Читать книгу Garten der Versuchung - V.C. Andrews - Страница 9

Оглавление

KAPITEL DREI

Wahre Geständnisse

Die Mädchen waren schockiert darüber, dass ich so wenig über meine Familie und meine Abstammung wusste. Auf jede Frage, die sie auf mich abfeuerten, als wäre ich eine Kriminelle im Polizeiverhör, konnte ich nur erwidern: »Ich weiß es nicht« und »Ich bin mir nicht sicher«.

»Wenn es um mich ginge«, meinte Misty, »würde ich vor Neugierde sterben. Ich würde deiner Mutter, ich meine Halbschwester, so lange zusetzen, bis sie mir auch die schäbigste, kleinste Einzelheit erzählt hätte. Ich würde ihr keinen Augenblick Ruhe gönnen.«

»Es ist nicht so leicht, mit meiner Mutter zu reden«, gab ich zu bedenken. »Sie kann abschalten wie ein Lichtschalter.«

»Ich weiß, dass du das früher schon sagtest, aber ich verstehe immer noch nicht, wie du dasitzen und sie immer noch deine Mutter nennen kannst!«, rief Jade. »Du weißt doch jetzt, dass sie das nicht ist.«

Ich zuckte die Achseln.

»Ich weiß, was sie mir erzählt hat, aber es hat sich mir vermutlich nicht richtig eingeprägt. Schließlich habe ich sie nie anders genannt«, fügte ich hinzu, als sie eine Grimasse schnitt.

»Ich würde das Wort nicht entweihen, indem ich sie Mutter nenne.«

»Du kannst all die Jahre nicht in wenigen Minuten auslöschen«, protestierte ich.

»Nach allem, was du uns über sie erzählt hast«, meinte Star, müsstest du doch froh sein, sie nicht Mutter nennen zu müssen. Wie heißt sie denn?«

»Geraldine. Seit sie mir die Wahrheit gesagt hat, nenne ich sie im Geiste häufiger Geraldine.«

»Sie hätte Glück, wenn ich sie so nennen würde. Mir fällt noch ein Haufen anderer Namen für sie ein. Sie hat kein Recht, all das geheim zu halten«, fügte sie hinzu, »jetzt nicht mehr. Misty hat Recht. Du solltest alles erfahren.«

»Ich will es wohl wissen. Nur …«

»Du hast einfach Angst vor ihr«, folgerte Jade. Sie überlegte einen Augenblick. »Hast du je daran gedacht, dass sie möglicherweise lügt? Vielleicht hat sie das alles nur erfunden, um dich unter ihrer Fuchtel zu halten. Nach dem Wenigen, das du uns über sie erzählt hast, halte ich sie für fähig, so etwas zu tun.«

Star nickte.

»Welchen Beweis hast du dafür, dass sie dir die Wahrheit sagt?«, wollte Jade wissen.

»Beweis? Keinen«, räumte ich ein. »Außer dem, was sie mir erzählt hat.«

»Das ist doch kein Beweis, Mädchen. Jade hat Recht. Als Erstes musst du herumschnüffeln, nach Briefen, Dokumenten, Bildern suchen, nach allem, das dir irgendetwas verrät.«

»Du meinst, ihre persönlichen Sachen durchsehen?«

»Na klar, was denn sonst? Das sind auch deine persönlichen Sachen, stimmt’s?«

»Ich weiß nicht, ob ich das könnte. Sie schützt ihre Privatsphäre mit peinlicher Sorgfalt. Ich komme kaum je in ihr Zimmer.«

»Du musst mehr herausfinden«, verlangte Misty mit ernstem und entschlossenem Gesichtsausdruck. »Als Erstes sollte man dir sagen, wer dein leiblicher Vater ist. Das ist nicht fair. Es ist einfach nicht richtig.« Sie schaute Star an, die bestätigend nickte.

»Vielleicht weiß sie es wirklich nicht«, gab ich zu bedenken.

»Vielleicht weiß sie es aber auch«, hielt Jade dem entgegen. »Also«, Jade straffte sich und wandte sich den anderen zu, »wir haben unser erstes WME-Projekt: Cat zu helfen, alles über ihre eigene Vergangenheit herauszufinden.« Rasch stimmten ihr alle zu.

