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Zweites Kapitel

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Diegos Hengst stand immer noch still nahe der Senke, als die Reiter aufbrachen. Erst als der Maure ihn rief, kam Leben in ihn.

»Touhami! Komm!«, befahl der Mann, woraufhin sich das Tier in Trab setzte und den Mauren brav folgte.

»Er gehorcht Euch!«, meinte Beatriz verblüfft, obwohl sie sich eigentlich vorgenommen hatte, kein Wort mehr mit ihrem Entführer zu wechseln.

Der Maure nickte. »Selbstverständlich. Ich habe ihn ausgebildet.«

»So hat Diego ihn von Euch im Kampf erbeutet?«, fragte Beatriz. Es schien endlos lange her zu sein, dass ihr Liebster sich am Morgen mit der Eroberung des Pferdes gebrüstet hatte.

Der Maure lachte bitter. »Nein, meine Schöne, das wäre ihm schlecht bekommen. Und ich würde auch nicht von Kampf sprechen. Der Hirtenjunge, dem die Sorge um das Pferd anvertraut war, besaß nicht einmal ein Schwert. Trotzdem hat er den Hengst mit seinem Leben verteidigt. Er hat sich Eurem Helden mit einem kleinen Jagdmesser zum Kampf gestellt! Ein dreizehnjähriges Kind, Donna Aguirre, und Euer Liebster stach es ab wie ein Schlachtlamm!«

Beatriz schüttelte den Kopf. Das musste eine Lüge sein! Diego hätte niemals derart unehrenhaft gehandelt ...

»Ihr habt ein Streitross einem Kind überlassen?«, fragte sie höhnisch. »Wer soll Euch das glauben?«

Der Maure zuckte die Achseln. »Glaubt es, oder glaubt es nicht. Es ist die Wahrheit. Das Pferd war auch kein Streitross, Euer Freund stahl es aus einem Gestüt, der Junge führte es eben zur Tränke. Und ich war kaum älter als der Knabe, als ich es abrichtete. In Granada haben wir keine Angst vor Hengsten, Dueña! Aber im Gefecht verlassen wir uns lieber auf die Treue unserer Stuten ...« Er lächelte und streichelte über den glatten Hals seines Reitpferdes, einer prächtigen Stute, deren Fell im Sonnenlicht golden glänzte.

»Auf die Treue Eurer Frauen verlasst Ihr Euch weniger, wie ich hörte!«, gab Beatriz schnippisch zurück. »Oder stimmt es nicht, dass Ihr sie in einen Harem einsperrt?«

Der Maure lachte. »Nun, wir legen auch unseren Stuten Halfter an ...«

Fast spitzbübisch sah er zu Beatriz hinüber und schien auf einen Gegenhieb zu warten. Doch Beatriz wusste nichts mehr zu sagen. Wie hatte sie sich überhaupt auf ein Gespräch mit ihrem Entführer einlassen können? Außer Lügen und Schmähungen kam doch nichts dabei heraus.

In den nächsten Stunden ritt sie schweigend neben ihm. Ihr Herz blutete, wenn sie an Diego dachte, und hinzu kam, dass sie immer mehr von Angst erfüllt war. Der kleine Reitertrupp hatten die Besitzungen ihres Vaters längst hinter sich gelassen, und inzwischen verzichtete der Maure auch darauf, Beatriz’ Pferd am Zügel zu führen. Wohin hätte sie auch entkommen können? Sie ritten jetzt durch unbebautes, karges und wildes Land – niemand wagte hier zu siedeln, die Grenze kam näher und näher.

Schließlich Wandte sich der Anführer der Mauren erneut an das Mädchen.

»Wir haben soeben die Grenze überschritten. Seht Ihr die Wachtürme? Noch ein paar Meilen, und wir werden die ersten Dörfer und Landgüter erreichen.«

Der Mann sprach betont freundlich auf Beatriz ein, aber sie gönnte ihm keinen Blick. Zusammengesunken und grübelnd saß sie auf ihrer Stute. Die Durchquerung des Grenzlandes hatte ihr die letzte Hoffnung geraubt.

Wie verheißungsvoll dieser Tag begonnen hatte! Und jetzt waren da nur noch Trauer, Schmerz und die Angst vor einer ungewissen Zukunft.

»Ihr werdet sehen, dass wir die gleichen Früchte anbauen wie Ihr. Wir haben allerdings die Kunst der Bewässerung vervollkommnet. Wo christliche Landwirte um Regen beten müssen, fördern wir das Leben spendende Nass aus den Tiefen der Erde, oder wir leiten die Flüsse um, die in den Bergen entspringen ...«

Beatriz antwortete nicht.

»Ihr müsst Euch nicht unterhalten, wenn Ihr nicht wollt«, meinte der Mann schließlich. »Aber es macht die Reise doch etwas kurzweiliger, oder findet Ihr nicht?«

»Mich verlangt nicht nach Kurzweil, ich bin in Trauer!«, fuhr Beatriz ihn an. Dabei konnte sie nicht umhin, ihn kurz zu betrachten. Ihr Entführer war groß, sehr hoch gewachsen für einen Mauren. Sein Helm schien ihr leichter und feiner gearbeitet als die Rüstungen der Christen, seine untere Gesichtshälfte blieb unter einem gestreiften Tuch verborgen. Es sollte im Kampf vor Staub schützen, aber maurische Krieger trugen es wie einen verwegenen Schmuck. Die Augen des Anführers wirkten dunkel, fast schwarz. Sie blitzten das Mädchen spöttisch an.

