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Viertes Kapitel

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»Dies ist keine kleine Cabalgada, dies ist ein Kriegszug! Was, um Allahs willen, habt ihr mitgehen lassen, dass der Verlust diesen Aguirre derart aufbringt?« Abdallah der Erste, Emir von Granada, fixierte seinen Sohn.

Amir sah ihm furchtlos entgegen. Sein Vater hatte ihn gleich nach seiner Rückkehr aus Kastilien rufen lassen, aber er hatte sich doch noch Zeit gelassen, ein Bad zu nehmen und höfische Kleidung anzulegen. Amir wusste, wie sehr der Emir Etikette schätzte. Er empfing seinen Sohn auch ganz formell in einem der Ratszimmer der Alhambra und bot ihm Kaffee und Dattelgebäck an, bevor er auf den Grund der Unterredung zu sprechen kam. Offensichtlich waren bereits in der letzten Nacht Unruhen an der Grenze zu Kastilien ausgebrochen. Ein Don Alvaro Aguirre hatte mit einer kleinen, aus Bauern und Adligen abenteuerlich zusammengewürfelten Streitmacht beherzte Angriffe gestartet. Der Emir nahm nicht zu Unrecht an, dass Amirs letzte Mission damit in Zusammenhang stand.

»Wir haben den Hengst zurückgeholt, wie du es befohlen hast«, erklärte Amir gelassen. »Und den Dieb dabei in die Hölle geschickt, was sicher auch in deinem Sinne war. Ansonsten ...« Amir wusste nicht recht, wie er seinem Vater von Beatriz erzählen sollte. Es war keine große Sache, eine Sklavin zu erbeuten, der Emir würde ihn deshalb nicht tadeln. Etwas anderes war das Geständnis, dass er das Mädchen möglichst umgehend für seinen eigenen Harem ersteigern wollte.

Nun stand ihm dies auch frei, der Emir pflegte seine Ausgaben nicht zu kontrollieren. Aber irgendwie betrachtete Amir Beatriz nicht als beliebige Sklavin und mochte auch nicht so von ihr reden. Er war verliebt, er wollte sie erobern ! Und eines Tages wollte er sie zu seiner Frau machen. Amir biss sich auf die Lippen.

Sein Vater wusste allerdings längst Bescheid.

»Jetzt erzähle mir endlich alles, vor allem die Sache mit dem Mädchen!« Der Emir beobachtete stirnrunzelnd, wie sein Sohn sich vor ihm wand. »Die Spatzen pfeifen es doch schon von den Dächern. Wer ist sie? Aguirres Weib, seine Konkubine?«

Amir schüttelte den Kopf und senkte die Augen. »Seine Tochter. Sie war mit dem Pferdedieb verlobt – aber sie ist noch Jungfrau. Und schön wie der Morgen ...«

»Aha.« Der Emir schmunzelte. »Nun, ich nehme an, diesem Aguirre ist ein Angebot zugegangen, sie auszulösen?«

Amir zuckte die Schultern. »Das war zumindest beabsichtigt. Aber ob der Bote zu ihm durchgedrungen ist? Wir konnten doch nicht ahnen, dass der Mann ein halbes Heer aushebt, um gegen Granada zu ziehen. Wenn die Angaben stimmen, tobt an der Grenze fast so etwas wie ein Krieg!«

»Den du umgehend beenden wirst«, befahl der Emir. »Es geht nicht an, dass wir uns von den Spaniern auf der Nase herumtanzen lassen. Du wirst dich noch heute mit einem Regiment in Marsch setzen und den Angriff niederschlagen. Aber treib sie nur zurück über die Grenze, versuch nicht gleich, Kastilien zu erobern. Wir wollen sie nicht weiter reizen, ich bin diesen Kleinkrieg gründlich Leid. Vielleicht sollten wir das Mädchen sogar zurückgeben ...«

»Nein!« Amir bereute den unbedachten Ausruf sofort, aber er konnte nicht an sich halten. »Nein, Vater, das Mädchen wurde im ehrenhaften Kampf erobert, Ihr könnt ... den Männern die Beute nicht streitig machen. Ihre Versteigerung wird ein Vermögen einbringen!«

Der Emir betrachtete ihn prüfend. »Ah, ja. Der Staatskasse wird es aber kaum zugute kommen, oder? Könnte es sein, dass du sie eher zu Gunsten Ibn Sauls erleichtern willst?«

Amir gab es auf. Er hatte seinem Vater noch nie etwas vormachen können. »Ja, ich gebe zu, ich gedenke das Mädchen zu ersteigern. Ich ... habe ihr Hoffnungen gemacht ...«

»Hoffnungen worauf? Amir, hüte dich vor Verwicklungen! Eine Christin, die im Harem Einfluss gewinnt, wird deinem Ruf nicht gut tun. Es wird schon genug darüber geredet, dass wir keinen genügend harten Kurs gegen Kastilien fahren. Wenn du nun auch noch ein spanisches Mädchen zur Frau nimmst ... Und du weißt, wie Zarah ist. Sie wird eine Rivalin bis aufs Blut beikämpfen. Riskiere keine Haremsintrigen, mein Sohn ...« Der Emir sprach streng und eindringlich, und Amir wusste natürlich, dass er Recht hatte.