»Was meinst du damit? Was habt ihr vor?«, fragte ich mit klopfendem Herzen. Ich würde schon jetzt einen Haufen Ärger bekommen, weil ich mich herausgestohlen hatte und hierher gekommen war, obwohl Geraldine es mir ausdrücklich verboten hatte.

»Bist du in Los Angeles geboren?«

»Ich glaube ja«, sagte ich. »Ich weiß es nicht.«

»Du weißt nicht einmal, wo du geboren bist?«, rief Star.

»Sie hat mir nie gesagt, wo ich geboren wurde.«

»Versuch zumindest einmal herauszufinden wo, und wir sehen dann, ob wir das anhand des Geburtsregisters überprüfen können«, schmiedete Jade Pläne.

»Ja, du musst doch eine Geburtsurkunde haben«, sagte Star, »und darauf steht auch, wer deine Eltern sind!«

»Vielleicht war es eine heimliche Geburt, in einem Keller oder auf einem Dachboden«, schlug Misty vor, der lauter wilde Geschichten durch den Kopf schwirrten. »Und dann fälschten sie die Geburtsurkunde. Ich habe das in diesem Buch gelesen und –«

»Wo wohnte deine leibliche Mutter?«, fragte Jade und tat Mistys Bemerkungen mit einer Handbewegung ab, als ob sie eine lästige Fliege wegscheuchte.

»Hier in Pacific Palisades, nicht weit von uns entfernt.«

»Also erinnerst du dich zumindest an sie?«, sagte Misty.

»Ich kannte sie nicht sehr gut. Meine Mutter hat mich nie besonders gerne zu ihr mitgenommen. Ich glaube, sie kamen nicht gut miteinander zurecht.«

»Was ist mit deinem Großvater?«, fragte Jade. »Ich meine, mit dem Mann, den du für deinen Großvater hieltest«, korrigierte sie sich.

»Er starb zwei Jahre später. An ihn erinnere ich mich ein bisschen besser, obwohl er nicht besonders an mir interessiert war, und ich sah ihn auch nicht besonders häufig. Er besuchte uns an Feiertagen, aber sonst nicht besonders oft.«

»Kein Wunder«, murmelte Star. »Er wusste genau, dass du nicht von ihm warst, stimmt’s?«

»Vermutlich. Geraldine sagte, er wusste, dass ich nicht sein Kind war, aber ich weiß es nicht.«

»Hörst du bitte auf mit diesem ›Ich weiß es nicht‹! Wenn ich das noch einmal höre, werde ich verrückt!«, kreischte Jade.

»Ich weiß es doch nun mal nicht«, protestierte ich, und Tränen stiegen mir in die Augen. »Es ist etwas, das ich gerade erst herausgefunden habe, und wahrscheinlich befinde ich mich deswegen immer noch in einem Schockzustand.«

Jade schaute einen Augenblick zum Himmel, als wollte sie ihre Fassung wiedergewinnen.

»Okay«, sagte sie. »Okay. Dein Auftrag ist es, sämtliche Informationen zu suchen, die Licht in deine Vergangenheit bringen können.«

»Mein Auftrag?«

»Als Mitglied der WMEs. Ich bin die Präsidentin, erinnerst du dich? Ich kann Aufträge erteilen.«

»Wann haben wir das denn beschlossen?«, fragte Misty, den Kopf schief gelegt wie ein junges Kätzchen.

»Gerade eben. Irgendwelche Einwände?«

Misty überlegte einen Augenblick und zuckte dann die Achseln. »Wohl nicht«, sagte sie. Dann veränderte sich ihr Gesichtsausdruck, sie fing an zu strahlen. »He, wann gehen wir schwimmen? Du hast davon gesprochen, als wir kamen.«

»Misty, kannst du nicht beim Thema bleiben?«

Misty zuckte erneut die Achseln.

