Читать книгу Im Sternbild des Zentauren - Verena Rank - Страница 13

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Mytherra, Schimmerwald …

Hektor

Lilaja und ich wollen uns gerade am Teich verabschieden, als in unmittelbarer Nähe plötzlich ein Krachen zu hören ist, das dem eines Blitzschlages gleicht. Wir fahren erschrocken herum und ich sehe gerade noch das Licht, das die Umgebung kurz erleuchtet. Dann ist es gespenstisch still. Wir sehen uns fragend an.

„Bei den Göttern, was hat das zu bedeuten?“, wispere ich beunruhigt.

„Das hörte sich eben ganz danach an, als hätte jemand ein Portal benutzt“, erwidert Lilaja angespannt und sieht sich vorsichtig um, als könne uns jemand belauschen. „Komm!“

Noch bevor ich fragen kann, was sie vorhat, sprintet sie leichtfüßig los und ich folge ihr. Es dauert nicht lange, bis wir finden, wonach wir suchen. Auf dem Waldboden liegen zwei Gestalten und als wir näherkommen und ich mehr erkennen kann, stockt mir kurz der Atem.

„Menschen!“, stoße ich hervor, während ich die Hufe in die Erde schlage und schockiert innehalte. Lilaja blickt sich hektisch um.

„Ein Mann und eine Frau. Wer hat sie hergebracht? Und warum?“, fragt sie aufgeregt. „Menschen können alleine doch nicht durch ein Portal reisen!“

Ich zucke mit den Schultern. „Sie scheinen aber alleine zu sein. Was kümmert das uns?“ Ich möchte ihr sagen, dass wir von hier verschwinden sollten, doch Lilaja eilt geradewegs zu den offensichtlich Bewusstlosen und neigt sich zu ihnen hinunter. Ein Laut der Entrüstung weicht aus meiner Kehle. „Was machst du denn? Bleib weg von ihnen!“ Fassungslos beobachte ich, wie Lilaja prüft, ob die Frau noch atmet.

„Sie scheint nicht verletzt zu sein.“ Anschließend widmet sie ihre Fürsorge dem Mann. „Oh mein Gott, da ist Blut!“ Sie schiebt seine Oberbekleidung zur Seite und keucht erschrocken auf. Lilaja fixiert die gläserne Phiole, die an meinem Hals an einem Lederband baumelt. „Den Heiltrank! Gib ihn mir … bitte, Hektor!“

Im ersten Moment glaube ich mich verhört zu haben. Als mich Lilaja erwartungsvoll ansieht, schüttle ich ungläubig den Kopf.

„Bist du verrückt? Ich werde dir doch nicht den wertvollen Trank der Zentauren geben!“ Ich greife rasch nach der Phiole, die im Schein des Vollmondes funkelt. „Nicht für ihn!“

„Hektor! Gib mir den Trank, oder wir waren einmal Freunde!“ Lilajas Augen blitzen entschlossen auf.

„Den Teufel werde ich tun! Das sind Menschen. Lass sie liegen, verdammt! Die haben in unserer Welt nichts verloren!“

„Ich habe dich noch nie um etwas gebeten … tu es für mich, ich bitte dich!“ Die Nymphe blickt flehend zu mir auf. „Sie können doch nichts dafür!“

Einige Herzschläge lang herrscht eisiges Schweigen zwischen uns.

„Verflucht!“ Schließlich streife ich mir das Lederband über den Kopf und reiche Lilaja die Phiole. Sie entreißt sie mir förmlich, als hätte sie Angst, dass ich es mir doch anders überlege.

„Ein, zwei Tropfen müssten genügen“, sagt sie aufgeregt und öffnet den kleinen Silberdeckel der Phiole. Ich trete ein Stück vor und nehme den Menschen in Augenschein. Er kann nicht viel älter sein, als ich. Sein Obergewand ist teilweise zerrissen und mit Blut durchtränkt. Lilaja schiebt den Stoff zur Seite und ich erkenne eine Stichwunde zwischen rechter Schulter und Brust.

