Читать книгу Weltenfresser - Veikko Päivinen - Страница 3
ОглавлениеProlog
Die Stimme des Erhabenen ließ sich die übermenschlichen Anstrengungen der vergangenen Wochen kaum anmerken. »Den Großen Alten sei Dank, dort vorne ist es! Endlich!«
Erschöpft kniete er nieder und dankte inbrünstig seinen Göttern.
Die kleine Gruppe versammelte sich erschöpft vor einer gewaltigen Wand aus schwarzem, glattem Fels. Die leuchtenden Kristalle in ihren Händen vermochten es kaum, die riesige, unterirdische Halle vollständig zu erleuchten, durch die sie schon so lange irrten. Ihre Schatten tanzten gespenstisch auf den Wänden dieses Labyrinths, das sich im Bauch der Kristallwüste verbarg.
Anemer blickte zurück in die Dunkelheit, aus der sie gekommen waren. Dort waren nicht nur kalter Fels und der Staub von Jahrhunderten – sondern auch die glühenden Augen unzähliger Marakthan, fleischgewordene Schattengeister. Stets bereit, ihnen das Fleisch von den Knochen zu reißen.
Er zuckte beinahe zusammen, als ihn einer der Geweihten mit einer formlosen Verbeugung ansprach: »Sie folgen uns nicht mehr, Anemer! Den Großen Alten sei Dank!«
Der Erhabene nickte dem Mann wortlos zu. Er war einer der auserwählten Geweihten seines Ordens und damit einer der edelsten Männer des Glaubens, die Anemer hatte finden können. Doch nicht einmal ihr starker Glaube hatte sie vor den Klauen des Bösen beschützen können und bis auf drei waren alle getötet worden ... Dennoch waren die Geweihten ruhig – schicksalsergeben, so wie es von ihnen verlangt wurde.
Anemer murmelte ein kurzes Gebet zu Ehren der Gefallenen, dabei verharrte sein Blick bei den vier Magiern, die ihn begleiteten. Auch sie waren gezeichnet von den Opfern, die sie in den letzten Tagen hatten bringen müssen, und doch hatten sie sich bewährt. Von Anfang an waren nur diese vier dabei gewesen, denn es gab nur wenig auf dieser Welt, das sich der geballten Kraft der Spektabilitäten entgegenstellen konnte. Anemers Blick wurde unruhig, als er an die Schrecken denken musste, denen sie begegnet waren.
Doch es waren weniger allgegenwärtiger Tod und Leiden, was Anemer unruhig werden ließ – es war die furchtbare Gefahr, die in jeder Anwendung von Magie lauerte. Sein Blick wurde hart, als seine blauen Augen nach jedem noch so kleinen Anzeichen ernsthafter Erschöpfung in den Gesichtern der Magier suchten. Er misstraute der Magie von ganzem Herzen, auch wenn er wusste, dass er und seine Männer ohne sie längst verloren gewesen wären. Und doch – ein einziger, unkonzentrierter Zauber konnte bereits ausreichen, um ...
Anemer schüttelte den dunklen Gedanken rasch ab. Nein, diese Magier waren allesamt erfahren und vorsichtig genug, nicht zu viel zu riskieren. Die Spektabilitäten des Nord– und Ostreichs kannte er bereits viele Jahre und er empfand beinahe freundschaftliche Gefühle zu ihnen – soweit er so etwas bei einem Magier zulassen konnte. Die anderen beiden hatte er erst wenige Wochen vor der Abreise persönlich kennengelernt und obwohl immer ein nagender Zweifel geblieben war, hatte er sie auf seine Reise mitgenommen. Nein, nicht Reise – seine Mission!
Anemer stand entschlossen auf und nickte Aurin zu, der Spektabilität des Südreichs. Die Magierin erwiderte seinen Gruß und sprach dann mit dem Kommandanten der Soldaten. Obwohl ihre Stimme fest klang, war ihr Gesicht fahl und auf ihrer zerschlissenen Gewandung zeichneten sich dunkle Blutspritzer ab – es war nicht ihres. Anemer amtete tief ein und bedachte der guten Männer, deren Blut erst vor zwei Tagen vergossen worden war. Dann schüttelte er unmerklich den Kopf. Zwei Tage? Woher wollte er das so genau wissen! Hier unten gab es keine Sonne, nur stets gleichbleibende, undurchdringliche Dunkelheit – er hatte schon längst das Zeitgefühl verloren und das machte ihn fast verrückt.
Aber er erinnerte sich noch gut daran, wie die verdammten Biester aus einem Hinterhalt auf sie zugestürmt waren. Er konnte fast noch den dumpfen Klang ihrer schwarzen Leiber hören, als sie auf die Metallschilde der vorderen Reihen geprallt waren. Hörte, wie ihre Klauen erst an Metall und dann an Fleisch rissen. Die ersten Männer waren bereits tot gewesen, bevor sie zu Boden gefallen waren.