Zarah, seine erste Frau, führte ein strenges Regiment im Harem. Amir liebte sie nicht, die Ehe war arrangiert worden, um das Königshaus mit einer der besten Familien Granadas zu verbinden. Allerdings kannte Zarah alle Künste der Liebe, die ein Mädchen im Harem zu lernen vermochte. In der Nacht war Amir Wachs in ihren Händen – und jeder Bedienstete im Harem, vom ersten Eunuchen bis zum letzten Küchenmädchen, war ihr wenn schon nicht treu, so doch angstvoll ergeben. Zarah würde Beatriz das Leben zur Hölle machen.

Andererseits: Wenn es irgendjemanden gab, der ihr gewachsen war, so diese wilde kastilianische Schönheit!

Amir lächelte fast unwillkürlich.

»Ich sehe schon, meine Worte treffen auf den Geist eines Mannes, der nur noch mit seinem Geschlecht denkt«, seufzte der Emir. »Gut, mein Sohn, du bist erwachsen, du musst wissen, was du tust. Aber jetzt schlägst du zunächst diesen Angriff nieder! Nimm das zweite Reiterregiment und reite die Nacht durch. Die Sache muss schnell ein Ende haben.«

Amir nickte, wenn auch nicht mit der Begeisterung, die er sonst an den Tag legte, wenn sein Vater ihn mit der Verteidigung Granadas betraute. Schließlich brachen seine Bedenken doch aus ihm hervor.

»Vater, die Versteigerung ... Das Mädchen ...«

Der Emir verdrehte die Augen. »Du wirst sie schon nicht verpassen«, beschied er. »Schließlich kann es kaum mehr als drei oder vier Tage dauern, diesem Aguirre das Mütchen zu kühlen!«

Der Emir sah seinem Sohn lange nach, nachdem Amir sich höflich verabschiedet hatte, dann jedoch eilig davon ging. Er hatte alle Gründe der Welt, seine Streitmacht schnellstens in Marsch zu setzen.

Abdallah der Erste seufzte. Er liebte seinen Sohn, und er hasste das, was er jetzt zu tun hatte. Aber dann rief er doch einen Diener zu sich und ließ sich Feder und Papier bringen.

Eine Stunde später hielt Abraham ibn Saul eine Nachricht des Emirs in Händen:

Es ist mir zu Ohren gekommen, dass du eine christliche Sklavin feilbietest. Leider sorgt das Mädchen für Unruhe. Ich würde begrüßen, wenn ihre Versteigerung so schnell wie möglich stattfände. Zudem bitte ich dabei um Diskretion. Niemand – auch kein Mitglied der königlichen Familie – soll von ihrem Verbleib erfahren.

Die Sklavin Ayesha war in Hochstimmung und ließ Beatriz daran teilhaben. Der Wesir hatte ihr Lautenspiel und ihre Schönheit in den höchsten Tönen gelobt. Seine Verhandlungen mit Ibn Saul waren noch nicht abgeschlossen, aber er beabsichtigte eindeutig, Ayesha zu erwerben und dem Emir zum Jahrestag seiner Inthronisation als Geschenk zu überreichen. Das Mädchen schwärmte vom Harem der Alhambra und all den Künstlern und Musikern, mit denen sie dort unweigerlich zusammentreffen würde. Vergnügt schwatzend knabberte sie Gebäck und nippte an den süßen, mit Eis aus der Sierra Nevada gekühlten Fruchtsäften, welche die Diener ihnen kredenzten. Beatriz fand es immer noch höchst befremdlich, dass praktisch das gesamte Personal aus weichlich wirkenden Eunuchen mit schwammigen Körpern und hohen Stimmen bestand. Sie benahmen sich aber durchweg äußerst zuvorkommend, und die Leckereien aus Datteln, Honig und Krokant waren köstlich. Dennoch hielt Beatriz sich zurück. Ibn Saul hatte geäußert, sie solle vor der Auktion noch Gewicht zulegen, und sie hatte keineswegs vor, sich mästen zu lassen.

»Hat man dir deshalb Spanisch beigebracht? Damit du mit allen Besuchern reden kannst?«, unterbrach Beatriz Ayeshas Träumereien ein wenig mürrisch. Ihr ging der gierige Blick des alten Mannes immer noch nicht aus dem Kopf. Wie er langsam an ihrem Körper herabgewandert war, ihre Brüste und Hüften taxiert hatte ... Beatriz hatte den Ekel kaum bezähmen können, als sich die Augen Mammar ibn Khadiz’ schließlich an dem winzigen bisschen Haut festgesaugt hatten, das die Pluderhosen an ihren Fußgelenken unbedeckt ließen. Sein Mund hatte dabei gezuckt, als wollte er sabbern, und seine Hände schienen die Rundungen ihrer Schenkel und Brüste hilflos in der Luft nachzuzeichnen. Beatriz fühlte sich beschmutzt, fast als hätte man dem Greis erlaubt, ihren Körper wirklich zu berühren und mit feuchten Fingern und Lippen zu erkunden. In Kastilien hätte ein Mann nie gewagt, eine Hídalga so anzustarren! Aber hier war sie kein Mädchen von Adel, hier war sie nur eine Sklavin. Und Ibn Saul hatte den alten Mann ernstlich ermuntert, mit um sie zu bieten!

Wo nur war ihr junger Entführer? Warum kam er nicht, um sie zu beruhigen und vielleicht auszulösen? Wo blieb die Nachricht von ihrem Vater? Beatriz war bis zum Platzen angespannt. Aber sie wollte jetzt auf keinen Fall in Tränen ausbrechen. Lieber versuchte sie sich in unverfänglichem Geplauder mit ihrer vergnügten Gefährtin.

