendwas von »Ich hoffe, dass ich nicht in deiner Klasse unterrichte« und setzt ihren Weg zum Schulgebäude fort. Gekonnt lässt sie Sam stehen.
Sofort ist Laura an der Seite ihrer Freundin. Mit großen Augen schaut sie sie an. Sam steht noch immer wie eine Salzsäule da und blickt der Frau hinterher.
»Scheiße Sam, was war das denn? Wieso hast du sie nicht fertig gemacht?«, bombardiert Laura ihre Freundin mit Fragen und blickt bestätigend auf die letzten Überreste der Zigarette. Sam starrt der Fahrerin hingegen noch immer hinterher und murmelt irgendwas von »Die muss ich haben.«. Laura schaut der Frau ebenfalls nach und schüttelt mit dem Kopf.
»Lass die Finger von ihr. Die ist Lehrerin und mindestens zehn Jahre älter. Sie passt überhaupt nicht in dein Beuteschema«, verwirft sie Sams Aussage und blickt zum Schulgebäude, in dem die Frau mittlerweile verschwunden ist.
»Außerdem stimmt irgendwas nicht mit ihr. Sie ist mir etwas zu tough«, murmelt sie.
»Es ist mir scheiß egal wer sie ist und wie tough sie ist. Ich will sie und die ganzen Hindernisse machen das Ganze nur noch interessanter«, grinst Sam und läuft zu ihrem Pick Up zurück.
Argwöhnisch blickt Laura ihr hinterher. Sams helle kakaobraune Haut, verleiht ihr einen exotischen Touch, wobei sofort ihre braunen Augen auffallen. Ihre schwarzen langen Haare sind zu einem straffen Pferdeschwanz gebunden.Lediglich zwei Strähnen hängen an den Seiten heraus.
Sams Augen drücken einerseits unfassbare Aggressivität aus, anderseits sind sie zugleich unglaublich warm. Passend zu ihren ausdrucksstarken Augen, umschließt eine dicke Kette ihren schon fast zierlichen Hals. Dog Tags hängen über dem schwarz-roten Top an ihrer Brust herunter. Auffallend ist ihre Armyhose, die offen über der Hüfte sitzt und den Blick auf einen schwarzen Stringtanga freigibt. Mit dem Piercing an der rechten Augenbraue, den drei Ringen an jeder Hand und den dünnen Lederarmbändern an ihren Handgelenken, macht sie einen recht maskulinen Eindruck, was aber durch ihre schlanke Figur und die weichen Gesichtszüge wieder ausgeglichen wird.
Bei dem Anblick ihrer Freundin huscht Laura ein undefinierbares Grinsen über das Gesicht. Sofort steht sie hinter ihr, als diese die Ladeklappe des Pick Ups schließt.
»Ok, machen wir einen Deal. Was meinst du wie lange du brauchst?«, fragt sie leise.
»Drei Tage«, antwortet Sam. Überrascht zieht Laura die Augenbrauen hoch.
»Drei Tage? Du warst schon mal besser, aber gut. Wenn du es nicht schaffst, schnappe ich sie mir, abgemacht?« Sie schiebt Sams Haare zur Seite und beginnt an ihrem Hals zu knabbern. Sam schließt die Augen und spürt, dass Lauras Hand nach vorne wandert. Ohne Umwege gleitet diese zuerst in die Hose und dann in den Tanga.
»Abgemacht, aber…,«, pustet Sam schwer unter den Berührungen und dreht sich zu Laura um.
»du wirst sie nicht kriegen, dafür werde ich schon sorgen« grinst sie dreist. Auffordernd küsst sie ihre Freundin, bis beide einen eindeutigen Pfiff über den Parkplatz hören können. Sam löst sich von Laura und blickt in die Richtung, aus die der Pfiff kam. Sie sieht einen von den Footballjungs, der eindeutig gierig zu ihnen herübergafft.
»Halt deine beschissene Klappe, sonst stopfe ich sie dir und schlage dir deine scheiß Grütze aus deinem verfuckten Schädel, du verdammte Sau!!«Brüllend versprüht Sam eine Aggressivität, die sie auf ungesunde Art und Weise zu dem Typen wirft. Eingeschüchtert zieht der sofort seinen Kopf ein und sucht das Weite.
Eine halbe Stunde später sitzt sie auf ihrem Tisch im Klassenraum. Sie beachtet kaum die um sie versammelte Schülertraube, die sich lediglich bei ihr einschleimen, damit Sam ihnen nicht bei der nächstbesten Gelegenheit die Fresse poliert. Der einzige Mensch dem sie auf dieser Schule vertraut, ist Laura. Und die sitzt einen Tisch vor ihr und kippelt leichtfertig mit dem Stuhl. Laut schmatzend kaut sie auf einem Kaugummi herum.
Während die Schüler irgendwelche uninteressanten Geschichten erzählen, bemerkt Sam als einzige,dass die Tür zum Klassenzimmer geöffnet wird und die Mercedesbesitzerin den Raum betritt.
»Ach nein, wen haben wir denn da?«, kichert sie bissig und klatscht Laura gegen den Hinterkopf, damit die ihre Aufmerksamkeit ebenfalls der Lehrerin widmet.
»Na das kann ja heiter werden«, stöhnt diese genervt. Mit Sam zusammen, beobachtet sie die Frau, die ihre Handtasche neben den Lehrerpult auf den Boden stellt. Die Aktentasche legt sie direkt auf das verbrauchte Holz. Sam beugt sich nach vorne und blinzelt durch die Lücken, die ihre Mitschüler um sie herum bilden. Sie beobachtet die neue Lehrerin, die ausdruckslos durch die Klasse blickt, bis sie ihre Konzentration auf die versammelte Traube richtet. Die dort befindlichen Schüler haben sie noch immer nicht bemerkt. Die Lehrerin dreht sich gleichgültig zur Tafel um, nimmt ein Stück Kreide und schreibt mit großen Buchstaben Neve Stewart auf den grünen Untergrund. Dann setzt sie die Kreide waagerecht unter die geschriebenen Wörter und zieht diese quälend langsam unter dem Namen entlang. Sofort ertönt ein lautes Quietschen, das unbarmherzig durch die Klasse schreit. Es fordert sämtliche Schüler dazu auf, sich vor Schmerzen die Ohren zu zuhalten. Alle blicken zur Tafel, wo sich die Lehrerin innerlich zu amüsieren scheint. Es muss ihr einen gewaltigen Spaß gemacht haben, die Kreide quietschend unter ihrem Namen langgezogen zu haben. Denn sie legt die Kreide seelenruhig zurück, dreht sich in die Klasse und blickt die Schüler nüchtern an.
»Setzen!«, befiehlt sie, was jeder Schüler nach dieser Aktion ohne Wiederrede sofort macht.
»Wahnsinn, ist die fies«, stöhnt Laura, schüttelt mit offenem Mund den Kopf und reibt sich die Ohren.
»Das gefällt mir«, grinst Sam und setzt sich auf ihren Platz.
»Also, mein Name ist Neve Stewart. Ich bin für die nächsten zwei Wochen, in denen eure Mathematiklehrerin Ms. Jackson krank ist, ihre Vertretung.« Neve lässt ihren Blick über die etwas gelangweilten Gesichter der Schüler (die im Alter zwischen neunzehn und einundzwanzig sind), wandern. Sie muss feststellen, dass es scheinbar niemanden interessiert, ob sie nun anwesend ist oder nicht.
»Neve, ein wunderschöner Name für eine ebenso wunderschöne Frau«, lacht Sam frech. Mit einem Bleistift tippt sie währenddessen in einem monotonen Rhythmus auf ihrem Tisch herum. Die Haltung eines Sacks Kartoffeln eingenommen, gammelt sie gleichgültig auf ihrem Stuhl. Als Neve die Schülerin erkennt, rollt sie kaum sichtbar, aber genervt die Augen.
»Würden sie sich bitte aufrecht hinsetzen, den Bleistift hinlegen und mir sagen wie sie heißen?« Teilnahmslos geht Sam dieser Aufforderung nach, beugt sich nach vorne und schaut der Lehrerin direkt in die Augen.
»Sie wissen ganz genau wer ich bin«, lacht sie ruhig undgeheimnisvoll. Irgendwas stimmt hier nicht, das spürt Neve. Nur was es ist, weiß sie nicht. Denn das wird sie erst in der nächsten Sekunde auf eine Art und Weise erfahren, die ihr die Galle hochkommen lässt.
Sam greift sich an den Hinterkopf, zieht das Haargummi heraus, wuschelt sich durch die langen Haare und legt ihren Kopf schief. Sie lächelt die Lehrerin so verführerisch an, dass jeder Wachs in ihren Händen werden würde.
»Ich bin ihr wunderschönster wahr gewordener Traum, der sie irgendwann verführen wird«, grinst sie. Ein lautes Raunen ertönt von den Mitschülern, was einem Hundegebell ähnelt. Ein Klopfkonzert mit den Fäusten auf den Tischen folgt.
»Ach wirklich?«, fragt Neve kühl und unbeeindruckt.
»Interessant zu erfahren, dass sie wissen was ich träume. Ich hingegen…«. Sie setzt sich mit einer Gesäßhälfte auf den vorderen Rand des Lehrerpults und muss dabei zwei Knöpfe ihres weißen Kostüms öffnen. Sofort kommt deswegen ein johlendes »Ausziehen!« von Sam. Sie blickt ihre Lehrerin provokant an und zwinkert ihr zu. Neve schiebt diese Geste allerdings sofort in die dunkelste Ecke, welches ihr Gehirn aufweisen kann.
»ich hingegen, sehe nur eine pubertierende Göre die sich wie in einem Kindergarten aufführt.« Ein lautes Lachen stürzt durch die Klasse, das abrupt stirbt, als Sam einen wütenden Blick durch den Raum schmeißt. Neve registriert das, konzentriert sich aber weiterhin auf ihre Schülerin.
»Und wie ist jetzt bitteschön ihr Name? Oder soll ich sie die nächsten zwei Wochen mit pubertierende Göre ansprechen?« Wieder ertönt dieses Raunen von allen Schülern, das erneut Sam gilt.
»Sam«, antwortet sie um die Klasse zum Schweigen zu bringen.
»Sam und weiter?«, fragt Neve gelangweilt von diesem Spiel, das absolut unter ihrem Niveau ist.