»Ich dachte, wir wären fertig.«

»Oh, mein Gott«, sagte Jade. Sie schaute Star an, die lächelte und den Kopf schüttelte. »In Ordnung. Wir haben wohl geschafft, was wir heute geschäftlich erledigen wollten. Jetzt gehen wir in mein Zimmer, und ich suche euch alle Badeanzüge heraus«, beendete Jade das Thema.

»Ich weiß nicht, ob ich schwimmen gehen will«, sagte ich.

»Wir alle wollen schwimmen gehen, also willst du es auch. Du willst doch jetzt nicht anfangen, alles abzulehnen, oder?«, fragte sie und kniff die Augen ein wenig zusammen. »Du willst doch nicht jedes Mal, wenn wir etwas entscheiden, eine andere Meinung vertreten?« Ihre Stimme hob sich. Mein Herz begann hektisch zu klopfen. Ich schüttelte den Kopf.

»Nein, ich …«

»Also? Was denn?«, wollte sie mit fragend erhobenen Armen wissen.

»Ich kann nicht schwimmen«, gestand ich.

Ihr Mund erstarrte zu einer O-Form.

»Du kannst nicht schwimmen?« Sie sah Star an, die den Kopf schüttelte, dann wandte sie sich skeptisch wieder an mich. »Wie kann das denn sein? Hast du es denn in der Schule nicht gelernt?«

»Als ich jünger war, hatte ich ein ärztliches Attest. Ich hatte einmal starke Ohrenschmerzen, und meine Mutter glaubte, durchs Schwimmen würde das noch schlimmer. Außerdem besitzt die kirchliche Schule, die ich besuche, kein Schwimmbad.«

»Niemand ist je mit dir an den Strand oder ins Schwimmbad gegangen?«, fragte Star.

»Nein«, gestand ich mit gesenktem Blick. »Meine Mutter hat mir nie einen Badeanzug gekauft. Erinnert ihr euch, wie ich euch davon erzählt habe, dass mein Vater einen Pool bauen lassen wollte?«

»Ja, und deine Mutter war nicht besonders glücklich darüber; deshalb wurde die Idee fallen gelassen«, erinnerte Star sich.

»Und damit meine Hoffnung, schwimmen zu lernen.«

»In Ordnung.« Jade straffte ihre Schultern. »Das zweite wichtige Projekt der WMEs ist, Cat schwimmen beizubringen.«

»Wirklich?«, sagte Misty.

»Wirklich«, bestätigte Jade. »Wenn eine von uns auf einem Gebiet schwach ist, sind wir alle es. Das bedeutet es, aneinander gebunden zu sein, eins zu sein. Hast du das schon vergessen?«, fragte sie energisch.

»Nein.« Misty wollte lächeln, hielt aber inne. Jade sah so aus, als würde sie in die Luft gehen, sobald auch nur eine Silbe geäußert wurde, die ihr im Geringsten widersprach. »Auf geht’s«, kommandierte sie und beugte sich vor, um die Kerze auszublasen. Wenige Augenblicke später verließen wir ihr geheimes Zimmer und machten uns auf den Weg zu ihrem Zimmer und ihrem Kleiderschrank – einem Wandschrank, der fast so groß war wie mein ganzes Zimmer.

Ihr Zimmer selbst war dreimal so groß wie meines. Sie hatte einen Frisiertisch mit einer Marmorplatte und einen vergoldeten Spiegel, der sich über die Wand erstreckte. Ich musste lachen, als ich mir vorstellte, was Geraldine sagen würde, wenn sie das sähe. In diesem Zimmer konnte man nicht anders, als sich ständig anzuschauen.

Jade hatte ebenso wie ihre Mutter ein Himmelbett mit einem Baldachin aus weißer Seide. Mindestens ein halbes Dutzend Riesenkissen mit rüschenbesetzten Spitzenbezügen lagen auf der farblich passenden wunderschönen Tagesdecke. Auf dem Nachttisch stand ein hellrotes Telefon in Lippenform.

Dem Bett gegenüber war nicht nur ein Großbildfernseher, sondern auch eine Stereoanlage in die Wand eingebaut.

Alle Möbel schimmerten in einem sanften Perlmuttglanz. Es gab zwei Kommoden, einen Schrank und einen Schreibtisch. Jade hatte keine Poster an den Wänden, aber an einer Wand hing ein Gemälde von John Lennon, das sehr teuer aussah.