Ayesha hatte nach ihrem Treffen mit dem Wesir Schmuck und Schleier abgelegt, die Schminke abgewischt und ihr Haar gelöst. Sie räkelte sich zufrieden auf einem weichen Diwan und knabberte Naschwerk.

Beatriz betrachtete sie misstrauisch. Undenkbar, dass sich ein wohlerzogenes Mädchen in kastilianischer Gesellschaft so ungeniert voll gestopft hätte wie Ayesha. Das hätte ja schon das Korsett verhindert. Beatriz musste sich eingestehen, dass es sich ohne den Fischbeinpanzer erheblich bequemer lebte. Der Schleier war dagegen harmlos. Zudem trug man ihn offensichtlich nur in der Öffentlichkeit.

Im Harem, so begriff Beatriz langsam, waren die Frauen unter sich, keine musste sich verstellen, um den Höflichkeitsregeln zu entsprechen oder irgendwelchen Männern zu gefallen.

Ayesha wirkte belustigt, als sie Beatriz’ Frage nach ihren Sprachkenntnissen vernahm. »Bei Allah, Kindchen, mit welchem Kastilier sollte ich schon über Kunst und Musik reden! Die meisten Christen können doch nicht mal Lesen und Sehreiben! Nein, wir lernen Eure Sprache, weil es immerhin sein kann, dass es uns zu einem spanischen Herrn verschlägt – Allah möge alle meine Schwestern davor bewahren!«

»Eure Ziehmutter verkauft Mädchen nach Kastilien?«, fragte Beatriz verwirrt und schöpfte leise Hoffnung. Wenn hier wirklich spanische Ritter Sklavinnen erwarben – vielleicht würde ja auch einer von ihnen um sie steigern! Wenn sie ihm dann später sagte, dass sie eine Hídalga sei, eine freie Frau, so würde er ihr zweifellos ehrenhaftes Geleit nach Kastilien gewähren. Ihr Vater könnte ihm anschließend den Kaufpreis zweifach zurückerstatten – wenn er das wollte. Aber ein echter Kavalier würde eine Frau sicher auch ohne Gewinnstreben retten ...

Ayesha aber machte ihr diesen Tagtraum jedoch sogleich wieder zunichte.

»Nein, direkte Verkäufe nach Spanien sind selten. Es mag welche geben, aber dann tritt der Herr nicht selbst auf, sondern schickt einen maurischen Strohmann vor. Es werden aber oft Mädchen als erlesene Geschenke versandt, nicht immer ohne Hintergedanken. Ein christlicher Bischoff, der eine Liebessklavin als Geschenk annimmt, wird erpressbar ... Für das Mädchen ist so etwas natürlich ein schreckliches Schicksal. Immer versteckt leben, dazu als einzige Konkubine eines in Liebesdingen unerfahrenen Herrn ...« Ayesha schüttelte sich.

»Und all die anderen Disziplinen?« Beatriz nahm nun doch ein Stück Konfekt. »Lateinisch, Griechisch, Lesen und Schreiben ... Wozu lernt ihr die?« Inzwischen war sie neugierig geworden. Ayeshas Geschichten lenkten sie von den Grübeleien über ihre eigene Zukunft ab.

»Nun, von einem Mädchen aus Khalidas Haus erwartet man eine gewisse Bildung. Wir sollen unsere Herren nicht nur bei Nacht unterhalten können, sondern ihnen auch bei Tag eine kluge und anregende Gefährtin sein. Damit steigen die Chancen, irgendwann zur Gemahlin erhoben zu werden. Im letzten Jahr wurde diese Ehre zwei meiner Freundinnen zuteil. Beide haben ihren Herren Söhne geschenkt, und eines der Kinder ist sogar sein Erstgeborener!« Ayesha schien sich ehrlich mit den beiden Mädchen zu freuen. Ihr selbst war allerdings mehr an ihrer Musik gelegen als an der Ehe.

»Also heiratet der Mann eine Sklavin, wenn sie von ihm schwanger wird?«, erkundigte sich Beatriz. »Aber dann ... wenn es wahr ist, was du sagst, dass zum Beispiel der Emir mehr als zweihundert Mädchen in seinem Harem hat und mitunter die Nacht mit ihnen verbringt – dann kann doch theoretisch jede schwanger werden! Und schließlich hätte er hunderte von Ehefrauen!«

Ayesha lachte bei der Überlegung. »So viele werden gar nicht schwanger. Eben weil der Herr mal der einen, mal der anderen seine Gunst schenkt. Das ist nicht wie bei den Christen, wo nur eine arme Frau die ganze Last hat und mitunter jedes Jahr ein Kind unter dem Herzen trägt! Und wenn doch, so ist das Kind der Sklavin natürlich anerkanntes Mitglied des Haushalts, erhält eine Ausbildung und wird – so es ein Mädchen ist – später ehrenhaft verheiratet. Aber die Kinder der Ehefrauen haben eine Vorzugsstellung. Und Ehefrauen gibt es natürlich nicht hunderte, sondern allenfalls vier. So viele erlaubt der Koran.«

Beatriz überlegte und musste beinahe lachen. »Hunderte von Mädchen, die sich um vier Hauptpreise bewerben. Bei Gott, die Konkurrenz muss schrecklich sein.«