»Ich vergaß, Ihr trauert ja um jenen Jüngling, dem ich eben den Weg ins Paradies ebnete – wo er deutlich besser aufgehoben ist als im Kampf gegen meine Leute. Da, seht Ihr? Das Dorf, von dem ich eben sprach. Hier liegt das Gestüt, aus dem er Touhami raubte. Auch dort trauern noch Frauen und Mädchen.«

»Ungläubige!«, spuckte Beatriz aus.

»Auch ›Ungläubige‹ weinen, meine Schöne«, sagte der Mann ernst. Jetzt, da er sich in Sicherheit wähnte, lockerte er den Brustpanzer seiner ledernen Rüstung. Mit widerwilliger Bewunderung vermerkte Beatriz, wie sicher er im Sattel saß. Er lenkte sein leichtes, edles Pferd nur mit kleinsten Bewegungen seiner Schenkel; seine Verständigung mit der goldfarbenen Stute drückte Kraft aus, aber auch eine sonderbare Form der Zärtlichkeit. Beatriz schien fast zu spüren, wie sich die Muskeln des Tieres unter seiner Berührung anspannten ...

Aber dann schalt sie sich im Stillen für diese Gedanken. Wie konnte sie die Reiterei dieses Mannes bewundern, ja sogar an Zärtlichkeit und Sanftmut denken? Dieser Maure war Diegos Mörder, ihr Entführer ...

Aber andererseits schien sie ihm auch zu Dank verpflichtet. Er hatte dafür gesorgt, dass man Diegos Leiche rasch entdecken würde – und er hatte seine Männer davon abgehalten, über sie herzufallen. Noch immer glaubte Beatriz nicht daran, dass man sie auf einem Sklavenmarkt feilbieten würde. Lieber nahm sie an, dass sich doch etwas Erziehung und Mitgefühl hinter der spöttischen Fassade ihres Entführers verbarg. Und wer weiß: Vielleicht waren seine Drohungen und Sticheleien ja nur eine seltsame Form der Werbung. Beatriz war sich ihrer Wirkung auf Männer durchaus bewusst. Vielleicht war es sogar hilfreich, ihn ein bisschen zu ermutigen?

Beatriz beschloss, das Spiel mitzuspielen.

»So wollt Ihr mich nun wirklich verkaufen?«, fragte sie kokett.

Der Mann runzelte die Stirn, als er ihren veränderten Ausdruck bemerkte. Dann zuckte er die Schultern. »Was tat denn Euer Diego mit seinen maurischen Sklaven? Ließ er die frei und reich beschenkt wieder ziehen? Aber ich vergaß, das waren ja nur Ungläubige.« Der Mann lachte bitter.

Es klang erschreckend ernst. Aber Beatriz würde sich nicht entmutigen lassen.

»Denkt Ihr denn wirklich, ich eigne mich zur Dienstmagd?«, fragte sie mit einem hilflosen Lächeln. »Ich habe nie im Haushalt gearbeitet. Ihr habt doch gesehen, ich kann mich kaum selbst schnüren ...«

Der Maure schien sie zu taxieren wie eine edle Stute. Seine Blicke erfassten ihr rotgoldenes, in weichen Locken bis zur Taille offenes Haar, ihre jetzt fast stahlblau blitzenden Augen und die vollkommene Gestalt. Ein leichtes Lächeln erhellte seine Züge, er schien ihre Finte zu erahnen.

»Zur Dienstmagd?«, fragte er spöttisch. »Nein, das sicher nicht. Keine Sorge, man wird Euch kaum als Küchenmädchen verschleudern. Wenn Ihr lernt, Euer loses Mundwerk ein wenig zu zügeln, werdet Ihr zur Blüte eines Harems aufsteigen. Zudem schnürt man sich nicht in Granada. Eure üppigen Reize werden dem Käufer offen dargebracht werden.«

»Ein Harem?... Ihr wollt mich als Hure losschlagen?«

Beatriz war so bestürzt, dass sie dem Mann geradewegs in die Augen blickte. Nein, sie waren nicht schwarz, nur dunkelbraun mit hellen Einsprengseln, die lebhaft darin zu tanzen schienen, wenn er belustigt zwinkerte wie jetzt.

»Auch das nicht! Wie könnte ich? Eine Hídalga! Ganz abgesehen davon, dass sich ein Hurenhaus Euren Preis nie leisten könnte. Nein, seid ganz unbesorgt. Sicher wird Euch ein Edelmann erstehen, der Eure Reize zu schätzen weiß. Womöglich wird man Euch einst sogar in den Stand einer Ehefrau erheben. Wenn Ihr ein wenig mehr Tugend und Sittsamkeit beweist als bislang.«

Beatriz errötete. Sie hätte gern gewusst, wie viel die Mauren wirklich von ihrem Liebesspiel mit Diego beobachtet hatten.

Der Maure schien ihre Gedanken zu erahnen. »Eure Leidenschaftlichkeit dürft Ihr darüber natürlich nicht verlieren!«, sagte er mit anzüglichem Lächeln. »Es wird ein wichtiges Verkaufsargument sein, dass Ihr bereits wisst, wie man seinen Herrn erfreut.«

»An mir wird kein reicher Lüstling seine Freude haben!«, spie Beatriz ihn an.

Der Mann lachte.

