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Des Glückes Krönung

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Nun bin ich tot und die Rauchwolken des Fegefeuers wollen mich verschlingen! Das kann ich nicht zulassen, meine Aufgabe auf Erden ist noch nicht erledigt! Wilm wird über seinen Kummer hinwegkommen, er ist stark … aber meine Kleine, ich kann doch meine Kleine nicht im Stich lassen!

 

Eine kleine Schmerzwelle wanderte durch meinen Körper und ich zuckte ein wenig. Der Morgen graute, aber wir konnten noch ungefähr zwei Stunden ruhen.

„Mir ist ein wenig übel“, murmelte ich und presste die Stirn an seine Brust.

Wilm schob mich von sich weg und sah mir tief in die Augen. „Ist es das Kind? Wird es kommen?“

Eine Geste der Ahnungslosigkeit war die Antwort. Die anderen Frauen hatten gesagt, ich werde es wissen, wenn es so weit sei, doch mein Geist war so verwirrt, dass ich mich kaum auf meinen Körper konzentrieren konnte.

Sanft bettete Wilm mich zurück und strich mit den Händen über meine Brüste, drückte und knetete die Warzen.

Ein Lachen gluckerte in mir. „Was machst du denn da?“

„Bei den Ziegen bildet sich ein Harz am Euter und später beginnt die Milch zu fließen, wenn das Zicklein kommt.“

Ich kicherte. „Bin ich eine Ziege?“

Er verrieb ein wenig gelbe Flüssigkeit zwischen Daumen und Zeigefinger. „Sieh her!“

Dann spreizte er meine Beine und sah auf meine intimste Stelle. Nun schnappte ich laut nach Luft und schubste ihn zurück. „Das gehört sich nicht, Wilm!“

„Pah“, schnaubte er, der zwar ein tiefgläubiger, aber eben auch ein sehr praktischer Mensch war. Seiner Meinung nach hatte Gott den Menschen die Gelüste gegeben, um Freude aneinander zu haben und er glaubte nicht, dass sie Teufelswerk waren, um die Beständigkeit des Menschen zu prüfen. Er fuhr mit seiner Untersuchung fort, dann schnalzte er mit der Zunge und sprang federnd aus dem Bett.

„Ich werde die Hebamme holen.“

„Aber Wilm, ich spüre kaum etwas!“

„Glaub mir, noch heute wird unser Kind geboren werden. Du hast gestern sicherlich ein Tänzchen zu viel genossen.“ Eine leise Andeutung von Missbilligung schwang in seiner Stimme mit, während er in sein Wams und die Hosen schlüpfte. Durch die geöffnete Tür tappte unsere graugetigerte Katze Luise und sprang zu mir ins Bett, wo sie sich wohlig schnurrend an meinem Bauch zusammenrollte.

„Dann bereite ich schon mal das Mittagessen für dich vor, denn vielleicht habe ich nachher nicht mehr die Gelegenheit dazu“, grinste ich meinem Mann zu.

Er zog mich zu einem innigen Kuss an sich und machte sich auf den Weg.

 

Meine Mutter ist im Kindbett gestorben. Zusammen mit meinem kleinen Bruder. Er lebte nur fünf Stunden, sie nur noch zwei Tage nach der Geburt. Der Pfarrer war rechtzeitig da, um meinen Bruder auf den Namen Alfons zu taufen und meiner Mutter die Beichte abzunehmen. Dann starben sie und wurden auf dem Friedhof in einem gemeinsamen Grab beigesetzt. Als mein Tod nahte, nahm mir niemand die Beichte ab und ich verließ diese Welt mit einer Seele, die dunkel und fleckig war von den Sünden, die ich auf mich geladen hatte: Eitelkeit, Ignoranz, Lust, Überheblichkeit und manches mehr …

Nun liegen meine Überreste verscharrt in ungeweihter Erde und der Nebel kommt näher und näher …

 

