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Eros: Das Streben nach Einheit

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Wenn sich der Kosmos immer weiter ausdehnt, hält ihn eine Urkraft in der Tiefe zusammen und strebt nach der Einheit: Eros. Egal, wie weit sich dieses Universum noch ausdehnen wird, Eros hält die Verbindung zum Mutterschoß, in dem alles begann, zum großen »Nichts und Alles«. In jedem Tautropfen, Stein oder neuen Stern existiert still das Wissen um den Ursprung all dieser Formen. Eros ist die Kraft, die alles zusammenhält und in die Einheit strebt. Physisch, geistig, spirituell. Wir fühlen Eros, wenn wir uns von einem Menschen angezogen fühlen. Wenn wir etwas begehren. Wenn wir die Freude einer Verbindung erfahren. Wenn wir in einem Moment der Erleuchtung das gesamte Universum von Liebe durchdrungen fühlen. Wir assoziieren Eros aufgrund desselben Wortstammes meist ausschließlich mit Erotik. Tatsächlich ist dies eine Möglichkeit, wie sich der Kosmos selbst im Spiel zweier relativ bewusster Formen an seine Einheit erinnert. Doch Eros drückt sich in einer wesentlich größeren Bandbreite an Verbindung aus: Nähe, Wärme, Genuss, Ekstase und vieles mehr. Wir können Eros sehr grob oder fein erfahren, begehrend oder nährend.

Die alten vedischen Mystiker*innen waren Meister*innen darin, den Geist still werden zu lassen. In ihren Meditationen erforschten sie den Urgrund allen Seins – jenseits aller Formen und Gedanken. Wenn sie aus dem Zustand der inneren Versenkung zurückkehrten, beschrieben sie die drei Qualitäten dieser Quelle als Sat-chit-ananda: ewiges Sein – reines, stilles Bewusstsein – glückselige Freude. Den gleichen ozeanisch-glückseligen Frieden erfährt ein Säugling im Mutterleib (nur nicht bewusst reflektiert). Und im Grunde genommen suchen wir unser gesamtes Leben nach einer bewussten Wiederholung dieser Erfahrung. Immer dann, wenn wir eins mit etwas sind, eins mit dem Leben, eins mit der Natur, eins mit unserem oder unserer Geliebten, eins mit dem Atmen, tauchen wir in die erotische, mit allem verbundene Daseinsebene des Kosmos ein. Eros ist die Freude des Kosmos, sich in seinen verschiedenen Ausdrucksformen wiederzuerkennen. Wir können diese Freude auf sehr verschiedenen Frequenzen erfahren.

Wenn du als Mutter dein Kind stillst … Wenn du die Sonne im Ozean untergehen siehst und eins mit dem Meer wirst … Wenn du deine Liebsten zärtlich küsst … Wenn du still durch einen Wald läufst und instinktiv das ihm zugrunde liegende Netzwerk erfährst … Wenn du an einem kristallklaren Frühlingsmorgen dem morgendlichen Konzert der Vögel lauschst …

Es ist immer auch der Kosmos in dir, der in solchen Momenten die Einheit aller Dinge erkennt und feiert. Für Gourmets ist Essen eine zutiefst erotische Erfahrung. Deine Zunge (neugieriger Kosmos) vereint sich mit den vielfältigen Aromen der Nahrung (Kosmos). Du schaust einem lebendigen Menschen ruhig in seine wachen Augen und fällst durch ihr Portal in das Universum. Du erlebst den besten Sex deines Lebens und dein kleines Ich stirbt im Höhepunkt der Vereinigung. Für eine kurze und zugleich ewige Spanne der Glückseligkeit weißt du nicht mehr, wo du endest und der andere beginnt. Der Kosmos vögelt sich selbst. Halleluja!

Die Unio Mystica, die heilige Vermählung mit Gott, wird von christlichen Mystiker*innen wie Johannes vom Kreuz oder Theresa von Avila beschrieben und spricht auch aus den Liebesgedichten der großen Sufi-Dichter, zum Beispiel Rumi. Liest du sie mit einem offenen Herzen, fühlst du, dies hat nichts mehr mit Religion zu tun. Hier beschreibt eine hingegebene Seele die süße und totale Vereinigung mit Gott.

Einladung zur Erkundung deiner Gefühle

Halte kurz mit der Lektüre inne. Schließe deine Augen und streiche dir einmal ganz zart und mit aller Liebe über dein Gesicht. Atme dabei tief und langsam ein und aus. Was fühlst du dabei?

Immer dann, wenn du mit deinem Bewusstsein voll hier ankommst, erwacht Eros. Eros ist nicht irgendwo. Eros ist hier. Eros bringt uns hierher. In die Vollkommenheit des Moments.

Seit etwa zehn Jahren hält sich Achtsamkeit als ein starker Trend. Oft klingen die damit verbundenen Techniken, beispielsweise Meditation, Gehmeditation oder bewusstes Atmen, wie nüchterne, sogar langweilige Techniken. Falls du dich je gefragt hast, warum die alten Zenmeister*innen in den Geschichten immer zufrieden lächeln, selbst wenn sie »nur« den Weg fegen, hier ist ihr Geheimnis:

Wenn du dich der Gegenwart voll hingibst, wird alles sinnlich-erotisch-erfüllend. Du erinnerst dich mit jeder Faser deines Seins an deinen Ursprung und das setzt Ekstase frei.

Eros wird von uns eher mit weiblichen Qualitäten assoziiert. Dies kann missverstanden werden als fraulich. Wenn ich im Folgenden von weiblich schreibe, meine ich Eigenschaften, die wir zwar erfahrungsgemäß eher Frauen zuschreiben, die aber sehr wohl auch in jedem Mann als Potenzial angelegt sind. Ich kenne etliche Beziehungen, in denen der Mann eher weibliche Qualitäten ausdrückt und die Frau eher männliche.

Eros bringt uns nach Hause und schenkt uns Freude, Vertrauen, Frieden und Genuss. Die folgenden Worte sind mit Eros assoziiert. Lies sie langsam und beobachte, ob und wie sie dich berühren.

Ruhe Zentrum Schoß Einheit erinnern Zusammenhalt Verbindung Gegenwart geben Genuss teilen nähren Halt halten hüten dienen heilen Kunst Kultur Tanz lieben innewohnend sinnlich weiblich empfänglich dunkel Fruchtbarkeit werden tragen sein stilles Wissen Frieden Freude am Sein Erotik Lust Umarmung bewahren Ästhetik Harmonie wir genießen Yin schenken Kreis verzeihen

Meditationstipp

Du findest im Downloadbereich (siehe Anhang) unter »Power of Eros« eine geführte Meditation, die dich einlädt, eine direkte Erfahrung mit deinem inneren Eros zu machen. Sie ist ein Geschenk für dich und du kannst sie so oft wiederholen, wie es sich für dich gut anfühlt.

Genesis

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