Читать книгу Die Verdammte vom Ikenwald - Vanessa S. Morolt - Страница 7

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Fieber


Theresia trank gierig meine Milch. Wilm und Annamaria – die so flink wie möglich ihre Männer versorgt hatte und zu uns zurückgekehrt war - legten sie abwechselnd an, weil ich noch zu schwach war, um sie zu halten. Um ehrlich zu sein, wurde ich immer schwächer, während meine Tochter an Kraft gewann. Es war, als sauge sie mit der Milch die Lebenskraft aus mir heraus.

Dann kam das Fieber und ich drehte jedes Mal den Kopf weg, wenn Annamaria mir energisch einen Löffel Suppe an die Lippen hielt. Irgendwann forderte Annamaria Wilm auf, den Pfarrer zu wecken – es war wieder Nacht. Ich sah den zärtlichen Blick, den sie meinem vollkommen aufgelösten Mann schenkte. Ein Blick, der ihre Züge zum Strahlen brachte und sie hübsch aussehen ließ, wie ich sie nie gesehen hatte. Wilm gehorchte unter Schluchzern, weshalb ich glaubte, träumen zu müssen. Das konnte nicht mein starker, immer fröhlicher Mann sein!

„Ich bringe Theresia in den Nebenraum“, sagte Annamaria zu mir oder zu sich selbst. Als sie die Tür hinter sich schloss, wallte Panik in mir auf.

‚Sie will meine Tochter stehlen! ‘ Durchschoss es mich. ‚Sie hat keine eigenen Kinder und nun nimmt sie meins! Nur deshalb hat sie mir beigestanden! ‘

Alle Kräfte mobilisierend kämpfte ich mich fieberheiß aus dem Bett. Mein Körper fühlte sich an, als werde er auseinandergerissen und dann drehte sich das Zimmer um mich herum wie ein Kreisel und mein Kopf schlug hart auf dem festgestampften Boden auf.

Wieder umfing mich Schwärze.

 

Langsam, Stück für Stück, kriechen die Nebelschwaden meine Knöchel hinauf, schlingen sich um die Waden, die Kniescheiben… Ich kann mich keinen Schritt mehr rühren. Meine Schreie verhallen. Die Zeit zu kämpfen ist verstrichen, ich ergebe mich der Umarmung des Nebels als schwämme ich in einem warmen See.

 

Ein weiteres Mal schwebte mein Geist an der Decke unseres Schlafzimmers und erneut sah ich die blasse Schlummernde am Boden liegen. Wunderschön. Einem Glorienschein gleich umwallten die langen, dunklen Locken ihr makellos weißes Gesicht. Die Arme lagen locker ausgestreckt und das weiße, züchtige Nachtgewand ließ sie wie einen gefallenen Engel wirken. Nur die dunkelrote Blutlache, die den hellen Stoff dunkel gefärbt hatte, störte das schöne Bild. Oder machte sie das Schauspiel erst perfekt? Schwarz wie Ebenholz, weiß wie Schnee und rot wie Blut …

Annamaria kam ohne den Säugling in den Raum gestürzt und brach klagend und schluchzend über meinem Leichnam zusammen. Ja, ich war tot. Das wusste ich sofort, aber es war zu unwirklich für mich. Viel mehr überraschte mich, wie sehr Annamaria ihre Selbstbeherrschung verlor. Kurz darauf betraten Wilm und der Pfarrer das Zimmer und was dann geschah, verschwamm vor meinen Augen. Wilms Trauer war zu groß, als dass ich sie greifen konnte.

Das heftige Weinen meiner Theresia holte mich in die angrenzende Küche. Ich wollte zu ihr eilen, sie in die Arme nehmen und beruhigen, doch ich bestand nur aus Luft. Annamaria war es, die mein Kind beruhigte. Eine Welle von Hass überflutete mich. Meine beste Freundin stahl mein Kind! Und meinen Mann wollte sie noch dazu!

Mein Bewusstsein versank in Schwärze. Als ich wieder auf die Erde hinabsehen konnte, befand ich mich nicht mehr in unserem Haus, sondern oben am Waldrand, nicht weit entfernt von der Stelle, wo ich dem Fremden begegnet war.

Ich sah einen Sarg, geschnitzt von Wilm – seine Arbeit erkenne ich immer und überall – und dieser Sarg befand sich in einer Grube. Wer beerdigt denn einen Menschen am Waldrand? Der Friedhof lag an der entgegengesetzten Seite des Dorfes. Nur Räuber und Diebe wurden hier draußen beigesetzt und das kam so selten vor, dass ich nur vom Hörensagen wusste, dass es so war.

Zudem hatten Verbrecher keine Trauergesellschaft und an der Grube standen zumindest vier oder fünf Menschen. Mein Mann Wilm und Annamaria mit ihrem Bruder. Ihre Neffen schaufelten Erde auf den Sarg. Die alte Hedwig ließ den Rosenkranz durch ihre Finger gleiten und betete. Von einem Pfarrer keine Spur. Was hätte er auch am Grab eines Verdammten zu suchen?

Ohne Vorwarnung brach Wilm an der Grabstätte zusammen und grub die Hände in die Erde. Er weinte und schrie: „Magda! Magda!“

Warum nur rief er meinen Namen?

Für den Bruchteil einer Sekunde schien es, als wolle er sich in das tiefe, schwarze Loch stürzen, bis Annamarias großer, korpulenter Onkel ihn zurückriss, Annamaria ihn fest mit den Armen umfing und er sich an ihrer Schulter ausweinte.

Da begriff ich, wer in dem Sarg lag. Ich war verdammt, verflucht. Ohne den Segen der Kirche wurde ich wie ein Mörder in ungeweihter Erde verscharrt. Gott helfe mir!

 

Der Nebel zieht mir in Mund und Nase und in die Öffnungen der Ohren. Sein würgender Griff umschließt mich und ich werde von grauen Wolken einverleibt. Eine gewaltige Hitze umfängt meinen Geist und verbrennt mich zu Staub. Ich bin im Fegefeuer …

 


Die Verdammte vom Ikenwald

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