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Drittes Kapitel

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Noch ganz aufgewühlt von dem plötzlichen Abschied von ihrem Entführer, folgte Beatriz Hammad durch die geschäftigen Straßen der Hauptstadt. Granada schien ein einziger, großer Markt zu sein. Es gab ganze Straßenzüge, in denen nur edle Stoffe angeboten wurden, andere, in denen Töpfer öder Waffenschmiede ihre Waren feilhielten – und irgendwie schwante es Beatriz, dass es auch spezielle Plätze für den Handel mit Sklaven geben musste.

Immerhin brachten alle Bürger der Stadt Beatriz äußerste Ehrerbietung entgegen. Amirs Männer hielten stets eine Gasse für sie frei und geleiteten sie sicher auch durch die überfülltesten Straßen. Schließlich erreichten sie ein großes Eckhaus, hinter dem sich zu Beatriz’ Schrecken der Sklavenmarkt befand. Sie erhaschte einen Blick auf eine Gruppe riesiger Schwarzer, die auf einem Podium standen und angepriesen wurden, sowie ein paar scheue, junge Mädchen, die ängstlich den Schleier vors Gesicht hielten. Bestimmt eher Hausmädchen als ›Blüten des Harems‹ ...

Doch bevor Beatriz mehr sehen konnte, bedeutete Hammad ihr vor einer Tür stehen zu bleiben. Während einer der Männer anklopfte, half er dem Mädchen vom Pferd.

Der Mann, der die Tür öffnete, war offensichtlich ein Diener. Er verneigte sich vor Hammad und anschließend noch einmal und fast noch beflissener vor Beatriz. Dann ließ er sie ein. Sie standen in einem geräumigen Innenhof, der um eine runde Pferdetränke herum errichtet worden war. Knechte nahmen ihnen die Pferde ab, und Hammad bedeutete Beatriz, ihm zu einer weiteren Pforte ins Innere zu folgen. Erneut ein Hof, aber diesmal ohne Ställe und geschäftig herumeilendes Personal. Anstelle der Tränke gab es Springbrunnen und lang gezogene, flache Wasserbecken, die sicher im Sommer für Kühlung sorgten. Kunstvoll gestaltete Blumenkästen waren bunt bepflanzt.

Hammad wartete geduldig, bis der Diener mit einer Nachricht von seinem Herrn wiederkehrte. Dann folgten sie ihm durch den Hof, in einen zum Garten hin geöffneten, mit Kissen und Leuchtern wohnlich gestalteten Empfangsraum. Beatriz bewunderte weiche Teppiche, winzige, fein ziselierte Öllämpchen und Miniaturen. Der Besitzer dieses Hauses musste ein reicher Mann sein.

»Abraham ibn Saul« kündigte der Diener seinen Herrn an.

Das klang nach einem Juden. Beatriz wunderte sich. In Kastilien waren Juden eher geduldet als geachtet. Nur wenige würden es wagen, eventuellen Reichtum so zur Schau zu stellen wie der Herr dieses Hauses.

Abraham ibn Saul war ein kleiner, untersetzter Mann mit wachen, leuchtend blauen Augen. Er lächelte Hammad zu und begrüßte ihn zuvorkommend, aber nicht unterwürfig. Auch vor Beatriz verbeugte er sich.

Hammad hob an, seine Geschichte zu erzählen. Offensichtlich führte er blumig aus, wie die Männer Beatriz erbeutet hatten, und ab und zu lachte er dabei. Beatriz wurde glühend rot. Sie verstand zwar kein Wort, konnte sich aber gut vorstellen, was Hammad da ausplauderte. Ibn Saul lachte jedoch nicht mit, sondern sah den jungen Mann eher missbilligend an, wenn er Anzüglichkeiten von sich gab.

Am Ende sagte er ein paar Worte zu Hammad und wandte sich dann an Beatriz.

»Seid willkommen in meinem Haus, Sayyida, und fürchtet Euch nicht. Die Umstände, unter denen wir uns kennen lernen, mögen Euch unerfreulich erscheinen, aber glaubt mir, Euer neues Leben hat auch seine guten Seiten. Ein granadinisches Heim wird Buch einen Luxus bieten, von dem Ihr in Kastilien nur träumen könnt! Meine Kundschaft besteht ausschließlich aus gebildeten, gepflegten Herren aus bester Familie. Sie pflegen ihre Konkubinen ehrenhaft zu behandeln ...«, er kicherte, »und oft etwas zu sehr zu verwöhnen.«

»Mein Vater wird mich freikaufen!«, platzte Beatriz heraus. Daher kam also der Reichtum dieses Juden. Ein Sklavenhändler!