Als wir alle in ihren begehbaren Kleiderschrank schauten, konnten wir die Reihen über Reihen von Kleidern, die Schuhregale und die eingebauten Schubladen nur anstarren.

»Hier gibt es mehr Klamotten als in manchem Laden«, stellte Star fest.

»Jedes Jahr gebe ich etwa ein Viertel davon weg für wohltätige Zwecke«, sagte Jade.

»Setz mich auf deine Liste wohltätiger Zwecke«, bat Star, worauf Jade lachte.

Sie ging direkt zu der eingebauten Kommode, öffnete die zweitunterste Schublade und schmiss uns Badeanzüge zu. »Dieser sollte Misty passen. Ich habe ihn nur einmal getragen, als ich zwölf war.«

»Vielen Dank«, erwiderte sie schnippisch.

»Sei froh, dass ich ihn aufgehoben habe«, konterte Jade. Misty hielt ihn hoch und nickte zögernd.

»Sieht aus, als würde er mir passen«, gab sie zu, »und er ist gar nicht übel.«

Es war ein schwarzgoldener Einteiler. Das Schwarz erstreckte sich von einer Seite des Oberteils über die Mitte und schlang sich dann nach hinten.

»Star hat etwa meine Größe. Du kannst dir also einen von diesen aussuchen«, befahl sie und hielt ihr drei hin. »Warte. Das ist mein Lieblingsbikini, aber du kannst ihn heute tragen«, fügte sie hinzu und warf ihr den ebenfalls zu. Star fing das Oberteil und hielt es hoch. Das Unterteil war ein Stringtanga.

»Den hast du getragen?«, fragte sie ungläubig.

»Nur hier, nie am Strand. Ich bin ein Feigling. Probier ihn. Mach schon«, drängte sie, und Star begann sich auszuziehen. Misty stand bereits in BH und Höschen da.

»Cat, ich habe hier Shorts, die zu meinem größten Bikinioberteil passen.«

Ich starrte es an.

»Es sei denn, du willst oben ohne gehen«, fügte sie mit einem spöttischen Lächeln hinzu.

Ich schüttelte den Kopf und nahm das blassrosa Oberteil. »Es wird mir zu klein sein«, prophezeite ich. »Bestimmt kann ich es hinten nicht schließen.«

Sie überlegte einen Augenblick.

»Wir werden etwas dranbinden. Hier«, sie zupfte ein rosa Band oben von der Kommode herunter. »Mach einfach einen Knoten, das funktioniert bestimmt. Ist doch egal, wie es aussieht. Es sind doch nur wir da«, beruhigte sie mich.

Misty stieg bereits in ihren Anzug. Voller Neid schaute ich sie an. Sie zog die Augenbrauen hoch, als sie sah, wie ich sie anstarrte.

»Was ist?«

»Ich wünschte, ich hätte deine Figur«, sagte ich.

»Was? Habt ihr das gehört? Wir sollen einander doch die Wahrheit sagen«, erinnerte sie mich.

»Das ist die Wahrheit«, beharrte ich.

»Ich glaube ihr«, sagte Jade und suchte sich selbst einen Zweiteiler aus, einen goldenen mit einem Stringtanga. Sie begann sich auszuziehen, hielt dann inne und schaute mich an. »Nun? Willst du deinen Badeanzug nicht anziehen?«

»Das ist doch kein Badeanzug«, stöhnte ich.

»Aber es geht doch, oder? Später können wir dir einen richtigen Badeanzug besorgen, und du kannst ihn hier lassen, damit deine Mutter nichts davon erfährt.« Star lachte. Sie sah fantastisch aus in Jades Bikini. Was für eine tolle Figur sie hatte. Sie hatten alle tolle Figuren. Ich werde da draußen wie ein Elefantenbaby aussehen, und schwimmen kann ich auch nicht.

Ich starrte auf die Shorts und das Oberteil in meinen Händen. Ich werde albern darin aussehen. Ich schämte mich meiner Figur so sehr, dass ich froh war, zu Hause nicht so viele Spiegel zu haben.

