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Prolog

Sechs Jahre zuvor

„Fitzwilliam Henry Scott?“ Henry wurde rot als die Sekretärin seinen Namen nannte und schnellte hoch. Er hasste diesen Namen. So sehr wie das Buch, aus dem er stammte.

„Nur Henry“, korrigierte er die junge Frau von nicht mehr als 19 Jahren und wunderte sich, warum die Sekretärinnen immer jünger wurden. Demnächst würde die Stelle von 15-jährigen besetzt werden.

„Herr Krämer ist jetzt für Sie da.“ Sie wies auf die Tür am Ende des Korridors, aus der bereits drei Männer mit geknickten Gesichtern herausgekommen waren. Während er auf sie zuging und selbstbewusst, aber nicht zu energisch, anklopfte, dachte er darüber nach, was die Folge einer erneuten Ablehnung wäre. Lehrer war zwar nicht gerade sein Traumberuf gewesen, aber immerhin bekam man ein festes Gehalt und konnte Jüngeren etwas beibringen.

„Herein“, ertönte eine tiefe Stimme aus dem Zimmer hinter der Tür. Henry atmete einmal tief durch und drückte die Klinke herunter. Das Zimmer war ein spärlich eingerichtetes Büro. Gegenüber der Tür, vor dem einzigen Fenster im Raum, stand ein großer, mit Akten und losen Blättern beladener Schreibtisch, die rechte Wand wurde fast vollständig von einem großen Regal verdeckt, in dem sich weitere Akten stapelten, und an der linken Wand hing ein Bild. So ein modernes, das jedes dreijährige Kind malen könnte, mit nichts als ein paar Farbklecksen drauf. Herr Krämer saß hinter dem Schreibtisch und sah beinahe ein wenig verloren aus. Er war dürr, hatte eine Halbglatze, eingefallene Wangenknochen, langweilige graue Augen hinter einer randlosen großen Brille und trug einen grauen Anzug mit grauer Krawatte. Sein Aussehen war der genaue Gegensatz zu seiner Stimme. Irgendwie tat er Henry leid.

„Setzen Sie sich, Herr–“ Er stockte.

„Scott.“

„Herr Scott. Genau. Setzen Sie sich.“ Er wies auf einen unbequem aussehenden Stuhl, der ihm gegenüberstand. Henry setzte sich und sog scharf die Luft ein. Dieser Stuhl war höllisch hart.

„Also, Herr, äh, Scott“, begann Herr Krämer und sah ihn müde an. „Sie sind 27?“

„Ja.“

„Sie haben Lehramt für Englisch und Geschichte studiert und möchten nun an unserer Schule unterrichten?“

„Genau. Ich habe von Ihrer Schule nur Positives gehört und da ein Bekannter hier arbeitet, habe ich mich näher über Sie erkundigt. Sie scheint mir die beste Schule Berlins zu sein.“

„Hm.“ Herr Krämer musterte ihn scheinbar gelangweilt und fragte: „Könnten Sie Geschichte auf Englisch unterrichten?“

„Selbstverständlich. Wie Sie meinem Lebenslauf entnehmen konnten, ist Englisch meine Muttersprache.“

„Das trifft sich sehr gut. Wir suchen Mitarbeiter für den bilingualen Zug. Sie scheinen mir recht geeignet dafür. Also gut. Sie arbeiten hier für ein Probesemester und dann sehen wir weiter. Sie können sofort nach den Sommerferien beginnen.“

„Ich danke Ihnen für diese Möglichkeit, Herr Krämer.“ Äußerlich gefasst, innerlich jedoch jubelnd vor Freude, verließ Henry das triste Büro und ging auf Toilette. Durch die Nervosität vor dem Gespräch hatte er seine Blase ignoriert, die sich nun beschwerte.

Als er seine Hände wusch, schaute er in den Spiegel und betrachtete sich nachdenklich. Das Gel, das er in seine fingerlangen, braunen Haare getan hatte, um sie in Form zu halten, war längst verschwunden und so standen sie halb ab und lagen halb eng am Kopf an. Er fuhr mit seinen Händen hindurch und versuchte, den Schaden wieder zurechtzuwuscheln. Für die Zukunft musste er daran denken, eine neue Marke zu kaufen. Seufzend begutachtete er sein Werk. Immerhin waren nun alle Haare durcheinander und sahen wenigstens einheitlich aus. Seine Mundwinkel zogen die Lippen zu einem Lächeln und aus hellbraunen Augen lächelte sein Spiegelbild zurück.

Ein Blick auf seine Armbanduhr drängte ihn jedoch zur Eile und er ging rasch zu seinem Auto. Er konnte es kaum fassen. Endlich hatte er es geschafft! Nun musste er nur noch seiner Freundin davon berichten. Am Abend waren sie sowieso zum Essen verabredet. Ein besonderer Abend. Er würde ihr einen Antrag machen. Lange hatte er darüber nachgedacht und sie war einfach perfekt für ihn. Sophie brauchte nur noch „Ja“ zu sagen, dann wäre er der glücklichste Mensch auf Erden und nichts würde mehr schiefgehen können.

Vergiss mein nicht

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