»Schauen sie doch ins Klassenbuch. Sie als Lehrerin müssten doch eigentlich lesen können.« Sofort bricht die Klasse wieder in lautes Gelächter aus. Laura streckt ihre Hand nach hinten aus, in die Sam auch gleich triumphierend lachend einschlägt. Diese Runde ging definitiv an sie.
Die Lehrerin geht um den Pult, öffnet die oberste Schublade und holt ein großes Buch heraus, das in einen roten Umschlag gefasst ist.
Seite um Seite blättert sie sich durch den Schmöker, geht langsam und scheinbar vollkommen in das Buch vertieft zum Platz ihrer Schülerin und bleibt direkt davor stehen. Allerdings schlägt sie dann das Buch im Bruchteil einer Sekunde zu undknallt es ohrenbetäubend laut auf Sams Tisch. Diese zuckt erschrocken zusammen. Mit beiden Händen stützt sich die Lehrerin am Tisch ab. Mit diesem typischen Ich-bin-die-Lehrerin,-Sie-sind-die-Schülerin-Blick, schaut sie Sam an.
»Also, Ms. Samantha Rodriguez«, betont sie ihren Namen.
»Ich würde mit ihren weiteren Äußerungen mir gegenüber etwas vorsichtiger sein, ansonsten finden sie sich vor der Klassentür wieder. Habe ich mich deutlich genug ausgedrückt?«
»Aber sicher doch Ms. Stewart«, trällert Sam frech und ironisch.
Genervt von diesem Kindertheater, das ihr schon einige Zeit vom Unterricht geklaut hat, dreht sich Neve von Sam weg und geht an Laura vorbei. Eigentlich will sie endlich mit dem Unterricht beginnen, als sie den Knall eines platzenden Kaugummis hört. Immer noch genervt, blickt sie zu Laura zurück und sieht, dass ihre Schülerin wie ein Wiederkäuer auf einem Kaugummi herumkaut. Sie dreht sich zu ihr um, bleibt neben ihr stehen und schaut sie von oben herab an.
»Was denn??«, keift Laura gereizt. Neve hält ihr lediglich ihre flache Hand vor den Mund.
»Kaugummi«, faucht sie eiskalt.
Als wenn sie so etwas nicht alleine entscheiden könnte, dreht sich Laura fragend zu Sam um. Etwas überfordert beobachtet Neve diese Handlung, bis Sam eine Kopfbewegung auf die offene Hand macht.
»Na los, mach schon.« Laura öffnet ihren Mund, schiebt den Kaugummi heraus und lässt ihn auf die Hand der Lehrerin fallen. Angeekelt schaut Neve das zermatschte Etwas an. Ehe Laura reagieren kann, holt sie mit der Hand aus und knallt den Kaugummi auf ihr offenes Mathematikbuch. Sofort schießt Laura wütend in ihrem Stuhl hoch.
»Ey!!«, brüllt sie wütend. Bevor Laura aber richtig warm werden kann, hört Neve einen zweiten Kaugummi platzen. Gereizt, weil sie weiß von wo der Knall kam, geht sie zu Sam zurück. Provokant grinsend schmatzt sie auf einem Kaugummi herum. Neve hält auch ihr die flache Hand vor den Mund. Anstatt den Kaugummi einfach aus dem Mund fallenzulassen, beugt sich Sam über die Hand, nimmt sie vorsichtig in ihre eigene und nähert sich mit den Lippen der Innenseite. Erst jetzt lässt sie den Kaugummi aus dem Mund fallen. Sie lehnt sich in den Stuhl zurück und lacht ihre Lehrerin neckisch an.
»Bitteschön Ms. Stewart.« In dem Moment in dem Neve den Kaugummi auf Sams offenes Buch schlagen will, zieht sie es weg.
»Sie sind zu langsam«, lacht die Schülerin. Neve geht mit dem Kaugummi in der Hand um Sams Platz herum und knallt ihn im vorbeigehen auf Lauras Buch. Die Schülerin konnte das Buch bis zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht einmal von ihrem eigenen Kaugummi befreien.
»Ey!!«, brüllt sie erneut.Als sie vom Platz aufspringen will, drückt Sam von hinten einen Fuß gegen den Stuhl und hindert sie somit am Aufstehen.
»Bleib sitzen Laura, ganz ruhig!« Blitzschnell dreht sich Laura zu ihr um.
»Die tickt doch nicht mehr ganz richtig. Die hat echt eine Schraube locker. Sam, sie hat mein Buch ruiniert«, schimpft sie lautstark.
»Na und? Lass sie doch, sie weiß eben nicht mit wem sie es zu tun hat.« Laura dreht sich wieder nach vorne und beobachtet ihre Lehrerin, wie die in ihrer Handtasche nach einem Taschentuch greift. Sichtlich angewidertvon den Kaugummiresten, wischt sie sich die Handfläche ab.
»Für meinen Geschmack hat sie etwas zu viel Mut.« Wie ein beleidigtes Kleinkind, rutscht sie wütend in ihren Stuhl und schleudert das mit Kaugummi verklebte Buch mit einer kurzen Handbewegung vom Tisch.
»Sollte jemand diese Klasse noch einmal mit einem Kaugummi im Mund betreten, solange ich hier unterrichte, der kann sich darauf einstellen, sich ein neues Mathematikbuch kaufen zu müssen«, warnt sie alle anderen Schüler. Laura schaut sie hingegen ernst an.
»Und von ihnen erwarte ich, dass sie morgen mit einem neuen Buch hier sitzen!«
»Sie können mich mal am A….!«. Sofort bricht Laura den Satz ab, als sich Sam nach vorne beugt und ihr gegen den Kopf schlägt. Sie dreht sich zu ihr um, schaut sie wütend und zugleich fragend an, wendet sich dann aber wieder nach vorne.
»Die soll bloß aufpassen was sie macht«, faucht sie. Wütend verschränkt sie die Arme vor der Brust.
Erst jetzt beginnt Neve mit dem eigentlichen Unterricht. Schon nach einigen Minuten schreibt sie mehrere Rechenaufgaben an die Tafel. Fragend blickt sie durch die Klasse. Jeder Schüler weiß, dass sie jemanden sucht der sich dort vorne vor allen anderen blamiert.
Als sich keiner freiwillig meldet, geht sie durch die ganze Klasse, bleibt neben Sam stehen und hält ihr die Kreide entgegen.
»Da sie so tolle Sprüche auf Lager haben, wie sie mittlerweile unter Beweis gestellt haben, können sie mir jetzt zeigen ob sie Mathematik genauso gut beherrschen.«
»Für sie tue ich doch alles«, grinst Sam frech und nimmt ihrer Lehrerin die Kreide aus der Hand. Sie schaut ihr dabei direkt in die Augen und legt ihre Finger auffallend provokant um Neves Hand.
Während sie scheinbar problemlos alle Aufgaben löst, beobachtet Neve die anderen Schüler, die sichtlich erleichtert sind, dass nicht sie vorne an der Tafel stehen.
»Fertig Ms. Stewart«, trällert Sam ironisch, begibt sich zum Platz zurück und hält Neve die Kreide entgegen. Als sie danach greifen will, zieht Sam die Kreide weg. Der erste Griff geht ins Leere. Die Schülerin streckt ihrer Lehrerin erneut das weiße Stück entgegen. Wieder greift Neve ins Leere, weil Sam mit einem kaum zumutbaren frechen Grinsen, die Kreide wieder wegzieht. Gleich darauf bietet sie ihrer Lehrerin diese zum dritten Mal an.
»Sie sind einfach zu langsam.«, lacht sie.
Bewusst geht Neve ein Schritt auf ihre Schülerin zu. Fast Angesicht zu Angesicht stehen sie sich gegenüber.
»Wenn sie mich verarschen wollen, müssen sie schon etwas früher aufstehen«, kontert sie im ruhigen Ton. Sie zeigt mit dem Zeigefinger ihrer geschlossenen Hand auf die von Sam, in der sich die Kreide befindet. Sam öffnet sie und starrt im wahrsten Sinne des Wortes ins Leere. Da, wo sich bis eben noch die Kreide befand, ist mittlerweile gähnende Leere. Sie schaut ihre Lehrerin mit einem überraschten Blick verwirrt an. Im selben Moment wandert das vermisste Stück Kreide langsam aus Neves Hand.
»Ich glaube, sie sind die langsamere von uns beiden.« Zuerst grinst Neve ihre Schülerin mit einem ironisch triumphierenden Lachen an, wird dann aber schlagartig ernst, geht an ihr vorbei zur Tafel und kreist das von ihr aufgeschriebene Ergebnis ein. Schweigend wird sie von der Klasse beobachtet.
»Ich bin erstaunt, dass sie die Aufgaben so schnell gelöst haben. Aber das Ergebnis…,«. Sie tippt mit der Kreide auf die Zahlen des Ergebnisses.
»ist leider vollkommen falsch.« Ein kurzes Lachen ertönt in der Klasse, von dem sich Sam allerdings keineswegs verunsichern lässt. Entspannt setzt sie sich auf ihren Stuhl.
»Anstatt hier ein Minus einzusetzen, hätten sie… .«.
»Hätte ich ein Plus einsetzen müssen, ich weiß«, unterbricht Sam ihre Lehrerin, die sie daraufhin erstaunt und zugleich fragend ansieht.
»Wenn sie das richtige Ergebnis wissen, warum haben sie es dann nicht an die Tafel geschrieben?«
»Weil ich sehen wollte ob es ihnen auffällt«, lacht Sam. Sofort bricht die ganze Klasse wieder in dieses hundeähnliche Gebell und das Klopfkonzert aus. Erneut schlägt Sam auf die von Laura nach hinten gereichte Hand ein. Gleich darauf führt sie zwei Finger an ihre Lippen und beginnt laut zu pfeifen, wobei sie Neve keine Sekunde aus den Augen lässt. Sie schaut Sam mit einem erbosten Blick an, bis ihre Schülerin ihr plötzlich mit einem, für heute das erste Mal, netten Lächeln zu zwinkert.
Kurz vor Stundenende wirft Neve einen Blick in die hinterste Reihe zu Sam. Gelangweilt und verträumt schaut die Schülerin aus dem Fenster. Ihr Daumen drückt ununterbrochen auf einem Kugelschreiber herum, was sich in einem leisen Klicken wiedergibt.