»Gewiss, meine Schöne! Wenn Ihr das sagt ... An mir soll es jedenfalls nicht liegen, Eurem Vater wird noch heute ein angemessenes Angebot unterbreitet werden. Nur seid nicht zu enttäuscht, wenn er es ablehnt. Es kommt sehr selten vor, dass ein Mädchen ausgelöst wird. Doch nun lasst mich zunächst an Eurer Schönheit teilhaben ...« Mit einer Handbewegung forderte Ibn Saul Beatriz auf, den Tschador zu lüften, überlegte es sich dann aber im letzten Moment anders. »Oder nein, wartet, wir wollen den jungen Mann erst wegschicken. Unzweifelhaft hat er schon mehr von Eurem Anblick genossen, als gut für ihn ist ...«

Ibn Saul entließ Hammad mit ein paar freundlichen Worten. Der Maure verneigte sich noch einmal vor Beatriz, bevor er den Garten verließ.

»Und nun, bitte, legt den Schleier ab.«

Ibn Saul war wirklich zuvorkommend. Beatriz entspannte sich etwas. Eigentlich hatte sie eher damit gerechnet, dass ihr ein Sklavenhändler die Sachen vom Leib reißen würde.

Rasch zog sie den Tschador aus. Darunter bot sie einen seltsamen Anblick in ihrem zerrissenen Reitkleid und der nach dem Reiten schmutzigen und an einigen Stellen auch durchgebluteten Pluderhose. Ibn Saul musterte sie mit gerunzelter Stirn. Beatriz errötete und versuchte, das Kleid so zurechtzurücken, dass wenigstens ihre Brüste schicklich verdeckt waren. Über der linken Brust war das Mieder von Dornen aufgerissen. Da zog sich auch eine blutige Strieme über ihr weißes Fleisch.

Trotz dieses Makels registrierte der Händler feste, aber doch schwellende Brüste, eine sehr schlanke Taille ...

»Wenn Ihr nun bitte auch das Beinkleid ablegen könntet?«, bat Ibn Saul. »Ich muss mir ein vollständiges Bild von Euch machen können.«

»Ihr müsst ... Soll das heißen, ich soll mich hier völlig entkleiden?« Sogleich drapierte Beatriz die Kleiderreste noch entschlossener um ihren Körper.

Ibn Saul lächelte und schüttelte den Kopf über ihre Naivität. »Kindchen, Ihr verkennt Eure Lage. Ich betrachte Euch nicht mit lüsternen Blicken, mir geht es nur um Eure Einschätzung als ...«

»Ware?«, fragte Beatriz mit schneidender Stimme.

Ibn Saul registrierte wohlgefällig, wie die Wut Leben in ihr Gesicht brachte. Fürwahr, ein leidenschaftliches Weib! Man würde bei der Auktion nur versuchen müssen, sie in Wallung zu bringen. Wenn ihre Augen erst Funken sprühten, würde keiner der Bieter widerstehen können.

»In gewisser Weise ist es so«, gab er zu. »Auch wenn ich mich mehr als Vermittler zwischen den Herren und den künftigen Blüten ihres Harems betrachte. Nun legt diese Fetzen bitte ab, Eure Scham vor mir ist völlig unangebracht.«

Blutrot im Gesicht schälte sich Beatriz aus den Pluderhosen. Ihre wohlgeformten Schenkel waren nach wie vor mit Kratzern und Schürfwunden übersät. Aber dennoch – festes Fleisch, wohlgeformte Rundungen, zierliche Gelenke. Und dazu dieses unglaublich ausdrucksstarke Gesicht, die Flut rotgoldenen Haares ... Ibn Saul pfiff leicht durch die Zähne.