Gegen Mittag waren die Schmerzen stärker geworden, aber noch gut zu ertragen. Kurz nach dem Mittagsläuten betrat Annamaria unser Haus. Ihr langes, dunkles Haar trug sie wie immer offen, eine Tradition ihrer Jugend, die sie nicht aufgeben wollte. Annamaria war keine unansehnliche Frau. Sie war nur sehr groß, größer als mancher Mann, was einige Burschen abschreckte und sie selbst hatte mir einmal verraten, dass sie keinen Ehemann ernst nehmen könne, dem sie auf den sich lichtenden Scheitel sehen könne. Sie hatte eine helle, fast blasse Gesichtsfarbe, die ihre dunklen Augen unnötig betonte. Ihr Körper war sehr schlank und sie war nahezu flachbrüstig. Sie hätte einen stattlichen, jungen Mann abgegeben, aber leider war sie eine Frau geworden.

Sie zeichnete sich mit Intelligenz und Fleiß aus, geschickt in der Handarbeit und beim Gärtnern und ihr Bruder und die Neffen konnten froh sein sie zu haben, dankten es ihr aber nicht, weil sie ihr Dasein als selbstverständlich hinnahmen.

Zudem war Annamaria mit einer spitzen Zunge geschlagen, die sie oft nicht kontrollieren konnte und sie war so bettelarm, dass sich kein Mann ihrer erbarmen konnte. In den letzten Jahren hatte ich oft verspürt, dass ihre Stimme immer schneidender geworden war und sich ein bitterer Zug in ihren Mundwinkel gegraben hatte, aber kaum war mir dieser Gedanke gekommen, hatte ich ihn auch schon wieder vergessen.

Ich war kein mitfühlender Mensch. Mit Freundlichkeit, Heiterkeit und Leichtlebigkeit eroberte ich meine Mitmenschen, aber ich kümmerte mich nicht besonders um ihre Probleme, wie ich heute zugeben muss. Bezeichnend dafür ist, dass ich mich von einem wildfremden Mann küssen ließ, ohne auch nur ein schlechtes Gewissen zu verspüren.

Wenn ich ehrlich bin, stellte ich mir sogar vor, wie diese kühlen, blassen Hände meine Taille umfingen, wie seine hellen Lippen über meine Schultern und den Ansatz meiner Brüste streiften.

Annamaria griff sich als Erstes den Besen und begann, alle drei Räume, die Bettkammer, den Wohnraum und selbst Wilms Werkstatt auszukehren. Irgendwie fand ich mich innerhalb weniger Minuten mit einem Becher voll Kräutertee auf einen Hocker gedrückt und sah meiner Freundin zu, wie sie das Regiment übernahm.

„Hast du in deinem Haus nicht genug zu putzen?“, fragte ich schwach lächelnd.

Annamaria winkte ab. „Bei den drei Banausen ist alles vergebene Mühe. Spätestens heute Abend hat der Erste sich wieder in die Binsen erbrochen und fast täglich finde ich die Scherben eines zerbrochenen Krugs auf dem Boden …“

Sie klagte ihr Leid in jeder Einzelheit und ich vergaß kurzfristig die immer wiederkehrenden Schmerzen, die mich durchzuckten. Für einen Moment krampfte sich die Haut wie eine Faust über dem Kind zusammen und riss dabei alle meine Gefäße mit sich, bevor eine Welle der Entspannung folgte.

„Geh ein wenig spazieren!“, befahl Annamaria. „Aber nur bis zum Brunnen und komm dann wieder zurück, damit ich nicht nach dir suchen muss.“

Ich nickte. Der Brunnen auf dem Dorfplatz befand sich ungefähr dreihundert Meter von unserem Haus entfernt. Es gelang mir unterwegs, mich mit der alten Hedwig zu unterhalten, ohne dass sie meine Beschwerden erriet. Eine Weile saß ich im Schein des warmen Maitages und bewunderte die bunten Bänder, die ein junger Bursche um einen Maibaum gewunden hatte, der an der Hauswand des Bäckers Gustav lehnte. Gustav hatte zwei halbwüchsige, blonde Töchter, die gerade anfingen, den Männern schöne Augen zu machen.