Die Magier hatten eine Feuersbrunst entfesselt und die Schattengeister zu Dutzenden verbrannt – und dennoch. Es war ein Hinterhalt gewesen und ein intelligenter Hinterhalt dazu! Anemer ballte seine Hand zu einer Faust, als er an die vielen Opfer denken musste, die sie in der seelenlosen Schwärze dieses Ortes hatten zurücklassen müssen.
Nein, so unheimlich klug Marakthan auch zuweilen agierten, das Verhalten gestern hatte alles in den Schatten gestellt, was Anemer jemals erlebt hatte. Selbst der halbverhungerte Dämon, den sie gleich nach Betreten des Labyrinths in einer merkwürdigen Kammer gefunden hatten, war mehr ein wildes Tier als denkendes Wesen gewesen. Nein, es waren die Marakthan gewesen, die Anemer klar gemacht hatten, dass dieser Ort wahrhaft der richtige sein musste: Denn die Schattengeister wurden befehligt, das war ihm gleich klar gewesen. Und es gab nur ein Wesen, das zu so etwas imstande war. Der Gefangene.
Wahrhaftig – dies war seine Mission, wie sie ihm prophezeit worden war! Denn dieser Ort war keine Festung oder einfach nur ein gewaltiges, unterirdisches Labyrinth – er war ein einziger, großer Kerker! Ein Kerker, der in seinem dunklen Herzen nur einen einzigen Gefangenen eingeschlossen hielt. Ein Kerker, der nur für diesen einen Zweck überhaupt erbaut worden war.
Anemer verzog die Mundwinkel, als er an den verbissenen Kampf mit dem Dämon denken musste. Wahrscheinlich war die Kreatur einst hier eingeschlossen worden, als dieser Ort vor undenkbar langer Zeit versiegelt worden war und es hatte lange gedauert, bis sie ihn endlich niedergerungen hatten. Und auch die Wogen schwarzer Leiber der Marakthan waren furchtbar gewesen und hatten einen schrecklichen Blutzoll gekostet, ebenso wie die Fallen, welche die Erbauer einst zurückgelassen hatten. Und doch war das alles geradezu unbedeutend im Vergleich zu dem, was sie noch erwartete ...
Der Erhabene blickte um sich, als fürchtete er, bereits seine Gedanken könnten von dem Übel aufgesogen werden, das tief im schwarzen Herzen dieser Festung gefangen war. Es war die große Bestimmung seines Lebens, dieses Übel ein für alle Mal vom Angesicht der Welt zu tilgen!
Anemer atmete tief ein und ließ seinen Blick weiter wandern. Ein anerkennendes Lächeln huschte über sein Gesicht, als er Gorim erblickte. Der Hüne war einer der erfahrensten militärischen Anführer, den Anemer kannte. Anemer wusste, dass die Soldaten ihrem Kommandanten gegenüber mehr als nur militärische Achtung empfanden.
Ein Berg von einem Mann! Ein einziger, stummer Blick genügte meist, um Disziplin herzustellen oder erloschenen Kampfesgeist wieder zu erwecken – aber nicht aus Angst, sondern aus Respekt und oft genug auch Freundschaft! Vielleicht wäre er niemals auf diese Odyssee aufgebrochen, wenn Gorim ihm die Gefolgschaft verweigert oder auch nur leise Bedenken geäußert hätte.
Der Blick der Erhabenen glitt weiter über die erschöpften Soldaten und wurde mild. Ihre Kleidung war starr von Dreck, Schweiß und Blut, die Rüstungen waren an vielen Stellen verbeult und zeigten einige lange, tiefe Kratzer von Klauen – manchmal auch Abdrücke von Zahnreihen. Die grauenhaften Schreie ihrer Kameraden mussten auch ihnen noch durch die Köpfe hallen – so wie Anemer sie stets hörte – in seinen Träumen oder wenn er nur kurz die Augen schloss.
Und doch waren all ihre Opfer notwendig. Denn noch immer lag das Schwierigste vor ihnen, ihre eigentliche Aufgabe! Der Gefangene, der im schwarzen Herzen dieses Kerkers auf sie wartete. Und dieses Ziel war es wert, mit Blut bezahlt zu werden. Anemer hätte jederzeit auch sein eigenes gegeben, wenn er dadurch etwas hätte bewirken können.
