Читать книгу Losing Game - Valuta Tomas - Страница 7
LEVEL 3
ОглавлениеAm Abend bereitet Neve den Unterricht für den nächsten Tag vor, als es an der Haustür klingelt. Überrascht, wer zu dieser späten Stunde bei ihr klingelt, steht sie vom Bürostuhl auf. Sie ist dankbar für diese kleine Ablenkung. In den letzten Stunden konnte sie sich eh nicht richtig auf das konzentrieren, was für sie alltäglich ist. Sie dachte dauerhaft über Sam nach und hatte ihr verweintes Gesicht vor Augen. Eigentlich müsste sie Sam, für das was sie getan hat, hassen. Aber aus unerfindlichen Gründen spürt sie, dass sie es nicht kann. Sie kann Sam nicht wütend sein und weiß nicht warum. Im Gegenteil, irgendwie hat sie Verständnis und Mitleid mit ihr.
Von ihren verworrenen Gedanken gefangen, öffnet Neve die Tür und verharrt in der Bewegung. Mit einem spöttischen Grinsen steht ihr Sam gegenüber.
»Woher weißt du wo ich wohne?«, faucht sie sofort. Sam reagiert nicht.
»Preston, hm?«, fragt sie stattdessen und blickt auf das Namensschild.
»Gefällt mir sowieso besser als Stewart«, stichelt sie Neve auf den falschen Nachnamen an. Es scheint, als ob die gewohnt rotzfreche Sam vor ihr steht und der Vorfall in der Schule heute Vormittag, nicht passiert wäre.
»Ich habe dich gefragt, woher du weißt wo ich wohne«, giftet Neve weiter. Sam schmunzelt.
»Ich bin ein Five Dog und habe überall meine Quellen. Es hat zwar, wegen deinem falschen Nachnamen, etwas länger gedauert als mir lieb war, aber ich kriege alles irgendwann heraus«, grinst sie bis zu den Ohren und schaut Neve erwartungsvoll an.
»Darf ich reinkommen?«
»Ich wüsste keinen Grund, weshalb ich dich rein bitten sollte«, schimpft Neve aufgebracht. Sie kann nicht glauben, dass es offensichtlich doch recht leicht ist, ihren Wohnsitz herauszubekommen. Hervorragend, diese Information brauchte sie jetzt auch noch.
»Ich wüsste da schon einen guten Grund. Du bist unsterblich in mich verliebt. Am liebsten würdest du mich jetzt an Ort und Stelle flachlegen, nur weil du es nicht mehr aushältst«, grinst Sam frech. Mit einem heftigen Schwung schlägt Neve ihr die Tür vor der Nase zu.
Kochend vor Wut und mit bebendem Herzen, steht Neve an der geschlossenen Tür. Sie kann nicht glauben was da eben abgelaufen ist. Dieses Miststück bildet sich verdammt viel auf sich ein. Aber wenn Neve ehrlich zu sich ist……
Vorsichtig schiebt sie eine Gardine zur Seite und sieht, dass Sam geschlagen in ihren Wagen einsteigt. Sie hat die geschlossene Tür als eindeutige Antwort verstanden und respektiert diese Entscheidung. In Neve verhärtet sich die Gewissheit, dass Sam, tief in ihrer Seele, nicht so ist, wie sie sich nach außen hin gibt.
Enttäuscht dreht Sam den Zündschlüssel, genießt wie immer das kraftvolle Grollen des Wagens und blickt noch einmal zur Haustür. Diese steht plötzlich weit offen. Das Licht des Hauses scheint über den kleinen Gehweg. Sam zieht erfreut eine Augenbraue hoch, stellt den Wagen aus und nimmt diese offenkundige Einladung an.
Leise betritt sie das Haus. Sie erwartet, Neve irgendwo zu sehen. Aber sie scheint vom Erdboden verschluckt worden zu sein. Vorsichtig schließt sie die Haustür.
»Du kannst einen Kaffee haben und dann verschwindest du wieder, verstanden?«, faucht Neve, als sie hinter sich hört, dass Sam die Küche betritt. Es kommt nur ein kurzes »Danke!« von ihr, dann wird es still im Raum. Neve tut sich schwer, so zu tun, als würde sie sich darauf konzentrieren, den Kaffee aufzusetzen.
»Darf ich ehrlich sein?«, fragt Sam zurückhaltend. Neve weiß nicht auf was das hinauslaufen soll, nickt aber dennoch.
»Du hast dein Haus zwar schön eingerichtet, aber wer diese Mauern gebaut hat, war entweder eine absolute Niete, oder high.« Mit fragendem Blick, dreht sich Neve zu Sam um. Unaufgefordert setzt sich Sam an den Küchentisch und zückt Stift und Papier.
Neve tritt näher an sie heran. Nach ein paar Sekunden sieht sie, wie Sam, flink aber unglaubliche präzise den Grundriss ihres gesamten Hauses auf dieses kleine Stück Papier zaubert. Sie schreibt in jedes gemalte Kästchen die Bezeichnungen der einzelnen Räume und blickt zu Neve hoch. Sie spürt ihren wütenden Blick im Nacken.
»Ich habe mir erlaubt, auf dem Weg hierher, ein Blick in jedes Zimmer zu werfen«, schmunzelt sie unsicher. Sie tippt auf einen Raum, der sich direkt neben der Haustür befindet. Dort steht Esszimmer.
»Ich verwette meinen Arsch, dass du diesen Raum schon lange nicht mehr betreten hast und der Esszimmertisch schon an Altersschwäche zusammenbricht, weil er nichts mehr zu tun hat.« Fragend blickt sie zu Neve hoch, die wegen dieser Aussage nur nicken kann. Das stimmt, aber woher…?
Sam tippt mit dem Bleistift auf das Kästchen der Küche und dann wieder auf das Esszimmer. Die beiden Kästchen wirken auf dem Blatt, als wenn beide Räume eine Ewigkeit voneinander entfernt wären.
»Ich hätte ehrlich gesagt auch keinen Bock, ständig das Geschirr einen halben Kilometer durch das Haus hin und herzutragen, nur um im Esszimmer zu essen. Deswegen hast du dir auch den Tisch hier reingestellt, richtig?« Erneut nickt Neve.
»Ich verwette auch ich meinen Arsch, dass du alle zwei Wochen die Wäsche vom Gästezimmer und Schlafzimmer wäschst, obwohl gerade im Gästezimmer nicht wirklich viel los ist, oder?« Ein weiteres nüchternes Nicken von Neve.
»Ehrlich gesagt, möchte ich auch nicht in den Gerüchen von Hühnchen und Steak schlafen müssen«, erklärt sich Sam und stupst mit dem Bleistift zwischen Gästezimmer, Schlafzimmer und Küche hin und her.
»Und wenn ich abends fernsehen will, habe ich keinen Bock darauf, das Gejohle von irgendwelchen Gästen zu hören, die unter der Dusche meinen, der nächste bestbezahlte Tenor zu werden.« Sie führt den Stift vom Badezimmer zum Wohnzimmer. Beide Räume liegen direkt nebeneinander. Sam blickt wieder zu Neve hoch und lehnt sich bequem in den Stuhl zurück. Stirnrunzelnd schaut Neve auf das Blatt und muss dieser pubertierenden Göre tatsächlich rechtgeben. Auf dem Blatt sieht es absolut chaotisch aus.
Sam greift nach dem Blatt, dreht es um und zeichnet die Grundmauern des Hauses nochmals auf.
»Ich hätte es stattdessen so gemacht.« Flink malt sie ein paar Striche auf das Papier und beginnt nebenbei alles zu erklären.
»Schlafzimmer und Gästezimmer an die Hausfront, weil dort die Sonne aufgeht, danach das Wohnzimmer. Das Esszimmer kannst du getrost unterteilen und auch noch ein Büro mit einsetzen. Von der Küche aus, würde ich ein großes Loch in die Wand zum Esszimmer reißen. Somit hättest du mehrere Fliegen mit einer Klappe geschlagen. Du hast wegen dem fehlenden Tisch mehr Platz in der Küche und du brauchst das Geschirr nicht immer hin und herschleppen, weil du es durch das Loch reichst. Du kannst daraus auch noch einen schönen Tresen machen. Auf beiden Seiten je zwei Hocker und fertig. Das Bad kommt in den hinteren Teil des Hauses und alles ist tutti«, erklärt Sam ihre Vorstellung von dem Haus. Sie sieht ein ratloses Gesicht von Neve, die diesen Plan in ihrem Kopf durcharbeitet. Neve zeigt auf die Wand hinter Sam und schüttelt den Kopf.
»Da kann man kein Loch rein reißen, das…«.
»Keine Panik, das ist keine tragende Wand«, erklärt Sam kurz. Demonstrativ haut sie mit dem Ellenbogen gegen die Wand. Ein hohles Geräusch erklingt. Erstaunt schaut Neve Sam an.
»Wieso hast du so viel Ahnung davon?«, stellt sie eine berechtigte Frage. Sam schnappt sich das Stück Papier, quetscht es zu einem kleinen Ball zusammen und zuckt beiläufig mit den Schultern.
»Sagen wir es mal so, ich habe ein klein wenig Interesse an der Architektur. Aber dein Haus ist echt der schlimmste Albtraum den ich je gesehen habe«, grinst sie schelmisch. Erwartungsvoll blickt sie zur Kaffeemaschine.
»Darf ich mich bedienen?«, fragt sie vorsichtig. Neve antwortet lediglich mit einem Nicken.
Sam steht auf und öffnet mehrere Küchenschränke. Gleich darauf folgt ein kurzes Kichern.
»Wieso schreiben die Leute eigentlich immer Kaffee auf die Dose, wenn sie diejenigen sind, die den Inhalt dort eingefüllt haben?«
»Vielleicht, um solch neugierigen Menschen wie dir, die Suche zu erleichtern«, murmelt Neve. Sie faltet das Blatt Papier wieder auseinander und betrachtet die Zeichnungen genauer.
In die Zimmeraufteilung vertieft, erschrickt sie, als Sams Arm von hinten an ihr vorbeirauscht. Neve blickt in die Kaffetasse und dann zu Sam hoch.
»Woher weißt du…?« Sam unterbricht sie und zuckt mit den Schultern.
»Keine Ahnung, ich habe geraten, dass du ihn gerne schwarz trinkst«, murmelt sie in ihre Tasse hinein, trinkt einen Schluck und bleibt seitlich hinter Neve stehen.
»Darf ich?«, fragt sie kleinlaut.
»Was?« Sam zupft kurz an Neves Blusenkragen und deutet somit auf das Ergebnis von letzter Nacht hin. Neve dreht sich zu ihr um und grinst fies.
»Masochistisch veranlagt, wie?«, lacht sie schon fast krankhaft. Sam zuckt stumm mit den Schultern. Neve dreht sich wieder zu der Zeichnung um und murmelt »Wenn es dir danach besser geht.«
Zaghaft zieht Sam den Kragen etwas zurück und blickt auf den Rücken. Dieser ist im Schulterbereich tiefblau verfärbt. Die Umrisse der Kugeln, die dort auf ihren Körper prallten, sind erschreckend gut zu erkennen. Sam pustet laut aus und schluckt.