»Dieser Hammad hat nicht übertrieben. Ihr seid viel versprechend. Allerdings zurzeit in einem unmöglichen Zustand! Ich werde Euch jetzt etwas herrichten lassen und später noch einmal begutachten.«

Der Händler griff nach einem Glöckchen, ließ es erklingen, und sogleich wurde das melodische Läuten mit dem Erscheinen zweier Mädchen beantwortet. Beide waren sehr hübsch und trugen ähnlich weite Hosen und Obergewänder wie die Frauen in der Stadt. Ihre Kleidung war jedoch nicht aus Leinen, sondern aus feinster Seide. Die Schleier über ihrem Haar und vor ihren Gesichtern betonten ihre Schönheit mehr, als dass sie diese verdeckten. Lächelnd verneigten sich die Mädchen vor ihrem Herrn und ebenso vor Beatriz. Letztere trafen neugierige und auch etwas mitleidige Blicke aus den schwarzen Augen der Maurenmädchen.

»Mariam und Peri sprechen Eure Sprache leider nicht, aber sie werden Euch ins Bad geleiten und auch sonst für Euer Wohlbefinden sorgen. Ihr könnt ihnen völlig vertrauen, sie sind erfahrene Badefrauen und wahre Künstlerinnen, wenn es um die Pflege Eurer Schönheit geht.« Ibn Saul verbeugte sich noch einmal vor Beatriz und entließ sie dann zusammen mit den Mädchen.

Die beiden führten sie aus dem Gartenzimmer ins Haus. Durch einen Korridor ging es direkt in den Badebereich. Verwundert trat Beatriz in kunstvoll gekachelte Räume. Der erste diente offensichtlich dem Auskleiden, er war wohnlich gestaltet, nur ein kleiner Springbrunnen in seiner Mitte wies auf seine Zugehörigkeit zum Bäderbereich hin.

Lächelnd halfen die beiden Mädchen Beatriz aus ihrem zerrissenen Reitkleid, dem schmutzigen Korsett und der Unterbekleidung. Eine der beiden warf einen prüfenden Blick auf letztere. Kein Blut. Beatriz begriff. Ibn Saul musste die Mädchen mit einer diskreten Untersuchung ihrer Jungfräulichkeit beauftragt haben.

Die andere Maurin streichelte über Beatriz’ Haar und gab offenkundig bewundernde Bemerkungen von sich.

Beatriz fühlte sich jedoch nicht geschmeichelt, sondern eher gehemmt. Auch wenn nur die Mädchen anwesend waren, schämte sie sich ihrer Nacktheit. In Kastilien badete man selten, und wenn, dann wurde ein Zuber in die Privaträume gebracht. Man lief nicht im Evaskostüm von einem Gemach ins andere. Hier schien allerdings niemand etwas dabei zu finden. Fröhlich lächelnd und plappernd führten Mariam und Peri das Mädchen in den nächsten Raum, in dessen Boden ein gefliestes Becken eingelassen war. Beatriz glitt in warmes Wasser, während Mariam ihre leichte Kleidung ebenfalls rasch abwarf, zu ihr ins Becken stieg und sie mit wohlriechenden Seifen zu waschen begann. Zunächst fühlte Beatriz sich peinlich berührt, aber bald genoss sie die sanften Berührungen. Es war wunderbar entspannend, im warmen Wasser zu Hegen und sich verwöhnen zu lassen.

Beatriz bedauerte es fast, als Mariam ihr bald darauf bedeutete, aus dem Wasser zu steigen und den nächsten Raum zu betreten. Zu ihrer Verblüffung entpuppte er sich als Dampfbad. Wohlriechende Essenzen trieben in Dampfschwaden durch den kleinen Raum. Eine andere junge Frau, die das Bad gerade verließ, lächelte Beatriz und den Mädchen zu. Peri zeigte auf eine Holzbank, auf der Beatriz sich ausstrecken sollte. Während sie Wärme, Dampf und Duft genoss, massierte das Mädchen ihre Arme und Beine geschickt, bis ihre verspannten, schmerzenden Muskeln sich zusehends lockerten. Sie spürte, wie sich ihre Brustwarzen unter der Berührung der Mädchen aufrichteten, und räkelte sich wohlig unter der Massage ihrer Schenkel. Beinahe hätte sie aufgestöhnt. Fast unglaublich, dass es Mädchenfinger waren, die ihr solche Wonnen bereiteten. Beatriz wehrte sich nicht, als Peri sich schließlich näher und näher an jenen geheimen Bereich zwischen ihren Schenkeln herantastete. Das Mädchen knetete ihren Venushügel, und schließlich wanderte sein geschickter Finger rasch bis nah an die Pforte ihrer Lust. Beatriz schrak auf, unsicher, ob sie es genießen oder sich empören sollte. Aber Peri lächelte ihr nur ermutigend zu. Sie würde ihrem Herrn Positives zu berichten haben! Diese kastilianische Schönheit war wirklich noch unberührt.