Er drehte sich abrupt um und betrachtete grimmig die große, dunkle Mauer, die titanisch vor ihnen in die Höhe ragte. Das Schwarz ihrer Steine war unnatürlich dunkel: Das Licht ihrer Kristalle wurde kaum reflektiert, als würde es vom Felsen regelrecht verschluckt. Dann betrachtete er nachdenklich die vier, mehrere Meter hohen Statuen, die vor der Mauer errichten worden waren und in ihrer Mitte einen Gang bildeten. Vor unendlich langer Zeit waren sie einst aus einem dunklen Metall gegossen worden und schienen seitdem diesen Ort zu bewachen – stumme Wächter in der Finsternis.
Es waren zwei Männer und zwei Frauen dargestellt, in prächtige Gewänder gekleidet. Jeweils ein Mann und eine Frau trugen mächtige Schwerter und große Turmschilde bei sich. Längst vergessenen Wappen glänzten golden darauf. Die anderen beiden Figuren trugen leichtere Ausrüstung und Anemer hatte sogleich gesehen, dass auf ihrer Stirn ein drittes Auge angedeutet war. Doch nicht nur dieses uralte Zeichen für Magie hatte ihn besorgt: Merkwürdig abweisend blickten die Statuen in die Dunkelheit hinter ihnen – und nicht zu der gewaltigen Mauer hinter sich, wie es zu erwarten gewesen wäre! Sollten diese Wächter denn nicht das Böse bewachen, das dort seit Äonen gefangen war? Warum blickten diese stummen Zeugen großer Taten so kühl zu den Menschen herunter, die sich bis zu ihnen durchgekämpft hatten?
Anemer kniff die Augen zusammen, als plötzlich etwas seinen Geist berührte wie ein kalter Winterhauch. Es war wieder die Präsenz, die er seit einigen Tagen immer deutlich in seinem Geist gespürt hatte. Diese Präsenz war immer dagewesen, vor allem in seinen wirren, dunklen Alpträumen – erst letzte Nacht hatte er das Biest sogar beinahe sehen können. Es schien keine feste Gestalt zu besitzen und nahm stets die Form von allem an, vor dem er jemals Angst verspürt hatte. Und jede Nacht schien dieses Biest heißer zu werden – als habe es in der Leere seiner fehlenden Seele ein weißglühendes Feuer, das alles verbrennen konnte.
Ich warte auf dich ...
Anemer schüttelte den Kopf und versuchte, die dunklen Gedanken beiseite zu fegen, doch sie klebten an seinem Geist wie Pech. Er spürte deutlich, wie es immer stärker an ihm nagte, flüstere, höhnte. Es vergiftete seinen Verstand. Etwas Altes – eine Existenz so fremdartig, dass sein Geist sie nur mühsam begreifen konnte. Anemer murmelte ein Gebet
und langsam, widerwillig zogen sich die dunklen Schatten aus seiner Seele zurück.
Heimlich blickte der Erhabene zu den Magiern und den Geweihten. Auch sie mussten spüren, dass sie sich langsam etwas näherten, einer dunklen Macht. Doch keiner von ihnen konnte sie so gut spüren wie Anemer. Zu keinem von den anderen sprach sie – nur zu ihm ...
Inständig bat der Erhabene die Großen Alten darum, dass ihre Kräfte noch für das letzte Ritual reichen würden.
Gorim versuchte, seine Männer zu beruhigen. Er legte trotz allen Umständen großen Wert auf Disziplin, denn er wusste, dass diese den Soldaten Halt geben würde. Er wusste aber auch, dass sie trotz all ihrer Erfahrung, trotz all ihrer Kraft bald am Ende sein würden – oder es bereits waren. Die Blicke verrieten es, wenn sie unruhig versuchten, das Dunkel hinter sich zu durchdringen. Ihr unruhiger Schlaf verriet es – wenn sie überhaupt schlafen konnten.
Gorim hatte im Stillen den Großen Alten gedankt, als ihm der Erhabene zu erkennen gegeben hatte, dass sie ihr Ziel endlich erreicht hatten. Natürlich hätte er Anemers Befehl niemals in Frage gestellt und er wäre ihm auch in die Neunundneunzig Höllen gefolgt, wenn Anemer das befohlen hätte. Und was sie hier, tief unter der elenden Wüste, erlebt hatten, war auch wahrhaftig ein Vorgeschmack auf die Höllen gewesen!
Zunächst waren da nur die Kämpfe gegen das Ungeziefer des Bösen gewesen – doch Gorim hatte bereits zuvor gegen Marakthan gekämpft. Und auch der Dämon war recht schnell besiegt gewesen, halb verhungert wie die Kreatur bereits gewesen war. Und dennoch war Gorim unruhig ...