Ich selbst hatte meine Backfischzeit genossen. Ein tiefer Blick hier, ein aufreizender Wimpernschlag da und ein kokettes Lächeln als besondere Dreingabe. Jedes Jahr hatte ein Maibaum vor unserem Haus auf mich gewartet. Mehr als auffordernde Blicke durfte ich mir natürlich nicht erlauben, wenn ich meinem Ruf nicht schaden wollte und auch so hörte ich von Zeit zu Zeit die gehässige Stimme diverser alter Damen, die meinen Vater darauf hinwiesen, dass ich für ihren Geschmack etwas zu keck sei.

Mein Vater hatte dann nur gelächelt und mir später den Kopf getätschelt mit den Worten:

„Nun tu doch wenigstens so, als seist du ein respektvolles Kind, wenn die Alten in der Umgebung sind.“

„Aber Vater“, ich schlackerte unschuldig mit den Wimpern, „du hast mir nie beigebracht, wie sich ein respektvolles Kind zu verhalten hat.“

Dafür erntete ich einen halbherzigen Klaps. Mein Vater wusste ganz genau, dass er mir mein Lebtag keine Regeln auferlegt hatte und in Wilm bekam ich einen Mann, der ebenso großherzig wie nachlässig war. Ich dankte es ihm mit ergebener Treue und deshalb denke ich nicht, dass Wilm einen Nachteil in der Ehe mit mir hatte.

 

So saß ich in Gedanken versunken am Brunnenrand, als ein Schwall warmen Wassers von einem Moment auf den anderen an meinen Beinen hinabrann und meinen Rock durchnässte. Hatte ich einen gefüllten Eimer übersehen und umgestoßen? Doch das Brunnenwasser war kalt und nicht warm! Mein Bauch fühlte sich plötzlich anders an und es kam mir vor, als sei er von einer Sekunde auf die andere herabgesackt.

Schon umringten mich zwei Bäuerinnen, die auf dem Rückweg vom Markt waren und gerade ihre Esel tränkten und redeten auf mich ein.

„Dein Kind wird bald kommen, … das Wasser ist abgegangen … nach Hause …“

Die Schmerzen überfluteten mich erneut, diesmal stärker und ich war erleichtert, als Wilms erschrockenes Gesicht vor mir auftauchte und er mich auf seinen starken Armen nach Hause trug. Die kleine, alte Frau, die sich bemühte, Schritt mit ihm zu halten, war die Hebamme. Sie wohnte ein paar Dörfer entfernt und musste zu Fuß an die zwei Stunden laufen, bis sie bei uns war. Wilm war schon am frühen Vormittag mit dem Eselskarren aufgebrochen, hatte allerdings warten müssen, wie er mir erzählte, bis sie einem anderen Kind auf die Welt geholfen hatte.

Etta ging schon auf die sechzig zu und hatte mehr Kinder ins Leben gebracht, als es Einwohner im Dorf gab. Sie war ruhig und erfahren, sah sich zufrieden in unserem gepflegten Haus um und lobte Annamarias Vorarbeit, die saubere Tücher bereitgelegt und die Bettstatt abgedeckt hatte.

Ich selbst bekam nicht mehr besonders viel von dem mit, was die Frauen besprachen, spürte nur Wilms festen Kuss und hörte seine aufmunternden Worte ohne ihren Sinn zu erfassen, bevor er hinausgeworfen wurde. Männer galten bei einer Geburt als Störfaktor.

 

Dann folgten die Stunden des Kampfes. Der Tag ging in die Nacht über, der Morgen graute und noch immer war das Kind nicht geboren. Lange hatte ich geschrien vor Schmerz, dann erfasste mich eine tiefe Müdigkeit und die Wehen hörten auf. Nun dämmerte ich vor mich hin, während Etta Annamaria erklärte, dass ich das Kind nicht auf die Welt bringen könne. Mein Becken sei zu schmal, das Kind liege nicht richtig und ich sei ohnehin schon zu sehr geschwächt.

„Du kannst die beiden doch nicht einfach sterben lassen“, empörte Annamaria sich. „Beide leben sie noch. Der Bauch bewegt sich. Lass dir gefälligst etwas einfallen!“

An der Unterlippe nagend sah Etta auf meinen nahezu reglosen Körper und erst jetzt bemerkte ich, dass ich dieses Gezänk nicht vom Bett aus mitbekam – ich hatte mich schon gewundert, warum mein Verstand plötzlich wieder so klar war – sondern, dass ich an der Decke schwebte. Ich sah mich selbst, blass, aber wunderschön auf dem Bett liegen und Annamaria, die wild mit den Händen gestikulierte und mit dem Fuß aufstampfte. Gute, tapfere Annamaria.

