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Plattenmädchen und Zonenkind

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"Zuhause ist, wo das Herz ist", hat Oma früher gesagt, wenn Mutter sehnsüchtig über den Bahndamm geguckt hat. Ich – das Zonenkind – habe mich bei diesem Satz immer gefragt, was diejenigen machen, die sich nicht entscheiden können, die weg – oder mal West-Luft schnuppern wollen, und die keine Lust mehr auf Prag oder Budapest haben. Ich bin in der Platte groß geworden. Ich bin ein Plattenkind. Wir lebten in einem kleinen Arbeiterviertel, namens Schmellwitz, in einer Mietwohnung, Marke P2, für 80 Mark. Als Kind dachte ich, dass diese Wohnung für immer mein Zuhause sein würde, ich dachte sogar, dass jedermanns Zuhause irgendwie so ähnlich aussähe wie meins, jedenfalls in der DDR. Alles in unserem Viertel war immer ein bisschen zu grau, zu hellhörig, zu bedeckt, zu verwanzt. Auf den Straßenschildern standen Namen in Deutsch und Sorbisch und ich habe mich oft gefragt: Wer waren Gotthold Schwela und Ernst Mucke? Keiner wusste eine Antwort: weder die Lehrer, noch der zuständige Abschnittsbevollmächtigte, und schon gar keiner aus der Familie.

Wir hatten eine Puschkin-Promenade und einen Ernst Thälmann-Platz, da habe ich im Bushäuschen mal den Stefan geknutscht und der Dajana später fast eine reingehauen, weil sie den Stefan ebenfalls geknutscht hat, was mir damals nicht so passte. Viele Plätze und Straßen haben heute andere Namen, der Ernst-Thälmann-Platz auch. Warum eigentlich? War was mit Ernst Thälmann nicht in Ordnung? Die Straßenschilder verschwanden damals schneller, als dass man sich den Sozialismus abgewöhnt hatte. Die Wilhelm-Pieck-Straße hieß plötzlich nicht mehr Wilhelm-Pieck-Straße und andere Straßen hießen auf einmal Willi-Brandt-Straße und so weiter. Nicht so in Schmellwitz. In diesem Viertel sind die Straßenschilder zwar verrostet und verbogen, tragen aber noch die alten Namen. Beinahe ein Zeitdokument, denke ich und drücke auf Auslöser.

Es scheint, als sei in Schmellwitz die Zeit stehengeblieben. Wenn ich hierher zurückkomme, um mal wieder zu gucken, wie die Patina über die Plattenbauten klettert und der Löwenzahn die Gehwege aufreißt, weiß ich es wieder: egal wie trostlos und grau die Platte von außen auch aussieht: Wichtig ist nur innen drin.

Auf jeden Fall nichts mit Menschen

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