Schließlich erklärten die Mädchen auch diesen Badegang für beendet. Beatriz vermerkte erfreut, dass der nächste Raum ein großes Becken mit kaltem Wasser bereithielt. Die junge Frau von eben schwamm sogar darin herum und schien sich ihrer Nacktheit in keiner Weise zu schämen! Beatriz war mehr als verwundert. In Kastilien wäre niemand im Traum darauf gekommen, einem Mädchen Schwimmen beizubringen. Verstohlen musterte sie die Figur der jungen Frau, während Mariam und Peri ihr zunächst den Schweiß abwuschen, bevor sie ihr erlaubten, ins Becken zu steigen. Das Mädchen war makellos schön, seine Haut zartbraun, wie die Blätter des Eukalyptusbaums, wenn man sie an der Sonne trocknete. Langes schwarzes Haar, in der Mitte gescheitelt, fiel über ihren Rücken und schwebte im Wasser wie die Locken einer Meerjungfrau. Zu diesem Bild passte auch ihr knabenhaft schlanker Körper. Geschmeidig wie ein Delphin bewegte sich das Mädchen im Wasser.

Allerdings hatte Beatriz nicht viel Zeit, den Anblick zu bewundern. Weder beendete die andere ihr Bad eben in dem Augenblick, in dem Beatriz das ihre begann; zwei Badefrauen hüllten sie in weiche Badetücher und begleiteten sie hinaus. Beatriz genoss inzwischen die Abkühlung nach dem Dampfbad. Zunächst lag sie still am Rand, aber dann versuchte sie auch ein wenig zu plantschen, Sie hatte sich noch nie im Wasser bewegt, und die Erfahrung war seltsam und sinnlich. Kleine Wellen, ausgehend von einem Springbrunnen in der Mitte des Beckens, verwöhnten ihre Brüste und Lenden. Beatriz spürte eine seltsame Erregung. Vorsichtig spreizte sie die Beine und ließ das kühle Nass auch ihre geheimsten Orte umspielen. Peri und Mariam lachten sie an, glitten zu ihr ins Wasser und zeigten ihr die ersten Schwimmbewegungen. Sie kicherten, als Beatriz dabei beinahe mit dem Gesicht unter Wasser geriet. Schließlich stützten sie ihren Körper, während Beatriz versuchte, ihre Bewegungen nachzuahmen. Bald überließ sie sich ganz ihren geschickten Händen. Sie hätte es sich niemals eingestanden, aber dieses Bad im Hause Ibn Sauls bot sinnlichere Genüsse, als sie sich je erträumt hatte.

Die letzte Station war dann noch einmal ein warmes Bad. Peri wusch sie mit parfümiertem Wasser, während Mariam ihr Haar einschäumte, gründlich auswusch und dann mit Rosenwasser spülte. Schließlich trockneten die Mädchen sie ab und führten sie zu einer mit weichen Badetüchern bedeckten Liege. Erneut begann Mariam sie zu massieren. Sie verteilte duftende Öle auf ihre Arme und Beine, die Brüste und den Bauch. Mariams unglaublich bewegliche Finger kreisten über die Muskeln ihrer Schultern und Arme, während Peri eine wohlriechende Paste auf ihr Gesicht aufbrachte und sie anschließend mit winzigen Bewegungen in die Gesichtshaut einzubringen. Beatriz überließ sich dem wohl dosierten Druck der Hände auf ihrem Gesicht und Körper. Diesmal war er weniger fordernd als vorher im Dampfbad, und die Behandlung wirkte so beruhigend, dass sie fast dabei einschlief.