»Ms Rodriguez, sie sehen so verträumt aus, dass sie bestimmt Lust haben, die Klasse an ihrem Traum teilhaben zu lassen?«, reißt sie Sam aus den Gedanken, die daraufhin frech grinst und sich aufrecht hinsetzt.
»Aber gerne doch, Ms. Stewart. Ich habe gerade davon geträumt, dass ich mich in der Nähe von Griechenland auf der Insel Lesbos befinde, falls sie dieses kleine Fleckchen Erde kennen…«
»Der Name dieser Insel ist mir ein Begriff«, unterbricht Neve ihre Schülerin. Sie weiß plötzlich, dass es keine gute Idee war sie auf ihren Traum anzusprechen.
»Also…,«, fährt Sam fort.
»wie gesagt. Ich bin also auf dieser Insel und verführe gerade eine wunderschöne Frau, die ihnen übrigens sehr ähnlich sieht und…«.
»Raus!«, unterbricht Neve ihre Schülerin mit einem scharfen Ton und zeigt auf die Klassentür. Als Sam sich nicht bewegt, wird sie lauter.
»Raus, habe ich gesagt!!« Mit einem triumphierenden Grinsen auf den Lippen, steht Sam ganz langsam von ihrem Platz auf, geht an ihrer Lehrerin vorbei, wirft ihr einen Blick zu und öffnet die Klassentür.
»Ich will für sie hoffen, dass sie sich, wenn ich in fünf Minuten rauskomme, vor der Tür befinden«, droht sie im scharfen Ton.
»Aber sicher doch, Ms. Stewart«, trällert Sam ironisch und knallt die Tür hinter sich zu.
Nach dem besagten Zeitraum verlässt Neve den Klassenraum. Sie ist nicht im Geringsten überrascht, dass sich Sam nicht vor der Tür befindet. Zielstrebig geht sie auf die Damentoiletten zu, weil sie ihre Schülerin nur dort vermutet. Mit einem lauten Knall öffnet sie die Tür. Sie sieht Sam bei offenem Fenster auf der Fensterbank sitzen und rauchen.
»Hat ihnen schon jemand gesagt, dass Rauchen ungesund ist?«, fragt sie eiskalt. Erschrocken über das plötzliche Erscheinen ihrer Lehrerin, verschluckt sich Sam an dem eben geholten Lungenzug.
»Ja, aber der ist schon tot. Lungenkrebs«, lacht sie ironisch, beginnt aber schwer zu husten. Neve geht zu ihr hin, reißt ihr die Zigarette aus der Hand und schmeißt sie aus dem Fenster. Zuerst blickt Sam der Zigarette hinterher, wirft dann aber einen wütenden Blick zu ihrer Lehrerin.
»Sag mal, haben sie dir ins Gehirn geschissen?? Was zum Teufel glaubst du eigentlich wer du bist??«, faucht sie aggressiv.
»Ich an ihrer Stelle würde aufpassen was sie zu mir sagen! Sie haben keine Ahnung mit wem sie sich hier anlegen!«, entgegnet ihr Neve sauer, die sie daraufhin flüchtig von oben bis unten mustert. Ehe Neve sich versieht, schlingt Sam einen Arm um ihre Hüfte und zieht sie zu sich an die Fensterbank.
»Nimm sofort deine Finger weg!!«, keift Neve rasend. Sie duzt Sam das erste Mal, woraufhin die nur achtlos grinst.
»Du handelst dir unheimlichen Ärger ein, wenn du nicht sofort deine Finger von mir nimmst!« Neve wird immer angriffslustiger, als sie Sams Hand auf ihrem Po spürt.
Plötzlich schiebt Sam blitzschnell eine Hand in Neves Nacken, zieht sie zu sich heran und küsst sie auffordernd. Provokant und mit einem hinterlistigen Funkeln in ihren Augen, schaut sie ihrer Lehrerein währenddessen direkt in die Augen. Von einer Sekunde zur anderen reißt sich Neve von ihr los. Ohne darüber nachzudenken, dass sie sich damit beträchtlichen Ärger einfangen kann, holt sie aus und verpasst ihrer Schülerin eine schallende Ohrfeige, die in der Toilette beängstigend widerhallt.
Mit einer Hand an der Wange, dreht Sam ihren Kopf zu Neve zurück. Im ersten Moment schaut sie sie mit dieser unglaublich brutalen Aggressivität in den Augen an, lächelt dann aber schwach. Mit der Zungenspitze gleitet sie spielerisch über ihre Lippen.
»Wusste ich es doch«, lacht sie. Sie scheint von irgendetwas überzeugt zu sein.
»Du stehst auf Frauen. Dein Blick vorhin auf dem Parkplatz, als du mich das erste Mal angesehen hast, hat dich verraten.«
»Du bist doch krank«, zischt Neve.
»Nein, nur ehrlich. Aber so wie du dich verhältst, scheinst du damit nicht öffentlich umzugehen, um deinen Schein zu wahren. Schade eigentlich, denn dein Blick hat mir verraten, dass dir gefällt was vor dir steht«, lacht Sam stichelnd. Als sie sich allerdings die Frechheit herausnimmt und ihre Hand auf Neves Po legt, vergisst diese fast wer sie ist. Blitzschnell greift sie nach der Hand, dreht das Handgelenk brutal nach außen und zieht Sam gleichzeitig von der Fensterbank.
Mit einem lauten Schmerzensschrei, hockt Sam auf den Knien und blickt Neve von unten herab wütend an. Ihre Augen sind von einem Moment zum anderen so dunkel und hasserfüllt geworden, dass Neve nicht nachvollziehen kann, wie jemand von einer Sekunde zur anderen so schnell und so brutal umschalten kann.
»Du bist tot, das schwöre ich dir!! Du bist tot!!«, brüllt Sam mit dieser, zu einer Frau nicht passenden Brutalität. Neve ist für ihren Geschmack eindeutig zu weit gegangen.
»Halt die Klappe! Ich lasse mich von dir doch nicht verarschen! Du bist doch selbst für das verantwortlich was du machst. Also mache mich nicht für deine Entscheidungen und die daraus resultierenden Ergebnisse verantwortlich!«, faucht Neve sauer und lässt Sams Handgelenk los. Die hält sich schmerzend die Hand und blickt Neve von unten herab wutentbrannt an.
Langsam steht Sam vom Boden auf und lässt ihre Lehrerin nicht aus den Augen. Sie geht an ihr vorbei, schiebt ihre offenen Haare zur Seite und gibt somit den Blick auf eine Tätowierung im Nacken frei, die aus einer römischen Fünf und einem schwarzen Rottweiler besteht. Dieser sieht mit seinen gefletschten Zähnen äußerst brutal und gefährlich aus.
»Wenn du damit etwas anfangen kannst, würde ich an deiner Stelle in nächster Zeit aufpassen was du machst! Ansonsten könnte es sein, dass dir zufällig ein kleines Missgeschick passiert!«, raunt sie.
»Du drohst mir?«, lacht Neve unbeeindruckt von dem was ihre Schülerin gesagt hat. Wieso sollte sie sich auch einschüchtern lassen? Sam ist nichts anderes, als einer dieser hoffnungslosen Fälle, die in der heutigen Zeit verzweifelt versuchen Aufmerksamkeit zu erlangen. Egal, was es am Ende kostet.
»Ich warne dich! Niemand, wirklich niemand geht so mit mir um, ohne dafür die Quittung zu bekommen!« Sam öffnet die Tür zum Schulflur und dreht sich zu Neve um.
»Ich würde verdammt vorsichtig sein, Sam. Du hast nämlich nicht die geringste Ahnung wen du vor dir hast«, entgegnet ihr Neve, als sie neben ihr an der Tür steht.
»Du weißt nicht wer ich bin, stimmt´s?«, lacht Sam.
Neve macht einen Schritt an sie heran, ganz darauf bedacht ihr nicht zu nahe zu kommen. Ein geheimnisvolles Schmunzeln umgibt ihre zierlichen Lippen.
»Dafür, dass du zu den Five Dogs gehörst, hältst du dich aber ganz schön zurück mit deiner Brutalität, für die ihr ja so bekannt seid«, spricht sie leise. Offensichtlich will sie niemanden hören lassen, dass sie wirklich etwas mit dieser Tätowierung anfangen kann.
»Du kennst uns? Kompliment«, lächelt Sam erstaunt, wird dann aber wieder frech.
»Wenn du uns kennst, woher nimmst du dir dann den Mut, so mit mir umzugehen?«
»Ich habe dir schon in der Klasse gesagt, dass du für mich nur eine pubertierende Göre bist. Daran ändert auch deine Tätowierung nichts, mit der du meinst, etwas beweisen zu wollen.«
Mit einem Stoß gegen die Schulter, schubst Neve ihre Schülerin in den mittlerweile gefüllten Schulflur. Sie will dieses Theater endlich beenden.
Kaum hat Sam ihr Gleichgewicht wieder gefunden, dreht sie sich blitzschnell um, baut sich vor Neve auf und blickt ihr direkt in die Augen. Bei dieser schnellen Drehung weht der Duft eines Männerparfüms in Neves Nase. Ungewollt prescht eine Gänsehaut über ihren Körper. Sie hat das Gefühl knallrot zu werden. Ihre Wangen werden heiß. Sicherlich gleicht sie in diesem Augenblick einem frisch gekochten Hummer. Die Haut kribbelt vor lauter Aufregung.
Erschrocken über diese körperliche Reaktion, blickt Neve flüchtig an Sam vorbei. Noch nie hatte ein Parfüm solch eine Wirkung auf sie.
Sam, die gerade mal fünf Zentimeter kleiner ist, als Neve, sieht die rötliche Farbe auf der zarten Hautihrer Lehrerin und lächelt verschmitzt. Arrogant spricht sie sich dieses Ergebnis selbst zu. Langsam hebt sie einen Arm und will Neve erneut ihre Hand in den Nacken schieben, als diese ihren Arm brutal festhält. Sie will sich kein weiteres Mal von ihr berühren lassen.
Etwas überrascht, blickt Sam auf Neves Hand. Ein Lächeln brennt sich auf ihren Lippen fest. Blitzschnell greift sie nach Neves Ärmel und zieht ihn herunter. Als sie die Gänsehaut auf dem Arm sieht, blickt sie Neve in die Augen. Mit einem Ruck reißt sie sich von ihrer Hand.