»Kann ich nicht einfach zuschauen, wenn ihr alle schwimmt?«, bat ich.

»Nein«, erwiderte Jade entschieden. Sie knöpfte ihre Bluse auf und zog sie rasch aus. »Du bist jetzt eine von uns. Du tust, was wir tun. Es gibt keine Ausnahmen, keine Entschuldigungen.«

Ich senkte den Blick und spürte, wie ich zitterte.

»Jade«, meinte Star. »Vielleicht ist es nur dieses eine Mal in Ordnung, wenn sie es nicht will …«

»Nein«, beharrte Jade und funkelte Star an. »Dies ist der erste große Test für die WMEs. Wir müssen alles gemeinsam tun.«

»Okay, okay. Hört auf, euch zu streiten«, rief ich. »Ich werde den Bikini anziehen. Ich werde versuchen zu schwimmen.« Mehr als alles auf der Welt wollte ich Teil der Gruppe sein, selbst wenn das bedeutete, mit nicht mehr als einem zu engen rosa Bikinioberteil am Leib in Jades Swimming-Pool zu ertrinken.

Ich griff nach hinten, öffnete meinen BH und zog ihn aus. Schnell zog ich das Oberteil an, das Jade mir gegeben hatte, aber genau wie ich vermutet hatte, war es hinten etwa zwei Zentimeter zu kurz. Jade trat hinter mich und knotete das Band dazwischen, so dass es hielt.

»Na bitte«, sagte sie. »Du hast es überlebt. Zieh die Shorts an, und dann ab ins Wasser. Sonnencreme gibt’s draußen im Zelt. Und Musik auch.«

Schnell schlüpfte ich in die Shorts, die sie mir gegeben hatte. Sie saßen eng, aber es ging.

»Auf geht’s, WMEs«, verkündete Jade.

»Du wirst im Handumdrehen schwimmen lernen«, versprach Misty, die neben mich kam. »Mach dir keine Sorgen deswegen.«

»Danke«, sagte ich und folgte ihnen nach draußen. Nach allem, was bis jetzt in Jades Haus passiert war, würde Schwimmen leicht sein.

Dankbar stellte ich fest, dass bis auf einen Gärtner in der entferntesten Ecke des Anwesens niemand zu sehen war. Als ich den Fuß ins Wasser setzte, merkte ich, dass der Pool beheizt war. Er war fast so warm wie eine Badewanne. »Meine Mutter heizt das Wasser stärker als nötig«, erklärte Jade. »Ich glaube, das macht sie nur, um meinen Vater verrückt zu machen. Ständig beklagt er sich darüber, wie teuer das ist. Dabei geht sie kaum noch schwimmen.«

Sie tauchte mit einem Hechtsprung hinein. Misty watete die Stufen hinunter, und Star folgte ihr. Wenige Augenblicke später bespritzten sie einander und lachten. Ich stand am flachen Ende, die Arme über dem Busen verschränkt, und beobachtete sie.

»Okay«, sagte Jade und hielt eine Hand hoch. »Jetzt helfen wir Cat.«

Sie schwamm zu mir herüber und wies mich an, ins tiefere Wasser zu gehen und ihre Hände zu halten. »Fang an zu treten«, sagte sie. »Schneller, fester. Treten! Stell dir vor, du trittst deine Mutter!«

Jade führte mich im Pool herum und ging dabei rückwärts, während ich den Beinschlag übte.

»Du kannst deine Hände so wölben«, machte Star mir vor. Misty erklärte, wie man atmet, den Kopf zur Seite dreht und dann wieder Luft holt.

»So hat man mir das im Sportunterricht beigebracht«, erklärte sie.

»Immer weiter treten«, rief Jade. »Atmen. Gut.«

Sie brachte mich in tieferes Wasser und ließ dann plötzlich meine Hände los. Ich geriet in Panik und ging unter. Als ich wieder auftauchte, schrien mich alle an, ich sollte Arme und Beine bewegen. Ich würgte. Binnen Sekunden hatte Star die Hände um meine Taille gelegt. Sie hielt mich einen Augenblick über Wasser.