»Schmerzt es sehr?«, haucht sie beschämt. Achtlos nuschelt Neve ein »Ich bin hart im Nehmen!« und spürt, dass Sam den Kragen an die alte Position zurücklegt. Schweigend geht sie mit ihrem Kaffee zur Arbeitsplatte. Eine drückende Stille kehrt zwischen beide Frauen ein.
»Bist du direkt nach der Schule zur Polizei gegangen?«, fragt Sam plötzlich leise, worauf Neve nur mit einem Nicken reagiert. Sie scheint die Frage nicht wirklich zu überraschen.
»Ist es das was du willst? Ich meine, wofür du lebst und jeden Tag aufstehst?« Wieder nickt Neve, stellt die Tasse auf den Tisch und legt das Papier zur Seite.
»Und genau aus diesem Grund, solltest du jetzt besser gehen.« Anstatt zu fragen weshalb, sieht Neve, dass Sam ihren Kaffee mit einem Zug leert und die Tasse in das Spülbecken stellt. Neve verfolgt Sams Handlungen und muss plötzlich an ihren Chevy denken. Wie ordentlich und sauber der Wagen war, als sie kurz hineingeblickt hat. Und jetzt stellt Sam wie selbstverständlich die Tasse ins Spülbecken, nur um Ordnung zu halten. Welche unterschiedlichen Verhaltensweisen bei einem einzigen Menschen aufeinanderprallen, ist unglaublich.
Neve begleitet Sam zur Haustür. Sie dreht sich zu Neve um und schaut sie bittend und bettelnd an.
»Darf ich mir noch einen Kuss von dir klauen? Nur einen, ohne irgendwelche Hintergedanken, Hoffnungen oder Verpflichtungen. Ich werde meine dämlichen Sprüche auch sein lassen«, lächelt sie verschmitzt. Neve weiß nicht was sie dazu sagen soll.
Sie denkt auch nicht darüber nach, als sie Sam an die Hand nimmt, vorsichtig an sich zieht und für einen winzigen Augenblick verharrt. Neve überlegt für diesen kurzen Moment, ob diese Handlung wirklich richtig ist. Auch wenn es falsch wäre, küsst sie Sam zaghaft und zurückhaltend. In keinster Weise tauschen die beiden diesen intimen Moment stürmisch miteinander aus. Nichts wiederholt sich von dem, was sie vorletzte Nacht in dem Club veranstaltet haben. Es scheint, als wenn sie zwei schüchterne Teenager wären, die das erste Mal in ihrem Leben feststellen, wie wunderschön der Mund eines anderen Menschen sein kann.
Als Sam spürt, dass ausgerechnet dieser sanfte Kuss sie bis ins Mark erregt, reißt sie sich von Neve los. Hilflos und laut schnaufend, blickt sie verschämt durch die Nacht.
»'Tschuldigung!«, pustet sie schwer.
»Bis morgen, schlaf schön und danke.« Neve ist überrascht, dass Sam sich wirklich an ihre eigene Abmachung hält und sich sogar für den Kuss bedankt. Verdammt, muss sie denn unbedingt so jung und dann auch noch kriminell sein?
Sam dreht sich um und steuert auf ihren Wagen zu. Als Neve die Tür schließen will, klingelt plötzlich ein Handy. Wie auf Befehl bleibt Sam stehen, greift in die Hose, zieht ihr Handy heraus und meldet sich mit einem kurzen »Ja A.J.?« Neve sieht, wie Sam dem Gesprächspartner zuhört, nickt und dann auflegt. Sie blickt auf das Handy, senkt den Kopf und dreht sich zu Neve um.
»Ähm, Matt unser sogenannter Ober-Guru…,«. Bei dem Wort muss Neve kurz schmunzeln. Sam lächelt verschmitzt.
»war jetzt einige Tage nicht da und ist eben wiedergekommen. Er gibt eine Party.«
»Und?«, fragt Neve trocken.
»Ich gehe da jetzt hin und wollte dich fragen, ob du vielleicht mit möchtest.« Bei dieser Frage entgleiten Neve sämtliche Gesichtszüge.
»Du verarscht mich jetzt, oder? Ich bin Bulle und glaube, dass ich der letzte Mensch bin, der von euch an so einem Ort gesehen werden will.« Sam lächelt.
»Da hast du zwar recht, aber solange du nicht mit deiner Marke herum wedelst und an meiner Seite bleibst, wird dir nichts passieren. Ich bin Matts rechte Hand. Sollte jemand Zweifel an meiner Begleitung haben, greift diese Person indirekt auch ihn an und das wagt keiner.« Neve schmunzelt.
»Schön zu wissen, dass ausgerechnet du um meine Sicherheit besorgt bist!« Sam zuckt mit den Achseln und spielt nervös mit dem Handy.
»Ich möchte dir einfach zeigen, dass mein Leben nicht nur aus Striptease und Kriminalität besteht. Die Partys von Matt sind immer recht nett. Da sind Waffen und Drogen absolut verboten.«
»Ich bin zwar wahnsinnig neugierig auf dieses Spektakel, aber danke nein. Ich muss den Unterricht für morgen noch vorbereiten und habe somit keine Zeit«, wirft Neve Sams Einladung über Bord. Sam überlegt niederschlagen, schaut Neve dann aber mit funkelnden Augen an.
»Ich mache dir einen Vorschlag. Du kommst mit und schaust dir das für ein oder zwei Stunden an und ich helfe dir danach den Unterricht vorzubereiten. Du hast dann ja schließlich eine Intelligenzbestie dabei«, grinst sie frech. Neve überlegt kurz und blickt dann skeptisch an sich herunter.
»Ein unauffälligeres Outfit kannst du gar nicht tragen«, stichelt Sam. Neve trägt eine weiße Bluse und eine hellblaue Jeans, die an Oberschenkeln und Knien völlig zerrissen ist.
Mit einer flüchtigen Handbewegung, schaltet sie das Licht im Haus aus und folgt Sam zum Wagen. Als sie langsam die Auffahrt hinunterfahren, blickt Neve skeptisch zu ihr herüber.
»Wie kommt jemand wie du, eigentlich an so einen Wagen? Geklaut?« Sam grinst, belässt ihre Konzentration aber beim Straßenverkehr.
»Nein, der Wagen ist ehrlich bezahlt. Fast dreißigtausend Dollar.« Bei dieser Summe werden Neves Augen groß.
»Wie kommst du an so viel Geld? So viel verdiene ich, als Polizistin, noch nicht einmal in einem halben Jahr.«
»Tja, in der heutigen Gesellschaft ist es leider Tatsache, dass man mit Sex, Waffen und Drogen das meiste Geld macht. Da ich in allen dreien meine Finger drin habe, stellt sich das, als geringstes Problem für mich dar!«
Mehrere Kilometer fahren beide stillschweigend durch die Nacht, bis Neve Sam fragt, wie sie zu den Five Dogs gekommen ist.
»Ich glaube, ich bin mit zehn oder so aus dem besagten Heim abgehauen. Wenn man es genau nimmt, bin ich seit diesem Tag bei den Five Dogs. Matt, der damals selbst erst sechzehn oder siebzehn war, hat sich von Anfang an um mich gekümmert. Daher haben wir so ein gutes Verhältnis zueinander. Ich glaube, deswegen wurde ich auch so schnell von allen respektiert.«
»Nimmst du Drogen?« Sam fängt zu lachen an und schüttelt heftig den Kopf.
»Nein, niemals! Ich habe in meinem ganzen Leben nur ein einziges Mal dieses Zeug genommen und da bin ich so dermaßen abgestürzt, dass ich in der Nacht Sex mit einem Kerl hatte.« Auf einmal zuckt Sam und schüttelt sich.
»Das war so widerlich, dass ich mir geschworen habe, nie wieder Drogen anzufassen. Ich möchte einfach die Kontrolle über mich nicht verlieren.« Doch recht überrascht über diese konsequente Art, die Sam sich selbst auferlegt hat, blickt Neve zu ihr herüber. Trotz allem was sie über diese junge Frau weiß, ist und bleibt sie, in ihren Augen, kriminell.
»Du bist jetzt schon so lange bei den Five Dogs, wieso steigst du nicht einfach aus und lässt das alles hinter dir? Wieso machst du den ganzen Mist mit? Du weißt doch ganz genau, was Recht und was Unrecht ist.« Sam blickt aus dem Augenwinkel zu Neve und lächelt schelmisch.
»Genau aus dem Grund, habe ich dir vorhin in der Küche die Frage über deinen Job gestellt. Für dich ist die Polizei alles, für mich sind es die Five Dogs. Ich werde das mit Sicherheit nicht bis ins Rentenalter machen, aber es ist nun mal mein täglich Brot. Ich habe es mir selbst ausgesucht.«
Sam biegt in die Hyde Street ein, fährt am Dolphin Swim & Boat Club vorbei und hält dann vor einer großen Villa, die in dieser Nacht hell beleuchtet ist.
»Da wären wir«, trällert sie stolz und stellt den Wagen aus.
»Dann bin ich ja mal gespannt, was mich da erwartet«, murmelt Neve skeptisch.
Sam läuft um das Auto herum und greift nach Neves Hand. Selbstsicher hält sie diese fest.
»Sorry, ich will die Situation nicht ausnutzen, aber wenn es nach außen hin nicht aussieht, dass du eindeutig zu mir gehörst, lässt A.J. dich nicht rein. Glaube mir, an dem Kerl kommst du nicht so einfach vorbei«, klärt sie Neve auf.
»Das sind ja tolle Aussichten.«
Mit einem flüchtigen Lächeln, belässt Sam das Thema dabei. Voller Vorfreude, zieht sie Neve hinter sich her und betritt den Garten. Plötzlich steht beiden Frauen ein Hüne von Kerl gegenüber. Unauffällig schluckt Neve schwer und versucht sich die Angst, vor diesem farbigen Hulk, nicht anmerken zu lassen.
»Hey A.J.«, begrüßt Sam den Typen vertraut. Als sie mit Neve an ihm vorbei will, hält er plötzlich eine Hand vor Neve. Skeptisch schaut er sie von oben bis unten an, bis Sam an seine Seite tritt.
»Keine Panik, sie ist ok. Sie gehört zu mir.« A.J. blickt kurz zu ihr herüber, lässt dann aber seine Augen an Neve rauf und runter wandern.
»A.J.! Ich habe gesagt, dass sie zu mir gehört!« A.J. mustert Neve noch immer misstrauisch. Genervt greift ihm Sam ans Kinn und dreht sein Gesicht zu sich. In diesem Moment, spürt Neve diese kalte Brutalität, die diese junge Frau umgibt.
»Ich… habe… gesagt… dass sie zu mir gehört!! Hast du das endlich verstanden??«, faucht sie scharf.
»Sie stinkt!«, antwortet A.J. mit erschreckend tiefer Stimme. Er macht keinerlei Anstalten, sich aus Sams Griff zu lösen.
»Was meinst du?«
»Sie stinkt nach Bullen!« Sam fängt zu lachen an und schaut A.J. wütend an.
»Du tickst doch nicht mehr ganz richtig. Du glaubst doch wohl selbst nicht, dass ich einen Bullen mitbringe, oder? Lass dich mal wieder richtig verwöhnen, damit du endlich einen freien Kopf bekommst.« Flüchtig haut Sam diesem farbigen Hulk mitten ins Gesicht. Regungslos lässt er es sich gefallen.