»Danke für das Kompliment. Ich weiß, dass ich verdammt gut rieche«, grinst sie unverschämt, greift ihr in den Nacken und zieht sie an sich. Es fehlen nur Millimeter die sich ihre Lippen voneinander trennen. Es vergehen nur zwei Sekunden, in denen Neve einen völligen Black Out hat und überhaupt nicht auf diese Situation reagiert. Sam beobachtet sie ganz genau. Sie sieht den erschrockenen Gesichtsausdruck. Sie spürt Neves Atem auf ihren Lippen. Ein selbstgerechtes Grinsen festigt sich auf ihrem Gesicht. Sie weiß, dass sie Neve mit dieser unvollendeten Berührung durcheinander bringt.
Erschrocken darüber, dass sie für zwei Sekunden unfähig war zu reagieren, will sich Neve von Sams Hand reißen, als diese sie von alleine loslässt. Kokett dreht sie sich um. Mit purer Absicht peitscht sie ihre Haare provokant in Neves Gesicht, um sie erneut ihr Parfüm einatmen zu lassen.
»Bis morgen Ms. Stewart und immer schön sauber bleiben!«, lacht Sam. Sie verlässt die Toilette und liest auf dem Weg zum Ausgang, Laura auf.
Auf dem Weg zu ihrem Wagen, muss Neve an Sams Pick Up vorbei. Argwöhnischen wirft sie einen Blick auf dieses schwarze Monster. Sie fragt sich, wie so ein junges Mädel an so einen Wagen kommt, beantwortet sich die Frage aber selbst, weil sie weiß, in welcher Gang Sam ist. Von daher tauscht sie die Auto-Frage gegen die, weshalb Sam bei den Five Dogs ist und wie sie da hineingekommen ist.
Mit diesen Gedanken beschäftigt, nimmt sie im letzten Moment einen aufheulenden Motor wahr. Sams Chevy macht plötzlich einen kleinen Satz nach vorne und bremst mit der Stoßstange direkt vor ihren Beinen ab. Reflexartig macht Neve einen großen Sprung zur Seite. Wütend blickt sie zur Windschutzscheibe des Chevy. Laura kann sich vor Lachen kaum halten. Sam schmunzelt leicht. Sie schiebt eine schwarze Sonnenbrille etwas die Nase herunter, schaut Neve über den Rand direkt an und grinst unverschämt.
»Bleiben Sie mir treu, Ms. Stewart«, trällert sie durch das offene Fahrerfenster. Demonstrativ gibt sie Gas. Neve springt zur Seite und blickt dem Chevy wütend hinterher. Mit quietschenden Reifen fährt der Wagen vom Parkplatz und macht seinen Pferdestärken alle Ehre.
Gegen späten Nachmittag fährt Neve zu ihrem Hauptjob und durchquert dabei mehrere Straßen, bei denen sie aus beruflichen Gründen weiß, dass dieses Viertel den Five Dogs gehört. Zu wissen, dass eine junge pubertierende Göre zu dieser Gang gehört und dieses Viertel praktisch mit ihrem Leben verteidigt, wird Neve für einen kurzen Moment anders. Sie weiß selbst, dass nur die Mutigsten und Härtesten auf diesen Straßen überleben können. Aber auch so ein junges Ding wie Sam?
Hektisch blickt sie sich um und sieht Sams Pick Up am Straßenrand parken. Ihre Aufmerksamkeit fällt auf einen Basketballplatz, der mit einigen jungen Leuten gefüllt ist.
Neugierig parkt Neve ihren Wagen hinter dem Chevy und wirft ihre Augen zum Platz. Schon nach wenigen Momenten macht sie Sam ausfindig. Sie sitzt auf einer mit Graffiti übersäten Bank und lässt sich von Laura einen Zopf flechten.
Wenige Augenblicke später ist sie fertig. Erstaunt zieht Neve eine Augenbraue hoch. Laura schiebt von hinten ihre Hand in Sams Top und danach in ihren BH. Regungslos lässt sich Sam das gefallen. Laura beugt sich etwas herunter, flüstert ihr etwas ins Ohr und greift dann nach einer ihrer Hände. Bestimmend zieht sie ihre Freundin von der Bank und schleift sie hinter sich her, bis beide an einem Baum ankommen.
Als Neve beobachtet, dass Laura sie küsst, weiten sich ihre Augen. Ihr Blick haftet sich an die beiden Frauen, die in ihren Handlungen stürmischer werden. Neve weiß worauf das hinausläuft. Sie schluckt schwer.
Erschrocken über diesen Anblick, beobachtet sie, wie Lauras Hände unter Sams Top wandern und deren Brüste massieren. Hektisch fummelt Sam an Lauras Hose herum. Fast zerreißt sie den Reißverschluss.
»Verdammt, sucht euch ein Zimmer«, schimpft Neve.
Sams Hand verschwindet in Lauras Hose. An der Reaktion der jungen Frau, weiß Neve, was Sam dort sucht und erfolgreich fündig wird.
Plötzlich schreckt Neve in ihrem Sitz hoch, als sie sehen kann, wie drei junge Typen den Platz verlassen und direkt auf ihren Wagen zusteuern. Ohne sich anmerken zu lassen, dass sie den Platz beobachtet, greift sie hektisch nach ihrem Handy. Planlos tippt sie darauf herum, nur um für die Jungs beschäftigt genug auszusehen.
»Tja, da haben Frauen es echt leichter«, lacht einer der Typen. Aus dem Augenwinkel kann Neve sehen, dass ein anderer den Kopf schüttelt, als die drei an ihrem Wagen vorbeilaufen.
»Ist ja auch kein Wunder, dass Sam auf Frauen steht. Nachdem Leon und Jonathan sie damals vergewaltigt haben, kann ich es schon verstehen, dass sie nie wieder einen Typen an sich ranlässt«, murmelt einer der Typen. Neves Augen weiten sich geschockt. Vergewaltigt? Sam wurde vergewaltigt??
»Wenn wir damals gewusst hätten was die beiden vorhatten, wäre das mit Sicherheit nicht passiert«, verstummen langsam die Stimmen der jungen Kerle, als sie sich immer weiter von Neves Wagen entfernen.
Geschockt sitzt Neve erstarrt auf dem Ledersitz. Fassungslos blickt sie mit großen Augen auf das Handydisplay. Vergewaltigt!! Vergewaltigt!! Vergewaltigt!! Immer wieder schießt dieses eine Wort durch ihren Kopf. Sie hatte schon oft genug mit diesem Thema zu tun. Aber nun zu wissen, dass eine Schülerin von ihr, dass Sam, ebenfalls vergewaltigt wurde, bringt sie völlig aus der Fassung. Wie muss sie gelitten haben? Dabei und danach? Wie muss sie sich gefühlt haben, als die Männer sie wie ein Stück Vieh behandelt haben und einer nach dem anderen über sie hergefallen ist? Wie hat sie das alles verarbeitet? Hat sie diese Dreckskerle angezeigt? Wie zum Teufel konnte das nur passieren?
Die Antwort liegt eigentlich klar auf der Hand. Sam ist in einer Gang! In der falschen Gang! Da nimmt keine andere Gang Rücksicht drauf, sondern nimmt sich das, was man kriegen kann. Und wenn es gegen den Willen einer Frau ist. Egal! Es wird sich einfach genommen und damit basta!
Noch immer in den schockierenden Gedanken steckend, blickt Neve mit mattem Blick auf den Basketballplatz und ist über sich selbst überrascht. Denn dort ist ein Spiel schon voll im Gange. Wie lange muss sie in ihren Gedanken versunken gewesen sein, dass sie das nicht mitbekommen hat?
Ihr ist es eigentlich egal, denn der Tatsache, dass so ein junges Mädchen vergewaltigt wurde, gebührt unendlich viel Zeit.
Neve wandert mit ihrem Blick über den Platz und verfolgt das Spiel, bei dem sie erstaunt feststellen muss, dass Sam richtig gut ist. Sie spielt absolut präzise und in keinster Weise wahllos. Sie scheint ihre Schritte vorher genau zu überlegen, bevor sie ihren Körper bewegt. Alles ist bis ins kleinste Detail bedacht. Auch der Sprung und Wurf zum Korb, ist exakt geplant. Dass aber ein junger Mann von der gegnerischen Mannschaft, ebenfalls hochspringt und sie im Sprung direkt vor dem Korb so heftig anrempelt, dass sie wie ein Sack Kartoffeln auf den Beton prallt, war mit Sicherheit nicht von ihr geplant.
Aber anstatt sich vor Schmerzen auf dem Boden zu winden, ist Sam sofort wieder auf den Beinen. Lautstark brüllend geht sie sofort auf den Typen los. Blitzschnell herrscht eine brennende Stimmung auf dem Platz, die Neve bis zu ihrem Wagen spüren kann. Kopfschüttelnd, weil sie nicht fassen kann, dass Sam so unglaublich aggressiv ist, sieht sie mit an, wie sie einem ihrer Kollegen den Ball aus den Händen reißt und dem Typen mit einem brüllenden Kommentar direkt in den Magen schmettert.
Das Spiel geht weiter. Neve weiß, dass Sam diese Aktion in keinster Weise ungesühnt auf sich sitzen lassen wird. Ihre Rache stellt sie unter Beweis, als der gegnerische Typ zum Korb hochspringt und den Ball versenken will. Sam springt ebenfalls hoch. Bevor der Kerl den Ball aber zum Korb bewegen kann, holt sie mit einem Arm aus und schmettert ihren Ellenbogen direkt in das Gesicht ihres Gegners. Dieser knallt gleich darauf mit einer blutenden Nase auf den Boden. Sam reißt ihre Arme hoch. Sie deutet somit an, dass sie keinerlei Schuld an seinem kleinen Unfall hat. Und doch verrät ihr boshaftes Grinsen alles. Sie beugt sich zu dem Typen herunter, holt mit einer Faust aus und schlägt ihm diese mitten ins Gesicht. Fast wie eine Verrückte, rast ihre steinerne Faust immer wieder auf den jungen Kerl. Sams Kollegen und Laura stehen neben ihr. Amüsiert beobachten sie dieses kleine Spektakel. Noch nicht einmal die Kollegen von diesem Spinner kommen ihm zur Hilfe. Sie stehen regungslos daneben und sehen zu, wie Sam ihm ein neues Gesicht verpasst.