»Lass sie los. Entweder schwimmt sie oder sie ertrinkt«, sagte Jade.

»Hast du das etwa so gelernt?«, fauchte Star sie an.

»Praktisch ja«, sagte Jade.

»Bei ihr lassen wir es langsamer angehen«, beharrte Star und führte mich weiter im Pool herum, ließ mich los, hielt mich wieder an den Händen und führte mich herum. Bemerkenswerterweise stellte sich heraus, dass sie die größte Geduld aufwies. Jade und Misty kletterten aus dem Pool, streckten sich auf den Liegen aus und sahen zu, wie Star mir das Schwimmen beibrachte.

Ich schaffte es, ein paar Meter weit zu schwimmen, bevor wir eine Pause machten.

»Du lernst es«, versicherte Star mir. Daraufhin verließen wir den Pool und legten uns zu Jade und Misty auf die Liegen. Über das Haustelefon neben ihrem Liegestuhl rief Jade das Hausmädchen an und bat es, uns Limonade und Obst zu bringen.

»Dies ist das beste Hotel, in dem ich je gewesen bin«, murmelte Star, als sie sich auf der Liege zurücklegte.

Ich war so außer Atem, dass ich mich einfach auf dem Rücken ausstreckte und in den blauen Himmel schaute. Ich schloss die Augen und trieb mit der Musik aus dem Radio dahin, das Jade angedreht hatte, als Star und ich noch im Pool gewesen waren. Ihre Albereien und ihr Gelächter waren wie ein Schlaflied, das mich völlig entspannte. Ich hörte nicht einmal, wie sie mir Limonade anboten. Die Anspannung, die Aufregung, das Schwimmen, alles hatte mich doch mehr erschöpft, als ich mir vorgestellt hätte.

Fast eine halbe Stunde später stupste Jade mich an.

»Wir machen Schluss«, sagte sie. »Star muss zurück, um ihrer Granny zu helfen, und Misty hat ihrer Mutter versprochen, heute Abend mit ihr ins Kino zu gehen.«

Ich setzte mich rasch auf. Mein Gesicht fühlte sich so gespannt an, dass ich glaubte, es würde zerspringen.

»Au«, jammerte ich und schnitt eine Grimasse.

»Hast du dich nicht mit Sonnencreme eingerieben?«, erkundigte sich Jade.

»Nein«, sagte ich.

»Meine Güte. Okay, ich habe etwas, das dir ein wenig helfen wird, eine Hautcreme, die man speziell nach dem Sonnenbad aufträgt. Einige Vorteile hat es schon, eine Mutter zu haben, die eine Kosmetikfirma leitet.«

»Kannst du mir diesen tollen neuen Lippenstift besorgen?«, fragte Misty, als wir zum Haus zurückgingen. »Bei dem die Lippen aussehen wie Neonlichter bei Nacht?«

»Natürlich. Ich habe ein paar davon da. Ich kann dir jede Farbe besorgen, die du haben willst.«

Misty quietschte entzückt.

»Haben wir kein Glück, dass wir einander haben?«, rief sie begeistert.

Als ich mir in Jades Badezimmer die Haare trocknete, gab sie mir einige Anregungen, wie ich mein Aussehen verbessern könnte. Ich starrte mich in ihrem Frisierspiegel an und fragte mich, ob es überhaupt möglich war, auch nur ansatzweise so attraktiv wie eine von ihnen zu wirken. Vielleicht. Vielleicht konnte ich viel mehr wie sie sein, als ich je gehofft hatte.

Bevor ich mich versah, war es Zeit zu gehen. Die Limousine wartete bereits vor dem Haus. Misty musste als Erste abgesetzt werden, weil sie am nächsten wohnte. Der Fahrer entschied, dass ich die Nächste wäre.

»Die gleiche Ecke?«, fragte er.

»Nein«, sagte ich und nannte ihm meine Adresse.

