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KAPITEL 1

Ein großes Abenteuer

Großmutter Hudson saß mit einem Ich-habe-es-dir-ja-gesagt-Lächeln am Frühstückstisch, als ich von dem Telefongespräch mit meiner Mutter zurückkehrte.

»Und?«, fragte sie, als ich schweigend dasaß. Ich wusste, sie wollte hören, dass sie Recht gehabt hatte. Aus Trotz ließ ich sie warten. Mein Zögern war auf meinen eigenen Schmerz zurückzuführen. Ganz gleich, wie tapfer ich mich gab, ich war enttäuscht.

»Sie kommt nicht«, sagte ich schnell mit niedergeschlagenen Augen. »Sie sagt, der Generalstaatsanwalt habe sie zum Essen eingeladen. Ich soll sie anrufen, wenn du dich unterstehen solltest, Pläne zu schmieden, mich nach England zu begleiten.«

»Genau deshalb sollte ich fahren«, sagte Großmutter Hudson wie ein bockiges kleines Mädchen. »Hast du alles gepackt?«

»Ja.«

Sie ließ einen langen weißen Umschlag zu mir herübergleiten.

»Was ist das?«

»Extra Taschengeld. Ich erwarte nicht, dass meine Schwester dir irgendetwas kaufen wird, das du benötigst. Es ist ein Scheck. Sobald du angekommen bist, bittest du Leonora, dich zu ihrer Bank zu bringen und ihn gutschreiben zu lassen. Du weißt natürlich, dass das Geld in englische Pfund gewechselt wird?«

»Ja.«

»Du musst dir den Wechselkurs merken, damit du weißt, was die Dinge kosten. Natürlich sprechen sie die gleiche Sprache«, fuhr sie fort, »aber es gibt viele Unterschiede. Meine Schwester ist anglophil geworden. Sie hat einen britischen Akzent, obwohl es noch gar nicht so lange her ist, dass ich sie dabei erwischte, eher wie eine Amerikanerin zu reden. Ein bisschen Umgewöhnung ist nötig, aber das gehört mit zum Abenteuer.« Sie machte eine Pause, lehnte sich zurück und seufzte. »Ich wünschte, ich wäre in deinem Alter. Und könnte irgendwo hinreisen. Ich habe das Gefühl, an diesen Stuhl gefesselt und von meinem eigenen verräterischen Herzen eingekerkert zu sein«, stöhnte sie.

»Du hast mir oft erzählt, dass du viel gereist bist und dass du es genießt, dich nicht mehr irgendwohin schleppen zu müssen«, erinnerte ich sie.

»Ja, wir reisten sehr oft, bis Everett krank wurde.« Sie hielt inne, schaute einen Moment nachdenklich drein und grinste mich dann schief an. »Niemand hat dir aufgetragen, dir jedes Wort zu merken, das ich in diesem Haus äußere, und es mir dann wieder an den Kopf zu werfen.«

Ich lachte sie an, und sie lächelte kopfschüttelnd. Dann wurde sie wieder ernst.

»Ich sollte dir ein wenig über meine Schwester Leonora und ihren Mann Richard erzählen«, sagte sie und rutschte auf ihrem Sitz nach vorne. »Du weißt bereits, dass er Anwalt ist, und Leonora wird dir als Erstes erzählen, wie bedeutend er ist. Sie wohnen in einem vornehmen Stadtteil von London, Holland Park. Ich bin nur zweimal dort gewesen, einmal zu Besuch und einmal … zu einer Beerdigung.«

»Einer Beerdigung?«

»Sie verloren ihr einziges Kind Heather. Sie war damals sieben Jahre alt.«

»Wie schrecklich. Woran ist sie gestorben?«

»Sie wurde mit einer fehlerhaften Herzklappe geboren und durch Operationen ließ sich das Problem nicht lösen. Eines Morgens stellten sie fest, dass sie im Schlaf gestorben war. Es war sehr traurig.«

»Was hast du deiner Schwester über mich erzählt?«, fragte ich.

»Was alle anderen auch glauben. Es ist besser für uns, es dabei zu belassen. Meine Schwester ist nicht so liberal eingestellt wie ich. Im Augenblick glaubt sie, dass du dort wohnen und bei der Hausarbeit helfen wirst, während du die Schauspielschule besuchst. Da sie ein Hausmädchen, eine Köchin, einen Butler und einen Chauffeur haben, wird es für dich bestimmt nicht viel zu tun geben. Sie wird gewiss nicht auf ihr Dienstmädchen verzichten und dir ihre Pflichten übertragen. Eine große Anzahl von Dienstboten zu haben ist in London ein viel zu wichtiges Statussymbol.«

»Ich habe keine Angst vor harter Arbeit, Großmutter.«

»Das weiß ich.« Sie lächelte, dann wurde ihr Gesicht wieder düster, als sie hinzufügte: »Nicht die Arbeit wird hart sein. Ich wäre jedoch nicht einverstanden gewesen, dich hinüberzuschicken, wenn ich nicht das Gefühl hätte, du würdest dort gut zurechtkommen, Rain Mr MacWaine wird sich gut um dich kümmern, und ich hoffe, dass ich eines Tages noch dorthin komme trotz meines tyrannischen Arztes.«

Ich nickte. Ich hoffte wirklich, sie würde kommen.