„Ja, zwei Tropfen reichen, auch wenn ich es für Verschwendung halte“, zische ich gereizt.

Lilaja nickt hastig. Fast zärtlich streicht sie dem Fremden das dunkelbraune, zerzauste Haar aus dem Gesicht, während ihr Blick bewundernd über seinen Körper wandert. Ihre Hand verharrt einen Augenblick auf der Wange des Bewusstlosen, während sie mit den Fingern sanft seine Lippen öffnet und ein paar Tropfen des kostbaren Elixiers dazwischen träufelt. „Er wollte das Mädchen verteidigen“, mutmaßt sie seufzend. „Sieh nur, was für makellose Gesichtszüge er hat … und diese ebenmäßige Haut. Ich wusste nicht, dass Menschen so schön sein können.“

Ich schnaube abfällig und scharre mit den Hufen in der Erde.

„Komm jetzt, wir haben mehr als genug für die beiden getan. Wenn uns jemand mit ihnen sieht …“

„Du wirst sie doch wohl nicht hier liegenlassen wollen?“, entgegnet Lilaja empört und funkelt mich wütend an. „Wir bringen die beiden erstmal rüber in die Grotte.“

„Oh nein, auf keinen Fall! Bist du völlig übergeschnappt? Das … das kannst du von mir nicht verlangen, Lilaja! Ausgerechnet von mir!“

Als ich kurz darauf zuerst die junge Frau und dann den Mann in die Grotte trage, muss ich an Kreon denken, und dass es wegen der Menschen war, dass ich meinen Bruder für immer verloren habe. In diesem Moment fühle ich mich wie ein Verräter. Ungeheurer Zorn steigt in mir auf und nagt an meinen Eingeweiden wie eine Bestie, tief in meinem Inneren. Zorn auf Lilaja, auf Kreon und seine verfluchten Menschen, aber am meisten auf mich selbst.

„Sieh nur, die Wunde hat bereits zu heilen begonnen“, stellt Lilaja erleichtert fest, während sie die nackte Brust des menschlichen Mannes mit einem in Wasser getränktes Tuch reinigt. Sie hat die beiden Menschen mit Fellen zugedeckt und dafür gesorgt, dass sie es bequem haben. Ich verschränke die Arme vor der Brust und werfe ihr einen finsteren Blick zu.

„Ich weiß wirklich nicht, warum ich dir bei diesem Irrsinn geholfen habe“, entgegne ich in frostigem Tonfall. „Ich werde jetzt gehen und ich komme erst wieder, wenn die da verschwunden sind!“

Lilaja sieht mich erschrocken an und schüttelt den Kopf.

„Hektor, bitte! Hätte ich die beiden im Wald sterben lassen sollen?“, fragt sie aufgebracht. „Die Menschen haben mir doch nichts getan!“

„Aber mir! Du weißt, dass Zentauren von Natur aus die Menschen verachten, aber in meinem Fall ist es ja wohl noch um einiges schlimmer!“ Ich werde laut, meine Stimme hallt an den Felswänden wider.

„Es geht aber hier nicht um dich!“, brüllt Lilaja nun wutentbrannt zurück. Ich will gerade antworten, als die junge Frau zu wimmern beginnt. Bevor wir in irgendeiner Weise reagieren können, setzt sie sich plötzlich mit einem Schrei auf und blickt sich verwirrt um.

„Was … wo … ?“ Sie sieht zuerst Lilaja an, dann mich. „Scheiße, ich hab’ doch gar nicht so viel getrunken!“ Ihre Augen heften sich regelrecht an mich und werden immer größer. „Wüsste ich es nicht besser, würde ich sagen, ich hätte gekifft. Aber ich hab’ das erste und letzte Mal an meinem achtzehnten Geburtstag gekifft. Hey, damals hab’ ich im Rausch echt schräge Sachen gesehen, aber ein …“, sie zeigt wild gestikulierend auf mich, „ein Pferde-Tarzan-Dings war nicht dabei.“

„Ich bin ein Zentaur!“, stoße ich erbost hervor und trete ein Stück vor. „Hüte deine Zunge … Menschenfrau!“

Die junge Frau starrt mich einen Moment erschrocken an, dann verdreht sie die Augen und bedeckt kopfschüttelnd ihr Gesicht mit den Händen.