Ayesha nickte ernst. »In manchen Harems ist sie das. Obwohl es sich nicht ganz so darstellt, wie du meinst. Zum Beispiel schöpfen nur die wenigsten Männer das ganze Kontingent aus. Kaum einer hat wirklich vier Gemahlinnen. Mein früherer Herr hatte nur eine, üblich sind zwei: Die erste Ehe wird von der Familie arrangiert. Der Mann holt eine gesellschaftlich gleichgestellte Frau in sein Haus, die er vorher meist nicht einmal gesehen hat. Das kann Liebe werden, muss es aber nicht. Wenn sich keine Gemeinsamkeiten finden, erhebt der Mann später eine oder zwei Mädchen aus seinem Harem zu Ehefrauen. Und wenn er klug ist, nimmt er Freundinnen seiner ersten Gemahlin. Tut er das nicht, und die beiden Frauen sind sich womöglich spinnefeind, kann die Eifersucht mörderische Formen annehmen. Also sieh zu, dass du dich gut mit der Frau deines Herrn verstehst – und mit seiner Mutter, falls sie noch lebt und seinem Harem vorsteht ...« Ayesha streckte sich und gähnte. »Oh, bin ich müde ... Verschon mich jetzt mit weiteren Fragen, ich glaube, ich gehe zu Bett. Und du brauchst auch Ruhe. Du hast Ringe unter den Augen und Kratzer auf der Haut – das muss alles verschwinden vor deinem großen Tag!«

Ayesha stand auf und zwinkerte Beatriz zu. Die Versteigerung – ihr ›großer Tag‹! Beatriz versuchte, die Angst niederzukämpfen. Sie hatte noch Zeit. Noch konnte ein Brief ihres Vaters eintreffen – oder eine Nachricht ihres Entführers. Sie hätte ihn nach seinem Namen fragen sollen. Dann wäre es vielleicht möglich gewesen, ihm eine Nachricht zu senden. Andererseits hatte sie es nicht nötig, zu Kreuze zu kriechen. Wenn er sie vergessen hatte ... Nein, das konnte nicht sein, das durfte nicht sein!

Als sie später auf einer weichen, mit edelsten Fellen und Kissen bedeckten Bettstatt lag, von Peri und Mariam noch einmal gesalbt und parfümiert, die Wunden mit duftender Heilsalbe behandelt, ertappte sie sich dabei, wie sie von ihm träumte. Wieder sah sie seine spöttischen dunklen Augen vor sich, die so unvermittelt mitleidig und verständnisvoll blicken konnten, seine buschigen Brauen und die hohe Stirn. Erschrocken versuchte sie, sich stattdessen Diegos Gesicht vor Augen zu rufen, aber es wollte ihr nicht gelingen.

Fürchte dich nicht ... ich lasse dich nicht allein. Getröstet von den Abschiedsworten des jungen Mauren, fiel Beatriz in tiefen Schlaf.

»Es gibt eine kleine Veränderung, Prinzessin ...« Ibn Saul betrat den Harem, als die Eunuchen den Mädchen eben ein fürstliches Frühstück aufgetragen hatten: frische Früchte, Mandelgebäck und Honigkuchen. Beatriz’ Vorsätze, sich nicht mästen zu lassen, schwanden immer schneller.

Beim Anblick des Händlers zog Ayesha sogleich den Schleier vors Gesicht. Beatriz hatte gestern gelernt, dass man dieses leichte Gespinst nicht ›Tschador‹ nannte, sondern ›Cobija‹. Es war schicklich, die Cobija aufzuziehen, sobald man mit Männern zusammen traf, und die Mädchen taten dies mit fließenden, selbstverständlichen Bewegungen und natürlich ohne dabei in den Spiegel zu sehen. Beatriz versuchte es jetzt auch, aber Ibn Saul tat ihre ungeschickten Bemühungen mit einer Handbewegung ab.

»Vor mir brauchst du dich nicht zu verhüllen. Zeig mir lieber, wie du aussiehst, meine Blume Kastiliens.« Der Händler legte den Finger unter Beatriz’ Kinn und zwang sie mit sanfter Gewalt, zu ihm aufzusehen. Was er erblickte, schien ihm zu gefallen.

»Sehr schön, meine Blume, du hast gut geschlafen – dein Teint ist rosig, die Augen klar ... und was die kleinen Blessuren angeht ... nun, zwei Tage haben sie ja noch Zeit, um zu heilen. Bis dahin sollten die Kratzer am Körper nicht mehr zu sehen sein. Und deine Beine werden wir dann eben einfach nicht enthüllen ...«

»Meine Beine nicht enthüllen ...« Beatriz blickte verwirrt, und wieder stieg Angst in ihr auf.

»Auf dem Podium, meine Rose. Das ist es, weshalb ich so früh hier erscheine. Deine Versteigerung wurde vorverlegt. Der Emir empfängt morgen Würdenträger aus dem ganzen Land zu einem Kronrat. Die Herren dürften sich übermorgen auf dem Markt umsehen, ein idealer Anlass, dich ihnen vorzustellen. Du wirst sehen, sie werden sich darum reißen, dich mit in ihren Harem zu nehmen.«

»Aber ... mein Vater ...« Beatriz war entsetzt.