»Also bisher hat mein Deo noch nie versagt«, flüstert Neve leise in Sams Ohr. Ein kurzes Lachen ertönt von ihr, als die beiden hinter dem Haus den Garten betreten. Dieser ist bis auf den letzten Platz mit Menschen gefüllt, die sich wie ein Bienenschwarm um einen Pool versammelt haben.
»Hey Sam, was für eine Perle hast du denn da mitgebracht?«, ruft plötzlich ein junger farbiger Mann aus dem Pool. Sam geht in Richtung des Mannes und zieht Neve hinter sich her. Flüchtig flüstert sie ihr »Matt!« zu und klärt sie somit auf, welchen Stand dieser Mann an diesem Ort hat.
Matt schwimmt an den Beckenrand. Sam kniet sich zu ihm herunter, schlägt in seine Hand ein und begrüßt ihn mit einem lockeren »Hey«.
»Na was ist? Hilf deinem alten Kumpel aus dem Wasser. Ich werde auch nicht jünger«, lacht Matt. Während Sam ihrem Boss dabei behilflich ist, aus dem Pool zu steigen, beobachtet Neve die Leute. Mit dem Blick einer Polizistin, mustert sie die Umgebung, bis ihr Blick an A.J. hängenbleibt. Er schaut sie noch immer skeptisch an.
»Schön, dass du wieder da bist«, freut sich Sam. Matt trocknet sich etwas ab, nimmt sie kurz in seine recht kräftigen Arme und macht eine fragende Kopfbewegung in Neves Richtung.
»Dein Schmuckstück?«. Sam blickt zu Neve und zuckt mit den Schultern.
»Ich würde deine Frage wahnsinnig gerne mit einem Ja beantworten, aber ich glaube, das lasse ich lieber. Ich weiß nämlich, dass Neve mich entweder verprügelt, oder mir gleich den Kopf abreißt.«
»Neve, hm?«, wiederholt Matt. Neve bereitet sich auf eine Begrüßung von ihm vor, aber es kommt nichts. Nur ein flüchtiger Blick.
»Neve und weiter?«, fragt er kühl.
»Stewart«, lügt sie und erwartet erneut eine zivilisierte Begrüßung. Aber auch jetzt passiert nichts. Nüchtern wandert Matt an beiden Frauen vorbei.
»Er könnte auch etwas freundlicher sein«, schimpft Neve.
»Was erwartest du? Wenn er sofort bei jedem freundlich ist, kann er sich gleich ein Strick nehmen«, kontert Sam.
Eine Stunde verbringen die beiden auf der Party. Sam weicht nicht eine Sekunde von Neves Seite und stellt sie allen Leuten vor, die ein Gespräch mit ihr beginnen. Neve beobachtet nach einiger Zeit, dass A.J. zu Matt geht und ihm etwas ins Ohr flüsterte. Daraufhin blickt Matt zu ihr.
Trotz dieser kriminellen Menschenmenge, steigt mit der Zeit mehr und mehr das Gefühl in Neve auf, dass sie sich auf ungewöhnliche Weise in dieser Runde sicher fühlt. Sie spürt, dass alle eine Art der Zusammengehörigkeit ausstrahlen. Es fühlt sich erstaunlich angenehm an. Auf einmal weiß Neve, warum sich Sam hier so wohl fühlt. Auch wenn es eine der gefährlichsten Gangs in San Francisco ist, haben die Gäste an diesem Abend, einfach nur Spaß und lassen ihrer Stimmung freien Lauf.
Als sich einige der Leute zu einer großen Traube sammeln, ahnt Neve, was nun folgt. Wie vor ein paar Tagen, tanzen die jungen Leute in der Mitte einer Traube zur laufenden Musik und werden von allen anderen klatschend begleitet.
Glücklich und wie ein Sonnenstrahl scheinend, beobachtet Sam das tanzende Spektakel. Neve behält ihre Aufmerksamkeit einige Zeit bei der jungen Frau, bis sie Matt auf der anderen Seite der Traube ausmachen kann. Auch er beobachtet die Tänzer, spürt aber schon nach wenigen Sekunden Neves fixierten Blick, der auf ihm lastet. Provokant schaut auch er zu ihr herüber.
Mal sehen, wer von uns zuerst aufgibt, du Weichei!, kichert Neve innerlich und hält dem dauerhaften Blick stand. Erst als Matt nach fast drei Minuten von einem seiner Leute angesprochen wird, nimmt er seinen Blick weg. Neve hat das Gefühl, ein lebensgefährliches Duell gewonnen zu haben. Sie war hart und tapfer und ließ sich nicht eine Sekunde von diesem Macho-Gangster einschüchtern. Sie wies ihn mit ihrem Blick in ihre Schranken und ließ ihn somit wissen, woran er bei ihr ist.
Neve blickt wieder zu Sam. Zu wissen, dass diese junge Frau so unglaublich kriminell ist und doch eine ungewöhnliche Anziehungskraft auf Neve ausübt, bringt sie völlig aus der Fassung. Sie weiß nicht damit umzugehen, weil ihr so etwas bisher noch nie passiert ist.
Fasziniert von dem Anblick der schönen Frau neben sich, beugt sich Neve zu ihr herüber.
»Was ist es, was dich so anziehend für mich macht?«, fragt sie leise. Sam dreht sich zu ihr um und schaut sie mit großen Augen überrascht an.
»Wir sind jetzt seit über einer Stunde auf dieser Party und du hast mich bisher nicht einmal geküsst oder angefasst. Glaubst du, die anderen hier kaufen dir das ab, dass ich zu dir gehöre, wenn du nicht endlich mal etwas dagegen tust?« Aus Sams überraschtem Blick wird ein freches Grinsen.
»Hör sofort auf so selbstgerecht zu grinsen, sonst setzt es was!«, schimpft Neve leise. Das Schmunzeln auf ihren Lippen verrät aber, dass sie es nicht allzu ernst meint.
Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, zieht sie Sam an sich und küsst sie. Zuerst zurückhaltend und zaghaft, dann hungriger. Schlagartig wird Sam in einen Sog der Leidenschaft gezogen. Sie vergräbt ihre Hände in Neves Haaren. Die Stimmung um sich herum bekommt sie irgendwann gar nicht mehr mit. Sie gibt sich Neve voll und ganz hin, bis sich beide voneinander lösen. Um das ganze Schauspiel glaubwürdiger und überzeugender darzustellen, umarmt Neve Sam von hinten und klammert sich wie ein kleines Kind an sie.
Wie ein Junkie, riecht sie an Sams Haaren und atmet ihr Parfüm ein. Im Laufe der letzten Tage, spürte sie, dass es ihr immer schwerer fällt, sich von Sam fernzuhalten. Sie findet allmählich keine andere Möglichkeit mehr, als sich dieser jungen Frau schon fast willenlos hinzugeben.
Vorsichtig schiebt Neve Sams Haare über eine Schulter und beginnt sie sanft am Hals zu küssen. Mit geschlossenen Augen genießt Sam diese Berührung.
»Hey Sam, welcher Vampir beißt dir denn da in den Hals?«, ruft plötzlich eine weibliche Stimme. Sam öffnet die Augen, blickt in die Richtung, wo die Stimme herkam und sieht, wie Matt mit Laura im Arm, auf sie zugehen. Neve blickt ebenfalls zu Laura und ist für einen kleinen Moment über diesen Anblick überrascht. Dennoch registriert sie Lauras verwunderten Blick. Sam grinst ihre Freundin stolz an. Laura erwidert dieses Grinsen, nickt und wirft ihr ein kurzes »Kompliment« entgegen. Sie scheint nicht sonderlich davon überrascht zu sein, ihre Mathematiklehrerin auf dieser Party zu sehen. Hier in der intimsten Atmosphäre der Five Dogs.
Neve beobachtet Sam und Laura einige Sekunden, sieht die Blicke, die die beiden austauschen und dann fällt es ihr wie Schuppen von den Haaren. Bebend vor Wut und zutiefst verletzt, packt sie plötzlich Sams Hand und dreht diese brutal nach außen. Blitzschnell reißt sie Sam zu Boden und drückt ihre Fingernägel in ihr Nagelbett. Sam brüllt vor Schmerz laut auf. Die Party findet ein jähes Ende, als alle Anwesenden Matts engste Vertraute auf dem Boden hocken sehen. Jammernd wie ein Kleinkind. Die Situation verliert an Kontrolle, als Neve ein Bein hebt, unter ihre Jeans greift und aus dem Knöchelholster eine Waffe zieht. Blitzschnell entsichert sie die Pistole und setzt sie Sam direkt auf die Stirn.
»Ich bin nur eine beschissene Wette für dich??«, brüllt sie und funkelt Sam wütend an. Diese hockt gekrümmt auf dem Boden und kann sich aus diesem einfachen, aber schmerzhaften Griff nicht lösen. Als Sams geschockter Blick flüchtig an Neve vorbeihuscht, reagiert diese sofort. Sie nimmt die Waffe von Sams Stirn und richtet sie auf Matt. Bis auf zehn Schritte, hat er sich ihr schon genähert.
»Noch einen Schritt weiter und du bist der Erste, der Bekanntschaft mit meinen Kugeln macht!!«, zischt Neve ihn an. Sofort bleibt Matt stehen. Laura traut sich einen Schritt weiter. Ihr hasserfüllter Blick massakriert Neve.
»Ich bringe dich um, du verdammtes Miststück!!«, faucht sie scharf. Neve grinst Achselzuckend.
»Da musst du dich leider hinten anstellen«, lacht sie und setzt ihre Waffe zurück auf Sams Stirn.
Als Neve sich wieder auf sie konzentrieren will, sieht sie, dass einige kräftige Männer hinter Sam auf sie zugehen. Ihre Blicke sind mit Wut und Hass getränkt.
»Los Sam, beweise wie deine Jungs auf dich hören und pfeife sie zurück!!«, warnt Neve. Sie lässt die Männer nicht einen Augenblick aus den Augen.
»Ich denke nicht dran!!«, knurrt Sam zu ihr hoch. Sie kann nicht fassen, was hier abläuft. Wie konnte sie nur so dämlich sein und Neve wirklich vertrauen?
»Pfeif sie zurück!!«, warnt Neve erneut. Sam gibt keine Reaktion von sich.
»Pfeif sie zurück, sonst können sie dein Gehirn gleich vom Boden kratzen!!!« Sam ist sich der Treue ihrer Jungs sicher und weiß, dass sie ihre Begleitung gleich in Stücke zerreißen werden.
Plötzlich nimmt Neve die Waffe von ihrer Stirn, zielt ein Stück nach links und feuert eine Kugel in den Boden ab. Ein entsetzter Schreckensschrei von Sam, peitscht durch die Nacht. Erneut hält Neve ihr den Lauf an die Stirn.
»PFEIF SIE ZURÜCK!!!!!«, brüllt sie. Sofort streckt Sam den freien Arm aus und hält ihre Jungs zurück. Wie damals auf dem Basketballplatz, bleiben die schweren Männer sofort stehen.
»Sehr schön!«, grinst Neve ruhig. Sie kann spüren, dass Sam vor lauter Hass ihr gegenüber fast platzt. Sie hat ihr so dermaßen vertraut, dass sie sie mit in ihr Leben genommen hat. Und nun hält sie ihr eine beschissene 38´er an den Kopf? Wie konnte sie nur so blind sein und tatsächlich glauben, dass so ein scheiß Bulle auch nur annähernd etwas Gutes im Schilde führen kann? Wie konnte sie nur??