Seine Gedanken wurde unterbrochen, als Rahil, einer der jüngsten unter seinen Männern, ihn ansprach: »Warum folgen sie uns nicht mehr, Gorim? Die ganze Zeit haben sie uns durch dieses verfluchte Höhlenlabyrinth verfolgt! Warum jagen sie uns jetzt nicht mehr?«
Der Kommandant strich sich durch den Bart und starrte ins Dunkel hinter ihnen. »Ich denke, wir haben ihnen schwere Verluste zugefügt, Junge. Danke den Großen Alten für Ihre Gnade! Und rüste dich, wir brechen bald auf.«
Unsichere Dankbarkeit zeigte sich in den braunen Augen des jungen Soldaten und Gorim legte ihm seine schwere Hand väterlich auf die Schulter.
Dann gab er dem Rest seiner Männer weitere Befehle, doch insgeheim spürte er, wie seine routinierte Selbstgewissheit Risse bekam. Denn Gorim hatte sich schon vor einiger Zeit dieselbe Frage gestellt: Warum folgten ihnen die Marakthan nicht mehr? Marakthan würden niemals von ihrer Beute ablassen! Erst Recht nicht, wenn sie bereits Blut geleckt hatten. Also warum griffen sie nicht mehr an, je tiefer sie in diese Festung eindrangen? Und schien es nicht so, dass sie nur in bestimmten Gängen zu Dutzenden lauerten, während andere frei waren?
Und erst der Hinterhalt, den sie gelegt hatten! Gorim war sich sicher gewesen, sterben zu müssen – die Schattengeister hatten sie in einer Form angegriffen, die jeden Heermeister beeindruckt hätte. Eine erstaunliche Leistung für bösartige, fast hirnlose Kreaturen! Doch gerade in dem Moment, in dem sie auch ihren inneren Verteidigungskreis hätten durchbrechen können, hatten sie sich zurückgezogen und damit begnügt, die äußeren Männer abzuschlachten. Was wie das planlose Handeln von Tieren aussah, hatte Gorim misstrauisch gemacht. Zunächst der perfekte Angriff auf ihre verwundbarsten Flanken und dann, kurz vor den Ziel, sinnloses Gemetzel? Nein, das machte einfach keinen Sinn.
Gorim rieb sich den verfilzten Bart und sein unruhiger Blick fiel auf die vier Statuen, die mit allerlei merkwürdigen Symbolen verziert waren. Wie ein leises Flüstern schlich sich ein Gedanke in sein Bewusstsein – alles an diesen metallenen Wächtern schien ihnen stumm zuzurufen: Zieht euch zurück, lasst ruhen, was hier gefangen ist! Zieht euch zurück! Flieht ... Flieht um euer Leben!
Er zuckte beinahe zusammen, als die Spektabilität des Südens ihre Hand sanft auf seine Schulter legte. Leise sprach die Magierin zu ihm: »Ihr seid stark, Kommandant. Lasst keinen Zweifel in Euren Geist. In diesem Mauern wohnt ein Übel, das nur schwer zu begreifen ist – ein Übel, das stets versucht, uns zu schwächen. Und es weiß genau, wie es bei jedem von uns vorgehen muss.«
Sie lächelte gequält.
Gorim atmete tief ein und blickte der Magierin in die Augen, deren Farbe merkwürdig unbestimmbar war und sie konnte seinem Blick nicht lange standhalten. Es war ihm unheimlich, wie diese vier Magier manchmal genau zu wissen schienen, was in ihm oder seinen Männern vor sich ging.
Er deutete ein Nicken an und brummte: »Ich danke Euch, Aurin. Sind wir wahrhaftig am Ziel?«
Die Magierin schien innerlich zusammenzuzucken und ließ ihren unruhigen Blick über die vier Statuen gleiten. Leise sagte sie: »Ja. Wir alle müssen jetzt stark sein – wir dürfen dieses Böse nicht in unsere Seelen lassen, sonst wird es sie verbrennen. Und dann das, was von uns noch übrig sein sollte.«
Gorim nickte stumm und erinnerte sich dabei an die Worte Anemers, die ihn ebenfalls vor einem uralten Bösen gewarnt hatten, das hier in diesen Mauern angeblich gefangen war. Etwas Böses, dessen bloße Existenz bereits einen Mann in den Wahnsinn treiben konnte.
Anemer sprach ein Gebet, die anderen Geweihten stimmten in sonorem Singsang ein. Er begann damit, die eingeprägten Zeilen zu sprechen. Wissend, dass nur diese Worte in einer uralten, fast vergessenen Sprache die in die Felswand eingelassenen unsichtbaren Runen dazu bringen konnte, die dahinter liegende Krypta freizugeben. Den Kerker des Biests.