Später hörte ich, während ich Roy einen Brief schrieb, wie Victoria ins Haus kam. Ich wusste immer, wann es Victoria war. Ihre Absätze klapperten wie Hämmerchen über den Fliesenboden. Ihre Schritte waren entschlossen; man könnte wohl sagen, dass sie eher marschierte als ging; ihre langen Beinen schritten kraftvoll aus, während sie ihre knochigen Schultern drehte.

Ich hörte ihre Stimme, die von Großmutter Hudsons geschlossenen Türen kaum gedämpft wurde.

»Ich habe gerade erfahren, wie teuer diese lächerliche Reise nach England ist, die du finanzierst, Mutter. Und zu allem Überfluss reist sie auch noch erster Klasse?«

»Du reist doch auch immer erster Klasse, Victoria«, erinnerte Großmutter Hudson sie.

»Ja, ich. Ich bin deine Tochter. Ich führe hier die Geschäfte. Mir steht es auch zu, erster Klasse zu reisen. Dieses … Mädchen ist eine Schande für die Familie, jemand, den man verstecken sollte, nicht laut anpreisen, als wären wir alle stolz darauf, dass meine Schwester ein illegitimes Kind mit einem Schwarzen hat. Daddy würde sich im Grab umdrehen. Er reiste ja nicht einmal erster Klasse!«

»Dein Vater nutzte die Vorteile seines Geldes nie aus. Ich habe nie verstanden, warum man es verdient, wenn man es nicht genießt«, erwiderte Großmutter Hudson ruhig.

»Ganz meiner Meinung. Sie hat es nicht verdient, oder?«

»Wann wirst du endlich begreifen, dass es meine Sache ist, was ich mit meinem Geld tue, Victoria? Wir haben diese Unterhaltung bis zum Überdruss geführt. Wenn du geizig sein willst, dann bitte mit deinem Geld, aber lass mich damit in Ruhe.«

»Ich habe auch gesehen, wie viel diese Schule kostet«, sagte Victoria und ignorierte damit Großmutter Hudsons Wünsche. »Es ist lächerlich, aufgrund einer Schulaufführung anzunehmen, sie besäße irgendein Talent. Conor MacWaine raubt uns aus. Vermutlich genießt er es, dumme Amerikaner übers Ohr zu hauen.«

»Nennst du mich dumm?«

»Es ist nicht besonders intelligent, vierzigtausend Dollar dafür auszugeben, dass dieses Mädchen Schauspielerin wird.«

»Wenn du jetzt fertig bist …«

»Ich bin noch nicht fertig. Ich will wissen, wann du deinen Anwalt wegen des Testamentes anrufst, Mutter.«

»Ich habe dir gesagt, dass ich nicht rückgängig machen werde, was ich getan habe. Wenn du dein eigenes Testament machst, brauchst du sie ja nicht zu bedenken.«

»Was?« Victorias Lachen glich eher einem Quietschen. »Du glaubst doch nicht, dass ich ihr jemals etwas vermachen würde, oder? Ach, was soll’s. Ich verschwende nur meine Energie.«

»Endlich sagst du etwas Vernünftiges.«

»Es sollten sich nicht alle darauf verlassen, dass ich in dieser Sache ewig den Mund halte, Mutter. Eines Tages …«

»Du wirst nichts dergleichen tun«, blaffte Großmutter Hudson. »Wenn du auch nur andeutest …«

»Das ist nicht richtig, und es ist einfach ungesund, sie so zu verwöhnen. Megan sollte sich schämen, was sie dem Rest von uns angetan hat.«

Es wurde still, und ein paar Augenblicke später verließ Victoria ihr Zimmer und trampelte aus dem Haus hinaus. Ich stellte mir vor, sie wäre aus meinem Leben hinausmarschiert. Sie war so bitter mit ihren ständig zusammengebissenen Zähnen und ihren gerunzelten Augenbrauen wie jemand, der dauernd unter Kopfschmerzen leidet. Anscheinend bereitete nichts ihr Vergnügen. Ich glaube, sie mochte nicht einmal sich selbst. Vermutlich lebte sie in einem Haus ohne Spiegel, damit sie ihren eigenen Anblick nicht ertragen musste.

Als ich Großmutter Hudson später an dem Tag sah, erwähnte ich nicht, dass ich etwas von dem Gespräch zwischen ihr und Victoria mitbekommen hatte. Bestimmt wollte sie, dass ich es so rasch vergaß, wie sie es offensichtlich tat. So wenig von dem, was ihre Kinder und Enkel taten, bereitete ihr Freude. Das brachte mich dazu zu überdenken, was es bedeutete, reich und doch arm zu sein.

Genau wie er versprochen hatte, war Jake früh am nächsten Morgen da. Wir hatten kaum das Frühstück beendet, als er eintraf. Als er das Speisezimmer betrat, wurde mir klar, dass ich Jake nur selten, wenn überhaupt im Haus gesehen hatte. Gelegentlich trug er Lebensmittel, oder was sonst an Paketen hereingebracht werden musste, ins Haus. Aber gewöhnlich wartete er draußen am Auto. Heute Morgen sah er todschick aus. Seine Uniform war gereinigt und gebügelt, der Schirm seiner Mütze glitzerte im Licht des Kronleuchters.