»Hat bislang nichts von sich hören lassen, meine Rose. Aber lass die Hoffnung nicht sinken, er hat noch zwei Tage Zeit ...«

Beatriz versuchte verzweifelt, die Tränen zurückzuhalten. Sie wusste genau wie Ibn Saul, dass der Bote ihres Vaters längst hier sein müsste, wenn Alvaro Aguirre wirklich jemanden entsandt hatte. Ein guter Reiter auf einem schnellen, mehrmals gewechselten Pferd konnte die Strecke zwischen der Grenze und Granada in einigen Stunden hinter sich bringen. Ibn Sauls Gesichtsausdruck war deutlich. Wenn bislang kein Bote eingetroffen war, würde wahrscheinlich auch keiner mehr kommen.

Don Alvaro hatte sie offensichtlich aufgegeben.

Nun ruhten all ihre Hoffnungen auf dem Anführer der Männer, die sie geraubt hatten.

Ich lasse dich nicht allein ... Beatriz bemühte sich, nicht in Tränen auszubrechen. Sie klammerte sich an seine Worte.

Die beiden Tage bis zu Beatriz’ Versteigerung wurden hauptsächlich mit der Pflege ihrer Schönheit, der Auswahl von Kleidungsstücken und Schmuck ausgefüllt. Der große Eunuch, offensichtlich zuständig für die modische Ausstattung der Mädchen, wählte leichteste Chiffonhosen und ein ebenso durchsichtiges Unterkleid in zartestem Blau für sie aus. Dazu kamen sieben Schleier in verschiedenen Blauschattierungen, die kunstvoll um Körper und Haar drapiert wurden.

Beatriz wehrte sieh zunächst heftig.

»Das kann ich nicht anziehen! Es ist vollständig durchsichtig! Ich könnte ebenso gut nackt auf die Straße gehen!«

»Du gehst nicht auf die Straße, man wird dich in einer Sänfte zu den Markthallen tragen«, versuchte Ayesha sie zu beruhigen. »Außerdem wird das Gewand völlig durch die Schleier verdeckt. In der Öffentlichkeit wird man keinen Fetzen deiner Haut sehen. In diesem Unterkleid soll dich nur dein Herr bewundern. Es dient dazu, deine Reize zu unterstreichen, nicht, sie zu verdecken.«

Beatriz verzichtete darauf, ein weiteres Mal zu erklären, dass die Augen ›ihres Herrn‹ für sie genauso fremd und lüstern sein würden wie die jedes beliebigen Passanten. Zweifellos hob das Chiffongespinst jedoch ihre Schönheit hervor. Es ließ ihre Rundungen noch weicher, ihre geschmeidigen Bewegungen noch anmutiger wirken. Ayesha hatte ihr gezeigt, um wie viel erotischer es den Gang wirken ließ, wenn man die Hüften dabei schwingen ließ, und Beatriz ertappte sich dabei, wie sie es vor dem Kupferspiegel probierte. Nicht, dass sie vorhatte, sich so vor irgendwelchen Käufern zu produzieren! Aber dennoch sog sie Ayeshas Lehren durstig in sich auf. Die Mädchen im Harem wussten unendlich viel mehr über den weiblichen Körper, die Listen der Verführung und die Freude daran, sich und anderen Lust zu bereiten, als die frommen Frauen Kastiliens, die Beatriz die wichtigsten Dinge über Liebe und Fruchtbarkeit gelehrt hatten.

Tatsächlich war Beatriz züchtig gekleidet, als endlich alle Schleier um ihren Leib drapiert waren. Die Versteigerung war für den Nachmittag angesetzt, und vom frühen Morgen an bemühten sich vier speziell ausgebildete Zofen nur darum, das Mädchen in eine perfekte Schönheit zu verwandeln. Es begann mit der üblichen Badezeremonie, dann wurde endlos gekämmt, geschminkt und angekleidet. Inzwischen schien das ganze Haus Ibn Sauls von Unruhe zu schwirren. Bis in die Frauengemächer und Bäder klangen Rufe und Männerstimmen, auch in der Küche wurde mit Hochdruck gearbeitet. Wieder war es Ayesha, die Beatriz den Grund dafür verriet.

»Die Versteigerung wird hier stattfinden. Du bist eine kleine Sensation, Beatriz, man wird dich nur den ausgesuchtesten Herren anbieten. Ibn Saul hat persönliche Einladungen ausgesprochen. Die Männer, die um dich bieten werden, sind die Reichsten und Mächtigsten Granadas. Du könntest wirklich einmal lächeln, Sayyida!«

Beatriz sah keinen Grund, sich über die Privatveranstaltung zu freuen, die man aus ihrem Verkauf machte- Im Gegenteil. Der einzige Mann, den sie zu sehen hoffte, hatte wahrscheinlich nicht einmal eine Einladung erhalten. Ein kleiner Hauptmann des Heeres gehörte sicher nicht zu den Reichsten und Mächtigsten von Granada. In ihrer Verzweiflung wandte sie sich an Ibn Saud.

»Die ... Männer, die mich gefangen genommen haben .... werden die auch zur Auktion kommen?«, erkundigte sie sich, als der Händler in die Frauengemächer kam, um sich vom erfolgreichen Fortgang der Vorbereitungen zu überzeugen. Ibn Saul hatte sich offensichtlich bereits für das Ereignis der Versteigerung angekleidet. Er trug Seidenhosen und eine kostbare Robe aus buntem Brokat.

»Warum, meine Blume?« Ibn Saul richtete den Sitz eines Schleiers über Beatriz’ Schulter. »Fürchtest du sie? Dann werde ich sie hinter einem Vorhang platzieren. Verwehren kann ich ihnen den Zugang kaum, sie wollen schließlich selbst sehen, welchen Preis du erzielst.«

Beatriz fühlte sich fast erleichtert.

