Читать книгу Nur von draußen - Veronika Beci - Страница 7
In einem alten Gemäuer
ОглавлениеAuf einem kahlen Berg stand eine verwitterte Burgruine. Sie streckte den letzten ihr verbliebenen Turm gegen den Himmel, der sich um sie her stets bewölkte. Die übrigen Reste der einst sehr prächtigen Wehrstatt häuften sich zu einem formlosen Steinhügel. Sie sahen einem zur Erde gebeugten Menschen gleich. Hier und da stand noch eine niedrige Tür im breiten Mauerwerk, die zu tiefen, dunklen Gewölben führte, aus denen der Berg Moder und Schimmel atmete. Dreiviertel hohe Stahlgitter verwehrten den Menschen den Eingang, denn jederzeit stand zu befürchten, das eine oder andere Gewölbe könne weiter in sich zusammenstürzen und die gebeugte Ruine zu einem riesenhaften Steingrab zusammenfallen.
Das beeindruckte weder den Efeu noch das Schlingkraut noch die Brombeerranken. Hier, wo kein Baum sich hinverirren mochte, weil der felsige Boden seinen Wurzeln keinen Halt geben konnte, hier, wo nur ein vom Wind gedörrtes hartes Gras wucherte, fühlten sich anspruchslose Pflanzen zufrieden und häkelten ihre Blattornamente um Stein und Fels. Zu Füßen der Burg standen die Brombeeren, da, wo der Wind nicht so über sie herfahren konnte. Sie zeigten meist ihr abweisend-dorniges Gesicht, doch wenn ihre Zeit kam, dann hüllten sie sich in das herrliche starke Grün ihrer zerfurchten Blätter und öffneten ihre zartvioletten Blüten. Fünf Blütenblätter umgaben den Kelch wie Silberränder eine kostbare Brosche. Alsbald tupfte das Rot auf. Eine Vielzahl kleiner roter Beeren punktete nun an jedem noch so kleinen Dornenzweig. Die Beeren wuchsen, verfärbten sich, bis sie als glänzend-scharze Früchte schwerer an den Ranken hingen. Das war dann ein eigenes Bild: vor der schwarzsteinernen Runine, die von unten bis hinauf zur gebrochenen Zinne von Efeugrün umschlungen war, fächelten die grün-scharzen Brombeesträucher im Wind.
Dann war ein Leben in der alten Burg, wenn die Brombeeren schwärzten! Jegliche Art von Insekt, Wurm und Spinne fand hier ihr Paradies. Die Rabenvögel strichen in Schwärmen um die alte Burg, in deren finsteren, unterirdischen Verliesen die Fledermäuse lebten, die zur Brombeerzeit ihre Jungen aufzogen und manches Mal von den schwarzfunkelnden Früchten naschten.
Es war in diesem alten Gemäuer, wo in diesem Jahr eine besondere Zusammenkunft statthaben sollte. Die 'Internationale Gesellschaft für den Erhalt der Natur und die Rechte der Fledermäuse', IGENuRF', hatte es sich als Tagungsort erkoren. Die Ruine stand mitten in Transsylvanien, das die Fledermäuse weltweit aus irgendeinem Grund für das Zentrum und spirituelle Herz ihrer Gemeinschaft erachteten. Die Burgruine war ein idealer Ort, denn kaum eine Menschenseele interessierte sich für sie oder das Leben der kleinen Tierchen und Unkräuter dort. Niemand verwunderte sich, dass der Himmel über dem düsteren Gemäuer ständig grau wölkte, dass die Rabenvögel trübselig krächzend um es herschwirrten, und es in den Dämmerstunden hundertfaches Flügelzischen umschauerte, wenn die Fledermäuse zur Jagd zogen.