Laut rief er die heiligen Worte durch die gewaltige Halle und bemerkte, dass seine Worte von keiner der Wände widerhallten. Und das, obwohl sonst jedes Klirren der Waffen, jedes geflüsterte Wort stets vielfach von den schwarzen Felsen zurückgeworfen wurde. Er hörte nur sich selbst sprechen, kein Echo gab diese dunkle Sprache wieder – als ob der Fels selbst den Atem anhielt. Wartete.
Nach einer Weile, es kam dem Erhabenen wie eine Ewigkeit vor, glühten plötzlich in der Wand vor ihnen Runen auf. Zuerst zögerlich, dann immer stärker. Dann so hell, dass er sein Gesicht geblendet abwenden musste.
Blaue Flammen ohne Rauch schlugen aus dem Fels und hüllten den Raum in flackerndes, gespenstisches Licht. Die leuchtenden Kristalle, die so zuverlässig ihr ruhiges Licht verbreitet hatten, wurden plötzlich schwarz. Doch keiner der Männer bemerkte es. Immer mehr Runen erschienen in der Wand und bildeten langsam die Form eines Torbogens. Ein anschwellendes Knirschen füllte die Halle aus. Dunkelheit schien wie Pech durch die Spalten zwischen den riesigen Steinblöcken hervor zu sickern.
Der Erhabene spürte nun deutlich die Präsenz hinter dieser Wand – und er begriff auch, dass sich diese Präsenz der Männer vor seinem Kerker bewusst war.
Er hat auf uns gewartet!
Er verdrängte diesen unheilvollen Gedanken zornig. Er würde keinem Zweifel gestatten, ihn bei der Erfüllung seiner Mission zu stören! Er musste sich jetzt auf seine Gebete konzentrieren. Falsche Zweifel durften seinen Geist nicht erreichen. Mit bebender Stimme sprach er ein Gebet.
Irgendwo hörte er Gorim rufen: »Ruhig, Männer, ruhig! Macht euch bereit! Die letzte Schlacht beginnt, bald haben wir es geschafft! Konzentriert euch, erfüllt die Großen Alten mit Stolz! Solltet ihr sterben – sterbt mit Ehre. Sichert den Sieg des Lichts über die Dunkelheit! Für immer!«
Das Brüllen der Männer schien ebenfalls von den Wänden aufgesogen zu werden, als die Felswand vor ihnen in Dunkelheit verschwand und ein Durchgang erschien. Ein Schwall eiskalter Luft strömte an ihnen vorbei in den Tunnel, als ob die Dunkelheit vor ihnen tief einatmete.
Vor ihnen war nun keine Wand mehr, sondern nur noch ein hoher Durchgang. Schwungvolle, mit sonderbaren Runen und Verzierungen versehene Bögen stützten die Decke. Dahinter lag eine Halle, erfüllt von einem diffusen, seltsamen Zwielicht.
Die Magier begannen sofort, die vorbereiteten Schutzzauber zu wirken. Dann schritten sie alle ihrem Schicksal entgegen.
***
Als die ersten Soldaten in die gewaltige Hallte kamen, wurde das, was sonst nur ein nagendes Flüstern in ihren Träumen und Ängsten gewesen war, unvermittelt zu einer tosenden Flut, die gegen die Pforten ihres Verstandes anbrandete.
Zwei von ihnen brachen sogleich weinend zusammen, die Arme um ihre Köpfe geschlungen. Einer lachte dabei und begann, ein altes Wiegenlied zu brüllen. Ein Soldat neben Gorim taumelte mit weit aufgerissenen Augen zurück, Blut rann ihm aus einem Augenwinkel. Auch Gorim zuckte zusammen, als er die grauenhafte Präsenz zu begreifen versuchte, die scheinbar an jeder Faser seines Körpers zerrte. Er konnte fühlen, wie er langsam den Verstand verlor und das erste Mal seit sehr langer Zeit kroch ein vergessen geglaubtes Gefühl seinen Rücken hinauf – Furcht.
Benommen sah er den Erhabenen mit grimmiger Entschlossenheit in die teuflische Halle hineinschreiten, das Gesicht zu einer steinernen Fratze verzerrt. Ohne zu zögern, pflügte der heilige Mann förmlich durch die Wogen des Bösen.
Gorims Herz raste, als sein Blick auf den Boden des Kerkers fiel: Kein Fels bedeckte ihn – sondern unzählige, sorgsam ausgerichtete Totenschädel. Die leeren Augenhöhlen waren alle auf das Zentrum dieser titanischen Halle gerichtet, als wachten sie noch im Tode über das, was sich dort befand. Umrahmt von vier zyklopischen Säulen, welche ebenfalls aus unzähligen, kunstvoll geschichteten Gebeinen errichtet worden waren, stand dort ein großer, goldener Käfig – der leer zu sein schien. Die Gitterstangen glitzerten in diesem seltsamen Zwielicht, welches aus keiner bestimmbaren Quelle stammte. In einem großen Kreis rund um den Käfig waren große, goldene Runden in den Boden eingelassen; die Luft um den Käfig flimmerte vor Hitze und Gorim spürte, wie ihm schon nach wenigen Augenblicken der Schweiß in Bächen den Rücken hinunter lief. Obwohl kein Feuer zu sehen war, war die ganze Halle erfüllt von glühend heißer Luft.