»Ihr Anführer ...« Sie wusste nicht, was sie sagen sollte. Im Grunde hatte der Mann ihr ja nichts versprochen, vielleicht war es nur eine dumme Idee von ihr, dass er mit bieten wollte.

Ibn Saul nickte. »Natürlich. Selbstverständlich ist eine Einladung an den Palast entsandt worden. Mach dir keine Gedanken, meine Rose Kastiliens. Alles wird gut, wir werden einen hervorragenden Herrn für dich finden. Warte ab ... Wenn du es geschickt anstellst, gehören deine Söhne einst zu den führenden Männern des Emirates.

Und nun beeilt euch alle ein wenig. Die ersten Besucher sind bereits eingetroffen, ich muss mich um sie kümmern.«

Der kleine Händler eilte davon, während Peri und Mariam letzte Hand an Beatriz’ Erscheinung legten. Auch Ayesha schaute noch einmal herein, um ihr Glück zu wünschen.

Beatriz zitterte inzwischen vor Angst und Aufregung.

»Kannst du nicht mitkommen, Ayesha?«, flüsterte sie. »Sie werden alle über mich reden, und ich werde kein Wort verstehen. Du könntest für mich übersetzen.«

Ayesha lachte. »Natürlich nicht. Welch ein Gedanke! Ibn Saul würde niemals ein anderes Mädchen neben dir auf dem Podium dulden. Dies ist dein großer Auftritt, Beatriz! Du solltest ihn genießen, statt dreinzublicken wie an einem Regentag. Bei Allah, Beatriz, in Kastilien wärest du doch auch nicht gefragt worden, wenn dein Vater dich an einen wichtigen Geschäftsfreund hätte verheiraten wollen! Sieh es einfach so. Wie eine arrangierte Ehe.«

»Ich hatte einen Verlobten. Ich hatte eine Liebe! Niemals werde ich einem anderen angehören!« Beatriz fuhr auf.

Ayesha machte eine abwinkende Handbewegung. In den letzten Tagen hatte sie diese Beteuerungen aus Beatriz’ Mund schließlich bis zum Überdruss gehört.

»Das klärst du dann mit deinem neuen Herrn«, beschied sie. »Und nun viel Glück. Ich höre die Diener. Wie es aussieht, ist es so weit.«

»Werden wir uns wieder sehen?«, fragte Beatriz verängstigt.

Ayesha zuckte die Schultern. »So Allah es will. Vielleicht nimmt dich dein neuer Herr nicht gleich mit in sein Haus, vielleicht doch. Wir werden es sehen. Und womöglich endest ja auch du im Harem der Alhambra. Schön genug dafür bist du. Allah segne dich!«

Ayesha zog Beatriz vorsichtig in die Arme und küsste sie auf die Wange, bedacht, ja keinen Schleier zu zerdrücken oder Schminke zu verschmieren. Dann ging sie.

Beatriz hatte sich noch nie in ihrem Leben so allein gefühlt.

Viel Zeit blieb ihr allerdings nicht, mit dem Schicksal zu hadern. Ayesha hatte richtig gehört. Gleich darauf traten zwei Eunuchen ein, verbeugten sich ehrerbietig vor Beatriz und führten sie in den Korridor vor dem Empfangsraum und Garten Ibn Sauls. Dort bedeuteten sie ihr, in eine bereitstehende, mit Schleiern verhängte Sänfte zu steigen. Aus dem Garten hörte man Gespräche, Gelächter und Stühlerücken. Einer der Eunuchen zog ein feines Chiffongespinst vor den Eingang zu Beatriz’ Sänfte, und gleich darauf fühlte sie, wie sie aufgehoben wurde. Die Haremswärter trugen sie in Ibn Sauls offenen Empfangsbereich. Hinter dem Schleier erkannte sie schemenhaft, dass man sie auf einem Podest absetzte. Im Garten waren Tische und Stühle aufgebaut, offenbar ließ Ibn Saul Erfrischungen reichen. Das Geplauder der Männer war jetzt jedoch verebbt. Gespannt blickten alle auf die Sänfte, in der Ibn Saul seine Ware präsentierte.

Vor Aufregung, Angst und unterdrückter Wut zerriss Beatriz einen ihrer Schleier in der Hand. Es war frustrierend, hier wie ein Geschenk in der Verpackung sitzen zu müssen, während Ibn Saul eine eröffnende Rede hielt. Natürlich sprach er Arabisch, und Beatriz verstand kein Wort. Aber dann zog er mit großer Geste die Schleier von der Sänfte. Der Garten, angefüllt mit Männern jeglichen Alters, tat sich vor Beatriz auf. Sie zwinkerte ins Helle.

Ibn Saul redete inzwischen weiter. Dabei trat er auf die Sänfte zu, bot Beatriz galant den Arm und wies sie an, auszusteigen und auf einem Diwan in der Mitte des Podiums Platz zu nehmen.

Beatriz wusste, dass sie als züchtiges kastilianisches Mädchen die Augen gesenkt halten musste. Sie war entschlossen, nichts, aber auch wirklich gar nichts zu tun, um Ibn Saul sein Vorhaben zu erleichtern. Andererseits brannte sie darauf zu sehen, ob ihr Entführer anwesend war. Also hob sie verstohlen den Blick. Die Männer reagierten mit bewundernden Lauten, als sie dabei das Blau ihrer Augen aufblitzen sahen. Unschuldig, ängstlich, das Meer an einem Regentag ...