Warum die Tagung der Gesellschaft? Nun, ein freudiger Anlass für dieses Mal. Endlich hatte sich einmal etwas bewegt und war man im Zwist mit seinem größten Widersacher einen erheblichen Schritt weiter gekommen. Es war gelungen, den Feind in Angst und Schrecken zu versetzen. Die Helden dieser Tat - das heißt ihre Vertreter, denn die Helden selbst ließen bei ihrer Heldentat das Leben, wie es Helden eben meisten zu ergehen pflegt -, sollten vor den Fledermäusen aller Herren Länder ausgezeichnet werden, anschließend ein Kongress das weitere Vorgehen planen. Man wollte sich einmal ordentlich auf die Schultern klopfen.
Für die Fledermausfrau Violetta Ciobanu bedeutete der Kongress jede Menge Arbeit. Sie war die Kastellanin der verfallenen Festung. Sie sorgte für die Unterbringung ihrer Mieter und die Ordnung in den Gewölben, für Speise, Trank und Unterhaltung, kurz und gut, sie besaß die vollständige Schlüsselgewalt und damit ein gerüttelt Maß an Verantwortung. So eine Veranstaltung von Weltformat, die brachte auch Violetta Ciobanus straff strukturierte Organisation an ihre Grenzen.
"Nichts als Plage, nichts als Plage", seufzte sie in einem fort mit ihrem Fistelstimmchen. Wer wollte es ihr verdenken! Schließlich: neben ihrem Beruf hatte sie auch noch fünf Fledermauskinder großzuziehen, das war, weiß Gott, kein Pappenstiel!
Endlich waren die den Staatsgästen vorbehaltenen Turmzimmer sorgfältig eingestaubt, mit Spinnweb verziert und mit Efeuzweigen in Fülle als Hängemöglichkeit ausgestattet. Zwischen dem dunkelgrünen Laub würden die mächtigen Delegierten jedes Landstrichs ihre bedeutenden Häupter hervorragend kopfüber betten können. Ja, Violetta Ciobanu, die ehrsame Kastellanin der schwarzmodernden Burg konnte stolz auf ihr Werk sein!
Nahm eines Menschen Seele Notiz davon, was an den folgenden Tagen rund um den Ruinenfels geschah? Wie zu den Stunden, da die Sonne rotgolden auf- oder niederzugehen gedenkt, rauschende, dunkle Wolken auf das Gemäuer zuflogen, das sich im fahlen Abendlicht wie ein gestürzter Riese hinbuckelte? Wie sie es tanzend umschwirrten, dann in eleganten Schwüngen durch das gähnend-schwarze Haupttor fuhren, die zerborstene Wendeltreppe des Turms hinauf, artig geleitet von der Kastellanin, die den hohen Herrschaften die Unterkünfte zuwies und zur ersten Stärkung nach der oftmals langen Anreise Glühwürmchenpunsch und gut sättigende Kartoffelkäferpuffer reichen ließ?
In der Burgruine wurde es jedenfalls überaus lebendig, denn bis auch die letzten hochgeehrten Gäste angereist waren, vertrieb sich die sinistre Gesellschaft die Zeit mit Jagen, Tanzen und vielerlei Lustbarkeiten.
Violetta Ciobanus fünf Kinder konnten sich an all der kosmopolitischen Pracht, die sich da entfaltete, nicht satt sehen und mussten mehrfach unter Strafandrohung und Ohrwatschen zum Schlafen und zur Ordnung gerufen werden.
"Nichts als Plage, nichts als Plage", seufzte ihre vielbeschäftigte Mutter und grollte um so mehr und bitterer dem Verursacher all ihrer Mühsal: dem Menschen. Da sollte mal eines von diesem zweibeinigen Gelichter wagen, sich ihrer Burg zu nähern, wenn sie in gereizter Stimmung war! Na, das würde sich aber wundern, wie sie ihm die Haare zausen würde!