Nur langsam gewann Gorim die Kontrolle über sich selbst wieder. Mühsam hob er sein Schwert und brüllte seinen Männern Mut zu – dann folgte er mit schweren Schritten dem Erhabenen.
Grauen erfasste Anemer, als er diese Halle der Toten betrat – doch er wusste, dass es nicht diese unzähligen Knochen waren, die ihn mit Furcht erfüllten. Es war der große, goldene Käfig in der Mitte – denn eines war er mit Sicherheit nicht: leer.
Laut rief er die Großen Alten an, bat sie um Kraft. Er trat näher und spürte sofort, dass sie schnell handeln mussten – sehr schnell sogar. Etwas Unsichtbares war hier gefangen, seit Jahrtausenden. Besiegt in einer kataklystischen Schlacht – doch längst zu stark, als dass man es hätte endgültig töten können. Erst jetzt, Jahrtausende danach, mochte es ihm, Anemer, gelingen! Erst jetzt war es schwach genug, um von dieser Welt verbannt zu werden – für immer. Und dieser Akt würde ihn, Anemer, unsterblich machen!
Der Erhabene spürte unendliches Alter und etwas Grauenhaftes, Allwissendes, das die gesamte Krypta auszufüllen schien. Das leise Flüstern in seinem Kopf war längst einem brüllenden Orkan gewichen und wand sich gleichzeitig wie eine Schlange um seinen Geist. Begann wie ein Sog an seinem Verstand zu ziehen, biss hinein und riss daran ...
Die Hitze war unerträglich und schon bald war seine Gewandung nass vor Schweiß.
Mühsam entwand er sich dieser unsichtbaren Umarmung. Seine Stimme war erstaunlich fest, als er rief: »Rasch! Errichtet den Kreis! Tut, wozu wir hergekommen sind!«
Die vier Magier stellten sich mit schlafwandlerischen Bewegungen in sicherem Abstand vor die Seiten des Käfigs. Der Erhabene sah, wie einem von ihnen blutige Tränen die Wangen herunterliefen, außerdem musste die Hitze in der Nähe des Käfigs noch unerträglicher sein als hier.
Doch dann begannen sie endlich damit, die einstudierten Rituale zu wirken und selbst der Erhabene spürte die mächtige Magie durch diese Halle fließen. Er hörte seine eigene Stimme wie aus weiter Ferne rufen: »Keiner darf den Kreis unterbrechen! Tötet jeden, der es versucht! Ihr müsst bei Verstand bleiben! Bittet um die Gnade der Großen Alten!«
Gorim stand mit dem Rücken zum Erhabenen, spürend, dass die größte Gefahr in diesem Moment paradoxerweise nicht von dem Ding ausging, das hier einst gefangen worden war. Anemer hatte es ihm erklärt – der Kreis der Magier durfte nicht unterbrochen werden. Aber es stand zu befürchten, dass bei dem ein oder anderen seiner Männer der Verstand unter dem Einfluss des Bösen zusammenbrechen könnte – und aufgehalten werden musste. Gorim hatte gebetet, dass es nicht dazu kommen möge, doch wenn einer dieser armen Teufel versuchen würde, die Magier anzugreifen ...
Mitleidig dachte er an die zwei Männer, die sofort den Verstand verloren hatten. Einer von ihnen war mittlerweile in die Dunkelheit zurückgerannt, aus der sie gekommen waren. Sein irres Gelächter war anschließend rasch verstummt. Gorim suchte in die ängstlichen Augen der verbleibenden Männer neben sich nach Anzeichen der Gefahr. Obwohl sie alle diese grauenhafte Präsenz in ihren Köpfen spüren mussten, hielten sie sich tapfer. Es waren gute und starke Männer!
Plötzlich sah Gorim aus dem Augenwinkel, wie der Mann, der soeben noch weinend am Boden gekauert hatte, nach seinem Schwert griff. Mit entsetzlich leerem Blick strauchelte er auf einen der Magier zu.
