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Hektor

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„Menschen!“, speie ich verächtlich aus und lehne mich mit der Schulter an eine der kühlen Felswände, während ich die Arme vor der Brust verschränke. „Klar, Portalsteine wachsen auf Bäumen – ihr braucht nur hinauszugehen und euch welche pflücken!“

Ich ernte einen bösen Blick von Lilaja, doch das ist mir egal. Langsam wird mir die gesamte Situation zu dumm. Ich frage mich wirklich, was ich hier noch mache. Ich sollte ohnehin längst im Lager der Zentauren sein.

„Portalsteine sind höchst selten“, erklärt Lilaja geduldig. „Es heißt, die Götter haben sie einst von den Titanen erhalten, um das Gleichgewicht in der irdischen Welt aufrecht erhalten zu können. Doch mit der Zeit gelangten immer mehr Steine, oder Bruchstücke davon, in falsche Hände und wurden für verbotene Reisen zwischen den Welten genutzt.“

Ich glaube nicht, dass sie etwas über meinen Bruder sagen würde, dennoch werfe ich ihr einen warnenden Blick zu. Lilaja schüttelt kaum merklich den Kopf. „Deine Mutter ist die einzige Chance für euch, nach Hause zu kommen, aber auch nur dann, wenn sie noch im Besitz eines Portalsteins ist.“

Ich merke, wie erschüttert die beiden Menschen sind.

„Vielleicht habe ich den Stein dort verloren, wo ihr uns gefunden habt!“, stößt Ben mit einem Mal aufgeregt hervor. „Wir müssen sofort zurück und nachsehen.“

Lilaja seufzt. „Ein Portalstein leuchtet noch sehr lange und sehr intensiv, nachdem er benutzt wurde. Er hätte die gesamte Umgebung erleuchtet, so dass wir ihn unmöglich übersehen hätten können. Da war nichts, Ben. Du hast den Stein der Reisenden im Nichts verloren, zwischen den Welten.“

Sabrina schlägt sich die Hände vors Gesicht, während sich Ben plötzlich zusammenkrümmt und die Hand an seine Verletzung schnellt.

„Ben, du bist noch etwas geschwächt und das war alles ein bisschen viel auf einmal.“ Lilaja kniet sich wieder zu ihm auf das Lager. „Lass mich sehen, wie die Wunde aussieht.“

Ich beobachte, wie Lilaja den Stoff von Bens Hemd vor der Brust auseinanderschiebt und ihn ganz offensichtlich bewundernd mustert. Ich muss zugeben, dass er für einen Menschen gut gebaut ist und eine gewisse Stärke ausstrahlt. Ganz deutlich treten Brust- und Bauchmuskeln hervor, die sich bei jedem Atemzug heben und senken. Während Lilaja behutsam den Verband aus Heilkräutern löst, beobachte ich das Geschehen und kann immer noch nicht glauben, auf was ich mich hier eingelassen habe.

„Es ist so gut wie verheilt“, stellt Lilaja fest und ich registriere, dass ihre Stimme leicht zittert. „Du brauchst keinen Verband mehr, aber sei heute noch etwas vorsichtig und vermeide ruckartige Bewegungen.“

„Danke.“ Ben nickt und schließt kurz die Augen. Er wirkt müde, erschöpft und deprimiert. „Ich weiß zwar nicht, wie wir das anstellen sollen, aber wir werden uns gleich morgen früh auf die Suche nach meiner Mutter machen.“ Er sieht Sabrina an und legt den Arm um sie. „Wir werden euch nicht länger zur Last fallen.“

Lilaja und ich antworten gleichzeitig – nur dass ich sage: „Ja, macht das!“, während sie antwortet: „Ihr bleibt erstmal hier!“

Die beiden Menschen blicken mich pikiert an, während Lilaja mentale Giftpfeile auf mich abschießt. „Hier in meiner Grotte seid ihr sicher“, sagt sie freundlich und betont das Wort ‚meiner‘ mit Absicht stärker. „Ihr könnt bleiben, solange ihr wollt, fühlt euch wie zuhause. Morgen überlegen wir, was weiter zu tun ist, aber für heute müsst ihr euch ausruhen. Wir finden einen Weg, der euch zurück in eure Welt bringt, irgendwie …“

„Hoffentlich findet ihr ihn schnell“, murmle ich, worauf mich Ben böse anfunkelt. Seine smaragdgrünen Augen verdunkeln sich plötzlich zu tiefen, schwarzen Seen.