»Braves Mädchen«, lobte Star mich. »Sobald sie sieht, dass du eine selbstständige Person bist, wird sie einen Rückzieher machen.«

»Ich weiß nicht«, seufzte ich, außer Stande, meine Sorgen zu verbergen. Es war eine Sache, vor ihr und den anderen Mädchen so mutig aufzutreten, aber eine ganz andere, Geraldine gegenüberzutreten, wenn sie wütend war. Sie hatte so eine Art, die Augen in kalten grauen Marmor zu verwandeln und die Schultern aufzuplustern, bis sie wie ein Raubvogel aussah. Sie hatte auch nie an der Rute gespart, wenn es darum ging, mich zu disziplinieren. Ich erinnerte mich an ein Mal, als sie mich mit dem Schürhaken schlug und mir damit einen blauen Flecken am rechten Oberschenkel verpasste, der beinahe einen Monat dort blieb. Und das nur, weil ich etwas im Fernsehen gesehen hatte, das sie mir ausdrücklich verboten hatte!

Als die Limousine näher kam, spürte ich, wie meine Eingeweide sich anspannten und verhedderten wie eine rostige alte Kette. Es fiel mir schwer, tief Luft zu holen. Meine Rippen fühlten sich so brüchig an, als würden sie jeden Moment zerbrechen.

»Denk daran«, ermahnte Star mich, »du hast Rechte. Wenn du Hilfe brauchst, ruf eine von uns an. Okay?«

Ich nickte, als das Auto an den Bordstein fuhr.

»Auf Wiedersehen. Ich habe mich großartig amüsiert«, sagte ich. »Bestell deiner Granny schöne Grüße von mir.« »Keine Sorge, alles geht in Ordnung«, versicherte sie mir, und ich schloss die Tür. Dann stand ich da und beobachtete, wie die Limousine davonfuhr. Ich holte tief Luft und ging zur Haustür.

Als ich sie öffnete, verblüffte mich das tiefe Schweigen dort drinnen. Man hörte kein Radio, das alte Musik spielte, keinen Staubsauger, kein laufendes Wasser. Vielleicht war Geraldine in ihrem Sessel eingeschlafen, dachte ich, als ich eintrat.

In dem Augenblick, als ich die Schwelle überquerte, erwischte mich das Strohende eines Besens am Hinterkopf. Es traf mich völlig überraschend, so dass ich die Balance verlor und nach vorne stolperte. Mir blieb gerade noch genug Zeit, die Hände nach vorne zu reißen, sonst wäre ich direkt auf dem Gesicht gelandet.

Ein weiterer Streich des Besens traf mich am Hinterteil. Ich krabbelte vorwärts.

»Wie kannst du es wagen, mir nicht zu gehorchen? Wie kannst du es wagen?«, schrie sie. Sie schlug mich wieder, hob und senkte den Besen mit raschen scharfen Schlägen auf Beine, Rücken und Schultern, bevor ich schnell genug vorwärts kriechen konnte, auf die Beine kam und schreiend den Kopf schützte.

»Hör auf!«

»Geh in dein Zimmer. Geh hinauf. Ich habe gesehen, wie du aus der Limousine gestiegen bist. Versuch ja nicht, mich zu belügen.«

Sie stand da mit dem Besen auf der Schulter wie ein Baseballschläger, das Gesicht hochrot erhitzt, die Augen glühend wie zwei Kohlen.

»Schau dir bloß dein Gesicht an. Was hast du da gemacht? Warum hast du einen Sonnenbrand?«

»Wir sind schwimmen gegangen«, erklärte ich.

»Schwimmen? Du kannst doch gar nicht schwimmen. Waren dort auch Jungen?«

»Nein, nein, es waren nur wir vier, und die Mädchen haben es mir beigebracht.«

»Lügnerin, dreckige Lügnerin. Nach allem, was ich mit dir durchgemacht habe, tust du mir jetzt das an. Mir bricht das Herz«, jammerte sie kopfschüttelnd. Sie entspannte ihre Schultern und drehte den Besen herum, so dass sie ihn eher als Stock benutzen konnte. »Warum hast du mir nicht gehorcht? Warum?«

»Ich möchte Freunde haben. Sie sind meine Freundinnen.«

»Wasser sucht sich immer den einfachsten Weg«, murmelte sie. »Sie sind von deinem Schlag, ja? Alles, was ich für dich getan habe, was ich dir beizubringen versucht habe, ist wie weggewischt, stimmt’s? Es liegt in den Genen. Es steckt in dir. Du bist genau wie sie. Genauso gut könnte ich dich direkt dem Satan übergeben.«