»Und jetzt beantworte mir endlich meine Frage!!«, knurrt Neve und drückt ihre Fingernägel erneut in Sams Nagelbett. Sam schreit vor Schmerzen auf. Ihr Blick bringt ihre Begleiterin um.
»Ja verdammt, warst du!! Aber als ich mich in dich verliebt habe, war die scheiß Wette für mich im Arsch!!!«, brüllt Sam wütend. Erleichterung zeichnet sich in Neves Gesicht ab.
»Schön, dass du endlich mal ehrlich zu mir bist«, grinst sie, lässt Sams Hand los, packt ihr äußerst brutal in die Haare und zieht sie vom Boden hoch.
»Und jetzt beweg deinen Arsch!!« Sie drückt Sam die Waffe in den Nacken und schiebt sie Richtung Parkplatz. Sofort wird sie von einer Meute Five Dogs verfolgt.
»Lasst mich ungehindert mit Sam verschwinden und ihr seht sie lebend wieder!«, warnt sie die riesige Traube. Sie blickt zu Matt. Angespannt folgt er jede ihrer Bewegungen. Sicherlich hat er sie gedanklich schon mit zahllosen Kugeln durchsiebt. Es hat jemand gewagt seine Sam in solch eine Situation zu bringen! Das geht nicht! Das wird sie bezahlen! Mit ihrem Leben!!
Matt schaut Sam an und erwartet eine Entscheidung von seinem Schützling. Ein Blick reicht und er weiß was er zu tun hat. Dafür kennen die beiden sich schon lange genug.
»Lass mich gehen, Matt!!«, fordert Neve ihn erneut auf. Wie ein Schutzschild hält sie Sam vor sich und drückt ihr die Waffe tiefer in den Nacken. Matt wartet noch immer auf eine Antwort von Sam. Es kommt nur ein fast bewegungsloses Nicken von ihr. Matt bleibt stehen und pfeift einmal laut. Auf Kommando bleiben alle anderen Männer stehen. Somit hat Neve freie Bahn.
»Schönen Abend noch und viel Spaß!«, trällert sie sarkastisch und schiebt Sam zum Parkplatz.
Als sie sich in sicherer Reichweite fühlt, lässt sie Sam los und nimmt die Waffe aus ihrem Nacken.
»Ich hätte dir niemals vertrauen dürfen!! Ich wusste, dass es keine gute Idee war, sich mit dir einzulassen, du verdammter scheiß Drecksbulle!«, knurrt Sam kochend vor Wut. Anstatt dass Neve antwortet, dringt ein herzhaftes Lachen über den Parkplatz. Sam dreht sich um und sieht, wie sich Neve vor Lachen den Bauch hält.
»Du lachst??«, brüllt sie wütend und sieht Neves feuerrotes Gesicht. Freudig klopft sie sich vor Lachen auf die Schenkel.
»Verdammt war das geil«, grölt sie.
»Was ist daran denn geil??«, brüllt Sam wütend. Sie versteht das Ganze nicht mehr. Am liebsten will sie Neve nur noch tot sehen.
»Weil ich mir soeben den nötigen Respekt eingebracht habe, um öfter bei euch aufzutauchen«, grinst Neve. Sam glaubt sich zu verhören.
»Bitte was?«, fragt sie fassungslos.
»Das war alles nur Theater von dir? Um Respekt zu kriegen?«, fragt sie leise. Sie hat das Gefühl, den Boden unter den Füßen zu verlieren. Neve grinst frech, steckt glucksend die Hände in die Hosentaschen und nickt.
»Ich fasse es nicht«, flüstert Sam.
»Du hast somit lediglich den Hass der Five Dogs auf dich gezogen, mehr nicht. Sie werden dich jetzt nicht mehr in Ruhe lassen«.
»Keine Panik Sam, ich hatte in meinem Beruf schon oft genug mit solchen Typen zu tun. Ich wusste ganz genau was ich mache. Ich werde den Respekt schon kriegen und Matt wird mir vertrauen, glaube mir«, beschwichtigt Neve dieses Thema und tritt näher an Sam heran. Vorsichtig nimmt sie ihre Hand, die sie ganze Zeit in Schach hielt und schaut sie sich genau an.
»Tut es noch sehr weh?«, fragt sie fürsorglich. Sam schaut sie fassungslos an und versetzt ihr einen Hieb gegen die Schulter.
»Verdammte Scheiße Neve. Ich habe mir vor Angst fast in die Hosen gemacht. Hättest du mich nicht vorwarnen können?«, keift sie wütend.
»Glaubst du, es wäre dann so realistisch gewesen?«, kichert Neve, während sie noch immer Sams Hand besorgt mustert. Sie hat aber keine ernstzunehmenden Schäden abbekommen.
»Hey«, haucht sie und berührt sanft Sams Wange.
»Bringst du mich nach Hause? Ich habe noch was zu tun«, erinnert sie sie an den Schulunterricht. Sam nickt genervt und will zu ihrem Wagen, als Neve sie festhält und dicht an sich heranzieht.
»Tut mir leid, dass ich dir solche Angst eingejagt habe. Aber das war die einzige Möglichkeit, allen und vor allem Matt zu zeigen, woran sie bei mir sind.«
»Du hast ja recht.« Erleichtert darüber, dass Sam ihr die ganze Aktion nicht übelnimmt, zieht Neve sie noch näher an sich und küsst sie. Sie spürt, dass sie Sam verfallen ist und weiß, dass das der größte und schlimmste Fehler ihres Lebens sein kann. Sie hat so viel in den letzten Tagen von ihr kennengelernt. Sie weiß wie brutal sie sein kann, wie viel Hass und wie viel Wut in ihr steckt. Und dann ist sie wieder das komplette Gegenteil von all der Aggressivität, die sie nach außen hin zeigt. Aber genau dieser Mix bringt Neve um den Verstand. Ihr wird schlagartig bewusst, dass Sam genau der Mensch ist, den sie immer gesucht hat. Eigentlich war sie nie bewusst auf der Suche, aber sie muss sich eingestehen, dass sie sich tatsächlich in Sam verliebt hat. Weil sie aber erwachsener und vernünftiger ist als sie, schiebt sie vorerst alle Gedanken in eine dunkle Ecke ihres Gehirns und beschließt abzuwarten, wie sich das Ganze entwickelt. Sie hat gelernt, sich ihren Gefühlen nicht immer gleich hinzugeben.
Als beide Frauen auf Neves Auffahrt fahren, klingelt Sams Handy. Sie zieht es aus der Hose und grinst irgendwie süß.
»Matt«, lächelt sie zu Neve und nimmt das Gespräch an.
»Hey. – Ja mir geht´s gut. – Nein, es ist wirklich alles in Ordnung. – Glaube mir Matt, du kannst Neve vertrauen. – Ja auf jeden Fall. – Du weißt, dass ich weder dir noch den anderen jemals schaden würde. – Neve hat zwischendurch einfach mal einen kleinen…, « Sam schaut zu ihr herüber und scheint die richtigen Worte zu suchen.
»Aussetzer. – Ja, das kommt mir auch irgendwie bekannt vor. – Ich denke schon, dass ich später noch vorbeikommen werde. – Ja ok. – Matt, bitte tue mir den Gefallen und vertraue mir. Ich weiß was ich tue. – Ja, ist in Ordnung. – Bis später.« Sam beendet das Gespräch und steckt das Handy in die Hose zurück.
»Na, du hast mich ja ganz schön verteidigt«, wirft Neve ihr unverblümt an den Kopf.
»Tja…,«. Sam blickt verlegen zu ihren Hände herunter.
»ich hoffe, dass es kein Fehler war.«
»Das wird sich noch zeigen«, grinst Neve und steigt aus.
Während sie um die Motorhaube geht, starrt Sam sie mit großen Augen verwirrt an. Neve macht hingegen nur eine flüchtige Kopfbewegung und gibt ihr somit zu verstehen, dass sie sie ins Haus begleiten soll. Auf die beiden wartet noch genug Arbeit.
Gegen zwei Uhr nachts, streckt sich Neve gähnend. Sie schaltet den Computer aus, stützt sich am Schreibtisch ab und hebt sich schwerfällig vom Stuhl.
»Und, gehst du noch zur Party zurück?«, fragt sie Sam, die mit winzig kleinen Augen auf ihrem Stuhl sitzt. Sie ist sichtlich erschlagen von den letzten Stunden Arbeit.
»Nein, mit Sicherheit nicht. Ich will nur noch in die Waagerechte und schlafen. Diese Matheaufgaben sind anstrengender, als drei Kunden hintereinander«, stöhnt sie geschwächt. Bei diesem Kommentar, läuft Neve ein Schauer aus purem Ekel über den Rücken.
»Wenn du willst, kannst du hier schlafen. Nicht, dass du auf dem Weg nach Hause einschläfst und einen Massenunfall verursachst.« Schlagartig werden Sams Augen groß. Vor Freude beginnen sie zu leuchten.
»Aber sicher will ich hier schlafen«, grinst sie bis zu den Ohren und springt kraftstrotzend vom Stuhl auf. Mit einem schnellen Schritt steht sie Neve gegenüber, gleitet langsam mit einem Arm um ihre Hüfte und legt eine Hand auf ihren Po.
»Du weißt wo das Gästezimmer ist. Die Bettwäsche habe ich erst vorgestern gewaschen. Gute Nacht!«, macht Neve sämtliche Annäherungsversuche von Sam zunichte, dreht sich aus ihrem Griff und lässt sie wie ein Häufchen Elend im Wohnzimmer stehen.
In dem Augenblick, in dem Neve einschläft, schreckt sie plötzlich hoch. Ihr Gehirn hat ihr in der Einschlafphase einen Horrorgedanken präsentiert.
Mit rasender Atmung blickt sie durch das dunkle Zimmer. Die Tür ist noch genauso verschlossen, wie zuvor. Sam war also nicht hier. Sie bricht nicht in ihre Privatsphäre ein und drängt sich ihr auf.
Lautlos schleicht Neve durch den Flur, bis sie das Gästezimmer erreicht. Zu ihrer Überraschung, steht die Tür einen kleinen Spalt offen. Als ob sie etwas Verbotenes tun würde und sich nicht in ihrem eigenen Haus befindet, bekommt sie ein schlechtes Gewissen, als sich ihr Körper näher an die angelehnte Tür wagt. Verunsichert blicken ihre Augen durch den kleinen Spalt. Sam liegt auf dem Bauch im Bett. Die dünne Decke bedeckt lediglich ihren Po. Der Rest ihres jungen Körpers ist frei. Durch das Fenster scheint der Mond auf die nackte Haut. Gierig inhaliert Neve dieses Bild.
Sam hat ihre Arme unter dem Kopfkissen verschränkt, das Gesicht zum Fenster gedreht. Neve kann also nicht erkennen, ob sie schläft oder nicht.
Fast zwei Minuten betrachtet sie dieses Bild, bis sie sich umdreht und in ihr Schlafzimmer zurückgehen will.
»Ich werde nichts tun, was du nicht willst«, hört sie plötzlich Sams Stimme. Erschrocken blickt sie zum Türspalt zurück. Sam dreht langsam den Kopf und schaut sie direkt an. Überrascht über diese Situation und die gesprochenen Worte, schauen sich beide Frauen schweigend an, bis Sam den Kopf wieder zum Fenster dreht.