„Ich kann sie aufschneiden und das Kind herausheben. Du musst es sofort nehmen und reinigen und ich nähe deine Freundin wieder zu. Es muss ganz schnell gehen, sonst wird sie mir verbluten und wenn ich zu tief schneide, werde ich das Kind treffen …“

„Du musst es versuchen“, bekräftigte Annamaria. „So“, sie wies auf meinen ohnmächtigen Körper, „wird sie es nicht schaffen!“

Sie wollten mich aufschneiden? Nein, nein, das konnten sie doch nicht tun! Die meisten Leute starben schon an winzigen Stichverletzungen, bekamen Wundbrand und Fieber und diese beiden wollten meinen Bauch aufschlitzen?

„Ich werde mit dem Vater sprechen.“

Die Hebamme wollte hinausgehen, doch Annamaria hielt sie fest und sah sie eindringlich an.

„Nein, Etta, du musst es jetzt sofort machen!“

Resigniert nickte die alte Frau. Es war schwierig, Annamaria zu widersprechen, es sei denn, man hörte ihr die halbe Zeit nicht zu, so wie ich es tat. Und dann war ich plötzlich wieder in meinem Körper, spürte einen furchtbaren, schrecklichen, stechenden Schmerz und der Raum um mich wurde schwarz, als ich das Bewusstsein verlor.

 

Auf den Zehenspitzen stehend kann ich dem Nebel noch ein wenig standhalten. Er wird dichter, grauer, der Boden blubbert und wabert. Die ersten Schwaden streichen an meinen Zehen entlang. Ich schreie …

 

Als ich erwachte, spürte ich Wilms wohlbekannte, kurze Locken an meiner Wange. Er saß auf einem Schemel an meinem Bett und hielt meine Hände umschlungen. In dieser Stellung war er eingeschlafen und atmete gegen meine Schulter. Ich wollte mich zu ihm umdrehen, doch bei der winzigsten Bewegung durchfuhr mich ein stechender Schmerz und ließ mich fast wieder ohnmächtig werden. Zudem musste ich wohl einen Klagelaut ausgestoßen haben, denn Wilm erwachte und sah mich mit geröteten Augen an. Hatte er etwa geweint?

„Liebste.“ Er streichelte mein Gesicht. „Da bist du ja.“

„Das Kind?“, krächzte ich.

Ein strahlendes Lächeln war die Antwort. „Wir haben eine gesunde Tochter. Sie ist groß und kräftig.“ Er stand auf und verließ mein Blickfeld, um wenige Momente später mit einem Bündel zurück zu kehren, das er auf meine Brust legte.

Mit einer Hand schlug ich die Decke zur Seite und bewunderte dieses herrlich schöne, kleine Wesen. Dichtes, pechschwarzes Haar bedeckte seinen Kopf, die Haut war warm und rosig und als ich mit den Fingern über die winzige Handfläche fuhr, griff das kleine Mädchen fest zu. Eine heiße Welle der Liebe zu diesem neuen Menschen durchflutete mich, wie ich sie noch nie gekannt hatte. Diese Liebe hüllte mich und meine Tochter vollkommen ein. Sie war nicht zu vergleichen mit der Zuneigung zu Annamaria oder der Verbundenheit mit meinem verstorbenen Vater. Auch die Gefühle für Wilm ließen sich nicht mit den überwältigenden Emotionen vergleichen, die mich in diesem Moment überwältigten.

„Ich liebe sie“, flüsterte ich mit tränenschwerer Stimme.

Wilm lächelte. „Und ich euch. Wie soll sie heißen?“

„Theresia. Annamaria sagt, das bedeutet Geschenk.“

 

Da ahnte ich noch nicht, wie bald mir dieses Geschenk entrissen werden sollte oder eher, dass ich diesem Geschenk genommen werden würde…

 


Die Verdammte vom Ikenwald

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