»Das bezweifle ich«, meinte er dann. »Doch nach allem, was ich bisher über Euch weiß, müsst Ihr mir gestatten, das zu bezweifeln ... Ihr seid dazu geschaffen, einen Mann glücklich zu machen! Und im richtigen Augenblick werdet Ihr Euch auch wieder daran erinnern.«

Nach diesem Schlagabtausch schwieg Beatriz beleidigt. Sie versuchte den Eindruck zu erwecken, als schmollte sie, aber in Wirklichkeit packte sie inzwischen nackte Angst. Der Mann schien sie wirklich versklaven zu wollen. Und zudem wurde es dunkel. Es sah nicht so aus, als würden sie Granada vor der Nacht erreichen. Tatsächlich ließ der Anführer der Männer schließlich halten und ein Feuer entzünden. Die Krieger entfalteten Decken auf dem Boden. Für Beatriz richteten sie ein etwas weiter vom Feuer entferntes Lager her.

»Verzeiht, dass wir Euch kein Zelt bieten können!«, entschuldigte sich ihr Entführer. »Aber wir konnten ja nicht ahnen, dass wir eine so schöne und kostbare Beute heimbringen würden.«

»Das heißt, ich soll die Nacht hier mit Euch verbringen?«, fragte Beatriz entsetzt. Das war zwar offensichtlich, aber die Gefahren traten ihr erst jetzt klar vor Augen. »Allein und hilflos?«

In Panik klammerte sie sich an die Zügel ihrer Stute und machte keine Anstalten, den Sattel zu räumen.

»Was gibt mir die Gewähr, dass Eure Leute nicht im Dunkeln über mich herfallen?«

»Ihr gesundes Gewinnstreben!«, lachte der Maure und sattelte sein eigenes Pferd ab. »Man wird Eure Unberührtheit prüfen, bevor man Euch versteigert, meine Schöne. Glaubt mir, hier bei meinen Männern seid Ihr sicherer als unter der Fuchtel Eurer Amme! Aber natürlich könnt Ihr auch im Sattel schlafen. Das würde zwar etwas unbequem, und Ihr würdet sicher kein Auge zu tun und morgen Ringe unter den Augen haben, die Eurer Schönheit abträglich wären. Aber mich bekümmert das wenig: Vor dem Verkauf wird man Euch schon wieder herrichten. Wenn Ihr aufs Podium steigt, werdet Ihr frisch aussehen wie der junge Morgen. Also soll ich Euch nun herunterhelfen oder einfach das Pferd irgendwo anbinden?«

Die Männer polsterten Beatriz’ Lager mit mehreren Satteldecken, und das Mädchen wickelte sich zitternd in Touhamis goldbestickte Schabracke. Am Morgen hatte sie das edle Tuch noch bewundert. Am Morgen hatte Diego sie aus dem Sattel gehoben und dabei zärtlich mit ihr gespielt. Welch ein Unterschied zu den ruhigen Händen des Mauren, der ihr geschickt, aber fast geschäftsmäßig vom Pferd half. Ein Händler, sorgsam und umsichtig im Umgang mit seiner Ware, aber ohne Leidenschaft ...

Ein paar Ellen näher am Feuer scherzten die Männer des maurischen Anführers. Sie träumten von all den Mädchen, die sie sich für den Erlös der schönen Hídalga kaufen konnten. Anschmiegsame, willige Geschöpfe, keine kratzbürstigen Katzen wie diese wilde, schamlose kleine Christin, die sie da erbeutet hatten. Lachend verglichen die Männer die kleinen Blessuren, die sie vom Kampf mit Beatriz davongetragen hatten, Kratzer und Bissspuren. Nein, wer dieses Mädchen erwarb, würde keine Freude an ihr haben!

Nur einer, der Anführer der Gruppe, blieb still. Zu genau stand Beatriz’ Bild vor seinen Augen. Ihre leuchtenden, Funken sprühenden Augen, ihre Leidenschaft beim Liebesspiel mit diesem Diego und die tiefe Liebe und Hingabe in ihrem Blick, mit der sie dem Sterbenden Treue geschworen hatte. Diese Frau mochte wild sein, aber wenn man sie zähmte, wäre sie alle Güter der Welt wert. Oder nein, ›zähmen‹ war der falsche Ausdruck – Beatriz de Aguirre wollte erobert werden! Amir ibn Abdallah, Sohn und Erbe des Emirs von Granada, machte sich bereit zum Kampf.

Beatriz lag angespannt und zitternd unter ihren Decken. Sicher würde sie in dieser Nacht kein Auge zutun. Aber dann übermannte sie doch die Erschöpfung nach dem anstrengenden Ritt. Lange, bevor das Lagerfeuer der Männer verlosch, fiel das Mädchen in tiefen Schlaf.

Als sie erwachte, war der Morgen jedoch noch fern. Völlige Dunkelheit lag über den kargen, nur von Gewürzsträuchern und Kakteen spärlich begrünten Hügeln im östlichen Granada. Ein trockenes, heißes Land – und dennoch fruchtbar, wenn es nur bewässert wurde. Beatriz erinnerte sich, wie bewundernd ihr Vater oft vom Brunnenbau und der allgemeinen Bewässerungstechnik der Mauren gesprochen hatte. Nun, hier wuchs jedenfalls nichts, der nächste Bauernhof war offensichtlich weit entfernt. Beatriz erinnerte sich, dass sie schon Stunden vor Aufschlagen des Nachtlagers nur durch die Wildnis geritten waren. In dieser Gegend waren ihre Entführer und sie zweifellos die einzigen Menschen ...