Ohne zu überlegen, betritt Neve leise das Zimmer, schleicht Schritt für Schritt auf das Bett zu und setzt sich langsam auf die Kante. Schüchtern gleitet sie mit ihren Augen über Sams nackten Rücken. Sie wagt den Gedanken nicht weiterzudenken. Und doch hebt sie nach einiger Zeit eine Hand und führt diese ganz langsam an Sams Rücken.
Ein Blitz durchzuckt ihren Körper, als sie Sams Haut für den Bruchteil einer Sekunde berührt. Sofort zieht sie ihre Hand wieder weg. Bevor sie über diese Berührung nachdenken kann, dreht sich Sam plötzlich um, hält sich die Decke vor die Brüste und setzt sich hin. Beide schauen sich einige Zeit schweigend an, bis Neves Blick zu der Bettdecke wandert. Sie schmunzelt.
»Du bist Stripteasetänzerin und ich habe dich schon nackt gesehen. Weshalb versteckst du dich vor mir?«, fragt sie leise und erwartet ein ebenso freches Grinsen von Sam.
»Weil das hier etwas ganz anderes ist. Du bist kein Job und du bezahlst mich auch nicht«, antwortet Sam ernst. Neve peitscht bei dem Gedanken, dass Sam Geld dafür bekommt, ihren Körper zu präsentieren, ein erneuter Schauer über den Rücken.
Schweigend sitzen beide nebeneinander und wenden den Blick nicht voneinander ab, bis Neve einen unbeschreiblichen Ausdruck in Sams Augen sehen kann. Als sie fragen will was sie denkt, kommt Sam ihr zuvor.
»Du bist so wunderschön«, haucht sie gefühlvoll. Neve sieht in Sams Augen, dass sie in ihrer Gegenwart zu flüssigem Wachs wird. Jetzt kann sie nicht mehr. Ihr Kopf sagt Nein, aber ihr Körper schreit danach, endlich mit dieser jungen und hinreißenden Frau zu schlafen. Sie will Sam berühren, sie spüren, riechen und schmecken. Sie will alles von ihr und nichts soll auch nur eine Sekunde verlorengehen. Sie will Sam voll und ganz besitzen und ihr sich mit allem, was sie empfindet, hingeben. Hier und jetzt!
Plötzlich sieht sie, dass sich Sams Augen mit Tränen füllen.
»Was hast du?«, flüstert Neve besorgt. Hecktisch schüttelt Sam den Kopf.
»Nichts, ich… ich komme im Moment nur mit meinen Gefühlen nicht klar. Ich weiß nicht was du mit mir gemacht hast und das macht mir Angst. Ich spüre, dass ich mit dir schlafen will, aber…!«.
»Dann tu das doch endlich«, haucht Neve. Erschrocken weiten sich Sams Augen. Als wenn sie den Boden unter den Füßen verlieren würde, starrt sie Neve an und schüttelt wieder den Kopf.
»Nein! Ich will nicht, dass du etwas falsches von mir denkst, nur weil ich bei den Five Dogs bin und diese Jobs mache.« Genau in diesem Moment ist der Punkt erreicht, an dem Neve nicht mehr kann. Es gibt jetzt nur noch zwei Möglichkeiten für sie. Entweder steht sie sofort vom Bett auf, verschwindet aus diesem Zimmer und lässt Sam alleine, was eigentlich die vernünftigere Variante wäre, oder, sie gibt sich dieser Frau willenlos hin, was der größte Fehler ihres Lebens sein könnte.
Neve denkt nicht nach. Sie folgt einfach nur ihren Gefühlen und ihrem Körper. Sie dreht sich zu Sam um und gleitet mit einer Hand sanft an ihrem Gesicht vorbei, um sie vorsichtig an sich zu ziehen. Zaghaft küsst sie Sam. Ein kurzes, herzzerreißendes und scheinbar befreiendes Stöhnen huscht über Sams Lippen. Vorsichtig legt sich Neve mit ihr auf das Bett zurück und zieht ihr Stück für Stück die Decke vom Körper.
Als die aufgehende Sonne beginnt die Häuser von San Francisco zu berühren und auf den neuen Tag vorzubereiten, dringt ein lautes Stöhnen durch Neves Gästezimmer.
Ohne Kontrolle über ihren Körper zu haben, schlägt sich Neve beide Hände vor das Gesicht. Sam legt erschöpft den Kopf auf den Bauch der Frau, der noch immer unkontrolliert bebt und zittert. Wie zerflossen liegt Neve auf der Matratze, weil ihre Muskeln jeglichen Dienst verweigern.
Schwer atmend blinzelt Neve durch ihre Finger und erkennt durch das Fenster, wie die Sonne hinter der gegenüberliegenden Hausfront aufgeht. Verblüfft blickt sie auf die Uhr, die neben ihr auf dem Nachttisch steht. Ihre Augen werden groß. Fünf Stunden? Fünf verdammte Stunden? Wo ist die Zeit geblieben? Ihr kommt es vor, als wäre sie erst vor einer halben Stunde in ihrem eigenen Bett aus dem Traum hochgeschreckt.
»Neve?«, flüstert Sam auf einmal ganz leise und reißt sie somit aus den Gedanken. Lediglich ein kurzes »Hm?« ist von Neve zu hören.
»Ich glaube, dass ich dich liebe.«
Statt Luftsprünge vor Freude zu machen, spürt Neve, wie sich ihr Herz schmerzhaft verkrampft. Für einen kleinen Augenblick vergisst sie zu atmen.
Langsam hebt Sam ihren Kopf und blickt besorgt zu Neve hoch.
»Neve?«, fragt sie vorsichtig und schreckt hoch, als diese sich plötzlich wie ein Käfer auf dem Rücken von ihr wegwindet. Sie scheint regelrecht vor ihr zu fliehen. Mit einem panischen Ausdruck starrt sie Sam an und schüttelt den Kopf.
»Tu das nicht!«
»Was?«, fragt Sam überfordert.
»Es würde nicht funktionieren. Es würde niemals zwischen uns funktionieren. Nicht solange du bei den Five Dogs bist!« Langsam setzt Sam sich aufrecht hin und schaut Neve mit großen Augen an.
»Was? Was willst du damit sagen?«, fragt sie noch recht ruhig. Neve spürt jedoch, dass die Wut in ihrem Körper aufgewacht ist und langsam zu arbeiten beginnt.
»Du willst, dass ich bei den Five Dogs aussteige?«, fragt Sam unglaubwürdig.
»Ja Sam, das will ich! Ich bin mit Leib und Seele Polizistin und du hast ein Vorstrafenregister, mit dem ich mir für den Rest meines Lebens den Arsch abwischen kann. Höre bei den Five Dogs auf und wir können darüber nachdenken, ob es etwas Ernsteres mit uns wird.«
»Etwas Ernsteres??«, haucht Sam fassungslos.
»Und… und was… was waren die letzten Stunden für dich? Nur ein Fick oder was?« Neve blickt Sam direkt in die Augen und zuckt mit den Schultern.
»Was sollte es sonst gewesen sein?«, fragt die Polizistin trocken. Dann sieht sie, wie Sam vor Wut platzt.
Blitzschnell schießt Sam aus ihrer Haltung hoch, holt aus und schlägt Neve mit der Hand mitten ins Gesicht.
»Du verdammtes Stück Scheiße!!«, brüllt sie und rastet völlig aus. Immer und immer wieder schlägt sie auf Neve ein, wobei sie die unglaublichsten Schimpfwörter benutzt, während Neve sich dem einfach hingibt. Sie hält sich nur die Arme schützend vor den Kopf. Was anderes wäre in diesem Moment auch nicht angebracht.
Sam lässt irgendwann von ihr ab, zieht sich an und reißt die Gästezimmertür auf. Während sie durch das Haus rennt, dreht Neve sich auf den Rücken und versucht einen klaren Gedanken zu fassen. Dass Sam sie verprügelt hat, scheint sie nicht zu stören.
Herrgott, sie hat in ihren ganzen Jahren mit drei Männern geschlafen, um sich ganz sicher zu sein und mit unzähligen Frauen. Aber das hier, das was in den letzten Stunden passiert ist, kann sie nicht annähernd erklären oder verstehen. Sie will es als einen Fick abstempeln, spürt aber, dass sie es nicht kann.
Konnte sie sich jemals zuvor so fallen lassen? Nein! Wurde sie jemals zuvor so psychisch und physisch befriedigt und verstanden? Nein! Hat je irgendjemand zuvor ohne Worte gewusst, was sie will und was nicht? Nein! Hat je irgendjemand zuvor sie ganz normal berührt und ihr dabei das Gefühl gegeben, gleich vor Erregung an die Decke zu springen? Nein! War sie selbst jemals zuvor so gierig nach der Haut, den Haaren, den Fingern, den Duft einer Frau, dass sie dauerhaft das Gefühl hatte, vollkommen betäubt von diesem ganzen Paket zu sein? Nein! Hatte sie jemals zuvor in ihrem Leben einen multiplen Orgasmus? Nein! Warum muss das aber unbedingt alles bei einer 21-jährigen, straffälligen, pubertierenden Stripteasegöre sein???
Plötzlich beginnt Neve verzweifelt gegen ihre Gefühle anzuschreien und mit den Händen und Füßen auf der Matratze herumzuschlagen.
»FUCK! FUCK! FUCK! VERDAMMTE SCHEIßE!!!«, brüllt sie durch das ganze Zimmer. Vor Wut beginnt sie zu weinen.
»Das kann doch unmöglich sein«, weint sie verzweifelt und hält sich beide Hände vor den Mund, um die nächste Brüllattacke zu unterdrücken.
Schlagartig schreckt sie im Bett hoch, als es in ihrem Haus plötzlich laut knallt und danach mehrmals scheppert.
»Ich mache dich fertig, du verdammtes Miststück!! Du hättest dich niemals mit mir anlegen dürfen!! Ich bringe dich, ohne mit der Wimper zu zucken, um!!«, brüllt Sam außer sich vor Wut. Während sie ihre Wut brüllend herauslässt und alles, was ihr unter die Finger kommt, im Haus zerstört, schreckt Neve immer wieder bei jedem Knall zusammen.
Sie bindet sich die dünne Decke um und geht vorsichtig zur Tür, um in den Flur zu blicken. Wie eine Walze tobt Sam in ihrem Haus und zerschlägt mit einem Baseballschläger alles was ihr in den Weg kommt. Es hätte absolut keinen Sinn, sie jetzt auch nur eine Sekunde aufzuhalten. Somit lässt Neve sie einfach gewähren, während ihr bewusst wird, dass Sam sie offensichtlich wirklich liebt. Denn niemand würde auf diese brutale Art und Weise so dermaßen ausrasten, wenn es für sie auch nur ein Fick gewesen wäre. Dass so ein junges und kriminelles Ding aber scheinbar wirklich weiß, was es heißt zu lieben, bringt Neve fast um den Verstand.