„Was ist eigentlich dein Problem?“, zischt er ungehalten. Er will aufstehen, doch Lilaja und Sabrina hindern ihn daran.

„Oh Hektor, bitte!“ Lilaja sieht mich müde an, worauf ich beschwichtigend die Hände hebe.

„Schon gut, ich verschwinde“, sage ich genervt. „Wie ich sehe, brauchst du mich hier nicht. Ich sollte ohnehin längst im Lager sein.“ Ich wende mich dem Ausgang der Grotte zu, als mich Lilaja ruft.

„Hektor!“ Ihre Stimme klingt flehend. Als ich sie ansehe, wirkt ihr Blick versöhnlicher. „Du kommst doch morgen wieder, oder?“, fragt sie unsicher.

„Ich weiß es nicht …“, murmle ich verhalten, bevor ich mich endgültig zurückziehe und in den Wald gehe. Zurück ins Zentaurenlager, wo mich ebenfalls niemand braucht.

Dort sind die meisten schon auf den Beinen und strafen mich mit bösen Blicken, als ich aus dem Wald komme.

„War der die ganze Nacht weg?“

„Genau wie sein Bruder …“

„Taugenichts …“

Ich schnappe ein paar Beschimpfungen auf, aber ich ignoriere sie. Erstens hatte ich für heute genug Aufregung und zweitens habe ich Hunger wie ein Bär. Ich beschließe zu Großmutter Silva zu gehen, die um diese Zeit bestimmt schon wach ist und Salben und Tränke mixt. So kann ich auch gleich meine Phiole mit dem Heilelixier auffüllen lassen. Ihr Mann ist bereits vor vielen Jahren gestorben und so widmet sie sich mehr denn je ihren Heilpflanzen, Kräutern und Wurzeln, aus denen sie Medizin herstellt. Man sagt ihr sogar eine gewisse Macht an Heilzaubern und hellseherische Fähigkeiten nach, doch so wirklich sicher ist sich da niemand.

Als ich Großmutter Silvas Zelt betrete, sieht es so aus, als hätte sie bereits auf mich gewartet, denn sie steht in der Mitte neben dem Feuer und wirkt überhaupt nicht überrascht.

„Guten Morgen, Hektor“, begrüßt sie mich sanft lächelnd. Ihr weißes Haar umrahmt das gutmütige Gesicht, das die Zeit mit vielen tiefen Furchen und Falten gezeichnet hat. Niemand weiß, wie alt Großmutter Silva wirklich ist und das wird vermutlich auch so bleiben. Ihre Augen haben die Farbe von Bernstein und leuchten so klar und hell, dass sie genauso einem Kind gehören könnten. Sie wollen so gar nicht in dieses alte Gesicht passen und doch verleihen sie ihm eine außergewöhnliche, durchdringende Präsenz. Es heißt, Augen sind die Spiegel der Seele und in Großmutter Silvas Augen erkenne ich einen unendlich großmütigen, tapferen und gerechten Geist, dessen Aura sich niemand entziehen kann.

„Guten Morgen, Großmutter Silva.“ Ich erwidere ihr Lächeln und sehe mich um. Jedes Mal wenn ich hier bin, fühle ich mich willkommen und mehr zuhause, als in meinem eigenen Zelt, das mir fremd und kalt erscheint. Es duftet nach allerlei Kräutern und Blüten, aber auch nach getrocknetem Fleisch und nach Leder. Zu Sträußen gebündelte Pflanzen hängen an Fäden von der Decke und überall stehen Mörser, Tiegel und Fläschchen herum. Durch das Lüftungsloch in der Kuppel fällt das Sonnenlicht herein und lässt alles noch geheimnisvoller aussehen. „Ich war noch vor Sonnenaufgang im Schimmerwald und bin gerade zurückgekommen“, teile ich ihr mit. „Und nun muss ich mir wieder die üblichen Sprüche anhören, von wegen ich bin wie mein Bruder und treibe mich herum, um Ärger zu machen.“ Ich seufze und zucke mit den Schultern. „Ich habe keine Lust, mit denen zu frühstücken. Sie werden mir ohnehin nichts übriggelassen haben.“

„Oh mein Junge“, antwortet Silva mitfühlend. „Dann komm, ich mache dir jetzt erstmal einen heißen Kräutertee. Außerdem habe ich noch Dörrfleisch und Brot da.“

Ich nicke dankbar und halte meine Hände über das Feuer. Mir ist zwar nicht kalt, aber ich habe das Gefühl, die Wärme könnte das Eis in meiner Brust schmelzen, das mein Herz umgibt, seit mein Bruder fort ist.

