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Tanz in den Mai

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Von allen Seiten wabert der Nebel auf mich zu. Der Boden brodelt und blubbert grau und braun wie ein übler Sumpf, der mich verschlucken will. Der sichere Boden auf dem ich mich befinde, ist zu einer kleinen Insel geschrumpft und von Minute zu Minute schluckt das Gewaber Stückchen für Stückchen meiner Sicherheit. Verzweiflung sprudelt in mir hoch. Der Nebel darf mich nicht verschlucken! Ich muss bei ihr bleiben! Sie braucht mich doch und ich brauche sie so sehr…

Dabei ist erst ein Tag vergangen, seit ich noch ein Mensch war. Ich lebte und ich war glücklich und schön…

 

Mein Gesicht spiegelte sich in der blankpolierten Pfanne. Mit beiden Händen raffte ich mein üppiges dunkles Haar zusammen und flocht es zu vier einzelnen Zöpfen, die ich wiederum miteinander verflocht und diese Kreation steckte ich dann am Hinterkopf auf. Die Frisur schmeichelte dem Schwung meiner Kinnlinie und betonte den hellen, zarten Nacken – mein Wilm sagte immer, ich besäße einen Schwanenhals – aber zu viel Hoffart durfte ich mir nicht erlauben, weshalb ich die schwarze Pracht ordentlich unter der hellen Haube versteckte. Das braune Mieder über dem sandbraunen, knöchellangen Rock konnte ich beim besten Willen nicht festschnüren. Ich stand acht Tage vor der Niederkunft und obwohl sich mein Bauch nur zu einer ebenmäßigen Kanonenkugel gerundet hatte und meine Gestalt ansonsten schlank geblieben war, war die Schwangerschaft nun nicht mehr zu verbergen. Wenn ich ehrlich bin, gab ich mir auch nur die wenigste Mühe, meine Umstände zu überspielen. Wilm und ich konnten uns kaum zurückhalten vor Stolz und Freude. Zwölf Jahre hatten wir auf dieses Kind gewartet und schon die Hoffnung aufgegeben. Nach drei Fehlgeburten hatte ich nicht mehr empfangen, bis zum letzten Sommer. Dann begannen die Wochen des Bangens und jeden Morgen fürchtete ich mich, dass ich die Frucht wieder verlieren könnte. Aber nachdem die ersten drei Monate vergangen waren und die Übelkeit nachließ, versicherten mir die erfahreneren Weiber, dass nun die gefährlichste Phase für eine Fehlgeburt hinter mir läge. Wenn sie mich sahen, nahmen sie mir den Wassereimer hilfreich ab. Sie boten mir an, die Wäsche für mich zu walken und obwohl mir diese Aufmerksamkeit ein wenig peinlich war, ließ ich sie doch gewähren und nähte ihnen zum Dank diesen und jenen Rock, bestickte die Säume oder flickte die Hemden ihrer Männer und Söhne.

Wilm trat von hinten an mich heran – ich sah sein dunkles Gesicht in der spiegelnden Pfanne – und umschlang meinen Körper.

„Du willst dir diesen Menschenauflauf wirklich zumuten?“, flüsterte er an meinem Ohr und fuhr mit den Lippen über meinen Hals.

„Den Tanz in den Mai lasse ich mir sicher nicht entgehen. Mir geht es so gut.“ Ich strahlte ihn fröhlich an und schlang die Arme um seinen Nacken. Wilm überragte mich um gut einen Fuß und ich musste mich immer auf die Zehenspitzen stellen, um ihn küssen zu können.

„Nun gut“, er trat einen Schritt zurück und musterte mich mit Wohlwollen, „machen wir uns auf den Weg.“ Aus seinem dunklen Gesicht konnte ich den Besitzerstolz herauslesen. Im Dorf hatte ich immer als das hübscheste Mädchen von allen gegolten und viele hatten Wilm beneidet, als mein Vater Alfons ihm meine Hand und damit die örtliche Tischlerei übergab. Ich galt als guter Fang. Über die Jahre hinweg verloren die Blicke der anderen Frauen an Neid und stattdessen wurden sie immer mitleidiger. Was war schon eine Frau, die kein lebendes Kind zur Welt bringen konnte? Wilm war ein herausragender Tischler und hatte einen gewissen Reichtum angehäuft. Er war ein beliebter und angesehener Mann von schneidigem Aussehen und ruhigem Charakter, immer hilfsbereit und keinem Menschen ein Dorn im Auge. Ich liebte ihn auf eine beständige, liebevolle Art und war sehr dankbar, dass er mir niemals meine Unfähigkeit vorwarf. Denn wie jeder weiß, liegt die Fruchtbarkeit einer Ehe an der Frau und nicht am Mann.