Kein Wunder, dass Sam bei den Five Dogs ist. Wer wegen eines unfairen Basketballspiels so dermaßen ausrastet, hat nichts in einer anderen Gang verloren. Denn dafür sind die Five Dogs bekannt. Auch wenn Neve sich bisher noch nicht so dermaßen mit dieser Bande beschäftigt hat, weiß sie, dass die Five Dogs unglaublich brutal, aggressiv und unberechenbar sind. In dem einen Moment lächeln sie einem vertraut ins Gesicht, aber man muss sich nicht einmal umdrehen, um gleich darauf eben dieses Gesicht von einer Kugel zerfetzt zu bekommen. Denn das ist ihnen vollkommen egal.
Es gehen auch viele Morde auf deren Konto. Bei dem Gedanken, dass Sam eventuell auch schon einen Menschen getötet haben könnte, läuft Neve ein eiskalter Schauer über den Rücken.
Irgendwie ängstlich, weil Neve diesen Gedanken in ihrem Kopf nicht weiter reifen lassen will, dreht sie den Zündschlüssel ihres Wagens. Sie nimmt den Blick von dieser Brutalität ab, die Sam an den Tag legt. Sie weiß, dass nicht mehr viel von dem Gesicht des Typen übrig bleiben wird.
Im Stadtteil Soma angekommen, biegt sie in die Bryant Street und hält vor dem San Francisco Police Department. Schwer atmend, weil sie das Gefühl hat, dass Zementblöcke an ihrem Körper hängen, steigt sie aus und hievt sich die wenigen Stufen zur Eingangstür hoch. Die Bilder von Sam brennen noch immer in ihrem Kopf. Sie bemerkt zuerst gar nicht, dass ein Polizist das Department verlässt, sie nickend anlächelt und eine Hand auffallend weit ausstreckt. Neve blickt kurz darauf und schlägt dann ohne Worte ein.
»Viel Spaß heute«, lächelt der Polizist. Neve nickt nur und betritt das Department. Direkt nach der Eingangstür befindet sich auf der linken Seite ein großer Tresen. An der gegenüberliegenden Wand steht eine Reihe von Stühlen, die wie jeden Tag bis zum erbrechen überfüllt sind. Landstreicher, Penner, Prostituierte, Drogenhändler, Geschäftsleute. Hier tummelt sich täglich alles was auf zwei Beinen läuft und auch nur annähernd Dreck am Stecken hat.
Neve klopft einmal auf den Tresen, betritt den hinteren Teil des Departments und lässt sich wie ein Sack auf einen Stuhl an einem der vielen Schreibtische fallen. Sie zerfließt regelrecht in dem Stuhl. Schnaufend legt sie den Kopf in den Nacken.
»Na du, wie war dein Tag bis jetzt?«, fragt eine Männerstimme. Neve hebt den Kopf und blickt in das recht junge Gesicht ihres Kollegen, der sie erwartungsvoll anschaut. Er versteckt dabei das halbe Gesicht hinter einer Kaffeetasse.
»Ist noch was da?«, fragt Neve, ohne die gestellte Frage des Mannes beantwortet zu haben und macht eine Kinnbewegung auf die Tasse.
»Klar, wenn du auf die Suppe von heute Morgen stehst.« Leicht angewidert, rümpft Neve die Nase, hievt sich aber trotzdem aus dem Stuhl und kommt zwei Minuten später zum Tisch zurück, um erneut in den Stuhl zu versinken. Sie trinkt einen großen Schluck Kaffee und schüttelt sich angewidert.
»Schönen Dank auch«, murmelt sie angeekelt.
»Ich vergesse doch immer wieder wie anstrengend so eine Schule sein kann. Zwei Stunden Unterricht ist schlimmer als eine Zwölf-Stunden-Schicht«, flucht sie. Aus einer geöffneten Schublade holt sie eine Waffe und das dazugehörige Waffenholster heraus, befestigt alles mit schnellen Griffen an ihrer Hose und klemmt sich die Polizeimarke an den vorderen Bund. Sie atmet tief durch und blickt zu ihrem Kollegen.
»Und Jake, was liegt heute an?« Ihr Kollege schüttelt flüchtig den Kopf.
»Nichts Besonderes, nur den Bericht von unserem Fall am Samstag beenden und dann haben wir noch ein Treffen mit J.R.« Neve lehnt sich in den Stuhl zurück und grinst spitzbübisch.
»Ach, versucht der Hahn mal wieder ein Korn zu finden?«, kichert sie frech und trinkt einen weiteren Schluck von diesem misslungenen Experiment, das sich Kaffee schimpft.
Gegen Mitternacht lenkt Jake seinen Wagen aus der Bryan Street unter die Unterführung des James Lick Freeway, der am Ende in die Oakland Bay Bridge mündet. Irgendwie recht gelangweilt folgt Neve ihm mit ihrem Wagen. Ihre Wege werden sich nach diesem Meeting für den heutigen Tag trennen.
Sie steigt aus, geht zu Jake, der gemütlich in seinem Auto sitzen bleibt und klopft an das Fahrerfenster. Gleich nachdem es ein Stück weit geöffnet ist, hält sie ihm eine Hand entgegen.
»Heute bist du dran.« Ohne zu zögern, holt Jake sein Portemonnaie und drückt Neve fünfzig Dollar in die Hand. Währenddessen tastet sie die Gegend mit ihrem Blick ab, bis sie eine flüchtige Kopfbewegung nach vorne macht.
»Da ist er«, murmelt sie, woraufhin Jake zu einem der Stützpfeiler blickt. Dort versteckt sich ein kleiner schmächtiger Mann.
Mit schweren Schritten, weil ihr Akku für heute mehr als leer ist, schleift sich Neve zu ihm. Schon auf dem halben Weg bekommt sie einen Brechreiz, als ihr klar wird welcher Gestank ihr von J.R. gleich entgegenkommen wird. Er ist ein Penner von der Straße, der seine Fühler in sämtliche Richtungen ausgestreckt hat. Und genau aus dem Grund ist er sehr nützlich und hilfreich für die Polizei.
»Was hast du für uns?«, fragt Neve, als sie J.R. mit sicherem Abstand gegenübersteht. Hektisch blickt sich der Mann um. Er schaut sogar völlig nervös zum Beton des Freeway hoch, der über ihren Köpfen rauscht.
»In zwei Tagen treffen sich die Outer Sunsets mit den Five Dogs in der Chestnut Street, nahe dem Jack Early Park, um Waffen gegen Drogen zu tauschen«, berichtet er hektisch. Bei den Worten Five Dogs fängt Neves Herz zu rasen an. Sofort hat sie Sams Gesicht vor Augen. Innerhalb einer Sekunde betet sie, dass sie sie dort nicht antreffen wird. Denn das würde ihr den ganzen Abend vermiesen.
»Weißt du wie viele dabei sein werden?«, fragt Neve, ohne sich die Nervosität, die gerade in ihrem Körper tobt, anmerken zu lassen.
»Ich denke mal, dass es der normale Standard sein wird. Vier von beiden Seiten.« Neve bedankt sich nickend und hält J.R. den fünfzig Dollarschein entgegen. Als er sich diesen schnappen will, zieht sie ihn zurück.
»Was genau weißt du über die Five Dogs?«, fragt sie ohne vorher überlegt zu haben. Nervös dribbelt J.R. von einem Fuß auf den anderen. Hecktisch blickt er sich um.
»Die Five Dogs? Denen möchte ich nachts ohne Panzerschutz nicht begegnen!«
»Das weiß ich selbst. Erzähle mir etwas was ich noch nicht weiß«, flucht Neve.
»Ok.« Noch immer nervös, blickt sich J.R. sich erneut um, als wenn er das Gefühl hätte, dass die Luft mit Wanzen versehen wäre.
»Vom Marina Boulevard bis zum Alemany Boulevard und bis zur Küste, beherrschen die Five Dogs einen großen nördlichen Teil von San Francisco. Ihr Anführer heißt, glaube ich, Matt. Ich denke mal, dass er in zwei Tagen die Übergabe auch selbst führen wird. Solche großen Geschäfte wickelt er gerne eigenhändig ab, weil er in der Hinsicht kaum Vertrauen in die Fähigkeiten seiner Leute hat. Der Einzigen der er das noch zutrauen würde, wäre eine gewisse Sam. Sie ist seine rechte Hand und schon von Jugendbeinen an mit dabei. Die Five Dogs schrecken vor nichts zurück, wenn es darum geht, ihren Teil von Frisco zu schützen. Was aber im Gegensatz zu anderen Gangs von Frisco an den Five Dogs interessant ist, ist die Tatsache, dass sehr viele von ihnen eigentlich ein völlig seriöses Leben führen. Sie gehen tagsüber normalen Jobs nach, bezahlen Rechnungen und Steuern und tauchen erst abends in das Gangleben ein. Und genau das ist das Unberechenbare an ihnen. In der einen Sekunde sitzen sie in ihren Büros und unterhalten sich mit ihren Arbeitskollegen über die neusten Börsenzahlen und in der Mittagspause pusten sie einem das Gehirn weg, wenn ihnen einer von einer anderen Gang über den Weg läuft. Deshalb sind sie so gefürchtet, weil man bei ihnen nie weiß, was in ihren kranken Köpfen abgeht und was als nächstes passiert.« Innerlich schüttelt Neve wütend den Kopf, lässt sich nach außen hin aber nichts anmerken.
»Weißt du ob sie irgendwelche Spielzeuge haben, oder spezialisieren sie sich nur auf Drogen und Waffen?« J.R.s Augen beginnen zu leuchten. Ein kleines Lächeln huscht über seine gerissenen und spröden Lippen.
»Klar spielen die Five Dogs. Sie klauen teure, schnelle oder getunte Autos und verkaufen sie, nachdem sie Friscos Straßen unsicher gemacht haben und illegale Straßenrennen mit den Perlen gefahren sind«, grinst er. Wahrscheinlich sieht er sich gerade hinter dem Steuer eines getunten Hondas sitzen. Aber mit den fünfzig Dollar, die Neve ihm dann doch endlich reicht, wird er nicht weit kommen.
