Читать книгу Joayna - Victoria M. Castle - Страница 9
ОглавлениеKapitel 3
Die Erinnerung fegte über sie hinweg, wie der leichte Wind, der zuvor die Baumkronen erreicht hatte.
In diesem Moment rauschte das violette Schwert auf sie herab und segelte geradewegs durch sie hindurch.
Sie hatte sich nicht mal einen Millimeter gerührt, ehe der Gegner vor ihren Augen in dünnem, violetten Rauch verschwand.
„Habe ich dir nicht gesagt, du sollst dich aus meinem Gedanken raushalten, Schatten?“, fragte sie mit kühler Tonlage und blickte nicht einmal in die Richtung, in die ihre Frage gegangen war.
Shadow lehnte mit verschränkten Armen im Türrahmen und hatte sie bei ihrem Training beobachtet.
„Ich habe deine Gedanken nicht gelesen. Dafür muss ich dich berühren, das weißt du“, antwortete er ihr ziemlich ruhig und sie blickte langsam zu ihm auf.
„Und für die Illusionen bist du nicht zufällig in meinem Bewusstsein unterwegs gewesen?“, fragte sie ironisch und erhob einen flüchtigen Moment provokant die Augenbrauen, ehe sie sich auf ihre Füße gleiten ließ und die Reste ihrer Flügel in ihrem Rücken langsam wieder zurückwichen.
„Hat es dir in deinem Training geschadet?“, antwortete Shadow ihr nur und grinste ihr leicht zu.
Lindsay war auf ihn zugegangen und hatte ihm ein halbherziges Grinsen zurück geschenkt, ehe sie kaum merklich den Kopf geschüttelt hatte.
Wie automatisiert griff sie mit der rechten Hand nach ihrem Dekolleté, berührte eine dünne silberne Kette an ihrem Hals, als würde sie nach etwas suchen.
Doch berührten ihren Fingerspitzen nur das kühle Metall, welches ohne Anhänger ihre Haut streifte.
Sie schob sich an Shadow vorbei, um wieder in das Innere des Hauses zu gelangen, und spürte kurz den mitleidenden Blick von Shadow, der an der Stelle haftete, an dem soeben noch die Reste ihrer Flügel gewesen waren.
Lindsay biss sich auf die Lippen und wandte sich langsam zu ihm um.
„Er wird das Richtige getan haben“, sagte sie ziemlich ruhig und konnte dem Blick von Shadow nicht standhalten, sodass sie sich wieder von ihm abwandte.
„Deine Fähigkeiten sind ohnehin eingeschränkt in Tiéfwâas. Das war die Bedingung“, begann Shadow augenblicklich zu erläutern, doch Lindsay unterbrach ihn.
„Ich brauche keine Erklärungen“, sagte sie schnell und holte noch einmal tief Luft.
Solche Momente hatte es oft zwischen ihnen gegeben.
Kleine Erinnerungen, die ans Tageslicht kamen und auf die sich Shadow stürzte, um die Lücken darin zu füllen, schien ihm der Verlust ihrer Erinnerungen doch mehr auszumachen, als es bei ihr selbst der Fall gewesen war. Doch Lindsay hielt diese Augenblicke kaum aus.
Sie wollte keine Erklärungen von ihm, keine Lücken füllen.
Etwas in ihr hielt es für keine schlechte Idee, sich nicht mehr an die Vergangenheit zu erinnern.
„Ich lebe gut mit dem, was ich nun habe“, sagte sie schnell, ehe sie sich wieder zu ihm drehte.
Es tat ihr weh, dass sie ihm so kühl gegenübertrat und ihn rasch abwies, doch war sie zu nichts anderem in solchen Momenten mehr fähig.
So versuchte sie, ihm ein leichtes Lächeln zu schenken, welches matt auf ihren Lippen haftete, ehe sie sich wieder zur Wurzeltür hinwandte.
Shadow seufzte nur als Reaktion, ließ ihr jedoch den Freiraum, den sie brauchte.
Vielleicht hatte Lindsay ja auch Recht.
Vielleicht war es gut, sie nicht mehr an die schlimmen Ereignisse zu erinnern und sie mit dem Verlust ihrer Erinnerungen wenigstens in Frieden weiterleben zu lassen.
Aber war das auch wirklich die richtige Entscheidung?
Lindsay trat wieder hinaus auf die mit kühlen Pflastersteinen ausgelegte Straße und ließ Shadow wie so oft einfach stehen.
Kurz lehnte sie sich an die geschlossene Eingangstür und holte tief Luft.
Sie seufzte, während sie sich langsam von der Tür abstieß und ohne Eile die Straße entlangging.
Sie musste den Kopf frei bekommen.
So führten Lindsay automatisch wieder ihre Füße über das weiche Moos hinab ins „Unterholz“, als sie sich dort erneut an den Arbeitern der Schmiede vorbeistahl und in ihren gewohnten, dunklen Raum trat.
Auch wenn es stockfinster war und sie nichts vor sich erkennen konnte, trat sie wie jeden Tag zielsicher durch den Raum, ehe sie sich an der Wand gegenüber zu Boden sinken ließ.
Die Beine angewinkelt, lehnte sie sich gegen den kühlen Felsen hinter ihr und holte noch einmal tief Luft.