Die Mädchen ließen sie tatsächlich etwas ruhen, als die Massage beendet war. Schließlich richtete sich Beatriz entspannt lächelnd auf – und zog erschrocken das Handtuch um sich, als sie plötzlich einen Mann am Fuß der Liege stehen sah. Der Mann war groß und kahlköpfig, sehr korpulent, und er kicherte wie ein Mädchen, als er Beatriz’ Entsetzen bemerkte.

Peri und Mariam lachten ebenfalls und zwitscherten Beatriz etwas zu, aber natürlich verstand sie kein Wort. Peri verlegte sich daraufhin auf Zeichensprache.

»Nimm das Handtuch herunter«, bedeutete sie Beatriz. »Der da ist ...«

Peri griff in ihren Schritt, zeichnete ein männliches Geschlechtsteil in die Luft und machte die Gebärde des Abschneidens. Mariam konnte sich vor Kichern kaum halten.

Beatriz’ Augen wurden riesig. Das war ... ein Eunuch? Sie hatte von der Praxis der Mauren gehört, Haremswärter zu entmannen, aber im Grunde hatte sie sich das ebenso wenig vorstellen können wie die Idee, Frauen auf Märkten zu versteigern.

Der Mann nickte und verbeugte sich lächelnd. Beatriz wurde glühend rot, gestattete ihm aber, ihren Körper ausgiebig zu mustern. Das Ergebnis schien ihn zu befriedigen. Offensichtlich gab er den Mädchen ein paar Anweisungen, die Beatriz daraufhin in ein Handtuch hüllten und aus dem Ruheraum führten. Nebenan lag eine Art Schmink- und Ankleidezimmer. Das Mädchen von eben saß dort bereits auf einem bequemen Kissen, während ihre Badefrauen damit beschäftigt waren, Perlen in ihr Haar zu flechten und ihre Hände mit kunstvollen Ranken aus Henna zu bemalen. Mit Letzterem schien sie nicht ganz zufrieden, und sie wies die Badefrau an, sich ihren Handrücken noch intensiver zu widmen.

»Es betont die Beweglichkeit und Schönheit meiner Hände, wenn ich die Laute spiele«, erklärte sie auf Beatriz’ neugierigen Blick hin.

»Ihr sprecht meine Sprache?«, fragte Beatriz erfreut und zugleich verwundert. Ob sie da wohl eine Leidensgefährtin vor sich hatte? Andererseits sprach das Mädchen zwar fehlerfrei, aber mit einem fremdländischen Akzent.

»Ja, das gehörte zu meiner Ausbildung«, gab das Mädchen freundlich Auskunft. »Ich beherrsche auch Griechisch und Latein.«

Beatriz schnappte nach Luft.

»Welche Ausbildung?«, erkundigte sie sich.

»Ich bin ein Mädchen von Khalida al Fahiya«, meinte die andere, als wäre damit alles erklärt. Sie sah in den Spiegel und monierte etwas an ihrer Frisur. Die Zofe beeilte sich, die Haarsträhne anders zu drapieren.

»Ihr seid nicht hier, um ... verkauft zu werden?«, fragte Beatriz schüchtern

Das Mädchen lachte. Sie hatte eine silberhelle Stimme und sehr klare, hellgrüne Augen. »Natürlich bin ich hier, um verkauft zu werden. Dies ist das Haus von Abraham ibn Saul, Kleines, und kein öffentliches Badehaus!«

»Aber ... aber Ihr seht nicht aus wie eine Sklavin. Und Ihr ... Ihr scheint auch gar nicht beunruhigt.«

Peri und Mariam hatten Beatriz inzwischen bedeutet, sich auf einem Kissen neben dem anderen Mädchen niederzusetzen. Peri kämmte ihr das Haar, Mariam rieb ihre Hände mit duftenden Essenzen ein und schnitt ihre Nägel.

»Das scheint nur so. Tatsächlich bebe ich innerlich! In einer Stunde werde ich dem Wesir des Emirs vorgestellt, einem hervorragenden Mann; angeblich spielt er selbst ganz hervorragend die Laute. Ich sterbe vor Angst, beim Vorspielen zu versagen!« Sie betrachtete prüfend die inzwischen beendete Bemalung ihrer linken Hand.

»Ihr ... möchtet verkauft werden?«, brach es aus Beatriz heraus.