Der Turm war voll. Die Tage der fröhlichen Feiern waren vorüber, nun wurde ernsthaft konferiert. Im Folterkeller, der ausreichend groß, solide und mit Schandmasken, Ketten, Streckbänken und spanischen Stiefeln pittoresk geziert war, begann die Tagung. Der Vorsitzende des Kongresses saß auf der Eisernen Jungfrau und hielt die vielbeklatsche Begrüßungsrede.
"Hochverehrte Gäste - liebe Gäste darf ich sagen -, ich begrüße Sie auf das Allerherzlichste in diesen heiligen Hallen unserer Gemeinschaft, die einst geeint hat unser kühner, wunderbarer Fleder, Vlad, der Pfähler!" Die Fledermäuse klatschten respektvoll bei der Nennung dieses Namens aus längst vergangenen, doch historisch bedeutsamen Tagen.
"Damals, meine hochverehrten Freunde, herrschte noch Einklang zwischen den beiden Welten, in die sich unsere schöne Erde teilt: hominem mundo und mundus animalis. Die Natur war intakt. In Zufriedenheit lebten Mensch und Federmaus nebeneinander und es kam allenfalls in bedauerlichen Einzelfällen zu Battements zwischen den Spezien, die die Fledermäuse stets siegreich für sich entscheiden konnten." Angelegentliches Klatschen auf Seiten der Patrioten.
"Verkörpert fand sich diese lange Allianz von Mensch und Fledermaus symbolhaft und großartig, um nicht zu sagen: sagenhaft, mythisch, im Helden Vlad." Alle klatschten.
Der Vorsitzende senkte seine Stimme von heroisch-beschwingt zu bedauernd-nachdenklich: "Diese Zeiten sind vorüber. - - Vieles musste die Natur seither erdulden und wir mit ihr, die unsere Nährmutter ist. Wie wurde sie geplündert, misshandelt, vergewaltigt!" Ein empörtes Raunen ging durch den Saal.
"Ich muss es an dieser Stelle nicht weiter ausführen. Es genügt zu sagen, dass wir mit unserem Jahreslauf nicht mehr übereinkommen, weil es viel zu warm und dann wieder viel zu stürmisch ist, dass wir immer öfter Hunger leiden und darben, da der Käferbestand drastisch zurückgeht!" - An dieser Stelle merkte die Kastellanin Violetta Ciobanu kurz auf, die dabei war, die Platten mit den Kanapees aus Spinnenbrust und Grillenaugäpfen zurechtzurücken. - "Nicht nur uns, nein, vielen anderen Tieren geht es ähnlich in der Not, den Pflanzen ebenso - ich komme gerade von einem Meeting aus Brasilien, wo mir eine Seemandel von zweiundzwanzigtausend täglich sinnlos hingemordeten Urwaldbäumen berichtete." Eine Welle der Empörung und des Mitleids ging durch die Folterkammer. Der Redner führte einige weitere Beispiele an, die wir aber alle schon kennen, und fand nach einigen, kunstvollen rhetorischen Schlenkern zum Schluss seiner Rede.
"Und doch, sage ich, und doch: Kühnheit! Kühnheit kann auch unsere Zeit ihr eigen nennen! In all dem tristen Schwarz des Unglücks und des Elends bleibt das Grün der Hoffnung. Kühnheit!"
Der Vorsitzende war selber sehr bewegt von diesem Wort und die Fledermäuse aller Nationen lauschen ergriffen.
"Es bedurfte einiger Mutiger unter uns, um den Menschen in seine Schranken zu weisen. Jenen Helden, die auf dem Schlachtfeld der Ehre blieben, ist es zu danken, dass der Mensch wieder mit angstvollem Respekt auf die Natur sieht, ihre uneingeschränkte Macht, ihre oft bestürmte, doch nie gebrochene Herrschaft erkennt und vor ihr erzittert, von der er sich so schmählich, verbrecherisch, verblendet seit Jahrhunderten abgewandt!" Allgemeiner bestätigender Beifall.