Nachdem ich gefrühstückt habe, bitte ich Großmutter Silva, meinen Heiltrank aufzufüllen. Ich nehme das Lederband ab und reiche ihr die Phiole. Als sich ihre knochigen Finger um das Glas schließen, reißt sie die Augen auf und starrt mich an.

„Was hast du getan?“, fragt sie mich. Es klingt mehr ungläubig, als wütend und ich bin kurz davor, ihr alles zu erzählen. Doch ich schüttle schweigend den Kopf und senke den Blick. Silva seufzt und wendet sich von mir ab, um die Phiole neu zu befüllen. „Du überrascht mich, Hektor“, sagt sie leise. Als sie sich wieder umdreht, sind ihre Augen plötzlich dunkel, wie der Ozean in der Nacht. „Ich hoffe, du weißt, dass du mit dem Feuer spielst. Du hast es ohnehin nicht leicht im Clan und ich will nicht, dass dir etwas geschieht.“

Ich trete einen Schritt zurück und hebe abwehrend die Hände.

„Ich habe eigentlich gar nichts damit zu tun, Großmutter Silva. Ich habe einer Freundin geholfen, das ist alles. Mehr werde ich nicht machen, versprochen.“

„Versprich nicht, was du nicht halten kannst“, erwidert Silva streng. „Du bist bereits viel zu sehr involviert, denn auf dich kann man sich als Freund verlassen. Du bist ein guter Mann, genau wie dein Bruder und wie dein Vater.“

Ich schüttle vehement den Kopf. „Aber ich …“

„Hab’ Vertrauen in dich selbst, Hektor“, unterbricht sie mich. „Du wirst den richtigen Weg gehen, dessen bin ich mir sicher. Aber sei stets auf der Hut.“

****

Nach dem Gespräch mit Großmutter Silva denke ich noch lange darüber nach, was sie genau gemeint hat und was sie von mir erwartet. Ich hasse die Menschen und werde nicht mein Leben für sie riskieren, daran hat sich nichts geändert.

Am darauffolgenden Tag versuche ich mehr denn je, mich in die Gemeinschaft der Zentauren einzubringen und nicht an Lilaja und die Menschen zu denken. Ich habe beschlossen, sie heute nicht zu besuchen und verbringe stattdessen viel Zeit mit Nox. Dieser merkt jedoch schon bald, dass ich ständig mit den Gedanken woanders bin. Am Nachmittag trainieren wir gerade mit unseren Bögen, als ich seinen bohrenden Blick auf mir spüre.

„Was ist eigentlich los mit dir, Hektor?“, fragt er mich, als ich zum dritten Mal mein Ziel verfehle.

„Was soll denn los sein?“, frage ich schroffer, als beabsichtigt und rudere sofort zurück. „Entschuldige, ich bin vermutlich einfach nur müde.“

Nox nickt verständnisvoll und wir beschließen, das Training für heute sein zu lassen.

„Hey“, sagt er, als wir uns vor meinem Zelt verabschieden. „Du weißt doch, dass du mir alles erzählen kannst, oder?“

Das nicht, lieber Nox, denke ich wehmütig, als ich dankbar nicke. „Natürlich. Aber ich bin wirklich nur müde.“

Am Abend wandere ich ruhelos meinem Zelt hin und her und weiß nicht, was ich tun soll. Ich bin wütend auf Lilaja, weil sie mich in diese Sache mit hineingezogen und mir keine Wahl gelassen hat. Sie weiß, wie sehr ich die Menschen hasse und dass ich mir mit der Geschichte meines Bruders noch weniger einen Fehler erlauben darf, als jeder andere. Auf der anderen Seite plagt mich das schlechte Gewissen, weil ich sie als Freund im Stich lasse. Vielleicht sollte ich mich darauf fokussieren, den Menschen um Lilajas Willen zu helfen und meinen Groll ihr zuliebe beiseite zu schieben? Ich bin völlig hin und hergerissen, weil ich nicht sicher bin, ob ich das kann. Sobald ich an die beiden Menschen denke, überfällt mich wieder diese unbändige Wut und ich kann nicht mehr klar denken. Irgendwann muss ich wohl eingeschlafen sein, denn ich schrecke im Morgengrauen auf und fasse endlich einen Entschluss. Ich hoffe nur, ich werde es nicht bereuen …

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