Noch entkräfteter als zuvor, schleift sie sich zu Jake zurück, während J.R. wieder in der Dunkelheit und dem Gestank der Straße verschwindet. Sie berichtet ihrem Kollegen von den neuen Informationen. Die Dinge über die Five Dogs, lässt sie mit Absicht außen vor, weil sie diese nur für sich braucht. Sie muss genau wissen mit wem sie es zu tun hat und wie sie Sam im Zaum halten kann.
»Wollen wir noch auf ein Bier irgendwo hinfahren?«, fragt Jake. Erschöpft schaut Neves ihn an.
»Sorry, aber ich habe noch eine Verabredung. Morgen können wir gerne eine Runde machen. Bis morgen und schlaf später schön«, verabschiedet sie sich von ihm und geht zum Wagen zurück. Der Wind trägt ihr nur ein kurzes »Du auch, bis morgen!« von ihrem Kollegen hinterher.
Gähnend steuert Neve ihren Wagen in die 11th Street und parkt vor dem Cream Club. Lustlos steigt sie aus, betritt den Club und sieht Jessica auch schon an einem der Tische im hinteren Teil sitzen.
»Einen doppelten Espresso und ein Bier bitte«, bestellt sie am Tresen auf dem Weg zum Tisch. Dann lässt sich auf einen der Stühle fallen. Sie blickt zu der farbigen Frau hinüber und lächelt vertraut.
»Hi«, begrüßt sie sie und drückt ihr einen Kuss auf die Wange.
»Du siehst müde aus.« Besorgt streicht Jessica ihrer Freundin über den Kopf.
»War ein langer Tag heute. Ich mache ja im Moment wieder Vertretung in der Schule«, klärt Neve sie auf. Nickend bedankt sich bei der Bedienung, die ihr den rettenden Espresso hinstellt. Ohne zu zögern inhaliert sie diesen.
In dem Moment, in dem sie die kleine Tasse auf den Tisch zurückstellt, fällt plötzlich jemand neben ihnen auf den freien Stuhl. Neve dreht sich um. Für einen Moment bleibt ihr die Luft weg, als Sam sie mit einem allessagenden Blick frech angrinst. Sie zieht eine Augenbraue kokett hoch. Dieser Hohn, der Bände spricht, frisst sich bis in die kleinste Ecke ihres zarten Gesichts.
»Du weißt schon, dass dies hier ein lesbischer Club ist?«, fragt sie spottend und wartet keine Antwort von Neve ab.
»Ich wusste, dass du in denselben Kreisen verkehrst wie ich. Also brauchst du nicht weiter deinen toughen Schein zu wahren, denn dafür ist es jetzt eh zu spät«, lacht Sam unverschämt. Sie blickt zu Jessica, reicht ihr die Hand und stellt sich namentlich vor, was diese ihr etwas überrumpelt gleichmacht. Dann nimmt sie Neves Bierflasche, setzt diese an und trinkt einen großen Schluck.
»Hast du schon mal was von Benehmen, Anstand und Fragen gehört?«, faucht Neve gereizt.
»Natürlich habe ich das. Aber ich dachte mir, dass du sicher nichts dagegen hast, weil du mir eh nichts abschlagen kannst«, grinst Sam frech und zwinkert Neve ebenso zu. Sie blickt flüchtig zu Jessica. Fragend schaut sie Neve an, als sie eine weisende Kopfbewegung zu deren Freundin macht.
»Deine Perle?« Wütend funkelt Neve Sam an und streckt sich in ihrer sitzenden Haltung.
»Ich wüsste nicht was dich das angeht«, antwortet sie fauchend.
»Also nicht«, lacht Sam.
»Sehr schön, dann kann ich ja doch alles von dir für mich beanspruchen. Ich hatte schon für einen kurzen Moment Panik dich teilen zu müssen«, grinst sie noch immer keck und zwinkert Neve gehässig zu.
Als Neve einen passenden Spruch ablassen will, sieht sie im hinteren Teil des Clubs jemanden, bei dem sie weiß, dass sie Sam auf der Stelle wie eine lästige Zecke loswerden kann.
»Ich an deiner Stelle würde lieber zu deiner Perle gehen, denn die vernascht gerade eine andere«, reißt sie Sams Aufmerksamkeit von sich. Sam dreht sich auf dem Stuhl etwas um und sieht, wie Laura im Hals einer anderen Frau herumstochert. Sie fängt zu lachen an und schaut Neve fragend an.
»Du glaubst, dass wir beide zusammen sind?«, lacht sie und schüttelt den Kopf.
»Bestimmt nicht. Wir vögeln zwar oft miteinander, aber ich würde niemals eine Beziehung mit ihr führen. Laura ist gar nicht fähig zu so etwas. Die treibt es mit jeder, die nicht schnell genug auf den Bäumen ist. Ich hingegen, bin da eher etwas monogam eingestellt. Ich halte mich lieber nur an eine Frau«, lächelt Sam und zwinkert Neve erneut zu. Dieses Mal wirkt es aber vertrauensvoller.
Sam schnappt sich erneut ihre Bierflasche und trinkt wieder einen großen Schluck. Als Neve sie dafür anschnauzen will, klingelt Sams Handy. Sie zieht es flink aus der Hose und nimmt das Gespräch mit einem kurzen »Ja?« an. Sie horcht angestrengt. Dann blickt sie auf ihre dicke Sportuhr. Genervt verdreht sie die Augen.
»Heute noch? Kann der sich nicht eine andere aussuchen? Es sind doch genug zur Auswahl da«, grummelt sie wütend. Offensichtlich geschlagen, legt sie den Kopf in den Nacken. Sie springt vom Sessel hoch, läuft zum Tresen und bittet die Bedienung, mit kurzen Handzeichen, um Stift und Papier.
»Ja ja, immer ich. - Wo und wann? - Nein, nicht A.J., ich nehme Laura mit.« Neve beobachtet Sam, wie sie etwas auf das Papier schreibt und das Gespräch mit einem kurzen »Ja ok, ciao.« beendet. Dann dreht sie sich zur Seite, legt zwei Finger an ihre Lippen und pfeift schrill durch den Club.
Wie auf Befehl, reißt sich Laura von der fremden Frau los. Wie ein räudiger Hund läuft sie auf Sam zu, die mit dem Zettel in der Luft herumwedelt. Sie liest sich das Geschriebene durch. Wortlos nickt sie. Gleich danach stehen beide bei Neve und Jessica am Tisch. Laura ist sichtlich sarkastisch erfreut, Neve in dieser Räumlichkeit zu sehen. Ihr Blick wandert dann zu Jessica. Scheinbar beeindruckt, zieht sie die Augenbrauen hoch. Sie hatte schon immer eine Schwäche für farbige Frauen.
Sam reicht Jessica die Hand und verabschiedet sich freundlich von ihr, um dann auch Neve die Hand zu reichen.
»Bis morgen, Ms. Stewart«, verabschiedet sie sich ungewöhnlich freundlich. Geduldig wartet sie, dass Neve ihre gereichte Hand empfängt. Es dauert etwas, bis sie diese tatsächlich entgegennimmt. Allerdings muss sie gleich darauf diese freundliche Geste als großen Fehler abstempeln. Denn anstatt einfach die Hand zu nehmen, beugt sich Sam etwas herunter, dreht Neves Hand vorsichtig und haucht ihr einen Kuss auf den Rücken. Provokant blickt sie ihr dabei direkt in die Augen.
Neve reißt ihre Hand weg und wischt den Handrücken angewidert an der Hose ab, was Sam nur belächelt. Sie nimmt zum dritten Mal die Bierflasche, trinkt, stellt sie auf dem Tisch ab und verlässt mit Laura den Club.
»Wer war das denn?«, fragt Jessica erschlagen und sieht, wie Neve mit einem nachdenklichen Blick und wandernden Augen über den Tisch blickt. Scheinbar in Gedanken vertieft, greift sie nach der Bierflasche. Sie will einen Schluck trinken, als sie die Flasche skeptisch anschaut.
»Ich fasse es nicht, die hat mir das ganze Bier ausgetrunken«, schimpft sie wütend. Mit einem lauten Knall stellt sie die leere Flasche auf den Tisch zurück.
»Wer war das?«, fragt Jessica erneut, erreicht Neve aber noch immer nicht. Sie ist wieder in ihren Gedanken vertieft. Plötzlich springt Neve vom Stuhl hoch und geht an den Tresen.
»Entschuldigen sie bitte!?«, ruft sie die Bedienung zu sich.
»Könnte ich bitte den Block und einen Stift haben, den die junge Frau eben benutzt hat?« Die Bedienung schaut sie etwas verwirrt und fragend an, reicht ihr dann aber doch beides. Sofort beginnt Neve vorsichtig mit dem Stift auf dem Papier herumzustreichen, bis nach und nach die Adresse sichtbar wird, die Sam dort notiert hat. Neve reißt das Papier vom Block ab, dreht sich um und blickt Jessica bittend an.
»Bezahlst du für mich mit? Ich bezahle beim nächsten Mal, versprochen. Ich rufe dich später an und erkläre dir alles«, wirft sie ihrer Freundin entgegen und verlässt fluchtartig den Club.
Mit erhöhtem Tempo fährt sie durch die nächtlichen Straßen, bis sie in der Post Street angekommen ist und die Hausnummer 974 sucht. Schon nach wenigen Minuten ist sie am Ziel angekommen. Sie sieht Sams Chevy vor dem Gebäude stehen. Was zum Teufel läuft hier? Es kommt ihr nicht vor, als würde hier eine Nummer der Five Dogs laufen. Dafür ist die Luft zu sauber. Was suchen Sam und Laura dann also hier?
Um ihre Neugierde zu befriedigen, steigt Neve aus und läuft auf das Gebäude zu. Erwartungsvoll will sie die Tür zu dem Gebäude öffnen, in dem sie Sam und Laura vermutet. Verschlossen. Wie könnte es auch anders sein?
»Verdammt«, flucht sie wütend und rüttelt verzweifelt an der Tür.
»Shit!« Neve geht einige Schritte rückwärts und blickt zum Gebäude hoch. Es sind nur drei Stockwerke. Also kann Sam sich nicht so sehr verstecken, dass Neve sie nicht findet.
Wirr blickt sie sich um. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite befindet sich die Jones Memorial United Methodisten Kirche. Sie läuft zu ihrem Wagen zurück und holt ein Fernglas aus dem Kofferraum. Ohne darüber nachzudenken, läuft sie auf die Kirche zu und verschwindet im Hinterhof. Dort vermutet sie einen Aufgang zum Dach der Kirche.
