Читать книгу Handbuch Bio-Balkongarten - Verein Arche Noah - Страница 6
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Treffpunkt Garten
Wenn Menschen etwas tun, was sie noch nie zuvor getan haben, kann Neues in die Welt kommen. Wenn Menschen gärtnern, die zuvor noch nie gegärtnert haben, tun sie das mit einem neuen Blick, mit neuen Handgriffen, mit neuen Begrifflichkeiten. (Wer von uns „gelernten“ GärtnerInnen wusste schon, was ein DIY-Gefäß ist? Eine Antwort darauf finden Sie im Kapitel „Jungpflanzen selber ziehen“.) Neo-GärtnerInnen denken auf ihre Art und Weise über das Gärtnern nach, mit einem unverschulten Blick. Oft wird im neogärtnerischen Überschwang auch gar nicht lange überlegt, sondern einfach drauflosimprovisiert. Pflanzgefäße werden aus den Materialien des Alltags geformt, Vogelabwehr-Installationen aus Videobändern geknüpft oder die Zeitung von gestern als Mulchschicht aufs Gemüsebeet aufgebracht. Vieles bewährt sich und stellt sich als äußerst praktikabel heraus, was vorher schlicht und einfach auf dem Müll gelandet wäre: Milch- Tetra-Packungen, um darin Schnittlauch anzubauen, oder Joghurtbecher, um darin Jungpflanzen zu ziehen. Vieles erleidet auch Schiffbruch. Auch das ist im Garten möglich; das Scheitern gehört dazu. Manches verzeihen die Pflanzen, anderes nicht. Aber dann weiß man für die nächste Pflanzsaison, was man anders machen muss. Viele der StadtgärtnerInnen, die wir bei der Recherche für dieses Buch kennengelernt haben, sind absolute Neo-GärtnerInnen. Sie pflanzen mit viel Neugier, Improvisationslust und Erfindungsreichtum. Jeder und jede auf seine Art und Weise. Das macht das Thema so besonders spannend.
In den letzten Jahrzehnten ist die Produktion von Lebensmitteln mancherorts fast unbemerkt aus den Städten ausgewandert. Gleichzeitig zogen immer mehr Menschen vom Land in die Städte. Ihre Eltern waren vielfach noch Bauer oder Bäuerin – zum Beispiel in Österreich in den 1960er Jahren noch jeder und jede Vierte – oder hatten zumindest einen kleinen Nutzgarten. Erst in den 1970er Jahren wurde es „modern“, Nutzgärten durch Rosen, Rasen und Thujen zu ersetzen, lebten und arbeiteten die Neo-StädterInnen abseits der Landwirtschaft. Nun kommen die Nutzpflanzen in die Städte, und dies in einem rasanten Tempo. An vielen Orten gleichzeitig suchen Menschen nach Möglichkeiten, Gemüse und Kräuter anzubauen und Städte und ihren unmittelbaren Wohnund Lebensraum grün, nutzbar und ertragreich zu machen. Und auch „am Land“ wird wieder mehr Gemüse angebaut, auch hier haben viele Menschen „nur“ einen Balkon oder eine Terrasse dazu zur Verfügung.
Die Motive für das Gärtnern in der Stadt mögen grundverschieden sein, vielleicht sogar konträr: Die einen graben Flächen in der Stadt um, weil sie sich gute Lebensmittel anders nicht leisten können, während andere es gerade schick finden, neben den Geranien auch Salat im Balkonkistchen anzubauen. Mancherorts bauen Menschen Gewürzkräuter im kleinen Vorgarten an, die sie aus ihren Herkunftsländern mitgebracht haben und die in den Geschäften sonst nicht erhältlich sind. Viele gärtnern, um ihre Kinder mit den Lebensrhythmen der Natur vertraut zu machen oder um in Gemeinschaftsgärten Freunde und Freundinnen oder Nachbarn zu treffen. Die neue Gartenbewegung ist gleichermaßen politisch wie ökologisch motiviert, und sie lässt sich nicht über einen Kamm scheren. Aber das Gärtnern bringt Menschen zusammen, die sonst nicht zueinander gefunden hätten, es verbindet und schafft eine gemeinsame Sprache. Gärten in der Stadt entstanden oft auf Flächen, die zuvor unattraktiv und verwahrlost waren und als Durchgangs-, aber nicht als Aufenthaltsort genutzt wurden: Nebenflächen von U-Bahnen, kleine Grünflächen, die zuvor als Hundeklo dienten; in engen Hinterhöfen oder auf verwilderten Flächen. Genauso auf Balkonen und Terrassen, auf denen zuvor ausschließlich zur Zierde gegärtnert wurde. So entstehen an vielen Orten gleichzeitig wie kleine Lauffeuer kleine gesellschaftliche Urknalle. Bewegungen, die Neues in die Welt bringen, und dies auf äußerst fruchtbare Art und Weise. Viele der Gärten, die wir auf der Recherchereise für dieses Buch besucht haben, waren gerade einmal ein oder zwei Jahre alt, angelegt von Menschen, die gerade dabei sind, das Gärtnern zu erlernen. Vieles ist aus fachlicher Sicht „falsch“. Doch die neue Gartenbewegung ist kreativ und enorm lernfähig. Versuch und Irrtum bringen in großer Geschwindigkeit neue Anbaumethoden hervor. Es gibt kaum Bücher oder standardisierte Handlungsanleitungen. Die neue Stadt- und Topfgartenszene gärtnert einfach drauflos. Sie filmt die Wachstumsversuche und stellt die Videos auf You-Tube, tauscht in Blogs Erfahrungen aus; manche messen und wiegen den Ertrag der Pflanzgefäße wöchentlich und wetteifern übers Internet, wer bis zum Jahresende den produktivsten Balkon hatte. Durch diese Form der Vernetzung werden neue Ideen, Infos über bewährte Rankhilfen oder Düngemittel, Kompostierungsmethoden und Methoden, um Gießwasser zu sparen, in Windeseile und freizügig weitergegeben.