»Wer möchte nicht im Harem der Alhambra leben? Alle Mädchen in Khalidas Haus haben davon geträumt. Und ich bin ganz nahe dran ... Mein Name ist übrigens Ayesha. Ich bin Musikerin. Bislang gehörte ich zum Harem des Herrn Safid, einem geachteten Mitglied der Familie der Zegris in Alhama. Aber mein Herr starb vor ein paar Monden, und sein Sohn ist kein großer Freund der Musik.«

Ayesha schien jetzt mit ihrer Frisur zufrieden, wies die Zofe aber an, noch mehr Goldschmuck in ihr Haar zu flechten und um ihren Hals, ihre Hand- und Fußgelenke zu winden.

»Und dann verkauft er dich einfach weiter?« Beatriz war entsetzt, aber Ayesha schien das völlig normal zu finden.

»Kindchen, fast jeder Harem wird aufgelöst, wenn der Herr stirbt. Die engere Familie zieht zu Verwandten, aber die Sklavinnen werden anderweitig vermittelt. Für Musikerinnen und Tänzerinnen kann das durchaus ein Aufstieg sein. Wer nichts Besonderes kann, endet oft als Frau eines kleinen Handwerkers oder Beamten. So ist das Leben. Aber was stellst du für Fragen? Bist du neu in Granada? Ach ja, richtig, du musst die Christin sein, die der Stoßtrupp erbeutet hat. Alle reden von deiner Schönheit. Und sie übertreiben nicht! Wenn du noch Jungfrau bist, wirst du ein Vermögen erzielen.« Ayesha kramte in einer kunstvoll verzierten Schmuckschatulle und zog noch ein Diadem heraus.

»Ist das alles dein Schmuck?«, erkundigte sich Beatriz. Die Schatulle enthielt erlesene Stücke.

Ayesha nickte. »Geschenke meines früheren Besitzers und anderer Herren, die ich mit meiner Kunst erfreuen konnte.« Sie hielt sich zwei Paare Ohrringe an und hatte offensichtlich Mühe, sich zu entscheiden. Ihre Zofe legte inzwischen einen hauchdünnen Chiffonschleier über ihr kunstvoll aufgestecktes Haar.

Beatriz brannte eine andere Frage auf den Nägeln. »So .... spielst du nur die Laute? Du bist nicht ... Du wirst nicht ... Du musst deinem Herrn nicht im Bett zu Willen sein?«

Ayesha lachte schallend. »Kleines, natürlich gehört auch das zu meiner Ausbildung. Selbstverständlich kann ich einen Mann zu den höchsten Höhen der Lust führen. Aber ich bin nicht mit einem so wohlgeformten Körper gesegnet wie du. Wenn ein Mädchen wie ich erst mal keine Jungfrau mehr ist, verliert der Herr meist schnell die Lust an ihr. Bei dir ist das anders. Du könntest sogar zur Ehefrau aufsteigen, wenn du es geschickt anstellst. Sieh zu, dass du deinem Herrn bald einen Sohn schenkst. Bist du mit den Künsten der Liebe vertraut?«

Beatriz errötete zum etwa hundertsten Mal an diesem Abend.

»Du ... sprichst davon, als wäre es etwas, das man in der Schule lernt ...«

Ayesha nickte. »Genau das ist es. Ein Mädchen, das im Harem aufwächst, wird meist von seiner Mutter oder ihren Freundinnen in die wichtigsten Künste eingeweiht. Aber es gibt auch richtige Schulen wie das Haus meiner Ziehmutter Khalida. Ihre Absolventinnen sind natürlich hoch begehrt. Nur die Allerreichsten können sich ein Mädchen von Khalida leisten – nur selten kauft uns jemand für den eigenen Harem, meist werden wir wichtigen Geschäftspartnern und Freunden zum Geschenk gemacht.«

Ayesha sprach von sich, als redete sie von einem edlen Pferd. Dabei wählte sie immer noch Schmuckstücke aus. Inzwischen war der Eunuch eingetreten. Er brachte mehrere Kleidungsstücke und legte sie Ayesha zur Ansicht vor. Die beiden unterhielten sich lang und breit, ob ein orangerotes Überkleid ihre Schönheit betonen oder eher davon ablenken würde. Der Eunuch riet offensichtlich zu dem Farbton, Ayesha war skeptisch. Schließlich einigten sie sich auf ein zartgrünes Übergewand, aber orangerote Seidenhosen.

