Читать книгу Lichter aus und Kerzen an - Victor Dahms - Страница 10
Das Fest der Freude
ОглавлениеDieses Jahr krieg ich zu Weihnachten von meinem Bruder wahrscheinlich einen Camcorder! Der kostet 458 Euro! Von meiner Schwester bekomme ich ein Paar Puma-Schuhe – die sind Kult – für 140 Euro. Die verdient auch schon ganz gut. Mein Vater gibt mir Geld, ich schätze mindestens 150 Eier. Von meiner Mutter krieg ich einen Gutschein über 200 Euro für Klamotten. Nur das Päckchen von meiner Oma, das ein paar Tage vor Heilig Abend mit der Post kommt, ist eigentlich nichts wert. Die schenkt mir selbstgemachte Socken und irgendein dickes Buch. Ich lese aber nicht gern, nur wenn ich muss.
Die Socken schmeiß ich gleich weg. Mein Freund Lars ist ein komischer Typ. Obwohl er ein Smartphone und einen E-Reader hat, liest er auch viel altmodische Bücher auf Papier und freut sich drüber. Er ist trotzdem ein netter Kerl. Darum werde ich ihm am zweiten Feiertag als Geschenk das Buch von meiner Oma überreichen. Vorher schreibe ich innen eine Widmung rein: „Zu Weihnachten Dein Freund Egon“. Dann kann er es nämlich nicht weiter verschenken.
Einmal hatte ich ihm einen alten Schmöker mit einer gelben Wolke und einem Leuchtturm am Meer auf dem Deckel beschert, und zwei Jahre später hab ich es von ihm zurückbekommen. Das soll mir nicht nochmal passieren. Bevor ich das Buch von meiner Oma für ihn einpacke, schreib ich mit Bleistift noch einen Preis rein, wahrscheinlich 24,80. Dann radiere ich ihn wieder aus, aber so, dass man ihn noch erkennen kann. Lars schenkt mir etwas, das mindestens auch so viel kostet, wahrscheinlich zwei CDs. Eine davon kriegt mein Bruder, die andere meine Schwester. Wenn sie mir gefallen, brenne ich mir vorher Kopien. Bei Aldi kosten 10 Rohlinge 4,99. Jetzt muss ich nur noch Geschenke für meine Eltern und die Oma besorgen.
Ich überschlage jetzt schon mal den Wert der Einnahmen und Ausgaben. Also auf der Habenseite wahrscheinlich 458 plus 140 plus zweimal 24,80 an Waren plus 370 cash inklusive Gutschein, macht nach dem Riesen Adam zusammen satte 10127,60 Euro.
Meine Oma ist total leicht zu bedienen. Ich kritzle ihr mit Buntstiften eine Bild, da muss irgendwo ein Herz mit Rot oder Rosa drauf sein und dann freut sie sich. Das kostet mich nix. Nicht mal Porto. Meine Mutter schickt ihr immer so ein Gesundheitsgesöff und paar Zimtsterne, da legt sie mein Bild dazu und wünscht ihr auf einer der mit dem Mund gemalten Karten, die wir immer zugeschickt kriegen aber nie bezahlen müssen, „besinnliche Feiertage“ und auch, dass das schöne Bild ihr Enkel Egon extra für sie gemalt hätte, obwohl er doch so viel fürs Gymnasium büffeln muss, sonst tät ich ihr schon selber schreiben.
Ich hab meine Mutter mal gefragt, warum sie „besinnliche Feiertage“ schreibt. „Das tue ich, weil deine Großmutter eine feinfühlige Dame ist. Sie merkt, dass wir dann keinen Besuch von ihr wünschen. Weihnachten ist nämlich das Fest der Besinnung und der Nächstenliebe, und darum sehen dein Vater und ich es auch gar nicht so gern, wenn du an den Feiertagen zu einer Party gehst, wo schrecklich laute Musik alles zudröhnt und keine Besinnung aufkommen lassen kann. Du solltest lieber mit deiner Schwester in die Mitternachtsmesse gehen. Weihnachten ist nämlich ein Familienfest.“
Und so labert sie weiter. Ich frag sie sowieso nichts mehr. Sie blickt’s eh nicht. Außerdem bin ich sogar schon dreimal mit in der Messe gewesen. Aber jedemal hatte der Pope vonre die gleiche Story drauf, tatsächlich wortwörtlich. Die hat mich schon beim erstenmal gelangweilt. Was gehen mich Obdachlose aus Ägypten oder Bethlehem an?
Ich hab meine eigenen Probleme: Was soll ich Saskia schenken? Wir treffen uns am 23. In der Disco. Sie schenkt mir Ferreroküsschen und Rasierwasser. Was kriegen meine Eltern? Ich brauch die Knete für mich selbst, denn genau genommen hab ich ja nur 150 in bar. Damit kannst du heute keine großen Sprünge machen, Mann. Blöd, wenn ich dafür irgendwas für andere kaufen müsste. Dann könnte man meinetwegen das ganze Brimborium sein lassen. Mein Vater hat schon öfter gesagt, dass wir im nächsten Jahr mal um die Feiertage nach Fuerteventura in die Sonne fahren, da könnte man auch ganz gut feiern. Aber meine Momm will Weihnachten Schnee, obwohl jedesmal draußen nur eine graue Matschpampe herrscht.
Ich will auch zu Hause bleiben wegen der Party, die Silvester bei Bastian steigt. Dem brauche ich überhaupt nichts zu schenken, bloß Saskia und meinen Eltern. Aber was? Ich nehme mir immer vor, Sachen aufzuheben, die ich nicht brauchen kann. Aber dann tue ich’s doch nicht oder kann sie im Dezember nicht mehr finden. So um Ostern, wenn ich aufräume, entdecke ich dann plötzlich einen Farbkalender oder einen Füller. Dann ist es zu spät, denn Ostern schenken wir uns nichts.
Wenn mir bald nichts einfällt, kauf ich für meine Freundin eben wieder eine Pickelcreme. Meiner Mutter könnte ich zur Not die Ferreroküsschen weiterreichen und meinem Alten das Rasierwasser einwickeln. Dann müsste ich nur die Pickelcreme bezahlen und hätte praktisch mit einem einzigen Kauf sieben Leute beschenkt. Weihnachten ist eigentlich doch ein schönes Fest. Es ist nur blöd, wenn ich nicht das kriege, was ich mir wünsche.
Egon Dahms