»Morgen, die Damen«, verkündete er mit einer kleinen Verbeugung. »Ich bin hier, um die Prinzessin und ihre Sachen für die Reise in die alte Welt abzuholen.«

»Mach dich nicht schon so früh am Morgen zum Narren, Jake Marvin«, warnte Großmutter Hudson ihn. Sie warf mir einen raschen Blick zu und straffte sich mit militärischer Haltung auf ihrem Stuhl. »Alles steht in ihrem Zimmer bereit.«

»Danke, Ladys«, erwiderte er mit einem Lächeln, drehte sich auf dem Absatz um und marschierte hinaus, um mein Gepäck zu holen.

»Ich werde Jake vermissen«, sagte ich und schaute ihm mit einem sanften Lächeln hinterher.

»Wenn du nach London kommst, kannst du erleben, wie ein Chauffeur sich benehmen sollte. Meine Schwester ist so stolz auf ihre Dienstboten wie auf Orden. Sie sind alle ordentlich uniformiert und ausgebildet. Mein Schwager führt seinen Haushalt wie ein Schweizer Uhrwerk. Sie führen ihr Leben im Einklang mit dieser Uhr. Die Engländer und ihr High Tea.

Wenn ich daran denke, was für ein wirres, närrisches kleines Mädchen Leonora war, bevor sie auf die Schule für höhere Töchter ging und später nach England, dann staune ich nur, was das Ego eines Menschen leisten kann«, sagte Großmutter Hudson.

»Magst du deine Schwester nicht?«

»Sie mögen? Natürlich mag ich sie nicht. Ich liebe sie, wie man eine Schwester lieben sollte, aber wir kamen nie miteinander zurecht. Wenn ich jetzt darüber nachdenke, fällt mir auf, dass deine Mutter mehr nach Leonora kommt als nach mir. Irgendein Gen muss da übergesprungen sein, als ich nicht aufgepasst habe.«

»Bist du sicher, dass deine Schwester mich wirklich aufnehmen möchte?«, fragte ich, immer noch voller Misstrauen in Bezug auf die Motive anderer.

»Leonora tut nichts, was sie nicht tun will, auch wenn sie mir mehr schuldet, als sie je zurückzahlen kann. Ich möchte keinen unangenehmen Eindruck von ihr erwecken. Ich habe keinerlei Zweifel, dass du deinen Aufenthalt dort genießen wirst und dass sie damit prahlen wird, was sie Großartiges leistet – noch dazu als Amerikanerin!«

Wir hörten, wie Jake meine Taschen die Treppe hinuntertrug. Großmutter Hudson schaute erst auf die kleine Uhr in ihrem Geschirrschrank und dann auf mich.

»Du solltest dich wirklich fertig machen«, sagte sie mit sanfterer Stimme.

Mein Herz fing an zu holpern wie ein Reifen, der einen Platten hatte. Ich konnte immer noch nicht glauben, dass ich zum Flughafen gebracht wurde, um den Atlantik zu überqueren. Großmutter Hudson hatte dafür gesorgt, dass ich einen Pass bekam. Alles war erledigt. Es blieb nichts mehr zu tun, als zu gehen. Langsam stand ich auf.

»Ich hasse es, Abschied zu nehmen«, sagte sie, »aber ich gehe mit dir nach draußen.«

»Ich hatte gehofft, du würdest mit zum Flughafen kommen«, sagte ich.

»Oh, ich mag diese Fahrt nicht. Außerdem musst du von Anfang an lernen, alleine zurechtzukommen«, fügte sie energisch hinzu.

Ich schluckte meine Angst herunter und ging hinaus. Sie kam direkt hinter mir her.

Jake stand neben dem Rolls-Royce und hielt mir die Hintertür auf. Sein Lächeln strahlte in der Morgensonne. Ich zögerte auf der Treppe, holte tief Luft und ging auf das Auto zu. Großmutter Hudson folgte mir. Als ich den Wagen erreichte, drehte ich mich um, und wir schauten einander an. Mich verließ der Mut. Wenn wir uns nun nie wiedersehen? Ich hatte mich dieses Jahr von zu vielen Menschen verabschiedet.

»Wirst du gut auf dich aufpassen?«, fragte ich sie.

»Bleibt mir eine andere Wahl bei all den Ärzten, die ihre Nase in meine Angelegenheiten stecken?«

»Nein«, erwiderte ich.

»Dann hast du deine Frage bereits beantwortet. Hör auf, dir um mich Sorgen zu machen. Ich bin eine alte Dame. Mach dir Sorgen um dich selbst, darüber, wie du jemand wirst, auf den wir alle stolz sind, einschließlich deiner Mama«, fügte sie hinzu.

Das zauberte ein Lächeln auf mein Gesicht.

»Danke.« Ich warf Jake einen Blick zu. So wie er uns anschaute, fragte ich mich, ob er mehr wusste, als er vorgab. Spontan trat ich vor und umarmte Großmutter Hudson. Sie erstarrte, als sei dies nicht willkommen, aber ich sah die Weichheit und Zuneigung in ihrem Blick, die mich in all diesen Monaten immer näher zu ihr hingezogen hatte.