»Viele von uns steigen auch zur Ehefrau auf«, erzählte Ayesha weiter, während ihre Zofen ihr in die Kleider halfen.

Beatriz erschauerte inzwischen unter dem seltsam kitzelnden Gefühl des winzigen Pinsels, mit dem Mariam ihre Hände bemalte. Peri war immer noch mit ihrem Haar beschäftigt, das sie ähnlich kunstvoll aufsteckte wie Ayeshas.

»Und die anderen?«, fragte Beatriz nervös. »Was sind die anderen Mädchen im Harem? Huren, Konkubinen? Muss ich damit rechnen, dass mein – Herr – mich plötzlich verschenkt oder einem Gast als Willkommensgruß anbietet?«

Ayesha schüttelte den Kopf. »Kaum. Dafür bist du zu wertvoll. Vor allem aber wird er dich niemals zu etwas zwingen. Er darf dich nicht einmal zwingen, ihm selbst zu Willen zu sein, das verbietet der Koran. Freilich kann er dich unter Druck setzen. Aber das ist eher die Ausnahme. Wer ein Mädchen deiner Qualität erwirbt, will es erobern, nicht erpressen. Zier dich am Anfang also ruhig ein bisschen, lass dich mit Geschenken und Gunstbeweisen überschütten ... nur übertreib es nicht! Mach ihn nicht ernstlich ärgerlich ... Und versuch es nicht mit Druck. ›Ich schlafe nur mit dir, wenn du mich zur Ehefrau nimmst‹ hat noch nie funktioniert.«

»Ich werde überhaupt mit niemandem schlafen, und ich werde auch niemanden heiraten! Ich habe meinem Verlobten Treue geschworen«, brach es aus Beatriz heraus.

Ayesha sah sie mitleidig an. »Kind, wenn er dich wirklich liebt, wird er dich auslösen. Aber das ist unwahrscheinlich. Und das bedeutet, dass du ihn nie wieder siehst. Vergiss ihn, Kleines. Dein Leben beginnt heute. Vergiss alles, was gestern war.«

»Diego ist tot«, flüsterte Beatriz und kämpfte mit den Tränen.

»Dann hat es sich ja sowieso erledigt«, meinte Ayesha herzlos. Sie war jetzt fast fertig, die Zofen befestigten nur noch einen hauchdünnen grünen und dann einen fast noch filigraneren orangefarbenen Schleier vor ihrem Gesicht. Sie sah hinreißend aus.

Der riesige Eunuch, der sie beim Ankleiden wohlgefällig betrachtet hatte, schien das ebenfalls zu finden und überschüttete sie mit Schmeicheleien. Ayesha lächelte nervös.

»Wünsch mir Glück!«, sagte sie zu Beatriz, während sie hinausrauschte.

Beatriz schüttelte den Kopf. Welch ein seltsames Geschöpf! Immerhin hatte sie jetzt wieder Zeit, sich ihrer eigenen Erscheinung im Spiegel zu widmen. Widerstrebend musste sie zugeben, dass die maurische Mode ihre Reize weitaus mehr unterstrich als die gewohnte kastilianische Kleidung. Der riesige Eunuch hatte für sie ein dunkelblaues Obergewand und aquamarinblaue Hosen ausgewählt, dazu dunkelblaue, mit Perlen bestickte Seidenpantoffeln. Es war ungewohnt, sich ohne Korsett im Spiegel zu sehen, aber zu ihrer Verwunderung fand Beatriz ihre Taille gar nicht so dick. Im Gegenteil, ihre Rundungen – recht gut zu erahnen unter den dünnen, fließenden Chiffon- und Seidenstoffen – wirkten durchaus harmonisch. Peri knüpfte Schleier in verschiedenen Blauschattierungen in ihr Haar, und Mariam schminkte ihr Gesicht. Letzteres ließ Beatriz wieder erröten. In Kastilien malten sich nur Huren an. Mariam verstand jedoch ihr Geschäft. Ihre Kunst betonte Beatriz’ Schönheit und ließ sie auf keinen Fall vulgär wirken. Im Grunde diente die Farbe vor allem dazu, ihre Gesichtszüge so hervorzuheben, dass sie auch unter den Schleiern gut erkennbar waren. Die Mädchen waren mit Beatriz’ Erscheinung hochzufrieden, sie schienen direkt darauf zu brennen, sie Ibn Saul vorzustellen.