»Tyrin! Was machst du da!«
Doch Gorim rechnete nicht damit, eine Antwort zu erhalten. Rasch eilte er zu dem armen Kerl, wich einem unerwartet schnellen Angriff aus und rammte dem Mann den Schwerknauf in den Magen. Tyrin strauchelte zurück und holte erneut mit dem Schwert aus. Gorim tauchte unter dem Angriff ab und es gelang ihm, dem Mann das Schwert aus der Hand zu schlagen.
»Lass es liegen, Tyrin! Ich muss dich sonst töten!«
Doch der Mann vor ihm starrte immer nur in Richtung des Käfigs. Bevor Gorim reagieren konnte, fletschte der Mann die Zähne und sprang ihn an. Sie rangen miteinander und kurz bevor ihm Tyrin ins Gesicht beißen konnte, rammte ihm Gorim die Klinge des Schwertes in den Bauch. Tyrin keuchte und schrie etwas in die glühende Luft. Dann riss er sich los, ein Schwall Blut klatschte dabei auf den Boden.
Kaltes Grauen beschlich Gorim, als das Blut des Soldaten rasend schnell zwischen den Schädeln verschwand. Sie trinken das Leben ... wie köstlich es ihnen schmeckt, nach so langer Zeit! flüsterte es in seinem Kopf. Sie lechzen auch nach deinem Blut, Krieger ... und wenn sie es getrunken haben, werde ich deine Seele fressen ...
Gorim taumelte zurück. Dann sah er, wie Tyrin wieder sein Schwert in der Hand hielt und versuchte, in Richtung der Magier vorzustürmen. Gorim nahm all seine Kräfte zusammen und machte einen Ausfallschritt. Tyrin hatte keine Chance: Das Schwert drang an seinem Kehlkopf ein und trennte seinen Kopf beinahe vollständig vom Hals ab. Gurgelnd und blutend brach Tyrin zusammen. Für einen kurzen Moment hatte Gorim das Gefühl, als ob ein grausames Lächeln durch die Halle schwebte. Wie eine feine, vom Wind getragene Melodie.
Tyrin zuckte noch, blutige Blasen zerplatzen an der furchtbaren Halswunde. Gorim kniete um Verzeihung betend neben seinen Gefährten und beendete dessen Todeskampf mit seinem Dolch.
Mit gebleckten Lippen richtete er sich wieder auf, er spürte kalten Schweiß auf seiner Stirn.
Anemer spürte benommen, wie ihm Blut aus der Nase rann. Die Zeit wurde knapp – und doch war der Sieg zum Greifen nah! Die beiden Geweihten sprachen ihre Gebete und unterstützen die Magier, welche einen Kreis aus kleinen, mit mächtigen Bannzaubern besprochenen Steinplaketten um den Käfig gelegt hatten. Bald hatten sie es geschafft. Schon bald!
Doch das Rinnsal dunklen Zweifels war mittlerweile zu einem reißenden Strom geworden. Anemer fragte sich unwillkürlich, weshalb sich der dunkle Gefangene im Käfig nicht stärker wehrte. Wusste das Biest nicht, dass es bald vernichtet wurde? Oder war es doch zu schwach, nach Äonen der Gefangenschaft, so wie er gehofft hatte? Doch warum hatte er dann den Eindruck, als ob es ihn in einer Art unendlichem, gierigem Humor beobachtete?
Die anderen Geweihten riefen ihm etwas zu und Anemer wusste, dass nun der wichtigste Augenblick gekommen war. Der magische Kristall in seiner Tasche würde das Ritual endgültig besiegeln und das Ding in diesem Käfig würde für immer in die Sphäre verbannt, aus der es vor undenklich langer Zeit entkommen war. Aurin hatte ihm vor der Abreise den Kristall feierlich überreicht, nachdem wochenlange Rituale und Zauber ihn erschaffen hatten. Und dennoch schien der Gefangene selbst in diesem Augenblick unbesorgt, ja geradezu heiter!
Anemer schüttelte den Kopf und griff wie betäubt in seine Tasche, wo er die warme, glatte Oberfläche des Kristalls pulsieren spürte. Er nahm ihn heraus und hob ihn in die Höhe. Sein Arm zitterte vor Anstrengung – nur noch wenige Augenblicke, dann war es geschafft!
Der Kristall strahlte plötzlich hell auf – das Flüstern in seinem Kopf stoppte abrupt, selbst die Hitze schien für einen Moment abzunehmen. Anemer hörte sich selbst laut triumphieren. Sein halb betäubter Geist spürte siegessicher, wie die Macht des Kristalls nun das Ritual besiegeln würde.
Große Genugtuung durchströmte ihn, als sich das aus dem Käfig flutende Übel widerwillig zurückzog und vor dem Licht des Kristalles zurückzuckte. Es war so gut wie vollbracht! Er, Anemer, hatte eines der letzten, großen Übel seiner Welt vernichtet! In den Hallen der Großen Alten würde nach dem Tode ein Ehrenplatz auf ihn warten! Sein Name würde unsterblich werden! Er würde ...