Ein tollkühner Plan blitzte in ihr auf. Was wäre, wenn sie einfach ihr Pferd nahm und sich aus dem Staub machte? In den letzten Stunden waren sie immer demselben Weg gefolgt; wenn sie die Stute etwas antrieb, würde sie schnell viele Meilen zwischen sich und ihre Entführer legen. Bestimmt fand das Pferd den Heimweg von allein -mal ganz abgesehen davon, dass es ja reichen würde, die Grenze zu überschreiten. In Kastilien würde sie jeder gern aufnehmen und beschützen – schon, weil ihr Vater ihre Retter zweifellos reich belohnen würde. Beatriz richtete sich vorsichtig auf und spähte zum Lager der Männer hinüber. Nein, Wachen hatten sie nicht aufgestellt, sie lagen seelenruhig ausgestreckt um die Reste des Feuers, nur gelegentlich unterbrach ein Schnarchen oder Stöhnen die Stille der Nacht.

Wie lange würde sie brauchen, bis sie die Grenze erreichte? Mit dem Trupp war sie vier oder fünf Stunden geritten, aber wenn sie die Stute zu scharfem Galopp anspornte, würde sie schneller sein.

Beatriz stand auf und versuchte, dabei keinen Laut zu verursachen. Sie verharrte zu Tode erschrocken, als ihr Kleid raschelte, aber die Männer rührten sich nicht. Die Pferde waren etwas abseits des Lagers angebunden, damit sie sich bewegen und grasen konnten. Leiser Hufschlag würde also nicht auffallen. Allerdings hatten die Männer das Sattelzeug in die Mitte des Lagers geholt; an seine Verwendung war also nicht zu denken. Beatriz würde ohne Sattel und Reitzäumung fliehen müssen. Nun, als Kind war sie oft im Herrensitz auf einem der Esel oder Maultiere geritten, die ihr Vater zur Feldarbeit hielt. Seine Bauern hatten gelacht, wenn sich das wilde Mädchen mit nackten Beinen auf eins der Arbeitstiere geschwungen und ihm beherzt die Hacken in die Seite geschlagen hatte, um es zu einem Galopp anzuregen. Die Mulis hatten ihr allerdings selten den Gefallen getan; meist hatten sie die kindliche Wut einfach an sich abprallen lassen. Aber manchmal war doch eins der Tiere angetrabt und hatte seine Reiterin dabei hoffnungslos durchgeschüttelt. Dennoch, heruntergefallen war Beatriz nie! Das würde ihr auch jetzt nicht passieren, schließlich war die Vollblutstute umso viel weicher und besser zugeritten!

Beatriz tastete sich zu den Pferden und löste geschickt den Knoten des Stricks, mit dem ihre Stute neben den anderen Tieren angebunden war. Das Pferd sah ihr mit freundlich gespitzten Ohren entgegen. Sicher sehnte es sich ebenso nach seinem behaglichen Stall wie Beatriz nach ihrer sicheren Kemenate.

Beatriz schlang den Führstrick um den Pferdehals, verknotete ihn am Halfter und funktionierte ihn damit zum Zügel um. Nun brauchte sie nur noch eine Aufstiegshilfe. Zum Glück gab es reichlich Felsen. Sie führte das Pferd ein Stück weit zu einem geeigneten Stein. Die Stute nahm bereitwillig daneben Aufstellung. Auch zu Hause gebrauchte Beatriz eine Aufstiegshilfe, wenn kein Kavalier zur Hand war, ihr in den Sattel zu helfen. Nun glitt sie auf den ungesattelten Pferderücken, wobei die Stute unwillig den Kopf hob. Dem Pferd schien diese neue Art der Reiterei nicht geheuer zu sein, und auch Beatriz sehnte sich schon nach den ersten Schritten nach ihrem bequemen Seitsattel. Die Stute, ein schlankes Vollblutpferd, erwies sich als erheblich knochiger als die Arbeitstiere ihres Vaters; am Ende dieses Rittes würde Beatriz hoffnungslos wund sein. Alles wurde noch viel schlimmer, als Beatriz schließlich antrabte. Sie war inzwischen drei Pfeilfluglängen vom Lager entfernt und meinte, das Wagnis eingehen zu können. Die Männer würden die Hufschläge kaum noch hören. Also kitzelte sie das Pferd etwas mit den Hacken wie damals die Esel ... und wurde vom Schwung des Antrabens unsanft in die Luft geschleudert! Die Stute zögerte nicht wie die Ackertiere, sondern nahm die Hilfe sofort an und setzte sich in raschen Trab. Beatriz musste einen Aufschrei unterdrücken, als die Schritte sie auf dem Pferderücken hinauf und hinunter warfen; schmerzhaft schnitt der Widerrist des Pferdes in ihren Schritt. Verzweifelt zog das Mädchen an den Zügeln, um das Tier in eine ruhigere Gangart zurückzuholen. Gewöhnlich trabte es nie so schnell, sondern freute sich an erhabenen, eleganten Trabschritten. Das selbstgeknüpfte Halfter war indessen nur ein Ersatz für die Kandare, die Stute dachte gar nicht daran, auf Beatriz’ ruppigen Zügelzug den Hals rund zu machen und federnd zu traben. Stattdessen setzte sie sich jetzt in Galopp – zunächst eine Erleichterung; zumindest schleuderten ihre Schritte das Mädchen jetzt nicht mehr auf und ab. Beatriz konnte sich etwas nach hinten setzen, und die Schmerzen ebbten ab. Dafür ermüdeten ihre Schenkel vom Anklammern – und zudem hatte sie das Gefühl, als würde das Pferd immer schneller werden. Die Stute reagierte nicht auf ihren Zügelzug, und ihre verzweifelten Versuche, einen sicheren Sitz zu finden, schienen das Tier noch anzuspornen. Niemals würde Beatriz das zwei Stunden oder länger aushalten ! Dazu donnerten die Hufe des Pferdes jetzt über steinigen Grund. Sie würde sich das Genick brechen, wenn sie herunterfiel. In Todesangst klammerte das Mädchen sich fest, während das Pferd kopflos davon raste. War es überhaupt noch der Weg, den sie gekommen waren? Beatriz fehlte die Kraft, sich zu orientieren, sie war von Panik erfüllt.