"Kühn war es, den Menschen in einem Himmelfahrtskommando mutierte Viren zuzuspielen, sodass eine Epidemie, ach, was sage ich, eine Pandemie den homo stultus auf seinen rechtmäßigen Platz zuunterst aller anderen Kreaturen verweist! Wie schon in der Bibel steht, dass der Mensch zuletzt erschaffen wurde, gleich dem Geschmeiß aus nichts als Dreck!" Aufbrausender Beifall.
"Kühnheit! Diese wollen wir heute feiern, nichts weniger. Sie zeichnet uns Fledermäuse vor allen anderen Tieren aus, sie leitete unsere Märtyrer, die sich, ihr Fleisch, hingaben, auf dass der Mensch es äße und daran erkanke. Ich sage stellvertretend für uns alle: habt Dank, ihr Helden der Kühnheit, habt Dank." Ergriffenes Murmeln.
"Ich bitte alle um eine Minute des stillen Gedenkens an unsere zerkochten und gegessenen Helden." Respektvolles Schweigen. Selbst die Kastellanin hielt einen Moment in gedankenschwerem Schweigen inne.
"Ich bitte nun die Vertreter unserer Helden zu mir auf die Jungfrau", ergriff der Vorsitzende nach gebührender Dauer erneut das Wort: "Wir möchten Ihnen stellvertretend für unsere gefallenen Märtyrer den höchsten Orden unserer Gemeinschaft verleihen, den Dracu-Orden am grünen Bande." Ein Raunen der Anerkennung ging durch die Reihen. Unter stürmischem Klatschen und Bravo-Rufen empfingen die Stellvertreter die Auszeichnungen.
"Bevor wir nun nach einer kurzen Pause, in der uns unsere brave Kastellanin..." Freundliches Klatschen. "... mit ihren berühmten Spinnenbrustkanapees erfrischt, in Arbeitsgemeinschaften unserer Aufgabe widmen, nämlich der Planung wie wir effektiv den Virus weiterverbreiten können, möchte ich die Verbrüderungsakten weiterer Tierarten vorlesen, die sich mit uns in unserem hehren Kampfe wider den Menschen vereinen wollen..." Hallo-Rufe und Beifall. "...und bitte, das in den entsprechenden Arbeitsvorgängen zu berücksichtigen: da sind vorrangig zu nennen die Nerze, die Achatschnecken und ... ja, die Schafe und das Hausschwein." Klatschen.
"Liebe Gäste, liebe Freunde", schließt der Vorsitzende: "Wenn Sie nun an ihre Arbeit gehen, seien Sie gründlich und vergessen Sie die Kühnheit nicht, die seit jeher uns Fledermäuse auf ihren starken Schwingen getragen hat und immer tragen wird. - Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit!" Der Vorsitzende verbeugte sich unter Beifallsstürmen und empfing erste Glückwünsche.
Im Saal rauschte es. Ergriffenheit, langes Hängen und Aufmerken machten sich Luft. Das Buffet wurde gestürmt. Hernach zogen sich die einzelnen Arbeitsgruppen in ihre Konferenzgewölbe zurück. Arbeitsreiche Wochen lagen vor ihnen, das war wohl leicht vorherzusagen, und es war ihnen nur das Beste zum Gelingen ihrer Mission zu wünschen.
Im Folterkeller drunten flederte die Kastellanin Violetta Ciobanu herabgefallenes Efeugrün, schwarze Häuflein, Scherben und Essensreste zusammen.
"Welche Plage, nichts als Plage", säuselte sie mit ihrem dünnen Stimmchen. Dann schloss sie hinter sich die Kammertür.
Die verfallene Burg auf dem kahlen Berg erhob sich schwarz und unergründlich gegen das Nachtlicht, das nun weißfleckig leuchtete und manchmal die dunkeln Brombeeren an ihren Dornenranken auffunkeln ließ.
Und sonst war es totenstill.