»Ich hatte schon Angst, es gäbe niemanden in dieser Familie mit einem Sinn für Anstand und dem Mumm, das Richtige zu tun. Enttäusche mich nicht«, sagte sie.

»Das werde ich nicht.« Ich konnte meine Tränen nicht verbergen.

»Abschiede sind einfach lächerlich«, murmelte sie, drehte sich auf dem Absatz um und steuerte auf das Haus zu.

Jake zwinkerte mir zu.

Ich stieg ein, und er schloss die Tür. Großmutter Hudson blieb an der Haustür stehen und blickte zurück. Ich kurbelte das Fenster herunter, und wir schauten einander einfach an. Als Jake den Motor anließ, hob ich die Hand. Ich winkte einmal. Sie winkte zurück, und wir machten uns auf den Weg. Sie beobachtete, wie wir abfuhren, dann drehte sie sich um und betrat das Haus.

Wie einsam sie war, dachte ich, trotz ihres tapferen Auftretens. Sie sollte auf die Schauspielschule gehen, nicht ich. Sie ist eine viel bessere Schauspielerin. Beide Töchter enttäuschten sie, und sie hatte nichts von ihren Enkeln. Ihre Freundinnen waren Damen der Gesellschaft, die sie ausnutzten für ihre Spenden für wohltätige Zwecke. Ihr Haus war voller Echos, leerer Stimmen, dunkler Erinnerungen, ernstem Flüstern und noch ernsterer Musik, die zu den Fenstern hinaustrieb und sich im Wind fing.

»Machen Sie sich keine Sorgen um unsere Königin«, sagte Jake. Er hatte mich im Rückspiegel beobachtet. »Ich achte darauf, dass sie das Richtige tut und bald herüberkommt, um Sie zu besuchen.«

»Sie?« Ich wollte schon lachen, aber ein Ausdruck auf Jakes Gesicht riet mir, ihn nicht zu unterschätzen. »Ich hoffe es, Jake«, sagte ich.

Während wir zum Flughafen fuhren, erzählte Jake mir Geschichten von seinen eigenen Reisen und spickte sie mit versteckten Warnungen über üble Menschen, besonders über Trickbetrüger.

»Seien Sie vorsichtig, mit wem Sie reden, und zeigen Sie niemandem Ihr Geld. Zeigen Sie niemandem, wo Sie es aufbewahren, Rain. Nehmen Sie nur ein paar Dollar für Kaugummi und Zeitschriften, den Rest verstauen Sie sicher, hören Sie?«

»Ja, Jake.«

»Wenn Sie sich Zeit nehmen und von niemandem hetzen lassen, werden Sie keine Fehler machen. An einem fremden Ort ist es immer besser, erst zuzuhören und dann zu reden.«

»In Ordnung, Jake.«

»Gehen Sie direkt zu Ihrem Ausgang und warten Sie mit dem Handgepäck direkt neben sich. Wenn Sie es auch nur einen Moment aus den Augen lassen, kommt irgendein Gauner und schnappt es Ihnen weg. Die Flughäfen sind voll von Parasiten, die nur herumhängen und auf jemanden wie Sie warten, der grün aussieht.«

»Ich? Grün?« Ich fing an zu lachen, aber Jake schaute weiter ernst.

»Diese Leute sind Experten, Rain. Sie kennen den Unterschied zwischen einem erfahrenen Reisenden und einer unschuldigen jungen Dame«, warnte er mich streng.

»In Ordnung, Jake. Ich werde aufpassen.«

»Gut.«

»Sie sollten ein Dutzend Töchter haben«, sagte ich.

Er lachte, aber ich meinte es ernst. Warum war das so, dass Leute, die keine Kinder haben wollten, die zu egoistisch waren, um sich wirklich um sie zu kümmern, welche bekamen, und Leute wie Jake, die großzügig und liebevoll waren, allein durchs Leben gingen?

Mama lebte mit dem tief verwurzelten Glauben, dass die Gerechtigkeit und das Gute am Ende siegten, dass es eine höhere Macht gab, die sich unserer annahm. Vielleicht war sie nicht immer offensichtlich, aber sie war da.

Arme Mama, dachte ich. Ich fragte mich, ob sie immer noch im Glauben an gute Engel von uns gegangen war oder ob sie am Ende ihren Glauben verloren hatte und voller Enttäuschung gestorben war, die ihre reine Seele verdunkelte.

»Es wirkt alles so geschäftig«, stellte ich am Flughafen fest, als ich all die Fahrzeuge sah, die in doppelten Reihen parkten, die umhereilenden Leute, die Shuttlebusse, die sich durch die Autos schlängelten, Polizisten, die Autofahrer anschrien und andere Wagen weiterwinkten. Ich fand, es herrschte das schiere Chaos. »Was für ein Durcheinander. Und trotzdem weiß jeder, wo er hinmuss?«

»Das ist doch nicht Ihr erster Flug, oder?«, fragte Jake schließlich.