»Halt an, so halt doch an!«, schluchzte sie und zerrte am Zügel, aber das Pferd reagierte nicht. Immerhin war es trittsicher. Geschmeidig übersprang es Felsen und Buschwerk, was Beatriz noch mehr aus dem Gleichgewicht brachte. Dies war kein gepflegter Weg mehr, die Stute rannte geradewegs durch die Wildnis. Buschwerk zerriss Beatriz’ Kleid und zerkratzte ihre Beine, einmal musste sie sieh bücken, um nicht unter einem Johannisbrotbaum mit tief hängenden Ästen abgestreift zu werden. Die Hufe ihrer Stute donnerten auf hartem Grund. Waren es wirklich nur vier Hufe? Beatriz kam es vor, als hörte sie den Schlag von hunderten ... Das Geräusch verebbte nicht einmal, als ihr Pferd nun ausnahmsweise über eine sandige Wegstrecke galoppierte. Und dann schien die Stute zu zögern, erstmalig in ihrem rasenden Lauf innezuhalten. Zu Beatriz’ Entsetzen wechselte sie wieder in Trab, und sie klammerte sich mit letzter Kraft am Zügel fest. Aber der Hufschlag erklang immer noch im Dreitakt des Galopps – er wurde immer lauter und konnte nicht nur von einem Tier stammen ! Beatriz wusste nicht, ob sie darüber glücklich oder entsetzt sein sollte, aber sie wurde zweifellos verfolgt. Ein zweites Pferd näherte sich in rasender Geschwindigkeit. Sie sah nicht zurück, sie brauchte all ihre schwindende Energie, sich überhaupt weiterhin auf dem Pferderücken zu halten. Aber dann schloss ihr Verfolger auf. Im Mondlicht wirkte das Fuchsrot von Touhamis Fell dunkel und fahl, aber es war zweifellos der Hengst, der jetzt Anstalten machte, an Beatriz Stute vorbeizugehen. Sein Reiter griff nach den Zügeln ihrer Stute, die daraufhin wieder angaloppierte und noch schneller rannte. Beatriz erkannte den Anführer der Mauren – auch er auf dem blanken Pferderücken, nur ein Seil um den Hals des Pferdes geschlungen.

»Haltet Euch fest, ich habe Euch gleich!«, rief er Beatriz zu, aber ihre Stute wollte sich offensichtlich nicht fangen lassen. Immer, wenn der Mann nach den Zügeln griff, wich sie zur Seite aus. Beatriz wusste nicht, ob sie schrie oder schluchzte. Sie wusste nur, dass sie jetzt nicht fallen durfte, die Hufe der beiden Pferde hätten sie zweifellos zerstampft.

Aber dann griff der tollkühne Reiter neben ihr zu einer anderen Strategie. Mit einem kaum hörbaren Schnalzen trieb er den Hengst zu noch schnellerem Galopp an und überholte Beatriz’ Stute mit raschen Sprüngen. Als er ein paar Pferdelängen vor ihr war, stellte sein Reiter das Pferd quer. Beatriz Stute fiel zunächst in Trab und schien nach einem Ausweg zu suchen, aber an Touhami kam sie nicht vorbei. Mit zitternden Flanken und schweißüberströmt blieb sie stehen, während Beatriz wimmernd zu Boden rutschte. Noch schien die Welt unter ihr zu schwanken, sie konnte das Wunder, dass ihr nichts geschehen war, kaum begreifen.

Touhamis Reiter fing die Stute ein und band beide Pferde an einen Olivenbaum. Dann kam er zurück zu der immer noch schluchzenden, am Boden kauernden Beatriz.

»Hast du dir etwas getan? Bei Allah, Mädchen, wie kannst du eine solche Dummheit machen? Du könntest tot sein! Hätte ich das gewusst, hätte ich dir Hände und Füße binden lassen!«

Der Mann zog die in sich zusammengesunkene Beatriz hoch, um ihr ins Gesicht sehen zu können. Es war schmutzig und tränenüberströmt, aber bis auf ein paar Kratzer unverletzt. Das Mädchen zog die traurigen Reste ihres Reitkleids um sieh, um ihre Beine zu bedecken. Ihre Schenkel waren außen verkratzt, innen wund gerieben vom Reiten.

»Das nutzt nun auch nichts mehr«, brummte der Maure. »Steh auf, kannst du gehen?«

Beatriz kam schwankend auf die Füße. Ihr Körper fühlte sich völlig zerschlagen an, aber es war nichts, was ein paar Tage Ruhe nicht auskurieren konnten. Ein paar Tage Ruhe? Wer wusste, wie viele Tage auf dem Pferderücken ihr noch bevorstanden? Sie wimmerte hilflos.

Ihr Entführer ließ sie ein paar Schritte gehen und vergewisserte sich dabei, dass ihr wirklich nichts Ernsthaftes fehlte. Sein zunächst besorgter Blick wurde wieder kühl und mitleidslos.