Aber nun sollte sich alles ändern und es gab andere, die ein schlimmeres Los lebten. Meine liebe Freundin Annamaria hatte wie ich das dreißigste Jahr schon überschritten und keinen Mann gefunden. Als alte Jungfer fristete sie ihr Dasein als Haushälterin ihres verwitweten Onkels Anton und seiner beiden halbwüchsigen Söhne, die arge Raufbolde waren. Ich beneidete sie nicht.

 

Hand in Hand durchquerten mein Gatte und ich die Straßen und gingen mit den anderen Nachbarn aus dem Dorf hinaus und zur Anhöhe nahe des Waldes, von dessen Fichten ein betörender harziger Duft zu uns strömte. Hinter den Baumkronen ging eine rotgoldene Sonne unter, deren letzte Strahlen den Himmel in warmes Rot tauchten. Einige junge Burschen stellten ausgehöhlte Baumstümpfe auf, in denen brennende Dochte in Öl schwammen und die Tanzfläche wurde von brennenden Fackeln umsäumt.

Die älteren Frauen verteilten eine dicke Suppe in Tonkrügen und es gab auch Met und Bier. Ich lieferte die beiden Brote ab, die ich als Spende für das Fest gebacken hatte.

Und dann spielten die Musiker endlich auf. Mit Flöte und Fidel.

Manches Mal musste Wilm mich bremsen, weil ich mich beim Tanz so verausgabte. Aber das Kleine schien sich wohl zu fühlen und schwang seine Tanzbeine zum Takt der Musik in meinem Körper.

 

Panisch sah ich mich nach einer Fluchtmöglichkeit um, doch der Nebel war auf allen Seiten gleichmäßig dick und undurchdringlich und es gab nichts, auf das ich hätte klettern können, um mich zu retten …

 

Als der Abend schon fast in die Nacht übergegangen war, fand ich mich plötzlich mutterseelenallein am Waldrand wieder. Der Klang der Musik hallte noch leise an meinem Ohr und ich wusste gar nicht, wie ich mich so weit vom Festplatz hatte entfernen können. Nicht einmal die Geräusche der Liebenden, die sich in jedem Jahr nach und nach absonderten und sich in den Büschen liebkosten, waren zu vernehmen. Ein Lächeln huschte über mein Gesicht als ich an die Nacht dachte, als Wilm mich zwischen die Bäume und hinunter zur Schlucht gezogen hatte um mich unter Küssen und Versprechungen zu seiner Frau zu machen. Keines seiner Versprechen hatte er jemals gebrochen.

Nun hielt sich niemand in meiner Nähe auf, nicht einmal die Spechte oder die Eichhörnchen, die sich sonst in den Baumkronen tummelten. Die Stille hätte mich stutzig machen können, doch obwohl ich keine berauschenden Getränke genossen hatte, war ich trunken vor Übermut.

Angst verspürte ich nicht. Ich liebte den Wald und hatte mich immer gern ins Gehölz geschlichen. Schon als kleines Mädchen hatte ich Pilze gesammelt und Kräuter und Blumen. Oft hatte ich nicht gewusst, was ich da überhaupt in meinen Korb legte und musste eine Nachbarin nach den Eigenschaften der Pflanzen fragen. Es ging mir auch nicht darum, eine Heilkundige zu werden. Ich genoss es einfach, die Ruhe des Waldes in meinen Geist eindringen zu lassen und das Kräutersammeln war ein Vorwand, um mich fortschleichen zu dürfen. Auch jetzt liebte ich den harzigen Geruch, der in meine Nase stieg. Ich schloss die Augen, breitete die Arme aus und drehte mich langsam im Kreis.

Ist es nicht wunderschön hier, mein Kind?‘ Ich dachte den Satz nur, weil ich mir sicher war, dass es meine Gedanken hören konnte.

Und so drehte und drehte und drehte ich mich, bis ich stolperte und erschrocken die Augen aufriss. Zwei starke, kalte Hände fingen mich auf und ich sah in die blassgrünen Augen eines fremden Mannes. Vor Schreck schrie ich kurz auf, doch der Mann ließ mich sofort los, als meine Füße wieder Halt fanden.

„Ich danke Euch, mein Herr.“

Ich machte einen kleinen Knicks, denn offensichtlich war dieser Mann von edler Herkunft.

Er erwiderte nichts. Sein Blick war traurig und er schüttelte den Kopf wie ein Vater, den die Dummheit seines Kindes wundert. Das Kind in meinem Bauch strampelte aufgeregt und plötzlich schlug mir das Herz bis zum Hals.

Der Mann stand einfach nur da in seinen Kniehosen und dem altmodischen Wams mit dem viereckigen Hemdkragen. Das rötliche Haar war lang und fiel ihm seidig über die Schultern. Er sah aus, als wolle er einen Ball besuchen und die Spangenschuhe waren weder für einen Spaziergang durch den Wald, noch für einen Ausritt geeignet. Zumal sich auch kein Pferd in Sichtweite befand.