Nach wenigen Minuten hat sie das Dach über eine Feuerleiter erreicht. Sie hockt sich gegenüber von dem Gebäude in unauffälliger Position und setzt das Fernglas an.
»Wo seid ihr?«, murmelt sie. Systematisch tastet sie das Gebäude mit dem Fernglas ab. Fenster um Fenster bricht sie ohne Genehmigung in die Privatsphäre der Leute ein, die dort wohnen, bis sie ihr Ziel endlich im Fokus hat.
»Hallo Laura«, begrüßt sie flüsternd die junge Dame, die sie im dritten Stock ausfindig macht. Laura steht, mit vor der Brust verschränken Armen, an einer Wand und gleicht einem Bodyguard. Wie witzig das aussieht. So witzig, dass Neve hinter dem Fernglas grinsen muss, die Etage aber weiter abtastet.
»Wo versteckst du dich Sam?«, fragt sie leise. Sie grinst noch immer, bis ihr eine Tür ins Auge sticht. Diese öffnet sich im selben Moment. Sam tritt heraus. Vor Schreck rutscht Neve das Fernglas aus der Hand. Sekundenlang starrt sie geschockt auf das Gebäude, bis sie blind nach dem Fernglas tastet und es wieder ansetzt.
»Oh mein Gott«, flüstert sie hauchend, als sie Sam sieht. Ihr wird erst nach ein paar Sekunden klar, weshalb sich die beiden Schülerinnen hier befinden und Sam, zum Teufel nochmal, nur noch einen BH, Stringtanga und High Heels trägt. Ihr Gesicht ist aufdringlich, aber professionell geschminkt.
Hektisch schwenkt Neve mit dem Glas zum nächsten Fenster auf dieser Etage. Sie sieht einen älteren Mann, der freudestrahlend auf einer Couch sitzt und begeistert nach vorne blickt. Sicherlich hat er Sam direkt im Blickfeld, was Neve ihm gleichmacht. Sie lässt Sam keine Sekunde aus den Augen.
»Tu das nicht Sam! Tu das verdammt noch mal nicht!«, schimpft sie leise mit ihrer Schülerin. Allerdings muss sie unterlegen aufgeben, als Sam die ersten Schritte auf den Mann zumacht.
Ok, langsam! Neve fängt an mit ihrem Gehirn zu arbeiten und stellt folgende Dinge für sich fest. Sam ist Schülerin auf der UC Berkeley Extension Schule, sie ist 21 (wie sie aus dem Klassenbuch entnahm), sie ist bei den Five Dogs (einer der gefährlichsten Gangs von Frisco) und ist offensichtlich eine Stripperin, die zu diesem Auftrag angerufen wurde. Das bedeutet, dass sie bei einer Agentur gemeldet ist und solche Auftritte per Telefonat bekommt.
Neve weiß jetzt schon, dass sie zu Hause das ganze Internet auf den Kopf stellen wird, um herauszufinden, bei welcher Agentur Sam arbeitet.
Doch jetzt konzentriert sie sich wieder auf diesen ungewöhnlichen Anblick. Sie lässt Sam mit ihrem Blick nicht los. Auch nicht, als Sam beginnt zu einer Musik zu tanzen. Neve bedankt sich flüsternd bei Gott, dass sie diese im Moment nicht hören kann.
Sie sieht eine halbe Ewigkeit dabei zu, wie Sam für diesen Mann tanzt, irgendwann den BH auszieht und im Begriff ist, sich direkt vor seinen Augen auch noch von ihrem String zu befreien. Neve will eigentlich gar nicht mehr hinsehen. Aber ihre Polizeiader verbietet es ihr, auch nur eine Information zu verpassen. So muss sie mit ansehen, wie Sam sich mehr als verführerisch zu dem Mann umdreht, ihm ihre Kehrseite zeigt, sich langsam vorbeugt und den String in Zeitlupe herunterzieht. Der Blick des Mannes, ist starr nur auf das Eine gerichtet. Neve kann es in keinster Weise nachvollziehen, weshalb Sam sich das antut. Freiwillig und scheinbar ohne jegliche Scham. Wie kann sie nur?
Auch wenn sie weitermachen will, um ihr Wissen als Polizistin zu erweitern, kann sie den Anblick als Mensch und Frau nicht weiter ertragen. Sie verschwindet vom Kirchendach.
Am nächsten Morgen lässt es sich Neve nicht anmerken, was sie letzte Nacht über Sam herausgefunden hat und dabei auch im Internet fündig geworden ist. Über diese Striptease Agentur und über Sam selbst.
Auch Sam und Laura verlieren kein Wort darüber, dass sie sich in dem Club gesehen haben. Im Gegenteil, gerade Sam verhält sich wie am Tag zuvor. Frech, aufmüpfig, rücksichtlos, unverschämt und im höchsten Grad provokant.
Neve geht dem normalen Unterricht nach und verteilt nach fünf Minuten einen unangemeldeten Test, worüber sich dreiviertel der Klasse beschwert. Sie verteilt Schüler für Schüler die Blätter und setzt sich an den Lehrertisch, um die Schüler zu beobachten.
Schon nach kurzer Zeit sieht sie, wie Sam plötzlich in ihrem Stuhl hochschreckt und starr auf die Blätter blickt. Ihre Gesichtsfarbe verändert sich.Es scheint, als wenn sie jeden Augenblick zusammenbricht. Dann reißt sie den Kopf hoch und starrt zu ihrer Lehrerin. Im ersten Augenblick bemerkt Neve, dass Sam verdammt schnell mit den Aufgaben fertig sein muss, wenn sie jetzt schon auf der letzten Seite angekommen ist. Ihre Mitschüler haben noch nicht einmal die Hälfte erreicht.
Die letzte Seite dieses Tests ist nämlich die Seite, die Sam so zusammenschrecken und ihre Hautfarbe erschreckend blass werden ließ. Denn auf dieser Seite ist Sam abgebildet. SF Exotic Dancersist über dem gedruckten Foto geschrieben, das sie in Dessous-Wäsche zeigt, während ihr die Agentur den Namen Angelique verpasst hat.
Verstört starrt Sam Neve an, die ihren Blick spürt. Selbst auf diese Entfernung schaut sie ihr direkt in die Augen. Jetzt hat sie sie! Jetzt weiß sie, welches Geheimnis Sam mit sich trägt. Auch wenn es ihr scheinbar nichts ausmacht, diesen Job zu machen. Jedoch scheint sie im Moment so beschämt zu sein, dass ihre Mathematiklehrerin das herausgefunden hat, dass sie zuerst den Blickkontakt abreißt und verstört durch die Klasse blickt.
Dann scheint sie sich wieder gefasst zu haben. Erneut blickt sie zu ihren Mitschülern. Sie faltet die Blätter des Tests vollkommen leise zusammen, dreht die Blätter um und hält den Stapel so weit hoch, dass sie sich sicher sein kann, dass es keiner der Schüler bemerkt. Nur Neve erkennt es, denn sie hat den Blickkontakt noch nicht beendet. Somit blickt sie direkt auf das Agenturfoto von Sam, während diese sich selbst hinter den Blättern regelrecht versteckt. In Zeitlupe kommt ihr Gesicht hervor. Provokant grinst sie Neve an. Sofort errötet Neve. Sam hat das erreicht was sie wollte. Neve sieht auf dem Blatt eine Stripteasetänzerin und direkt daneben, das Gesicht dieser Tänzerin, die in einer brutalen Gang Mitglied ist und mit Sicherheit schon einige Menschen auf dem Gewissen hat. Diese zwei Welten prallen in dem Klassenraum brutal aufeinander. Beides hat mit Sam zu tun. Etwas was Neve nicht mit sich vereinbaren kann. Von daher reißt sie sofort den Blickkontakt ab.
Selbstgerecht grinsend legt Sam den Stapel Papiere auf den Tisch zurück, blättert noch einmal alles von vorne bis hinten durch und räumt ihre Sachen zusammen. Sie steht von ihrem Stuhl auf, wirft sich die Tasche auf den Rücken und steuert mit dem Test in der Hand direkt auf Neve zu, die so tut, als wenn sie über irgendwelchen Büchern brüten würde.
Sam tritt an den Lehrerpult und reicht ihr den Test, den Neve aber nicht entgegennimmt. Sie hebt noch nicht einmal den Blick, sondern weist nur mit einer kurzen Handbewegung zum Rand des Pults, wo Sam den Test wortlos hinlegt. Mit einem heftigen Ruck dreht sie sich von ihrer Lehrerin weg, mit dem Effekt, dass schon wieder der Duft von Sams Parfüm in ihre Nase steigt. Nur wage bekommt Neve mit, wie Sam das Klassenzimmer verlässt und die Tür mit einem lauten Knall zuschlägt.
Erleichtert, dass sie aus dieser Situation doch recht glimpflich rausgekommen ist, atmet Neve lautlos aus. Sie beobachtet die restlichen Schüler, die am Ende der Stunde den Test so schnell wie möglich auf ihrem Schreibtisch abladen, nur um diese verdammte Bombe loszuwerden.
Neve packt im leeren Klassenzimmer alles zusammen, als die Tür plötzlich aufgeht. Ganz leise betritt Sam den Raum. Sie schließt die Tür und bleibt dort wie angewurzelt stehen.
»Woher weißt du davon?«, fragt sie ruhig. Es scheint nicht ihre Absicht zu sein, provokant oder frech wirken zu wollen.
»Verfolgst du mich etwa?«, fragt sie noch immer gefasst. Neve spürt, dass sich die Stimmung ändert. Ohne Sam bisher angesehen, oder Notiz von ihr genommen zu haben, zieht sie ihre Tasche vom Pult und steuert auf die Tür zu. Sam hingegen, fängt zu kichern an.
»Du beobachtest mich, stimmt´s? Und weshalb tust du das? Weil du scharf auf mich bist, nicht wahr?«, fragt sie bissig. Provokant stellt sie sich Neve in den Weg.
»Du wolltest mich von dem Augenblick an, als du mich gestern das erste Mal angesehen hast. Wenn es nach dir gegangen wäre, hättest du es am liebsten auf der Ladefläche meines Chevys mit mir getrieben«, grinst Sam herausfordernd.