Ibn Saul kommentierte ihren Auftritt wortreich, während sich Beatriz’ Pupillen erschrocken weiteten: Sie sah direkt in die farblosen Augen Mammars al Khadiz’! Der Greis freute sich offensichtlich, dass sie ihn wieder erkannte, und nickte ihr strahlend zu. Beatriz’ Blick begann Funken zu sprühen.

Wo, um Himmels willen, steckte ihr Entführer?

Während Beatriz versuchte, den Garten möglichst unauffällig auszuspähen, näherte sich ihr Ibn Saul und zog ihr mit einer raschen Bewegung den ersten Schleier vom Körper. Beatriz zuckte erschrocken zurück, war aber sonst noch nicht übermäßig beunruhigt. Nach wie vor war sie züchtig bedeckt; das Einzige, was der Schleier enthüllte, waren ihre schmalen, feingliedrigen Hände und die zierlichen Füße in blauen Seidenpantoffeln.

Die Männer schienen sich allerdings schon am Anblick ihrer Fußgelenke zu berauschen. Ibn Khadiz befeuchtete sich die Lippen. Dann hob er die Hand und rief eine paar Worte in den Saal.

Offensichtlich das erste Angebot.

Eine jüngere Stimme aus dem hinteren Bereich des Gartens konterte.

Beatriz vergaß alle Zurückhaltung und hielt Ausschau nach dem Sprecher. Sie kannte diese Stimme. Hoffnungsvoll bückte sie auf einen kleinen Tisch in der hintersten Ecke des Hofes, an dem ein Mann allein saß und anscheinend ziemlich unbeeindruckt an einem Julep nippte.

Nein, das war nicht der Gesuchte. Aber dennoch ein bekanntes Gesicht. Hammad. Beatriz verstand die Welt nicht mehr. Der junge Mann hatte sie offensichtlich nicht sehr gemocht. Warum wollte er sie jetzt wohl ersteigern?

Ibn Saul lächelte. Diese ersten Gebote nahm er offensichtlich gar nicht ernst. Nach einem kurzen Blick in die Runde zupfte er an einem dunkelblauen Schleier an Beatriz’ Schulter. Das Gespinst löste sich sofort, wie durch Geisterhand gelockert. Beatriz schwante dabei Schreckliches: Wollte der Mann sie hier langsam enthüllen? Schleier für Schleier entfernen und die Lust der Männer mehr und mehr aufstacheln? Die Entfernung des zweiten Schleiers ließ ihre Körperformen nun erahnen. Außerdem wurde die Spitze einer rotgoldenen Locke enthüllt. Die Männer stöhnten auf.

Diesmal blieb es auch nicht bei einem weiteren Angebot Ibn Khadiz’. Drei oder vier der Männer begannen den Preis hochzutreiben. Hammad konterte gleichmütig. Beatriz überlegte inzwischen, ob der junge Mann eventuell als Strohmann diente. Vielleicht konnte ihr Maure aus irgendeinem Grund nicht hier sein und hatte seinen Freund entsandt. Hoffnungsvoll und fragend blickte sie zu Hammad herunter, aber der junge Mann reagierte nicht.

Ibn Saul Sprach ein paar missbilligende Worte. Offensichtlich reichten ihm die Gebote noch nicht annähernd. Mit großer Geste streichelte er über Beatriz Kopf und entfernte dabei einen weiteren Schleier.

Das Mädchen erzitterte. Ihr war nur zu bewusst, wie deutlich sich ihre Brüste unter den verbleibenden hauchdünnen Seiden- und Chiffonschichten abzeichneten. Sie errötete, was unter den Gesichtsschleiern zwar noch kaum erkennbar war, aber auch die Haut ihres jetzt entblößten Halses und Dekolletees rosig schimmern ließ.

Auch Ibn Khadiz stieg inzwischen die Röte der Erregung ins Gesicht. Er wechselte ein paar Worte mit einem jüngeren Mann, der neben ihm saß, bislang aber noch kein Gebot abgegeben hatte.

Die Gebote folgten jetzt rasch aufeinander, Ibn Saul wirkte besänftigt.

»Komm, steh einmal auf, meine Rose!«, forderte er Beatriz auf und reichte ihr die Hand. Das Mädchen folgte der Anweisung verwirrt und fuhr gleich darauf zusammen, als Ibn Saul geschickt den Schleier um ihre Hüften zu Boden sinken ließ. Damit bot sich den Männern der Blick auf ihre wohlgeformten Beine, ihre schwellenden, weißen Schenkel, betont durch die hauchdünnen Pluderhosen, deren Stoff das Fleisch lockend umspielte. Beatriz versuchte, sich zusammenzukrümmen und ihren verbleibenden Schleier tiefer zu ziehen. Damit enthüllte sie aber das durchsichtige Chiffonobergewand und ließ ihre Brüste sehen. Die Männer im Publikum applaudierten, pfiffen – und trieben den Preis immer höher. Beatriz war nah daran, vor Scham in Tränen auszubrechen.

Ibn Saul beobachtete das mit Sorge. Hier musste etwas geschehen!

Der gewiefte Händler sprach ein paar weitere Worte zu seinen Gästen und wechselte dabei ins Spanische.