Plötzlich stürmt Sam aus dem Haus. Neve hört wie sie sich an ihrem Wagen zu schaffen macht. Sie geht zur Haustür und sieht, dass Sam auf der Motorhaube steht und mit dem Schläger ihre Windschutzscheibe zerschlägt. Mit einem Satz springt sie vom Mercedes und hat in den nächsten zwei Minuten alles an dem Wagen zerstört, was auch nur annähernd kaputtgehen kann. Dann blickt sie zu Neve an die Haustür.
»Ich schwöre dir, dass ich dich töten werde!! Und wenn es das Letzte ist, was ich in meinem Leben machen werde!! Ich jage dir eine beschissene Kugel nach der anderen in deinen dreckigen Schädel!!«, rastet sie völlig aus, holt mit dem Schläger aus und schleudert ihn zu Neve an die Tür. Sie kann gerade noch einen Schritt zurückmachen, als der Schläger in ihrem Haus landet, während Sam in ihren Chevy springt und mit quietschenden Reifen von der Auffahrt fährt.
Als Neve zwei Stunden später mit einem Mietwagen auf den Parkplatz der Schule fährt, lehnt Laura an einem getunten metallic blauen Honda Integra. Sie lässt ihre Lehrerin nicht einen Moment aus den Augen, als diese mit einer lächerlichen Blechbüchse von Ford in einer freien Lücke parkt.
Wie immer kramt Neve ihre Sachen zusammen und macht sich auf dem Weg zum Schulgebäude, als Laura ihr plötzlich »Sam wird heute nicht kommen!« hinterher ruft. Anstatt stehen zu bleiben und sich mit dieser Aussage auseinanderzusetzen, reagiert Neve völlig kühl.
»Danke für die Information.« Sie geht weiter auf das Gebäude zu, bis Laura sich ihr plötzlich in den Weg stellt und sie wütend ansieht.
»Sag mir sofort was zwischen euch passiert ist! Ich habe noch nie erlebt, dass Sam nicht zum Unterricht kommt! Ich weiß, dass ihr miteinander gevögelt habt, aber mehr habe ich nicht erfahren!«
»Ich wüsste nicht was dich das angeht!«, knurrt Neve und will an Laura vorbeigehen, als diese eine Hand ausstreckt und Neve somit am Weitergehen hindert. Gerade als sie Laura anschnauzen will, dass sie ihre Finger von ihr zu nehmen hat, kommt Laura ihr zuvor.
»Ich kenne Sam mittlerweile seit fünfzehn Jahren und du kannst mir glauben, dass sie sich zuvor noch nie in irgendjemanden verliebt hat, geschweige denn weiß, wie es sich anfühlt jemanden zu lieben! Und dann passiert das reinste Weltwunder, auf das sie sich ohne zu überlegen einlässt und du stempelst die ganze Scheiße und ihre ehrlich gemeinten Gefühle nur als einen verdammten Fick ab?? Wie selbstsüchtig, egoistisch und niveaulos muss man eigentlich sein, um jemandem so etwas anzutun??«
»Lass das mein Problem sein«, faucht Neve wütend über das warme Gefühl in ihrem Körper, das sich in ihr aufgebaut hat, als Laura diese wichtigen Worte aussprach. Rücksichtslos geht sie an ihr vorbei.
Ohne dass Laura sie noch weiter aufhält, hört sie nach wenigen Sekunden, wie ein PS starker Motor angelassen wird und quietschende Reifen über den Asphalt kreischen. Laura wird heute also auch nicht am Unterricht teilnehmen. Sehr schön, dann wird es endlich mal ein verdammt ruhiger Tag für Neve. Den kann sie auch gebrauchen.
Nach Schulschluss fährt Neve nach Hause, um sich wie immer umzuziehen, als sie mehrere Meter vor ihrem Haus auf die Bremse dieser rostigen Drecksschüssel tritt und mit großen Augen auf ihre Auffahrt blickt. Denn dort steht ein Mercedes Cabrio SLK 55. Das kann aber nicht sein, ihr Wagen ist in der Werkstatt. So schnell können die unmöglich alles repariert haben. Was zur Hölle soll das?
Langsam fährt sie auf das Haus zu, parkt am Bürgersteig und geht mit langsamen Schritten auf den Mercedes zu, fast so, als wenn sie erwarten würde, dass dort jeden Augenblick ein blutrünstiger Puma herausgesprungen kommt und sie für ihre Taten in Stücke reißt. Vielleicht wäre das auch gar nicht mal so schlecht, denn dann bräuchte sie nicht mehr so viel nachdenken und mit sich kämpfen.
Aber statt eines Pumas, sieht sie auf dem Fahrersitz einen unglaublich großen Strauß roter Rosen liegen. Auf dem Beifahrersitz steht ein Karton.
»Oh mein Gott«, haucht sie fassungslos, weil sie ganz genau weiß von wem diese Blumen stammen. Das kann unmöglich sein. Was soll das alles nur?
»Die ist doch völlig bescheuert«, stottert Neve, als sie die Tür öffnet und den Blumenstrauß hochnimmt. Leicht zitternd, greift sie nach der Karte, die zwischen den Rosen klemmt und erkennt sofort Sams Schrift:
Es tut mir leid, was ich gesagt und getan habe! Bitte verzeihe mir! Ich liebe Dich wirklich Neve und genau aus dem Grund, werde ich heute zu Matt gehen, um mit ihm zu reden. Wenn der Preis für Deine Liebe mir gegenüber, die Five Dogs sind, dann werde ich mich dem fügen. Ich liebe Dich! Sam
Plötzlich verschwimmen die Worte vor Neves Augen und fangen zu tanzen an. Sie spürt, wie sich ihre Augen mit Tränen
füllen. Schlagartig fängt sie zu weinen an, als sie zu den Blumen blickt und danach in das Cabrio, das Sam ihr offensichtlich neu gekauft hat. Sie hat ihr so dermaßen in den Arsch getreten und jetzt macht sie so etwas für sie? Sie würde sogar für sie bei den Five Dogs aussteigen? Das kann nicht sein! Das würde sie niemals tun! Sie sagt selbst, dass die Gang alles ist, was sie hat! Sie würde niemals aussteigen! Das ist unmöglich!
Erschrocken reißt Neve ihren Kopf hoch. Mit verweintem Gesicht blickt sie in Richtung Osten, als sie einen Motor anspringen hört, der nur zu einem 89´er Chevy Pick Up gehören kann. Und sie behält Recht. Ungefähr fünf Häuser weiter, sieht sie, wie Sams Chevy von einer Auffahrt fährt. Ohne zu sehen wer hinter dem Steuer sitzt, weiß sie, dass Sam sie die ganze Zeit beobachtet hat. Wie zum Teufel konnte sie vorhin dieses Ungetüm übersehen, als sie in die Straße einbog? So unauffällig ist der Wagen nun wirklich nicht.
Sie bleibt noch einige Momente mit langsam trocknenden Tränen auf der Auffahrt stehen, bis sie sich zum Karton beugt und hinein blickt. Dort befinden sich sämtliche privaten Dinge, die sie in ihrem Wagen hatte. Selbst das Funkgerät und das Blaulicht, das sie gut versteckt einbauen ließ, befinden sich in der Box.
Fassungslos, weil sie so etwas niemals erwartet hätte, schließt sie die Haustür auf. Ihr stockt der Atem. Sie ist heute Morgen völlig achtlos über sämtliche zerstörten Gegenstände gestiegen, die Sam in ihrer Wut zerschlagen hat. Aber ihr Flur ist absolut sauber und gepflegt. Nichts deutet darauf hin, dass hier ein Tornado gewütet hat. Alle zerschlagenen Gegenstände sind vom Boden verschwunden. Der Teppich ist sogar gesaugt, was ihr sofort auffällt, weil sich darauf die Streifen der Bürste befinden. Das ist doch nicht wahr. Sam hat ihr Haus aufgeräumt? Aufgeräumt und gesaugt?
»Ich fasse es nicht«, stottert Neve, wirft sofort einen Blick zur Ecke des Hauses, wo sich die Mülltonnen befinden und sieht einen frischen Beutel auf dem Boden liegen. Sie weiß selbst, dass die Tonne voll ist. Somit hat Sam den Beutel einfach daneben gestellt. Wie verrückt kann es eigentlich noch werden?
Plötzlich erwacht in Neve ihr Polizeiinstinkt. Sie reißt sich herum und schaut sich das Türschloss an. Sie inspiziert es ganz genau, kann aber keine Einbruchsspuren erkennen. Wie zum Teufel ist Sam in das Haus gekommen? Was zur Hölle läuft hier für ein beschissener Film ab?
Sie weiß nicht ob sie sich weiter mit diesen Gedanken auseinandersetzen soll oder nicht, sondern weiß nur, dass die Blumen ins Wasser müssen.
Neve geht in die Küche, öffnet eine Schranktür und will ganz nach oben greifen, um von dort eine Blumenvase zu holen, als ihr bei der Kaffeedose etwas auffällt. Dort schaut der Zipfel von irgendetwas Weißem heraus. Sie nimmt die Dose in die Hand, blickt hinein und stockt, als sie in dem gemahlenen Kaffee einen Briefumschlag sehen kann.
Verwirrt zieht sie ihn aus dem schwarzen Pulver heraus und bemerkt, dass er ungewöhnlich dick ist. Sie wirft einen Blick in den Umschlag. Was zum....??
In dem Briefumschlag befinden sich insgesamt fünf Tausend Dollar in bar. Sam hat das Geld dort hinterlassen, damit sich Neve neue Dekoration kaufen kann, die sie in ihrer maßlosen Wut zerstört hat. Das ist doch alles nur ein schlechter Scherz, verdammt!!!
Gelangweilt brütet Neve im Department über dem Bericht der verpatzten Waffen-Drogen-Tauschaktion, während ihr neuer Wagen in der Polizeiwerkstatt ist, um Funkgerät und Blaulicht einbauen zu lassen, als ihr Telefon am Schreibtisch klingelt. Mit einem tonnenschweren Arm, greift sie nach dem Hörer, nimmt ihn ab, legt ihn sich auf das Ohr und stöhnt fast schlafend »Detective Neve Preston?«
»Ich bin es, Matt!« Sofort schießt Neve hellwach in ihrem Stuhl hoch. Ihr Herz beginnt zu rasen, während sie erschrocken von Jake angesehen wird.
»Sei in einer Stunde in meinem Haus!«, raunt Matt. Dann hört Neve nur noch ein Tuten. Sekunden verharrt sie noch in dieser steifen Haltung, bis sie ganz langsam den Hörer auf das Telefon legt.
»Wer war das denn?«, fragt Jake beunruhigt. Neve blickt ihn völlig entgeistert an und schüttelt den Kopf.
»Eine Ex«, lügt sie.
»Und wieso bist du dann so kreidebleich?«
»Ach, die blöde Kuh kann nicht verstehen, dass Schluss ist und hat mir vorgesäuselt, wie sehr sie mich noch liebt«, lügt Neve weiter und fährt erschrocken zusammen, als ihr Telefon erneut klingelt. Es bimmelt dreimal, bis sie sich endlich traut, den Hörer erneut hochzunehmen und sich zu melden.
»Dein Wagen ist fertig«, schallt es ihr brüllend ins Ohr. Motorengeräusche übertönen den Mechaniker am Telefon.
»Verdammt ich telefoniere! Nehmt die scheiß Karre doch etwas leiser auseinander!«, brüllt es wieder durchs Telefon. Gleich darauf ertönt erneut ein Tuten. Meine Güte, können sich die Leute heutzutage nicht mehr vernünftig verabschieden, oder was soll das werden? Etwas verdattert, blickt Neve auf das Telefon.