»Nein, das nicht. Aber der erste transatlantische.«

»Oh, Mann«, sagte er. »Keine Sorge. Sie müssen drinnen Ihr Gepäck abgeben und ihnen Ihren Pass und das Ticket zeigen. Ich darf hier nicht parken, Rain, deshalb sind Sie von dem Moment an, in dem ich Sie herauslasse, auf sich gestellt. Natürlich könnte ich mich auf den Parkplatz stellen und mit Ihnen warten, wenn Sie möchten«, bot er an.

»Ich komme schon klar, Jake. Mrs Hudson befahl mir, das vom ersten Augenblick an alleine durchzustehen.«

»Das sieht ihr ähnlich, weil sie glaubt, dass jeder wie sie mit dem gleichen Rückgrat aus Stahl geboren ist«, murmelte er.

»Victoria ist es«, sagte ich und fand, dies sei das Beste, was Großmutter Hudson zu vererben hatte.

»Ja, das ist sie«, sagte Jake und konzentrierte sich darauf, das Fahrzeug in die Haltebucht zu lenken. Sobald es stand, sprang er aus dem Auto. Er öffnete mir die Tür, ging zum Kofferraum und gab einem Träger ein Handzeichen.

»Sie fährt nach London«, teilte er ihm mit. Er half ihm, mein Gepäck auf ein Wägelchen zu laden, und wandte sich dann an mich. »Er bringt Sie zum Schalter, Rain. Alle werden Ihnen von da an weiterhelfen. Denken Sie nur daran, was ich Ihnen gesagt habe.«

»In Ordnung, Jake.«

»Also mit einem hat die Königin Recht«, meinte Jake. »Abschiede sind beschissen.«

Wir lachten. Ich umarmte ihn.

»Vergessen Sie nicht, mir Fotos von Rain zu schicken«, erinnerte ich ihn an sein Fohlen.

»Das werde ich. Sie sollten besser gehen, Prinzessin«, sagte er und nickte in Richtung Abfertigungshalle.

Ich ging los.

»Zeigen Sie den Engländern, wie gut Sie sind«, rief er.

»Okay, Jake.«

Einen Augenblick lang hielt er die Hand hoch, dann stieg er in den Rolls-Royce.

»Hier entlang, Lady«, teilte mir der Träger mit. Ich folgte ihm, schaute mich aber noch ein letztes Mal zu Jake und dem Auto um. Ich würde ihn mehr vermissen, als ich mir erträumt hätte. Er besaß das ruhige Selbstvertrauen eines Menschen, der wusste, was wichtig war, und stand einfach im Hintergrund, bereit dich aufzufangen.

Jake hatte Recht gehabt, die Leute waren alle sehr hilfsbereit. Da ich ein Erster-Klasse-Ticket hatte, durfte ich in der Lounge warten, wo es sehr bequem war. Die Flugbegleiterinnen waren freundlich und entgegenkommend. Eine kam, um mir zu sagen, wann ich an Bord gehen musste. Ich folgte einem Paar zum Ausgang und bestieg das Flugzeug. Der Mann neben mir war ein englischer Geschäftsmann. Er murmelte seinen Namen und wandte sich wieder seinen Papieren zu. Nach der Mahlzeit und dem Film schlief er ein. Ich glaube, wir wechselten nicht mehr als ein Dutzend Worte, und schließlich döste ich selbst auch ein.

Erst als der Pilot ankündigte, dass die Landung kurz bevorstand, erkundigte mein englischer Geschäftsmann sich, was ich in London machte. Ich erzählte ihm von der Richard Burbage School of Drama. Er zog die Augenbrauen hoch und nickte leicht. Dann wandte er sich wieder seinen Papieren zu. Waren alle Engländer so reserviert, fragte ich mich. Ich werde wohl die meiste Zeit mit mir selbst reden.

Nachdem wir gelandet und durch den Zoll gegangen waren, sah ich einen stämmigen Mann mit einem eckigen Kinn und dunklen Knopfaugen, der ein kleines Schild mit meinem Namen in großen Blockbuchstaben hochhielt. Er trug eine dunkelblaue Chauffeursuniform mit kleinen goldenen Epauletten auf den Schultern, die so dick und so breit waren wie sein Hals. Er sah aus wie ein Ringer, der gebeten worden war, die Kleidung eines Dienstboten anzuziehen. Seine Gesichtszüge waren grob, besonders sein Mund, weil sich seine Unterlippe ein wenig schürzte.

»Ich bin Rain Arnold«, sagte ich und trat auf ihn zu.

Er musterte mich, als ob er entscheiden müsste, ob er mir glauben sollte oder nicht. Er lächelte nicht, grinste nicht einmal, aber seine Augen wurden dunkler und er streckte die Hand aus, als sei sein Arm eine Stahlwinde, und packte mein Handgepäck.

»Ich bin Boggs«, sagte er schließlich. »Mrs Endfield wartet im Wagen. Folgen Sie mir zur Gepäckausgabe«, befahl er.

»In Ordnung«, sagte ich, aber er wartete meine Antwort gar nicht ab, sondern drehte sich auf dem Absatz um und schoss davon in der Erwartung, dass ich mit seinem schnellen Tempo mithalten könnte. Er marschierte los, den Blick nach vorne gerichtet, und schaute sich nicht einmal um, um zu sehen, ob ich ihm auch folgte.