Zwitschernd bearbeiteten sie dessen Diener, bis dieser sich endlich erweichen ließ. Schließlich warteten die drei Mädchen vor der Tür zu Ibn Sauls Empfangsraum. Aus dem Gartenzimmer klang überirdisch schönes Lautenspiel, zu dem eine klare, hohe Stimme sang.

Ayesha. Sie hatte nicht übertrieben. Das war weitaus professionellere Musik als die Töne, die Beatriz der Laute zu entlocken wusste..

Schließlich endete die Sängerin, und der Diener wies die Mädchen an einzutreten. Ibn Saul und ein Besucher hockten auf Kissen um einen niedrigen Tisch herum und tranken ein aromatisch duftendes, schwarzes Getränk aus winzigen Tassen.

»Ach, meine kleine Prinzessin! Mammar ibn Khadiz, ich gewähre Euch die außerordentliche Gunst des ersten Blickes auf meine neueste Erwerbung. Beatriz, die Blume Kastiliens, ebenfalls wie geschaffen für den Harem des Emir ...« Der Händler stand auf und umfasste Beatriz und die Mädchen mit einem gleichermaßen bewundernden wie anerkennenden Blick. Er sprach Spanisch, damit Beatriz ihn verstand. Zu ihrer Verwunderung antwortete auch sein Besucher in der Sprache Kastiliens.

»Ganz sicher nicht! Ich werde Euch keine zwei an einem Tag abkaufen! Zudem will ich dem Emir zwar ein kostbares Geschenk machen, aber doch nicht mein gesamtes Vermögen übereignen. Denn ein Vermögen werdet Ihr für Eure ›Blume Kastiliens‹ gewiss verlangen.«

Bislang hatte der Mann ihr nur flüchtige Aufmerksamkeit geschenkt, aber jetzt sah er sie genauer an. Beatriz senkte die Lider. Sie war es zwar inzwischen gewohnt, von Ibn Saul und seinen Leuten als ›Ware‹ abgeschätzt zu werden, aber der Blick dieses Fremden berührte sie aufs Peinlichste. Dennoch war sie neugierig. Als Wesir des Emirs von Granada musste dieser Ibn Khadiz ein mächtiger Mann sein. Hinter ihrem Schleier taxierte sie ihn kurz, war aber alles andere als beeindruckt.

Ibn Khadiz war klein und eher zartknochig, ältlich, fast schon ein Greis. Sein Haar war spärlich und weiß, die Augen farb- und ausdruckslos. Aber angesichts Beatriz’ Schönheit kam Leben in seinen Blick. Als er durch ihren Schleier spähte, schien sein Atem kurz zu stocken.

»Bei Allah, Ibn Saul, wo habt Ihr dieses Mädchen her? Sie ist zweifellos jeden Dinar wert, den ihr dem Käufer aus der Tasche zu ziehen gedenkt! Dieses Haar! Locken wie aus gesponnenem Gold ...«

Der alte Mann stand auf und machte einen Schritt auf Beatriz zu, als wollte er ihren Schleier lösen. Beatriz wich zurück. Zum ersten Mal begrüßte sie die maurische Sitte, sich hinter dem Tschador zu verstecken.

»Ihre Augen sind grün, nicht wahr ... nein, sie sind blau ... wie das Meer, ihre Augen haben tausend Farben ... Bei Allah, Ibn Saul ...« Der Mann stammelte. Er schien den Blick nicht von Beatriz wenden zu können. Beatriz wusste nicht wohin vor Verlegenheit. Die lüsterne Aufmerksamkeit des alten Mannes bereitete ihr Ekel und Angst.

»Ihr könnt gern um sie steigern!«, lachte Ibn Saul. »Zählt schon mal Euer Geld. Aber zunächst läuft ein Angebot an ihre Familie, vielleicht löst man sie ja aus. Dazu braucht sie noch etwas Zeit, sich zu erholen. Ich denke, ich werde die Auktion ansetzen, wenn sich der Mond zum nächsten Mal rundet.«

Schleier des Herzens

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