Entsetzen krallte sich plötzlich mit eisigem Griff in sein Herz, als der Kristall in seiner Hand schlagartig eiskalt wurde. Sein gleißendes Licht erlosch von einem Moment auf den anderen. Eine durchdringende, beißende Kälte fraß sich rasend schnell durch seinen Arm, sodass Anemers Hand längst gefühllos war, als er den Kristall fallen lassen wollte. Mit einem Japsen umklammerte er seinen nutzlos gewordenen Arm und blickte entsetzt auf das graue, tote Fleisch, welches immer noch den schwach glimmenden Kristall umklammert hielt.
Rasend schnell kroch das tote Grau seinen Arm hinauf. Erst jetzt zuckte ein entsetzlicher Schmerz durch seinen Kopf und er schrie gellend auf. Sein Unterarm fiel schwarz und faulig auf den Boden dieser grauenhaften Halle. Nur ein blutiger Stumpf blieb zurück, aus dem träge dunkles Blut sickerte. Blutige Tränen rannen über sein verzerrtes und ungläubiges Gesicht, auf seiner Stirn pulsierten Adern. Anemer taumelte zurück.
Ein roter Schleier legte sich vor seine Augen. Schwach blickte er den Käfig an, welcher plötzlich nicht mehr leer war. Jetzt konnte er die wabernde, nebelhafte Schwärze sehen, die den Käfig vollkommen auszufüllte. Und etwas glühte dort, wie ein Herz aus Feuer ... Anemer spürte die Hitze in seiner Seele und für einen Moment konnte er erkennen, wie sich die lebende Glut im Käfig zu einer Gestalt formte. Eine Gestalt, die Anemer schon einmal gesehen hatte, in uralten Abbildungen und Fresken. Eine Gestalt, die in den Geschichten seiner Kindheitstage wütete ... Er lachte hysterisch auf, als das dunkle Glühen die Käfigstäbe sprengte.
Von den vier Magiern vor dem Käfig waren drei zu Boden gesunken und bewegten sich nicht mehr. Einzig Aurin stand noch. Mit ausgestreckten Armen stand sie in diesem Fluss aus tosender Dunkelheit, als heiße sie das Böse geradezu willkommen. Sie lächelte dabei. Ein kalter, wissender Ausdruck lag in ihrem Gesicht, das dem Erhabenen immer fremder wurde. In diesen letzten Augenblicken seines Lebens begriff Anemer fassungslos, was geschehen war. Sie waren verraten worden – sie alle! Er ahnte in einem letzten Moment schrecklicher Klarheit, dass der Kristall nicht einfach nur versagt hatte. Nein, der Kristall hatte das Gegenteil von dem bewirkt, was seine Aufgabe gewesen wäre! Doch wer konnte so etwas tun? Wer würde ein solches Übel befreien wollen? Anemer brach stöhnend zusammen, als die Schwärze aus dem Käfig begann, seine Gedanken zu fressen und seine Seele zu verbrennen.
Als das Licht des Kristalles plötzlich erlosch, spürte Gorim sofort, dass sie gescheitert waren. Er sah bestürzt, wie Anemer auf den Boden sank und sein Blick fiel auf die einzig noch verbliebene Magierin, die sich in diesem Moment eigenhändig die Augen aus dem Kopf riss. Sie lachte dabei wie eine Wahnsinnige.
Gorim machte sich keine weiteren Gedanken darüber, was soeben geschehen sein mochte. Er drehte sich rasch um und tat etwas, das er noch nie zuvor getan hatte: Er rannte davon.
Etwas Grauenvolles brach hinter ihm aus dem Käfig und brannte sich durch die verbliebenen Schutzmauern seines Verstandes, nagte an ihm, fraß sich satt an seiner Seele ... Kaum zu begreifende Bilder und Gedanken flackerten vor seinem inneren Auge auf – ein grotesker Humor lag darin, fratzenhaft und tödlich.
Gorims Schreie glichen eher einem schrillen Kreischen, als er in die Schwärze der Festung floh.
Viel später begann das Zwielicht der stillen Halle dunkler zu werden. Es breitete sich sanft wie eine Decke in der Halle aus und hüllte die am Boden liegenden Körper gnädig ein, deren Fleisch mittlerweile zu Asche verbrannt war. Der immer noch schwach glühende Käfig in der Mitte war gerade noch zu sehen, als der Rest der Halle schon längst im Dunklen lag. Die verbogenen Gitterstäbe glitzerten ein letztes Mal golden, bevor auch sie für immer in der Finsternis verschwanden.