„Natürlich bist du das – weiß ich doch.“ Offensichtlich irritiert über ihre eigene Aussage runzelt sie die Stirn. „Was für ein Arsch hat mir was in den Drink getan?“ Im nächsten Moment zuckt sie zusammen, sieht sich um und entdeckt ihren Freund. „Scheiße, Ben! Ben! Was ist mit ihm? Ist das Blut? Oh Gott, das ist ja Blut! Ist er schwer verletzt?“

„Bei den Göttern, warum spricht sie so viel und so schnell?“, frage ich Lilaja, die etwas überfordert wirkt. Sie kniet sich neben die Frau und berührt vorsichtig ihre Schulter.

„Deinem Freund geht es gut“, sagt sie ruhig. „Wir haben ihm ein Elixier der Zentauren gegeben, die Stichwunde heilt bereits.“

Die Menschenfrau streicht ihrem Gefährten über das dunkle Haar und mustert zuerst Lilaja von Kopf bis Fuß, danach mich.

„Was zum Geier geht hier vor?“, fragt sie offensichtlich verwirrt. „Wo sind wir und was ist das hier überhaupt?“ Sie macht eine ausholende Handbewegung, die Lilajas Grotte umfasst, und schüttelt ungläubig den Kopf. „Wenn das alles ein Scherz sein soll – sorry, aber der ist sogar für mich zu schräg.“

Lilaja wirft mir einen hilflosen Blick zu, bevor sie sich wieder an die Frau wendet.

„Ich bin Lilaja und das hier ist Hektor. Wir haben euch im Wald gefunden. An was kannst du dich erinnern?“

„Ich … bin Sabrina“, antwortet die Menschenfrau, während sie dem Mann wieder über das Haar streicht und ihn besorgt ansieht. „Das ist mein bester Freund Ben. Wir waren in einer Kneipe und haben seinen Geburtstag gefeiert. Danach wollten wir durch den Englischen Garten nach Hause gehen.“ Sie schüttelt den Kopf und stößt einen Seufzer aus, der sich fast nach einem Schluchzer anhört. „Wir hätten es echt besser wissen müssen.“ Sabrina sieht von Lilaja zu mir. „Man spaziert um vier Uhr morgens nicht einfach so durch den Englischen Garten, verdammt!“

Ich verstehe nicht mal die Hälfte von dem, was sie von sich gibt und starre sie verständnislos an.

„Was bei den Göttern ist ein Englischer Garten?“, frage ich ungeduldig. „Wer hat euch hergebracht? Menschen können nicht einfach so nach Mytherra spazieren!“ Das letzte Wort betone ich mit Absicht stärker, um die Lächerlichkeit dieser Worte zu unterstreichen. Sabrina gibt einen erbosten Laut von sich.

„Was soll das sein, Mytherra? Ach scheiße nochmal, wo ist die versteckte Kamera? Ich hab’ keinen Bock mehr auf das Spiel!“

„So kommen wir doch nicht weiter“, wirft Lilaja ein und steht auf. „Ihr redet ja völlig aneinander vorbei!“

„Ich will gar nicht mit einem Menschen reden!“, erwidere ich entnervt, worauf mich Sabrina böse anfunkelt.

„Und ich nicht mit einem dahergelaufenen Zentauren!“

„Hüte deine Zunge, Menschenweib!“

„Fick dich!“

Die eigenartigen Worte, deren Bedeutung ich nicht verstehe, machen mich immer wütender. Ich setze zu einer neuen Schimpftirade an, als sich der Mann plötzlich zu regen beginnt und stöhnend die Lider aufschlägt.

Im Sternbild des Zentauren

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