Mir fielen fast die Augen aus dem Kopf. Überall um mich herum redeten Leute in fremden Sprachen. Ich sah Araber in ihrer Nationaltracht, Menschen aus Afrika, die farbenfrohe Turbane trugen, Menschen aus Indien und Orientalen ebenso wie Geschäftsleute aller Nationen, die hin und her eilten und Aktentaschen trugen.

Nicht in meinen wildesten Träumen hätte ich mir vorgestellt, dass sich einem Mädchen wie mir, das dort herkam, wo ich herkam, diese Gelegenheit bieten würde. Vielleicht war ich wirklich von einer Laune des Schicksals gepackt worden und wurde jetzt von Kräften davongetragen, die ich nicht einmal annähernd verstehen konnte. Mama, dachte ich, würden auch die Augen fast aus dem Kopf fallen bei dem, was es hier zu hören und zu sehen gab.

Als wir am Gepäckkarussell ankamen, setzte Boggs mein Handgepäck ab und drehte sich endlich zu mir um.

»Zeigen Sie mir Ihre Abschnitte«, befahl er.

»Wie bitte?«

»Ihr Gepäck. Wie viele Stücke?«

»Oh, drei«, sagte ich. »Da ist eins!«, rief ich und zeigte darauf. Er packte es und hob es mit solcher Leichtigkeit hoch, dass ich schon glaubte, jemand hätte den Koffer geleert und meine Kleidung gestohlen.

Nachdem wir auch die anderen herausgefischt hatten, klemmte er sie sich unter die Arme oder nahm sie in die Hand und nickte zu meinem Handgepäck hin.

»Das nehmen Sie«, befahl er.

Wieder musste ich fast laufen, um mit ihm Schritt zu halten. Er führte mich den Gehweg entlang zu einem älter aussehenden, aber gut gepflegten Rolls-Royce. Bevor er den Kofferraum öffnete, riss er die Hintertür auf, und ich spähte hinein.

Meine Großtante Leonora saß in der gegenüberliegenden Ecke. Sie hatte ein viel schmaleres Gesicht als Großmutter Hudson, aber ich sah die Ähnlichkeit bei Augen und Nase. Ihr dunkelbraunes Haar war mit einem Schwung über die linke Seite der Stirn frisiert. Jede Strähne wirkte so, als wäre sie für alle Ewigkeit dort festgekleistert. Sie trug ein graues Tweedkostüm und hübsche goldene Ohrringe mit winzigen Rubinen. Ich sah, dass sie viel mehr Make-up benutzte als Großmutter Hudson, besonders Rouge auf den Wangen.

»Willkommen in London, meine Liebe«, sagte sie. »Steigen Sie schnell ein, und während Boggs Ihr Gepäck im Kofferraum verstaut, erzählen Sie mir, wie es meiner Schwester geht.«

»Danke«, sagte ich und schlüpfte ins Auto. Boggs schloss die Tür und öffnete den Kofferraum.

Sobald ich saß, stieg mir der Geruch eines stechend süßen Parfüms in die Nase. Ich erstickte fast an den überwältigenden Duftwellen. Im Halbdunkel sah ich, dass meine Tante kleine braune Punkte auf der rechten Seite des Kinns hatte.

»Mrs Hudson bat mich, Ihnen zu sagen, wie Leid es ihr tut, dass sie nicht mitkommen konnte. Ihre Ärzte wollen den Schrittmacher noch ein wenig länger kontrollieren.«

»Sie muss außer sich sein vor Wut. Ich kenne doch meine Schwester Frances. Man verbietet ihr nicht, irgendwo hinzugehen«, sagte Leonora. »Wie war die Reise?«

»Danke, gut.«

»Zum ersten Mal im Ausland, nicht wahr?«, fragte sie.

»Ja, Ma’am.«

»Und ich wette, Sie sind schon sehr aufgeregt, dass Sie die Schauspielschule besuchen können. Was für eine wunderbare Möglichkeit. Ich hätte es nie für möglich gehalten, dass meine Schwester eines so außerordentlich selbstlosen Aktes fähig ist. Ich weiß, dass sie sich bei dieser und jener Wohltätigkeitsorganisation engagiert, aber so spät im Leben noch der Vormund eines jungen Menschen zu werden ist schon eine große Verantwortung.«

Sie legte den Kopf ein wenig schief, um mich anzuschauen.

»Ich frage mich, woher sie so plötzlich diesen neuen mütterlichen Impuls bekommen hat? Was haben Sie getan, um meine Schwester so zu verzaubern?«, fragte sie. In ihrer Stimme klang ein seltsamer Ton des Misstrauens an, während sie die Augen bei der Frage weit aufriss.

»Ich weiß es nicht«, erwiderte ich. »Mrs Hudson war sehr freundlich. So einfach ist das.«

»Wirklich? Wie interessant«, fuhr sie fort und schaute mich noch immer forschend an. »Wie geht es meinen Nichten?«, fuhr sie fort.

»Ich denke gut. Ich sehe sie nicht besonders oft«, fügte ich rasch hinzu und merkte, dass meine Stimme zitterte. Ich hatte nicht erwartet, so schnell ins Kreuzverhör genommen zu werden.

»Victoria hat immer noch keine Liebesbeziehung?«

»Das weiß ich nicht, Ma’am.«

»Sie ist doch oft genug da, oder?«

»Ja, aber dafür nicht oft genug«, sagte ich.