Auf die Spaten, fertig, los!
Die Gärten, die in diesem Buch porträtiert werden, sind keine Profigärten. Die Menschen, die Beiträge für dieses Buch geschrieben haben, sind leidenschaftliche Gärtner und Gärtnerinnen. Einige gärtnern schon seit vielen Jahren auf ihrer Terrasse. Wie zum Beispiel Christine Aigner aus Wien, die seit 1993 auf ihrer Terrasse gemüsegärtnert – zahlreiche Tipps und Hinweise in diesem Buch stammen von ihr. Sie schrieb uns, dass sie anfangs für diese Art zu gärtnern noch als Spinnerin belächelt wurde. Heute ist das vermutlich nicht mehr so.
Ein neu angelegter Guerilla-Gemüsegarten stellt die Frage, wem öffentliche Flächen gehören (Wienfluss, Wien).
Dieses Buch versteht sich nicht als standardisierte Handlungsanleitung des Gärtnerns ohne Garten. Es zeigt auf, was Pflanzen brauchen, damit sie auch auf kleiner Fläche, mit geringem monetärem Aufwand und einfachen Mitteln ertragreich gedeihen können. Es möchte neue Handlungsfreiräume aufzeigen und ermöglichen. Das Buch wird mit der neuen Gartenszene mitwachsen. Wir gehen davon aus, dass wir es bereits in zwei, drei Jahren um neue Erfahrungen ergänzen können, und freuen uns, wenn sie uns für diese überarbeitete Neuauflage ihre Erfahrungen und Methoden des Gärtnerns auf kleiner Fläche schreiben. Diese Überarbeitung des Buches wird dann auch den Anbau von Obst und Speisepilzen ausführlich behandeln.
Das biologische Gärtnern ist vielerorts gar nicht so einfach. Das ist auch ein Fazit, das ich aus der Recherche für dieses Buch gezogen habe. Häufig sind die „Zutaten“ des Bio-Gärtnerns gar nicht so leicht erhältlich. Außer man oder frau hat das Glück, bei der seit Jahrzehnten gärtnernden Großtante Erde und Kompost aus dem Garten beziehen zu können, und vielleicht auch gleich noch geeignete Pflanzgefäße und Tipps für den Anbau von Tomate und Co. Das Wichtigste fürs biologische Gärtnern in Gefäßen sind: Erde, Düngung und Pflanzen. So einfach ist oder so einfach wäre das. Fruchtbare, belebte Erde, Dünger, der das Bodenleben fördert, und gesunde, widerstandsfähige und ertragreiche Pflanzen. Während das Angebot der Gemüsejungpflanzen in Bio-Qualität in den letzten Jahren stark gestiegen ist – und auch immer mehr BalkongärtnerInnen Jungpflanzen selber anziehen –, ist die Verfügbarkeit von guten Bio-Erden und gutem Bio-Dünger für private GärtnerInnen nach wie vor schlecht. Das ist die schlechte Nachricht. Die gute Nachricht ist, dass es viele gute Zutaten bereits gibt, sie müssen nur in auch für BalkongärtnerInnen brauchbaren Packungseinheiten verfügbar werden.
Die Anbautipps für Balkone und Terrassen für dieses Buch stammen von:
Christine Aigner
Ulrike Binder
Berta Braun
Michael Deutsch
Erika Drlicek
Thomas Gladis
Franziska Haitzmann
Maria Hagmann
Margret Heistinger
Adelheid Heuger
Bernd Horneburg
Barbara Indra
Bernd Kajtna
Alexandra Kandler
Gebhard Kofler
Barbara Kriegl
Gerhard Liebenberger
Gabriele Liegl
Johannes Maurer
Evi Myska
Reingard Prohaska
Max Rehberg
Mark Ridsdill-Smith
Norbert Ruetz
Martin Schober
Erich Stekovics
Walter Stockenhuber
Marianne Strasser
Frieda Strom
Ingrid Sygmund
Frank van Keirsbilck
Volksschule Kirchheim im Innkreis
Edith Weiß
Angelika Wieser
Peter Zipser