„Habt Ihr Euch verlaufen, Herr? Der Hof des Grafen von Blausee liegt 5 Meilen gen Süden.“

Ich zeigte in die entsprechende Richtung und machte einen Schritt auf den jungen Mann – er war sicherlich einige Jahre jünger als ich – zu. Er dagegen machte bei jedem meiner Schritte nach vorn einen zurück. Er sah bleich aus. Nicht nur seine Haut, sondern auch sein Haar und seine Kleidung wirkten wie mit einem Grauschleier überzogen, als stehe er im Nebel.

„Herr, kann ich Euch helfen?“

Da plötzlich näherte er sich mir, trat ganz nah und je näher er kam, desto durchscheinender wirkte er. Als seine Lippen nur eine Spur von meinem Mund entfernt waren, flüsterte er rau und heiser – als habe er seit Jahren nicht mehr gesprochen: „Erlöse mich.“

Und dann spürte ich den Kuss des Todes. Zart und kalt. Mir wurde schwindlig, doch ich genoss dieses Gefühl und drückte meine Lippen fester auf diesen schönen Mund.

Von weitem hörte ich Wilms Stimme, die meinen Namen rief. Der Fremde war verschwunden. Mein Kind hatte sich beruhigt und bewegte sich nur noch wenig in mir.

„Ich komme, Wilm! Ich komme!“

Wilm schalt mich auf seine zaghafte Art, dass es sehr verantwortungslos von mir gewesen sei, bei Nacht in einen Wald zu gehen, in dem es Wildschweine gab und sich durchaus auch einmal eine Räuberbande verbergen könne. ‚Und schöne, junge Männer mit zarten Lippen,‘ dachte ich bei mir und verbarg ein Lächeln. Annamaria dagegen schimpfte laut und unnachgiebig.

Ich ließ alles ruhig über mich ergehen, schon ein wenig gelöst von der Menschenwelt, was ich damals noch nicht ahnte. Alles war unwirklich und fern mit einem Mal. Den leisen Schmerz, der in dieser Nacht in meinen Unterleib kroch, bemerkte ich kaum.

Meine Gedanken weilten bei dem jungen Mann. Er war so wunderschön gewesen, hatte die gleichmäßigen Züge eines Engels gehabt. Das Grün seiner Augen war hell wie Steinkraut und seine kühlen Lippen hatten einen Hauch in meinen Körper geblasen wie der eisige Wind an einem Wintermorgen, wenn sich der Atem in weißen Schwaden mit der eisigen Winterluft zu einem Tanz vermischt.

 

„Du schwitzt, Liebste.“ Wilm wischte mir mit seinen großen dunklen Händen die schweißverklebten Haare aus der Stirn. Verwirrt sah ich ihn an, überrascht, nicht den schmalen, rotblonden Mann aus meinen Gedanken vor mir zu haben. Wilm war riesig, breit und hatte eine solch dunkle Haut, als stamme er aus den Ländern vom Mittelmeer. Er hatte einmal erzählt, dass sein Großvater als Söldner im Dreißigjährigen Krieg in unsere Gegend gekommen war und sich mit einer Frau von hier vermählt habe. Man hatte ihn Jupp genannt, aber sein richtiger Name lautete Guiseppe und er kam von einer Insel, wo gelbe Früchte von der Größe eines Apfels an den Bäumen wuchsen, die furchtbar sauer schmecken sollen. Von diesem Großvater hatte Wilm, eigentlich Wilhelm, seinen dunklen Teint und die tintenschwarzen Locken geerbt. Angeblich auch das dichte Kraushaar auf seiner Brust, in dem ich so gern meine Finger vergrub.

Auch jetzt kuschelte ich mich an seine breite Brust. Wilm fror selten und trug nur in den kältesten Wintermonaten ein Nachthemd. Den Rest des Jahres schlief er nackt unter den Decken und er liebte es, wenn ich es ihm gleichtat, denn er strömte genug Hitze für zwei aus. Natürlich verriet ich niemandem von meinem sündigen Tun. Es gehörte sich nicht, nackt zu schlafen, eigentlich war es nicht einmal recht, wenn mein Gatte mich komplett nackt sah. In Ermangelung einer Mutter hatte meine Tante Alke mir in meiner Brautnacht erklärt, ich müsse das Nachtgewand bis zu den Hüften schürzen und lernen zu ertragen, was dann geschah. Das war eine weitere Sünde, die ich nicht zur Beichte tragen konnte: ich genoss den Beischlaf mit meinem Mann über alle Maßen und oft war ich es, die ihn herausforderte, meine Hüften zu nehmen. Dabei sollte ich doch die Schüchterne, Passive spielen und seine Berührungen nur erdulden. Die nächste Sünde war es, dass ich sogar jetzt noch meine ehelichen Pflichten erfüllte, obwohl ich das Kind schon in mir trug. Dabei wurde uns in der Kirche immer gepredigt, dass der Beischlaf einzig der Vermehrung diene und keinesfalls der Lustbefriedigung. Aber um Sünden hatte ich mich nie groß geschert.

 


Die Verdammte vom Ikenwald

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