Neve blickt ihr direkt in die Augen. Sam kann in ihren tobende Wut erkennen. Um ihre Schiene weiterzufahren und Neve für sich zu beanspruchen, hebt sie eine Hand und will ihr sanft über die Wange streichen, als diese ihren Kopf zurückzieht. Sam lächelt nur.
»Keine Panik. Die Agentur ist sehr seriös und achtet darauf, dass alle Regeln eingehalten werden. Ich fasse keinen der Männer an und niemand von denen darf mich anfassen«, kommt sie Neves Gedanken zuvor. Sie lächelt noch immer selbstgerecht. Neve beugt sich etwas zu ihr vor und blickt ihr direkt in die Augen.
»Du und deine Art zu leben, widert mich bis ins Mark an!«, faucht sie leise, greift an Sam vorbei und verlässt aufgebracht, den Klassenraum.
Nach Schulschluss fährt Neve nach Hause, um sich frische Kleidung anzuziehen. Auf dem Weg zum Department hält sie noch an einer Tankstelle. Sie tankt, betritt das kleine Geschäft und steuert auf die Kaltgetränke zu. Sie zieht sich einen Becher Espresso aus dem Kühlregal, weil ihr wegen Sam letzte Nacht mindestens vier Stunden Schlaf fehlen. Diese muss sie irgendwie wieder auffangen.
Als sie in Richtung der Kasse geht, sieht sie, wie zwei junge farbige Männer die Tankstelle betreten. Ohne zu zögern bedrohen sie den Kassierer mit Waffen.
»Noch nicht einmal in Ruhe tanken kann man hier«, flucht Neve leise, geht vor den Broten, die in den Regalen zu einem Pfund verpackt sind, in Deckung und zieht ihre Waffe aus dem Holster. Lautlos schleicht sie zum Anfang des Regals und blinzelt daran vorbei, um die Situation richtig einschätzen zu können. Sie will sich ja nicht selbst in Gefahr bringen. Vorsichtig erhebt sie sich aus ihrem Versteck. Sie behält die beiden Täter genau im Auge, bis sie bei einem von ihnen die Tätowierung der Five Dogs im Nacken erkennen kann. Der andere hat keine. Er wirkt auch recht nervös. Im Gegensatz zu seinem Kollegen, hüpft er unruhig von einem Fuß auf den anderen. Was soll das hier werden? Lehrstunde, oder was? Neve kommt es jedenfalls so vor, als wenn der tätowierte Typ dem deutlich jüngeren beibringt, wie man eine Tankstelle überfällt. Was steht heute auf dem Lehrplan? Überfall auf eine Tankstelle? Super Stundenplan!
Genervt, weil sie alleine schon an diesem verdammten Gedanken verzweifelt, verwirft sie diesen und rückt in ihrer Deckung weiter vor, bis ihre Augen durch die Scheibe zu den Zapfsäulen fallen. Sie muss sich stark zurückhalten, um nicht laut zu fluchen, als sie Sams Chevy vor der Tür stehen sieht. Super, es wird noch besser! Sam chauffiert den Schüler sogar zur Lehrstunde? Perfekt, besser geht es wirklich nicht mehr!
Wütend sieht Neve plötzlich wie die Fahrertür des Pick Up geöffnet wird. Tatsächlich steigt Sam aus. Mit langsamen Schritten geht sie auf Neves Cabrio zu. Sie stützt sich an der Fahrertür ab, blickt in den Wagen hinein und schmettert dann ihre Hände wütend auf die Tür. Sofort legt sie zwei Finger an die Lippen und pfeift ihre Kollegen zu sich. Diese blicken zu ihr. Sam macht nur eine schwenkende Armbewegung, um sie da rauszuholen. Beide reagieren wie auf Befehl. Genau wie Laura letzte Nacht.
Etwas verwirrt über ihre Entscheidung, gehen beide Männer mit leeren Händen aus dem Verkaufsraum und steigen in den Pick Up. Als Sam von der Tankstelle fährt, kann Neve gerade noch erkennen, dass sie wütend über die misslungene Aktion ist. Die beiden Jungs fuchteln hingegen mit ihren Händen wild vor ihrem Gesicht herum. Scheinbar fragen sie Sam, warum sie das so plötzlich abgebrochen hat.
Neve atmet ihre angehaltene Luft aus, senkt den Kopf und wuschelt sich mit einer Hand durch die Haare.
»Ma´am?«, ruft der Verkäufer mit zitternder, aber besorgter Stimme.
»Ma´am, ist alles in Ordnung mit ihnen?« Langsam kommt Neve hinter dem Regal zum Vorschein und atmet tief durch.
»Ja und mit ihnen?« Der Verkäufer nickt. In seinen Augen spiegelt sich noch immer blanke Angst wieder.
Neve kümmert sich noch einige Minuten um den Kassierer, um ihn wieder zu beruhigen. Dann fährt sie zu dem Basketballplatz der Five Dogs, wo sie Laura und Sam gestern beobachtet hat, weil sie Sam dort vermutet. Sie lobt sich selbst und grinst bis zu den Ohren, als sie Sams Pick Up am Straßenrand stehen sieht.
Sie zieht ihre Waffe und die Polizeimarke von der Hose, verstaut beides in dem kleinen Handschuhfach und schließt es ab. Sie steigt aus und geht mit langsamen Schritten zu Sams Wagen, um dort einen flüchtigen Blick in den Innenraum und die Ladefläche zu werfen. Bis auf eine zerdrückte Zigarettenschachtel befindet sich nichts Besonderes oder Verdächtiges dort drinnen. Im Gegenteil, der Wagen ist ungewöhnlich sauber und ordentlich.
Während sie auf den Basketballplatz zugeht, dröhnt ihr immer lauter werdende Hip Hop Musik entgegen. Vorsichtig drängt sie sich durch die dortige versammelte Menschenmenge. Alle Anwesenden tragen die Tätowierung der Five Dogs im Nacken. Als Neve abschätzt, dass sie sich inmitten von ungefähr zwanzig Gangmitgliedern befindet, wird ihr doch etwas mulmig. Sie behält aber die Fassung, bis sie direkt hinter Sam steht. Neve schaut sich einige Sekunden lang das Spektakel an, das der Grund für diesen Menschenauflauf ist.
Direkt in der Mitte wurde ein großer Kreis gebildet in dem vier junge Frauen und vier Männer rhythmisch und typisch für farbige Gangmitglieder zu der laufenden Musik tanzen. Neve spürt plötzlich ein eigenartiges Gefühl das sie umgibt, von dem sie aber nicht genau sagen kann, was es ist. Sie fühlt sich nicht mehr so bedroht zwischen all diesen Leuten, die Spaß daran haben die Tänzer mit rhythmischem Klatschen anzufeuern und gleichzeitig zu begleiten.
Auch Sam feuert die Tänzer an, als sich Neve vorsichtig zu ihr nach vorne beugt und eigentlich was sagen will. Als sie aber Sams Parfüm einatmet, bekommt sie schon wieder diese verdammte Gänsehaut.
Sie reißt sich zusammen und flüstert leise »Hallo Sam.« in ihr Ohr. Genau in dem Moment in dem Sam sich erschrocken umdrehen will, greift Neve nach ihrem rechten Arm, dreht ihn auf den Rücken und hält sie mit diesem typischen Polizeigriff in Schach.
»Was sollte das an der Tankstelle?«, fragt sie fauchend. Von einer Sekunde zur anderen verstummt die Musik. Alle Augen der Anwesenden richten sich auf die beiden Frauen.
»Was meinst du?«, lacht Sam ironisch. Sie versucht erst gar nicht aus dem Griff zu kommen.
»Du weißt ganz genau was ich meine. Du weißt, dass ich da war. Du hast meinen Wagen gesehen.« Konzentriert, um die Situation unter Kontrolle zu behalten, schaut Neve um sich. Ihr ist klar, dass sie vollkommen unterlegen ist, als sich plötzlich vier kräftige Männer vor ihr aufbauen.
»Ich weiß nicht wovon du redest.« Sams lachende Stimme strotzt nur so vor Ironie, weil sie weiß, dass Neve ihr nichts tun wird.
»Ich werde dich im Auge behalten« faucht Neve, lässt Sam los und stößt sie etwas von sich weg.
Sam findet ihr Gleichgewicht schnell wieder und dreht sich um. Wortlos wendet sich Neve von ihr ab, um den Platz zu verlassen, als Sams Hand mit einem klatschenden Lautmitten auf ihrem Arsch landet. Jetzt reicht es!
Blitzschnell dreht sich Neve um, holt mit einer Faust aus und schmettert diese mitten in Sams Gesicht. Ihr ist es egal, ob Sam ihre Schülerin ist oder nicht. Sie ist nicht in der Schule und sie ist auch noch nicht im Dienst. Also ist dieser Schlag eine private Sache, für die sie kaum belangt werden kann.
Sam torkelt zwei Schritte zur Seite, während Neve sie wütend anbrüllt.
»Fass mich auch nur noch ein einziges Mal an und ich schwöre dir, dass ich mich vergesse und dann kann dich auch deine verdammte scheiß Gang nicht schützen!!!«, brüllt sie und bringt Sam mit ihrem Blick um. Diese lächelt Neve daraufhin schelmisch an. Den Fausthieb scheint sie vollkommen ausgeblendet zu haben, denn in ihren Augen spiegelt sich reinste Freude wieder.
Plötzlich setzen die vier Männer hinter Sam sich in Bewegung, um Neve in ihre Bestandteile zu zerreißen. Sam streckt beide Arme weit von sich aus und hält die Männer somit zurück. Neve beobachtet das konzentriert. Sie stellt somit fest, dass Sam offensichtlich wirklich die rechte Hand von diesem Matt ist. Denn es ist schon ungewöhnlich, dass solche vier großen Tiere ohne Worte auf sie hören.
Sam fährt sich mit der Zungenspitze über den Mundwinkel, um das dortige Blut aufzufangen und lächelt Neve freundlich an. Sie legt ihren Kopf schief. Es scheint, als wenn sie Neve studieren würde. Regungslose und stille Sekunden verstreichen, bis Sam noch frecher grinst und sich von Neve abwendet.
»Ich wünsche ihnen noch einen schönen Tag, Mrs. Stewart«, trällert sie fröhlich und verschwindet in der großen Gangtraube.