»Hmm.« Sie nickte langsam und lächelte dann. »Ich wette, Sie haben einen immensen Hunger. Wir können auf dem Weg anhalten und Ihnen etwas Warmes zu essen besorgen, wenn Sie möchten. Ich kenne ein nettes neues französisches Restaurant, das gar nicht weit ist. Mögen Sie französische Küche, meine Liebe?«

»Ich habe sie noch nicht oft gegessen«, sagte ich.

»Ach ja?«

»Ich bin wirklich nicht besonders hungrig«, wehrte ich ab. »Ich habe im Flugzeug genug gegessen.«

Ich wollte höflich sein und sie anschauen, wenn sie sprach, aber ich wollte auch gerne aus dem Fenster schauen. Wo waren all die Orte, von denen ich in meinen Geschichtsbüchern gelesen hatte? Der Tower, Big Ben, das Parlament, die National Gallery?

»Erst gestern«, sagte sie, »beim Tee bei Lady Bishop erzählte ich allen, dass ich ein Au-pair-Mädchen aus Amerika bekomme. Normalerweise ist es umgekehrt«, prahlte sie mit einem kurzen Auflachen.

»Wie bitte? Au-pair-Mädchen?«

»Ein ausländisches Mädchen, das für Kost und Logis Hausarbeit verrichtet«, erklärte sie.

»Oh.« Wie seltsam, mich selbst als ausländisches Mädchen zu betrachten, aber genau das war ich hier, dachte ich.

»Wenn wir am Endfield Place ankommen, wird Mary Margaret Ihnen Ihr Zimmer zeigen, und dann werden Sie Mrs Chester, unsere Köchin, kennen lernen. Boggs wird Ihnen Ihre Aufgaben beschreiben. Mein Mann hat ihn mit der Beaufsichtigung des Personals betreut.

Wie gefällt Ihnen meine Frisur? Das ist der letzte Schrei in Paris. Sehen Sie, dass diese Seite aussieht, als schwebte sie?« Behutsam tätschelte sie die Seite ihres Haares.

»Wie alt sind Sie eigentlich?«, fragte sie, bevor ich irgendetwas sagen konnte.

»Ich bin achtzehn«, antwortete ich und musste innerlich grinsen, wie sie von einem Thema zum nächsten sprang. Sie erinnerte mich an eine Hummel, die erst über einer Blume summte und sich schnell auf die nächste stürzte aus Angst, auch nur einen Moment an etwas gebunden zu sein. Sie war entweder jemand, der gejagt wurde, oder jemand auf der Jagd. Ich fragte mich, ob ich je herausfinden würde, welches von beidem zutraf.

»Achtzehn. Ja, es kommt mir vor, als wäre es gestern«, seufzte sie wehmütig. »Oh, ich hoffe, Sie rauchen nicht«, sagte sie mit einem entschlossenen Gesichtsausdruck. »Richard gestattet es niemandem, sich in unserem Haus einen Glimmstängel anzuzünden, und er kann es aus einer Meile Entfernung riechen, also versuchen Sie es nicht heimlich.«

»Glimmstängel?«

»Ja.«

»Ich verstehe das nicht. Was ist ein Glimmstängel?«, fragte ich.

»Oh, das ist, was ihr Amerikaner eine Zigarette nennt«, sagte sie lachend. »Ich vergesse immer, mit wem ich spreche.«

»Sind Sie denn keine Amerikanerin mehr?«, fragte ich.

»Liebe Güte, nein. Richard würde damit nicht leben können.« Sie starrte aus dem Fenster und wandte sich dann wieder mir zu. »Sie haben solch ein Glück. In dieser Woche soll es keine Schauer geben, wenn man dem Fernsehen glauben kann. Richard sagt immer, Amerikaner können keinen Tag ohne Fernseher leben. Ich hoffe, Sie hängen nicht ständig vor einer dieser grässlichen Seifenopern, oder?«

»Nein, Ma’am. Das tue ich nicht«, sagte ich.

»Gut. Schauen Sie sich das an«, sagte sie und zeigte auf eine Frau, die einen Einkaufswagen voller Dosen und Flaschen vor sich herschob. »Ich weiß nicht, was heutzutage aus diesem Land wird. Ich sehe immer mehr Leute, die den Müll nach Leergut durchwühlen, um an Essen zu kommen. Grauenhaft.«

»Obdachlose«, sagte ich und schaute mich zu der Frau mit dem Wägelchen um. »In den Staaten ist es das Gleiche.«

»Richard wettert immer nur dagegen. Er findet, die Regierung sollte sie von der Straße holen. Erst neulich traf er den P.M. und geigte ihm deswegen gehörig die Meinung.«

»Dem Premierminister von England?«

»Natürlich, meine Liebe. Jetzt höre ich auf zu reden, und Sie erzählen mir etwas über sich. Tun Sie so, als erzählten Sie die Geschichte Ihres Lebens. Fangen Sie an. Wo sind Sie geboren?«, fragte sie, ließ die Arme im Schoß ruhen und lehnte sich zurück, als würde ich ihr ein Märchen erzählen.