»Nun, wie es aussieht, hat die Ware keinen bleibenden Schaden davongetragen«, bemerkte er grinsend.

Beatriz schluckte die Tränen herunter und warf den Kopf hoch.

»Das könnt Ihr nicht wissen, vielleicht blute ich ja ...«, behauptete sie. »Meine Amme ermahnte mich stets, nicht im Herrensitz zu reiten. Sonst könnte ich meinem Geliebten in der Hochzeitsnacht eine böse Überraschung bereiten ...«

Der Maure zuckte gespielt beiläufig die Schultern.

»Meine Männer werden gern einmal nachsehen, wenn wir wieder ins Lager kommen ...«, bemerkte er anzüglich. »Aber ich schätze, Ihr seid unversehrt. Tja, und wenn nicht, bleibt Euch immer noch das Schicksal einer Küchenmagd – als Reitknecht kann ich Euch ja schlecht losschlagen, obwohl Euch das besser liegen dürfte. Respekt, Respekt, so mancher Bursche hätte sich nicht so lange gehalten! Aber nun kommt, diesmal werdet Ihr mit mir reiten. Ich denke gar nicht daran, das kostbare Gespinst vor Eurer Pforte der Lust noch einmal in Gefahr zu bringen.«

Beatriz hatte nicht mehr die Kraft, sich gegen seinen festen Griff um ihre Taille zu wehren. Der Maure hob sie mühelos im Seitsitz auf den Rücken des Hengstes, der dabei still ausharrte wie ein Standbild. Erst als der Mann sich hinter ihr hinaufgeschwungen hatte und sicher den Arm um sie legte, setzte das Tier sich in Bewegung. Ganz sanft und behutsam trug es seine Reiter zurück zum Lager.

Beatriz schwankte zwischen dem Widerwillen vor ihrem Bezwinger und der Angst vor dem Herunterfallen. Wenn sie sich versteifte und gegen seinen Griff wehrte, bestand Gefahr, den ohnehin fragilen Halt zu verlieren. Aber den Widerstand aufgeben? Sich einfach an den Mann anlehnen, der sie zurück in die Sklaverei brachte? Beatriz entschloss sich zu einem Kompromiss. Zwar nahm sie die Hilfestellung des Mauren an, aber sie hielt sich doch straff und aufrecht und bemühte sich, ihr Gleichgewicht selbst zu halten. Mit der Zeit wurde das natürlich immer schwieriger. Der Weg zum Lager war etliche Meilen lang, im Schritt zog sich die Strecke zu Stunden. Dazu war Beatriz müde und zu Tode erschöpft. Ihr gesamter Körper schmerzte. Jetzt, da die Anspannung nachließ, hatte sie nur noch den Wunsch, die Augen zu schließen und sich Touhamis wiegendem Gang zu überlassen. Wider Willen erschlafften ihre Muskeln, und sie sank gegen den Körper ihres Widersachers. Sie nahm seinen Geruch wahr – kein Rosenduft, kein Moschus, sondern frischer Männerschweiß mit einem Hauch Zimt und Thymian. Beatriz fühlte starke Arme um ihre Körpermitte und lehnte sich schließlich im Halbschlaf an eine muskulöse Schulter. Zwei Körper, die im Gleichklang schwangen ... und küsste da nicht jemand ihr Haar, streichelte die Hand, die sie hielt, nicht sanft ihre Hüfte?

»Diego ...«, flüsterte sie. Es musste Diego sein. Sicher hatte sie all das hier nur geträumt, und morgen würde sie in den Armen ihres Geliebten erwachen ...

Beatriz wurde nicht einmal wach, als Amir sie schließlich vom Pferd hob und auf ihr Lager bettete. Im heraufziehenden Morgenlicht betrachtete er stirnrunzelnd ihren geschundenen Körper. Dann holte er einen Tiegel Salbe aus seiner Satteltasche. Es widerstrebte ihm, das Mädchen gegen seinen Willen zu berühren, aber wenn er es nicht jetzt tat, würde es morgen kratzen und beißen ... Vorsichtig schob Amir die Fetzen ihres Kleides hoch und behandelte ihre Beine mit der kühlenden Essenz. Langsam und liebevoll kreisten seine Finger über ihr festes Fleisch, ihre wohlgeformten, einladend weichen Schenkel.

Beatriz stöhnte im Schlaf.

Amir fuhr auf, als er Hammad al Mutah, seinen Freund und Stellvertreter, grinsend neben sich stehen sah.

»Ich hoffe, du wirst inkognito um sie steigern!«, neckte ihn Hammad. »Sonst kommen wir womöglich um unseren Gewinn, wenn keiner es wagt, gegen den Sohn des Emir zu bieten!«

Amir lächelte. »Keine Sorge, mein Freund, ihr werdet euren Schnitt machen. Dieses Mädchen ist ein Königreich wert, und es wird mir eine Freude sein, den vollen Preis zu zahlen!«

Am nächsten Morgen war Beatriz’ Körper ein einziger Schmerz. Sie versuchte, es zu verbergen, aber sie konnte kaum aufstehen. Dazu war ihr Kleid völlig zerfetzt. Hammad reichte ihr schweigend eine Decke, um ihre Blößen zu verbergen. Amir polsterte ihr zudem den Damensattel mit weichen Decken aus, aber all das half nur geringfügig. Beatriz konnte nur humpeln, und als sie endlich im Sattel saß, schien jeder Schritt des Pferdes Messer durch ihre verspannten Muskeln zu jagen.