»Dein Wagen ist fertig, hm? Das kann ja nur Bruce gewesen sein, so wie der gebrüllt hat«, lacht Jake, während Neve fast bewegungslos nickt.
Eine halbe Stunde später sitzt sie in ihrem neuen Wagen. Ihr stehen Schweißperlen auf der Stirn. Sie ist auf dem Weg zu Matt… zu Matt… zu Matt! Woher weiß er, dass sie Polizistin ist? Was wird sie dort erwarten? Woher hat er ihre Nummer? Was wird mit ihr passieren?? Verdammte Scheiße!!! Wie konnte es nur soweit kommen, dass sie tatsächlich etwas Panik vor so einem Macho-Gangster hat? Was hat Sam ihm erzählt? Das ist doch nicht wahr! Reiß dich zusammen und gehe mit erhobenem Kopf in dieses Haus, alles andere ist egal!
Plötzlich ertönt ihr Funkgerät. Sie blickt auf die blinkenden Lichter in dem kleinen Handschuhfach. Eine kratzige Männerstimme berichtet von einem gestohlenen schwarzen Bentley Bullet mit dem Kennzeichen -Jules-. Wenn Neve Zeit hätte, würde sie sich jetzt auf die Socken machen, aber die Socken müssen zu Matt ins Haus. Was auch immer dort auf sie warten wird. Aber vorerst wartet sie an einer roten Ampel, beugt sich zum Handschuhfach herüber, um das Funkgerät auszustellen und schließt die Klappe.
Mit einem kurzen Blick in den Rückspiegel, richtet sie ihre Frisur und schärft dann den Blick, als sie glaubt eine Rakete auf sich zurasen zu sehen. Sie kann grade noch zur Seite blicken, als ein schwarzer Blitz an ihr vorbeirast. Schnell blickt sie auf das Kennzeichen.
»Fuck! Muss ich denn wirklich in jede Scheiße greifen, die sich in meiner Nähe befindet??«, stöhnt sie genervt über das Kennzeichen -Jules-.Sie weiß ganz genau, dass sie nicht anders kann, als den Wagen zu verfolgen. Egal ob Matt auf sie wartet oder nicht. Sie muss da hinterher.
Somit greift sie unter ihren Sitz, holt das Blaulicht heraus, steckt es auf die kleine Vorrichtung auf dem Armaturenbrett und gibt Vollgas. Ihr Auto bricht mit lautem Sirenengeheul aus der Autoschlange vor der Ampel und nimmt die Verfolgung auf. Warnend blinken die Scheinwerfer. Sie steuert den Wagen laut heulend durch die Straßen, bis sie merkt, dass der Fahrer des gestohlenen Bentley sie entdeckt hat und plötzlich Gas gibt.
»Umso besser, dann macht das Ganze noch mehr Spaß«, grinst Neve, öffnet während der Fahrt das Handschuhfach um das Funkgerät herauszuholen und der Zentrale zu melden, dass sie die Verfolgung für den Bentley aufgenommen hat. Auf einmal biegt der Wagen scharf nach rechts in eine Seitenstraße ein. Vor Schreck lässt Neve das Funkgerät fallen.
»Wow, nicht so schnell mein Lieber!«, lacht sie, zieht die Handbremse, reißt das Lenkrad zuerst nach rechts, dann nach links und rast in die Seitenstraße hinein.
»So nicht« Sie ahnt wo der Wagen am Ende herauskommen wird. Somit quält sie die neuen Reifen nach links, gibt in einer noch engeren Gasse Vollgas und genießt den rasanten Fahrtwind in den Haaren. Am Ende der Gasse schießt sie regelrecht auf die Hauptstraße heraus, fährt nach rechts und bremst direkt vor der Ausfahrt der Seitengasse scharf ab. Sie weiß genau, dass dort der Bentley herauskommen wird, denn es gibt keine andere Fluchtmöglichkeit.
Kaum steht ihr Wagen, hört sie auch schon die Reifen des Bentley laut quietschen. Mit einer Vollbremsung kommt er nur einen Meter vor ihrer Beifahrertür zum Stehen. Sitzend zieht Neve ihre Waffe aus dem Holster und richtet sie auf die Windschutzscheibe des Fahrzeuges.
»S.F.P.D. !! Aussteigen!!«, brüllt sie. Sie lässt das Fahrzeug nicht aus den Augen, als sie aus ihrem Wagen aussteigt und dahinter stehen bleibt, um halbwegs geschützt zu sein.
»Hände aus dem Fenster und aussteigen!!!«, befiehlt sie in einem scharfen Ton und beobachtet den Wagen, der regungslos und mit laufendem Motor vor ihr steht. Weil die Häuser um sie herum kaum Licht in die Gasse lassen, hat sie arge Probleme zu erkennen, wer sich hinter dem Steuer befindet. Nicht ein Lichtstrahl fällt in das Auto. Das erschwert natürlich zusätzlich, dass sie nicht sieht, ob der Fahrer eventuell eine Waffe trägt.
»Aussteigen!!«, brüllt Neve erneut. Sie hört wie bei dem Bentley ein Gang eingelegt wird. Im selben Moment gibt der Fahrer Gas und fährt mit durchdrehenden Reifen nach hinten.
»Stehen bleiben!!!«, schreit Neve und feuert zielsicher einen Warnschuss auf den rechten Scheinwerfer, der durch den Aufprall der Kugel zerspringt. Schlagartig tritt der Fahrer auf die Bremse.
»Aussteigen habe ich gesagt!!!« Konzentriert kontrolliert Neve die Situation und sieht, wie beide Türen des Fahrzeuges gleichzeitig aufgehen.
»Ganz langsam und keine falsche Bewegung!!!« In dem Moment in dem Sam auf der Fahrerseite und Laura auf der Beifahrerseite aussteigt, glaubt Neve ihren Augen nicht zu trauen. Auf einmal hat sie das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen. Ihr Herz krampft schmerzhaft.
»Sam!! Sie ist ein verdammter Bulle!!«, kreischt Laura. Mit einem, auf Laura, gerichteten scharfen Blick, haut Sam auf das Autodach.
»Halt die Klappe!!«
»Das glaube ich jetzt nicht«, stottert Neve fassungslos und fühlt nichts anderes als vollkommene Leere in ihrem Kopf, bis unglaubliche Wut in ihr aufsteigt.
»Seid ihr denn des Wahnsinns?? Ich hätte euch verletzen oder sogar töten können!! Ihr seid ja völlig bescheuert!!«, brüllt sie durch die ganze Gasse, während Sam langsam auf sie zugeht.
»Sam, was soll die verdammte Scheiße?«, keift Neve erschüttert.
»Sam, du weißt dass sie ein Bulle ist??«, schreit Laura und reizt die eh schon angespannte Stimmung noch mehr.
»Halt endlich deine Klappe!!«, brüllt Sam zurück und bleibt unmittelbar vor Neves Wagen stehen, die ihre Waffe noch immer auf sie richtet.
»Neve, bitte. Ich weiß, dass das hier jetzt echt scheiße für dich aussieht, aber bitte glaube mir! Jedes einzelne Wort auf der Karte ist mein voller Ernst!!« Sam blickt Neve bittend und eindringlich an, während in Neve nur noch rasende Wut tobt.
»Wie soll ich dir denn glauben??«, schreit sie verzweifelt.
»Wie zum Teufel, soll ich dir denn jemals glauben und vertrauen, wenn du so eine beschissene Scheiße abziehst?!«, brüllt sie, wird dann aber ruhig.
»Haut ab!! Verschwindet!!!«
»Neve, bitte lass mich das erklären! Ich musste diesen Job machen weil…!!«
»Ich will kein Wort mehr von deinen scheiß Lügen hören! Haut ab bevor ich mich vergesse!« Es dauert etwas bis Sam rückwärts zum Bentley zurückgeht und Neve dabei die ganze Zeit in die Augen blickt. Neve verfolgt mit einem hasserfüllten Blick jede ihrer Bewegungen.
»Ich liebe dich!«, ruft ihr Sam zu, als sie in den Bentley steigt, den Motor anlässt und rückwärts die Seitenstraße zurückfährt.
»Verdammte Scheiße! Das kann doch alles nicht wahr sein!«, brüllt Neve durch die ganze Straße, schleudert ihre Waffe in den Wagen und tritt mit aller Gewalt gegen einen Reifen.
Mit einem Grund mehr wütend auf Matt zu sein, steht Neve vor seiner Haustür und klopft gegen das Holz. Es dauert nicht lange, bis diese geöffnet wird und A.J. sie ausdruckslos anschaut. Wortlos geht sie an ihm vorbei und will das Haus betreten, als er einen Arm vor ihr ausstreckt und sie wie eine Schranke auf ihrem Weg aufhält. Neve blickt auf seine ausgestreckte und flache Hand. Sie weiß was er will. Sie greift sich an den Rücken, holt ihre Waffe heraus und legt sie wortlos auf dieses große Tablett von Hand. Herr Gott, von dem möchte sie keine gepfeffert bekommen. Danach ist sicherlich nichts mehr an dem Platz, wo es hingehört. Als sie den nächsten Schritt machen will, dringt ihr A.J.´s tiefe Stimme ins Ohr.
»Die andere auch.« Neve blickt zu ihm hoch, zieht eine Augenbraue nach oben und grinst sarkastisch. Er hat es nicht vergessen. Sie hebt ihr linkes Bein, holt die zweite Waffe unter der Jeans hervor und legt diese ebenfalls in seine Pranke. Super, nun ist sie dem Eisbrecher von A.J. und Matt vollkommen schutzlos ausgeliefert. Aber egal, sie hätte ja auch gar nicht hierher kommen müssen.
Wortlos führt A.J. sie durchs Haus, welches sie nicht eine Sekunde beachtet. Sie ist einfach nur noch angespannt und will am liebsten wieder weg.
Nachdem sie mehrere Türen passiert haben, klopft A.J. an eine große und öffnet diese gleich darauf. Er tritt ein, worauf Neve ihm geräuschlos folgt, bis ihr Blick zu Matt fällt, der in einem riesigen Wohnzimmer an einem Billardtisch steht und eine Kugel über den Filz flitzen lässt. Er blickt hoch und lächelt, als er Neve erkennt. Ok, wo sind seine zwanzig Untertanen die sich hier versteckt haben? Dieses freundliche Lächeln meint er doch nicht wirklich ernst, oder?
Matt legt den Queue auf den Tisch und geht direkt auf Neve zu.
»Schön, dass du es einrichten konntest«, begrüßt er sie und reicht ihr die Hand. Neve zögert etwas bis sie ihm auch ihre reicht und ihn argwöhnisch im Auge behält. Zu Recht, denn er hält ihre Hand fest, greift an ihre Jacke und zieht erst die eine und dann die andere Seite etwas auseinander, um sich ganz sicher zu sein, dass A.J. nicht doch noch etwas übersehen hat. Danach blickt er zu seinem Kumpel und nickt wortlos. Dieser dreht sich auf der Stelle um und verlässt das Zimmer.
»Setz dich doch«, lächelt er freundlich und deutet auf eine weiße Ledercouch. Neve zögert etwas, steuert aber dann doch zum Sofa und setzt sich.