Ich fing an, beschrieb mein Leben in Washington und wie es war, dort aufzuwachsen. Sie hörte zu, beugte sich dann plötzlich vor und klopfte nachdrücklich hinten auf den Fahrersitz.

»Fahren Sie den langen Weg, Boggs. Ich möchte, dass sie die Gardens sieht.«

»Sehr wohl, Mrs Endfield«, murmelte er und bog schnell ab.

»Das Leben ist für Schwarze in Amerika sehr schwierig. Das weiß ich«, sagte sie. »Frances hat Ihnen nicht erzählt, dass unser Urururgroßvater Sklaven besaß, oder?«

Bevor ich antworten konnte, rief sie: »Da!« und stach mit dem Finger vor meinem Gesicht in die Luft. »Kensington Gardens. Alles steht in voller Blüte.

Lady Billings und ich haben die Schirmherrschaft für ein Picknick für die Waisen nächsten Monat übernommen. Oh, ich glaube, meine Schwester sagte, Sie wären jetzt auch eine Waise. Das müssen Sie jetzt alles vergessen, meine Liebe. Stellen Sie sich vor, wir wären Ihre Ersatzfamilie bis … bis was auch immer passiert«, sagte sie lachend.

»Jeder sagt, ich hätte Schauspielerin werden können. Ich habe das Talent dazu. Boggs, können Sie ein bisschen schneller fahren? Ich habe Lady Billings versprochen, sie heute Nachmittag anzurufen.«

»Sehr wohl, Mrs Endfield«, erwiderte er ruhig. »Was hatten Sie gerade gesagt?«, fragte sie, drehte sich mir zu und lächelte. »Etwas über Ihre Schwester Beni, glaube ich. Was für ein seltsamer Name, Beni? Eine Kurzform von Beneatha? Ich kannte mal eine Beneatha. Oh ja, diese schreckliche Person aus dem East End, die mit dem Schornsteinfeger kam. Boggs, erinnern Sie sich an sie?«

»Ja, Mrs Endfield. In der Tat.«

»Was ist aus ihnen geworden,?«

»Ich weiß es nicht, Mrs Endfield«, antwortete Boggs.

»Nein, wohl kaum, Boggs. Schreckliche Leute. Man konnte den Ruß in den Poren ihrer Gesichter sehen.« Sie schüttelte sich, als schauderte ihr. Dann schaute sie mich wieder an und schüttelte den Kopf. »Ich verstehe gar nicht, warum Sie nicht hungrig sind, meine Liebe. Das Essen, das sie in Flugzeugen servieren, ist einfach furchtbar. Mrs Chester hat bestimmt etwas für Sie, und wenn es nur Tee und ein Keks ist. Wir sind fast zu Hause. Endfield Place«, verkündete sie so großartig, als sei es Tara aus Vom Winde verweht.

In meinem Kopf drehte sich alles. Gerade noch hatte sie mich etwas gefragt, aber ich hatte vergessen, was es war. Ich fragte mich wirklich, wie Großmutter Hudson und Leonora Schwestern sein konnten.

»Das ist Holland Park«, erklärte sie, »eine der hübschesten Gegenden Londons. Mein Hals ist plötzlich so trocken. Ich werde selbst eine Tasse Tee trinken, wenn wir nach Hause kommen. Gott sei Dank müssen wir den Weg zum Flughafen nicht so oft machen, stimmt’s, Boggs?«

»Ja, in der Tat, Mrs Endfield«, sagte er. Er war wie eine Statue – nicht einmal während der Fahrt drehte er den Kopf.

»Also, auf jeden Fall willkommen in London, meine Liebe«, sagte sie, als wir in die Kopfsteinauffahrt zu einem sehr großen Steinhaus einbogen.

Als wir auf den Vordereingang zufuhren, sah ich hinter dem Haus etwas, das wie ein seltsames kleines Cottage aussah. Akkurat geschnittene Hecken mit einem kleinen Fußweg dazwischen umrahmten seine Vorderseite. Es sah aus, als wären entlang des Weges frische Blumen gepflanzt worden. Das Cottage wirkte anders, funkelte wie neu. Es war eine Holzkonstruktion mit wedgwoodblauen Schiefern und hübschen weißen Fensterläden. Ich fand, es sah eher wie ein Puppenhaus aus.

»Was für ein hübsches Cottage«, stellte ich fest. »Wer wohnt dort?«

Meine Großtante Leonora drehte sich langsam zu mir um. Ihr Gesicht hatte sich verändert, war hart geworden, so dass ihr wahres Alter unter dem Make-up zum Vorschein kam, die Falten auf der Stirn und in den Mund- und Augenwinkeln vertiefte.

»Niemand wohnt dort«, sagte sie. »Und niemand darf je dorthin gehen.«

Ihre Stimme klang tief, fast drohend.

Dann lächelte sie und lachte. Offensichtlich war sie jemand, der binnen eines Augenblicks von einer Empfindung zur anderen springen konnte.

»Willkommen in Endfield Place. Willkommen in Ihrem neuen Zuhause, meine Liebe.«

Ich starrte das prächtige Haus und die wunderschöne Gartenanlage an. Zuhause, dachte ich, wann wird dieses Wort wieder eine wirkliche Bedeutung für mich haben?

In dunkler Nacht

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