»Ihr müsst ein Bad nehmen, wenn wir angekommen sind«, meinte Amir und klang beinahe mitfühlend. Beatriz fragte sich, ob er vielleicht auch unter Muskelkater litt. Sicher war er besser mit seinem Touhami zurechtgekommen als sie mit ihrer ungebärdigen Stute, aber bestimmt waren es auch die Mauren nicht gewöhnt, meilenweit auf blankem Pferderücken durch die Wildnis zu galoppieren.

»Das klingt ja, als würdet Ihr mich in einen Palast bringen«, bemerkte Beatriz spöttisch. »Spracht Ihr nicht von einem Sklavenmarkt?«

Ihr Entführer lachte. »Meine Schöne, Ihr seid ein Luxusgut. Das hält man nicht an jeder Ecke feil und erst recht nicht in angeschlagenem Zustand. Keine Sorge, Ihr werdet Eure Unterkunft in Granada höchst komfortabel finden. Und ganz sicher kommt Ihr nicht zur Versteigerung, bevor Ihr nicht völlig wiederhergestellt seid. Wozu mir Eure Kleidung einfällt. Es geht auf keinen Fall, dass Ihr halb entblößt in Granada einreitet und jedem Mob den Blick auf Euer schönes Gesicht gestattet.«

Der Maure wechselte ein paar Worte mit einem seiner Männer, der daraufhin sein Pferd zum Galopp anspornte und sich schnell von der Truppe entfernte. Inzwischen ritten sie durch stärker besiedelte Gegenden. Immer wieder trafen Beatriz die verblüfften und bewundernden Blicke von Passanten. Inzwischen bemerkte sie auch Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen den Straßen Granadas und Kastiliens. In beiden Ländern waren hauptsächlich Bauern mit Eseln und Maultierkarren unterwegs, seltener Reiter auf edlen Pferden. Auffällig war jedoch die völlig unterschiedliche Kleidung. Die Mauren trugen weite Hosen und kaftanartige Überwürfe, wie man sie in Kastilien höchstens als Nachthemden angezogen hätte. Meist war die Kleidung hell, im Gegensatz zu den eher dunklen, unauffälligen Tuchstoffen, in die sich kastilianische Bauern hüllten. Männer und Frauen schienen sich fast gleich anzuziehen, aber die Frauen trugen obendrein Tücher, die ihr Haar völlig verdeckten, und die meisten zogen einen Schleier über die untere Hälfte des Gesichts. Oft schleppten sie Wasserkrüge oder Körbe mit Waren auf dem Kopf – ebenfalls ein befremdlicher Anblick für Beatriz. Wenn sie beide Hände brauchten, um die Last abzustützen, hielten sie den Schleier mit den Zähnen vor dem Gesicht fest. Das sah fast etwas komisch aus, aber Beatriz lächelte nicht. So würde also ihr Schicksal aussehen, wenn kein reicher Mann sie für seinen Harem erwarb? Dienstmagd oder Hure – wieder stiegen ihr Tränen in die Augen.

Als den Reitern schließlich immer mehr Menschen entgegenkamen, ließ Amir eine Rast einlegen. Etwas abseits der Straße fand sich ein versteckter Platz, an dem Beatriz den Blicken der Passanten verborgen blieb. Die Männer hatten ein paar Bauern Früchte und Brot abgekauft und boten dem Mädchen davon an. Zu ihrer Verwunderung verspürte Beatriz großen Hunger. Gestern Abend hatte sie es noch abgelehnt, Brot und Datteln mit den Männern zu teilen, aber jetzt biss sie heißhungrig in einen Pfirsich, Auch dieser Tag war sonnig und warm, obwohl sie heute eigentlich den ganzen Morgen bergauf geritten waren und sich nun in einer Bergregion befanden. So heiß wie in Beatriz’ Heimat wurde es hier sicher nie; die Sierra Nevada, ein auch im Sommer mit Schnee bedeckter Gebirgszug, zeichnete sich am Horizont deutlich ab. Beatriz sah zu den Bergen hinauf und träumte sich in die Freiheit, worüber sie schließlich einschlief. Noch immer war sie zu Tode erschöpft von ihrem nächtlichen Abenteuer.

Als die Männer sie endlich weckten, war der Nachmittag weit fortgeschritten und der Mann, den Amir vorhin weggeschickt hatte, stieß wieder zu ihnen. Er reichte Beatriz ein Bündel Kleider.

»Hier, die Hosen werden Euch das Reiten erleichtern. Und der Tschador hält neugierige Blicke fern.« Der Anführer der Männer wies auf eine blaue Pluderhose und einen dunkelblauen, bodenlangen Schleier, der nur Schlitze für Beatriz Augen freiließ.

»Ich soll mich völlig vermummen?«, fragte Beatriz entsetzt mit einem Blick auf das formlose Kleidungsstück.

»Dies ist die Reisekleidung vornehmer Damen aus Granada. Wenn Ihr sie tragt, wird man Euch überall mit Ehrerbietung behandeln.«

»Ich denke, man legt hier so viel Wert auf Schönheit!«, blitzte Beatriz. »Aber was nützt das, wenn man sie unter solchen Zelten versteckt?«

»Der Koran sagt, die züchtige Frau soll ihr Haar bedeckt halten und ihre Schönheit nur ihrem Herrn enthüllen«, zitierte Amir. »So hält es jede gläubige Muslimin. Die vornehmsten Frauen halten jedoch all ihre Reize in der Öffentlichkeit versteckt. Allein ihr geliebter Herr soll sich an ihrem Anblick weiden. Der Tschador ist ein Vorrecht, meine Schöne, verachtet es nicht! Auf dem Markt mögt Ihr Euch danach sehnen, denn da ...«

»Was ist da?«, fragte Beatriz alarmiert. »Wie werde ich ausgestellt? Doch nicht etwa nackt?« Entsetzt funkelte sie ihn an. Bewundernd bemerkte Amir, wie ihre Augen im Schrecken und Zorn turmalinblau aufblitzten.