»Das was Sam fehlt, ist die richtige Nase und ein gutes Gespür. A.J. hingegen, riecht einen Bullen auf hundert Meilen«, schmunzelt er noch immer freundlich, was Neve aber nicht wirklich interessiert. Sie will nur wissen, warum sie hier ist.
»Und?«, fragt sie trocken.
»Sam scheint dir enorm zu vertrauen, wenn sie dich wirklich mit in mein Haus bringt. Wusste sie vorher schon, dass du ein Bulle bist?«
»Sie hat mir zwei Kugeln in den Rücken geschossen, weil ich euch euren letzten großen Deal versaut habe. Sie war dann doch etwas überrascht ihre Mathematiklehrerin mit einer schusssicheren Weste zu sehen«, klärt Neve ihn auf, der daraufhin grinsend nickt und sich in die Couch zurücklehnt. Plötzlich springt die Wohnzimmertür auf. Sofort können Neve und Matt eine kreischende Stimme hören.
»Matt!!« Wie eine Furie stürzt Laura in das Zimmer und bleibt abrupt stehen, als sie Neve auf der Couch sitzen sieht. Neve interessiert sich jedoch kein Stück für sie und bleibt mit dem Rücken zu ihr, auf dem Sofa sitzen. Sie kann sich aber nur zu gut ihr entsetztes Gesicht vorstellen, als ihr klar wird, wer da bei ihrem Boss auf der Couch sitzt. Neve hört ein kurzes Klicken, blickt Matt direkt in die Augen und grinst. Sie weiß ganz genau, dass in diesem Moment eine geladene und entsicherte Waffe auf ihren Kopf gerichtet ist.
»Du verdammtes Miststück!!«, faucht Laura, während Matt Neve nicht eine Sekunde aus den Augen lässt.
»Laura, steck die Waffe weg, es ist alles ok«, versucht Matt sie zu beruhigen, worauf sie sich allerdings nicht einlässt.
»Sie ist ein beschissener Bulle!!«, brüllt Laura, woraufhin er lediglich nickt.
»Das weiß ich, sonst würde sie hier mit Sicherhit nicht sitzen.«
»Wie kannst du sie nur in dein Haus lassen? Sie kann uns alle auffliegen lassen! «, keift Laura wütend und steht direkt neben der Couch. Langsam dreht sich Neve etwas in ihre Richtung und blickt sie mit einem überheblichen Grinsen an.
»Das S.W.A.T. Team hat sich schon im Garten versteckt und wartet nur auf ein geheimes Zeichen von mir«, grinst sie gehässig. Sie hört Matt leise lachen.
»Ich brauche nur an meinem Ohrläppchen ziehen und sie stürmen das Haus«, lacht sie und hebt einen Arm, um die Hand an ihr Ohr zu führen. Sofort weiten sich Lauras Augen erschrocken. Sie macht einen Schritt weiter auf sie zu.
»Lass es lieber Neve. Laura ist im Moment ziemlich angepisst und würde dir sogar glauben, dass es den Weihnachtsmann tatsächlich gibt«, lacht Matt und macht eine Kopfbewegung zu Laura.
»Nimm die Waffe endlich weg und setz dich hin«, befiehlt er ihr scharf. Verwirrt blickt Laura zu ihm, sieht in seinen Augen jedoch, dass er alles unter Kontrolle hat. Zögernd senkt sie die Waffe, steckt sie in Zeitlupe weg und setzt sich neben Matt auf die Couch, der sogleich einen Arm um sie legt. Was wird das denn jetzt??
»Erzähl mir mal was das letzte Nacht für ein Schauspiel von euch war«, fordert er Neve auf, die daraufhin grinst und sich in die Couch zurücklehnt.
»Das ist lediglich auf meinem Mist gewachsen. Sam hatte keine Ahnung.«
»Das war verdammt gefährlich und mutig von dir. Alleine schon mit einer Waffe bei mir aufzutauchen«, antwortet Matt ruhig.
»Ich weiß, aber durch meinen Job habe ich seit Jahren mit Leuten wie euch zu tun und somit weiß ich, was ich zu tun habe, um bei euch den nötigen Respekt zu bekommen!«
»Respekt!!«, lacht Laura schnippisch, während Matt nur nickt.
»Den hast du!« Sofort schießt Laura in ihrer gammelnden Haltung hoch und starrt Matt mit großen Augen entsetzt an. Der reagiert aber nicht, sondern führt das Gespräch mit Neve weiter.
»Du bist ihre Mathematiklehrerin?! Dann musst du ja mittlerweile bemerkt haben, was für Fähigkeiten in Sam schlummern.« Neve beantwortet die Frage lediglich mit einem Nicken.
»Dann tu mir einen Gefallen.«
»Und der wäre?«
»Ich will, dass Sam bei uns aufhört.« Jetzt platzt Laura aus allen Nähten und schießt von der Couch hoch.
»MATT!!«, kreischt sie, worauf er ihr einen wütenden Blick zuwirft und auf die Couch zeigt.
»Setz dich!«, befiehlt er ihr scharf, was Laura erst zögernd befolgt und ihn dabei noch immer verständnislos anschaut.
»Ich habe Sam nicht ohne Grund auf diese Schule geschickt. Ich will, dass sie ihre Fähigkeiten weiter ausbaut und damit mal ein vernünftiges Leben beginnt. Sie ist erst letzten Monat einundzwanzig geworden und somit voll strafmündig. Für die Morde, die sie bisher begangen hat, würde sie für den Rest ihres Lebens einsitzen. Und ich habe keinen Bock, dass sie irgendwann im Leichensack landet, weil sie für fünfzig Dollar eine Tankstelle überfallen hat. Dafür steckt einfach zu viel Potential in ihr.« Überrumpelt, positiv entsetzt, dennoch unendlich enttäuscht und verletzt, starrt Neve Matt an. Sie spürt ein merkwürdiges Gefühl in sich aufsteigen.
»Wie viele Morde?«, haucht sie fassungslos, worauf Matt nur mit den Schultern zuckt, Laura grinsend die Frage mit »Zehn!« beantwortet und ihre Freundin somit in die Lüfte heben will. Es scheint auch noch, als sei sie unendlich stolz darauf.
»Was gibt es denn da zu grinsen?? Findest du das geil oder was??«, brüllt Neve sie an, die daraufhin sofort aggressiv aufspringt und sie mit ihrem Blick durchbohrt.
»Schluss jetzt Laura!!«, mischt Matt sich sofort ein und zieht sie zu sich zurück.
»Halte dich zurück, sonst lernst du mich kennen!!«, faucht er bestimmend, worauf Laura aber keineswegs reagiert. Neve reibt sich den verspannten Nacken und muss die neuen Erkenntnisse erst mal verarbeiten, bis sie zu Matts Worten zurückkehrt.
»Hat Sam mit dir geredet?«, fragt sie atemlos.
»Nein, ich habe sie seit letzter Nacht weder gesehen, noch mit ihr gesprochen. Warum?«
»Das kann ich dir genau sagen« mischt sich Laura erneut in das Gespräch ein und setzt ein gehässiges Grinsen auf, in der Hoffnung, Neve nun genug in die Pfanne zu hauen, damit Matt ihr sofort eine Kugel verpasst.
»Sam hat sich nicht nur in Neve verliebt, sondern sie hat ihr heute Morgen ihre Liebe gestanden, nachdem die beiden sage und schreibe, fünf Stunden miteinander gevögelt haben. Und wie war Neves Reaktion darauf? Dass es für sie selbst nur ein Fick war, der absolut keine Bedeutung hatte!!«, bricht sie Neves Genick direkt vor Matts Augen.
»Sam liebt dich?«, fragt er ruhig, aber sichtlich erschlagen. Neve lehnt sich nach vorne und reibt sich erneut den Nacken.
»Ich würde dir sehr gerne den Gefallen tun, aber das kann ich nicht. Ich kann Sam nicht vertrauen. Überhaupt nicht! Das hat sie vorhin erst wieder unter Beweis gestellt, als ich sie mit dem Bentley erwischt habe. Seit ich sie nämlich kenne, rennt sie mir ständig bei ihren Jobs über den Weg und ich habe sie bisher mehr als einmal laufen lassen«, klärt sie Matt auf, der daraufhin zaghaft nickt.
»Ich kann mir gut vorstellen, dass du zwischen zwei gewaltigen Stühlen sitzt«, beruhigt er sie, wobei er allerdings keineswegs darauf aus ist, sie in die Pfanne zu hauen, was Laura doch so stark gehofft hatte.
»Siehst du absolut keine Möglichkeit ihr zu helfen?« Neve lacht kurz, als Matt sie das fragt.
»Ich finde es sehr interessant, dass du jetzt und ausgerechnet bei mir mit dieser Bitte ankommst!« Fragend blickt er sie an, während Laura bockig die Arme vor der Brust verschränkt.
»Nachdem ich Sam erklärt habe, dass ich nichts Ernsteres mit ihr anfangen will, weil sie bei euch ist, ist sie völlig ausgeflippt und hat mit einem Baseballschläger meinen gesamten Hausstand und meinen Wagen zertrümmert!«
»Richtig so«, lacht Laura leise. Neve wirft ihr nur einen wütenden Blick zu.
»Heute Nachmittag allerdings, kam ich nach Hause und hatte einen neuen Wagen in der Auffahrt stehen. Sam hat mein ganzes Haus aufgeräumt, gesaugt und mir einen riesen großen Rosenstrauß geschenkt. Darin steckte eine Karte, in der stand, dass sie sich dem fügen wird. Wenn meine Liebe zu ihr der Ausstieg bei euch bedeutet, würde sie diesen Schritt gehen.« Laura vergisst zu atmen, während ihr sämtliche Gesichtszüge entgleiten und sich entsetzt in Matt Oberschenkel festkrallt.
»Na dann sind wir ja einer Meinung und es dürfte nicht allzu schwer sein, Sam vom Ausstieg zu überzeugen«, grinst Matt und reibt sich bildlich schon die Hände, während Neve ihm das mit einem Kopfschütteln aus dem Kopf schlägt.
»Ich glaube nicht, dass es ganz so einfach wird. Frage nicht warum, aber ich habe das im Gefühl. Außerdem mag es zwar schön sein, dass Sam für mich bei euch aufhören würde, aber dafür müsste ich sie lieben und das kann ich unter diesen Umständen einfach nicht! Nicht solange sie auch nur noch ein Ding dreht«, verwirft sie Matts Zukunftspläne die er für Sam vorbereitet hat. Er überlegt kurz und steht dann von der Couch auf, während Laura zu einer Salzsäule erstarrt ist und sich keinen Millimeter mehr bewegt.
»Ich verspreche dir, dass sie von mir keine Aufträge mehr erhalten wird. Du hast mein Wort darauf, dass ich sie ab dem jetzigen Zeitpunkt aus allem raushalte.« Neve steht ebenfalls von der Couch auf und hat Matts kurze Geste sofort als Aufbruch verstanden. Er reicht ihr zum Abschied die Hand.
»Wir werden sehen was in den nächsten Tagen passiert und dann entscheide ich weiter« verabschiedet sie sich von ihm und blickt zu Laura, die noch immer mit offenem Mund und großen Augen auf der Couch sitzt. Wie schnell doch so eine wunderschöne Seifenblase zerplatzen kann.