»Ihr seht, meine Herren, eine züchtige Jungfrau. Mir ist jedoch zu Ohren gekommen, dass sie in den Künsten der Liebe weitaus bewanderter ist, als das hier scheinen mag ...«

Beatriz wirbelte empört zu ihm herum. Wobei der Händler mit einem Lächeln den ersten Schleier vor ihrem Gesicht lüftete. Die Männer im Saal sahen die zornsprühenden blauen Augen, das rosige, ausdrucksvolle Gesicht, die bebenden Lippen ... Als das Mädchen sich wütend aufrichtete, fiel dazu der letzte Schleier, der ihre Figur vor den Blicken verbarg.

In Beatriz’ Zügen wechselte die Stimmung zwischen Scham, Wut und Angst; ihre Augen schienen abwechselnd tiefblau, aquamarin und fast schwarz zu leuchten.

Hammad grinste anzüglich und machte dann ein weiteres Angebot. Beatriz hätte schreien können. Sie meinte nun zu wissen, warum ihr Entführer anwesend war. Hammad gedachte, den Preis hochzutreiben!

Beatriz schleuderte ihm aquamarinblaue Blitze entgegen.

Die Männer im Hof applaudierten zuerst, wurden dann aber still, als weitere Gebote ausgesprochen wurden. Die Meldungen wurden spärlicher, dafür aber vom Publikum mit Spannung erwartet. Offensichtlich waren Summen erreicht, die auch den hier versammelten Reichen den Schweiß auf die Stirn trieben. Al Khadiz jedenfalls schwitzte heftig, er war inzwischen hochrot im Gesicht und rang die Hände. Trotzdem gab er noch ein Gebot ab. Erneut konterte Hammad. Al Khadiz verbarg das Gesicht in den Händen. Für ihn schien das Limit erreicht. Beatriz verspürte vage Erleichterung. Wenigstens das Bett dieses Mannes würde ihr erspart bleiben. Die verbleibenden Interessenten saßen in der Mitte des Hofes. Beatriz konnte ihre Gesichter nicht sehen, aber sie schienen zumindest jünger zu sein als der Greis. Einer von ihnen wirkte allerdings unförmig dick.

Er machte das nächste Gebot. Und nun schien es ernst zu werden. Ibn Saul wiederholte die Summe zweimal und setzte zur dritten Wiederholung an. Beatriz zitterte unkontrolliert.

Hammad hob zögernd die Hand. Ibn Saul begrüßte das überschwänglich.

Al Khadiz konnte sich nicht bezähmen. Seine Hand schien wie von unsichtbaren Fäden nach oben gezogen. Leise und heiser stammelte er ein Gebot. Ibn Saul wiederholte es laut.

»Zum Ersten ... zum Zweiten ...«

Der Bieter neben dem Dicken zeigte ein fast unmerkliches Kopfnicken. Dann rief er eine weitere Summe in den Hof.

Al Khadiz brach über dem Tisch zusammen. Er war geschlagen, offensichtlich hätte er sich schon mit dem letzten Angebot fast ruiniert. Auch Hammad schüttelte fast bedauernd den Kopf. Der Mann musste ein Vermögen geboten haben.

Auch Ibn Saul schien sicher zu sein, dass damit der Zuschlag erfolgen würde. Er leierte sein »Zum Ersten ...« ungewohnt schnell herunter.

Dann aber wurde er im letzten Augenblick unterbrochen.

Der Mann am Tisch neben Al Khadiz hob lässig die Hand.

Ibn Saul blieb der Mund offen stehen. Fassungslos blickte er an Beatriz herunter, unfähig, die Summe zu erfassen, die der Mann da für ein einziges, rotblondes Mädchen bot. »Er hat ...«, flüsterte er, »... er hat das letzte Gebot verdoppelt!«

Beatriz erlebte wie in Trance, dass die beiden Eunuchen sie wieder in die Sänfte schoben und den aufgeregten Mädchen Peri und Mariam übergaben. Die zwei sollten dafür sorgen, dass sie umgekleidet und für die Reise mit ihrem neuen Herrn vorbereitet wurde.

Sein Name, so erfuhr sie, war Achmed ibn Baht, ein schwerreicher Kaufmann aus Al Mariya. Offensichtlich besaß er aber auch ein Haus in Granada, denn Beatriz sollte heute noch in ihren neuen Harem umziehen.

Das Mädchen war zunächst wie betäubt, aber als die Zofen sie erneut schminkten und parfümierten, brodelte Zorn in ihr hoch.

Verkauft! Versteigert wie ein Pferd aus dem Stall ihres Vaters! Wo war Alvaro Aguirre? Und wo steckte der hinterhältige Maure, der ihr mit so schönen Worten Mut gemacht und sie dann schmählich im Stich gelassen hatte? Natürlich, jetzt wusste sie, worauf all das abgezielt hatte! Er hatte sie ruhig halten, in Sicherheit wiegen wollen, damit sie sich freiwillig zur Schlachtbank zerren ließ, statt auf dem Podium zu schreien und zu toben! Und zuletzt dieser, der den Preis hochdrückte und dann auch noch die Stirn hatte, ihr bedauernd zuzublinzeln!

Aber Achmed ibn Baht würde keine Freude an ihr haben! Eher kratzte sie ihm die Augen aus, als dass sie ihm erlaubte, sie zu schänden. Sie würde Diego treu bleiben, bis in den Tod. Sie würde als Märtyrerin für ihre Liebe sterben. Aufrecht, furchtlos ... Beatriz Aguirre brach in Tränen aus.

Schleier des Herzens

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