»Man kann nicht erwarten, dass der Käufer die Katze im Sack ersteht ...«, sagte er vieldeutig.

Beatriz war so eingeschüchtert, dass sie brav den sackartigen Umhang über die Reste ihrer Kleidung zog. Der Maure hatte Recht, wenn sie Hosen trug, tat das Reiten weniger weh. In den letzten Stunden der Reise nach Granada lenkte sie aber auch vieles von ihren Schmerzen ab. Die Straßen waren belebt, sie passierten Felder und Obstplantagen, ritten an weiß gekalkten Häusern vorbei, und Beatriz bewunderte die verspielte maurische Architektur mit ihren Spitzbögen und Türmchen. Schließlich durchquerten sie eine fruchtbare Ebene – die ›Vega‹ von Granada, wie Amir sie nannte –, und endlich enthüllte sich nach einer Wegbiegung der Blick auf die Hauptstadt Granada. Bunte Häuser und Paläste gruppierten sich um die Alhambra, die rote Burg, einen gewaltigen Gebäudekomplex.

»Dort lebt Euer König?« fragte Beatriz, wider Willen beeindruckt von der traumschönen Stadt vor der Kulisse schneebedeckter Berge.

»Der Emir«, berichtigte Amir. »Aber die Alhambra ist auch Kaserne und Trutzburg, sie bietet im Belagerungsfall Schutz für einen großen Teil der Bevölkerung. Von außen wirkt sie karg und kriegerisch, aber die Wohnräume sind äußerst komfortabel und der Harem ein Kleinod! – Das behauptet man jedenfalls«, setzte Amir rasch hinzu. Beatriz brauchte noch nicht zu wissen, dass ihr Entführer der Sohn des Herrschers über Granada war. Amir gedachte, ihren Einzug in die Alhambra zu einem großen, erhebenden Erlebnis zu gestalten. Sie sollte nicht wie eine Sklavin, sondern wie eine Prinzessin in seine Gemächer geleitet werden. Irgendwann, so hoffte er, würde sie die Alhambra ebenso lieben wie er. Irgendwann sollte sie sich auch zu seinem Glauben bekennen. Und dann würde er sie zur Frau nehmen ...

Mit einem glücklichen Lächeln sah er sie an.

»Es scheint, Ihr freut Euch, wieder nach Hause zu kommen«, meinte Beatriz bissig. »Wartet Euer Harem bereits auf Euch?«

Amir lachte. »Die Damen werden zweifellos entzückt sein! Aber zuerst werden wir Euch zu Eurer Unterkunft geleiten ...«

Beatriz antwortete nicht. Noch einmal ritt sie eine Stunde lang schweigend und grübelnd neben Amir, bis sie endlich die Stadttore Granadas erreichten. Die Menschen, die ihnen auf dem Weg begegneten, grüßten ehrerbietig. Obwohl ihre Schönheit völlig unter dem Tschador verborgen war, warfen sie Beatriz bewundernde Blicke zu. Anscheinend war es nicht häufig, dass sich eine ›Sayyida‹, wie man die Haremsdamen offensichtlich nannte, unter das gemeine Volk verirrte.

Amir und seine Männer wollten die Stadttore mit raschem Gruß passieren, aber während sie noch ein paar freundliche Worte mit den Wächtern wechselten, kam ein Mann aus dem Inneren der Stadt auf sie zu galoppiert. Offensichtlich erfreut, Amir zu sehen, überschüttete er ihn mit einem Wortschwall.

Amirs vorher gelöste Züge wurden ernst.

»Es tut mir Leid, meine Schöne, aber ich kann Euch nicht weiter begleiten wie versprochen«, wandte er sich an Beatriz. »Ich werde in den Palast befohlen, es ist wichtig. Aber fürchtet Euch nicht. Hammad bleibt bei Eurer Garde, Euch wird nichts geschehen.«

Beatriz fühlte erneut Panik in sich aufsteigen. »Ihr wollt mich allein lassen? Hier, zwischen all den ...«

»Ungläubigen?«, lachte Amir. »Daran werdet Ihr Euch gewöhnen müssen.«

Beatriz fühlte allen Stolz von sich abfallen. Der Gedanke, völlig allein in dieser fremden Stadt zu sein, in der niemand ihre Sprache verstand, in der man sie einsperren und verkaufen wollte, ging über ihre Kraft. »Bitte ...«, flüsterte sie, »bitte, ich ... ich habe Angst ...«

Der junge Maure schaute zuerst verwundert, aber dann würde sein Ausdruck weich. Fast zärtlich versenkte er den warmen, braunen Blick in ihre angsterfüllten Meeraugen.

»Fürchte dich nicht«, sagte er sanft. »Auch wenn ich nicht bei dir sein kann, ich passe auf dich auf. Ich lasse dich nicht allein. Dir wird nichts geschehen ...«

Damit wendete er abrupt sein Pferd und galoppierte hinter dem Boten den Berg hinauf – in Richtung der gewaltigen, bedrohlich über der Stadt thronenden Festung Alhambra.

Schleier des Herzens

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