»Meine Freundinnen sind nicht schlecht. Sie sind gut. Sie sind sensibel und besorgt, und wir kümmern uns mehr umeinander, als unsere Familien sich um uns kümmern. Es ist überhaupt nicht so, wie du glaubst.«

Sie schleuderte mir einen Blick entgegen, der so voller kalter Anklage war, dass ich wegschauen musste. Das bestätigte nur, welche hässlichen Gedanken in ihrem Gehirn erblüht waren wie schwarzes Unkraut in einem Garten voller Furcht und Verachtung.

»Geh nach oben«, befahl sie. »Du bekommst heute Abend kein Essen.«

»Das ist mir egal. Ich habe bereits gegessen«, murmelte ich. Meine wütenden Worte schienen ihr neue Energie zu schenken. Sie hob den Besen und wollte wieder damit auf mich einschlagen, aber statt zurückzuweichen erinnerte ich mich an Stars ermutigende Worte und trat vorwärts. Geraldine sah aus, als hätte sie mir am liebsten die Haut vom Leibe gepeitscht, aber ich wich nicht zurück und duckte mich auch nicht wie üblich.

»Schlag mich nicht wieder«, leistete ich ihr entschlossen Widerstand. »Hör auf damit.«

Sie erstarrte.

Ich hielt die Luft an, und obwohl ich am ganzen Körper zitterte, blieb ich stehen. Trotzig und entschlossen starrte ich sie an.

Sie schüttelte den Kopf, die angespannten Linien in ihrem Gesicht wurden weicher.

»Was für einen Zweck hat das?«, fragte sie sich selbst, als sie den Besen senkte. Sie ließ die Schultern sinken und seufzte tief. Dabei zitterte sie, als wäre ihr das Herz wirklich gebrochen. »Man kann nicht ändern, was schon seit Geburt dort ist. Es war närrisch von mir, es auch nur zu versuchen, es je zu hoffen.«

»Was war dort seit Geburt? Wovon redest du? Sag es mir!«, schrie ich.

Sie wandte sich ab, als wäre ich gar nicht da, und ging in Richtung Küche.

»Ich will mehr wissen«, rief ich hinter ihr her. »Ich will die Wahrheit wissen, die ganze Wahrheit. Ich habe ein Recht, sie zu wissen, und du musst sie mir sagen.«

Sie blieb stehen und schaute sich zu mir um. Noch nie hatte sie so klein und müde ausgesehen.

»Du willst die Wahrheit wissen?«, fragte sie und lachte kalt. »Die Wahrheit ist, dass du wirklich die Tochter deiner Mutter bist. Das ist die einzige Wahrheit, die in diesem Haus von Bedeutung ist.«

Sie ging weiter den Flur entlang.

»Das reicht nicht. Ich will alles wissen«, rief ich. Sie ignorierte mich, ging einfach in die Küche und schloss die Tür. Ich stand einen Augenblick dort, mein Körper zitterte so sehr, dass mir die Zähne klapperten. Ich schlang die Arme um mich und holte tief Luft. Dann ging ich in mein Zimmer und schloss die Tür hinter mir. Ein schreckliches Schweigen legte sich über mich. Ich hörte nicht einmal, wie unten das Wasser lief oder Töpfe klapperten. Vermutlich rauchte sie noch vor Zorn, während sie dort stand und die Küchentür anstarrte.

Wir waren beide in unsere eigenen Alpträume eingesperrt und wohnten im gleichen Haus, das nur mit grauenhaften Erinnerungen gefüllt war. Sie zu überleben war das Einzige, das jetzt zählte. Es war das Einzige, das uns wirklich zusammenhielt. Liebe war es ganz bestimmt nicht.

Die Liebe würde vermutlich nie einen Fuß über unsere Schwelle setzen. Und wenn sie es täte und hereinkäme, würde sie sich einmal umschauen und fliehen. Genauso fühlte auch ich mich.

Garten der Versuchung

Подняться наверх