Lindsay hob ihre rechte Hand vor sich, drehte die geöffnete Handfläche nach oben und ließ drei winzige Flammen in ihrer Hand erscheinen, welche augenblicklich begannen, über ihrer Haut zu schweben und sich langsam im Kreis zu drehen.
Sie beobachtete das Feuer in ihrer Hand und spürte mit einem Schlag wieder diese unbeschreibliche Leere in sich aufkommen, als wäre da etwas tief in ihr, dass schmerzlich gegen ihre Schläfen schrie.
Eine Sekunde lang dachte sie an die Erinnerung an Gabriel, welche sie beim Training überrollt hatte und fragte sich, ob sie es nicht doch einmal wagen sollte, an die „Oberfläche“ zu gehen. Schließlich hatte sie ihn seit ihrer Ankunft nicht mehr gesehen und es gab zu viele Fragen, die noch offen waren.
Wieso war sie hier?
Wieso hatten sie das Kloster verlassen?
Und wo war Angelos?
Leicht schüttelte Lindsay den Kopf bei den Gedanken.
Bisher hatte sie keine große Eile gehabt, diese Fragen beantwortet zu wissen, als gäbe es etwas in ihr, dass sie davon abhielt.
Vielleicht weil es die Antworten längst kannte?
Noch immer beobachtete sie die Flammen in ihrer Hand, wie sie miteinander tanzten und schließlich ließ sie ihre Hand sinken, während die Flammen weiterhin vor ihr her tanzten, sich langsam im Raum ausbreiteten.
Wieso war sie hier?
Lindsay holte tief Luft und die Flammen wurden größer, bewegten sich schneller, ehe sie ein Geräusch von draußen wahrnahm und sie augenblicklich erloschen.
Sofort hielt Lindsay den Atem an, war direkt auf den Beinen, trat zum winzigen Spalt, aus dem sie gekommen war und lehnte sich gegen die Felswand, als sie von draußen laute Geräusche hörte.
Es knallte Metall gegeneinander, schweres Stöhnen war zu hören und einen lauten Ruck konnte sie wahrnehmen.
Erst als die Geräusche leiser wurden, wagte Lindsay nachzusehen und zwängte sich in den kleinen Spalt, doch kam sie nicht weit.
Etwas schien von der anderen Seite den Spalt zu versperren.
So sehr sie sich auch dagegen stemmte und es versuchte: Der Spalt blieb verschlossen.
Leise knurrte sie und fluchte kaum hörbar in sich hinein, als sie zurück in den größeren Raum trat.
Sie musste hier dringend raus.
Sicherlich würde sie hier nicht lange überleben können.
Doch anstatt in Panik zu verfallen, dachte sie kurz nach und begann, die Felswand um sich herum langsam abzutasten.
Erst als sie an der Stelle angekommen war, an dem sie ihr Messer versteckte, bemerkte sie bröckelige Steine herabrieseln. Womöglich konnte sie sich hier einen Durchschlupf suchen.
Doch so sehr sie weitertastete, die restliche Felswand blieb gnadenlos.
Langsam stieg die Hitze in ihr auf, wenn es auch keine Panik war, die in ihr aufkam, sondern Wut, und sie suchte sich energischer um, ließ die drei Flammen wieder erscheinen, um sich den Raum zu erhellen, doch blieb er vollkommen verschlossen.
Noch einmal suchte sie jeden Zentimeter des Felsens ab, wenn sie auch nichts fand.
Nun doch panisch blickte Lindsay sich umher und konnte keinen weiteren Ausweg finden.
Also holte sie tief Luft, kniff die Augen zusammen und brüllte wütend aus voller Kehle und als sie die Augen wieder öffnete, sah sie sich selbst von Flammen umhüllt.
Überrascht blickte sie sich um, der Felsraum war deutlich kleiner geworden und die gesamte rechte Wand fehlte.
Misstrauisch atmete sie lange aus und machte vorsichtig ein paar Schritte an die Kante der Wand, als sie hinter dieser hervorblickte.
Was auch immer da gerade eben geschehen war: Sie war direkt am Ausgang zu Tiéfwâas gelandet!
An ihr vorbei kamen zwei Wachen der Elfen aus dem Gang nach unten und sie presste sich direkt wieder zurück in den Raum, wollte sie doch nicht gesehen werden.
Nun hatte sie nur zwei Möglichkeiten: Sie konnte den langen Felsgang hinab ins Tal der Elfen zurückgehen und dabei erwischt werden, wie sie beinahe unautorisiert das Tal hatte verlassen wollen oder aber sie schlich sich an den Wachen vorbei aus dem Tal nach draußen.
Einen Moment dachte Lindsay nach und lauschte gespannt, als sie ein paar dumpfe Worte wahrnahm.
Die beiden Wachen schienen sich mit der Patrouille am Eingang des Felsens zu unterhalten.
Lindsay wagte noch einen kleinen Blick und konnte erkennen, dass die Wachen mitsamt der Patrouille aus ihrem Sichtfeld verschwunden waren.
Noch einmal blickte sie sich genauer um, ehe sie auf leisen Sohlen aus ihrem Versteck gekrochen kam und zum Eingang hinhuschte.
Dort angekommen warf sie einen Blick nach draußen und erkannte die vier Elfen wenige Meter neben dem Eingang und sie schienen sich über irgendetwas zu unterhalten.
Ohne lange darüber nachzudenken, schlüpfte sie durch den Eingang, presste sich eng am Felsen entlang, um dann hinter einem kleinen Vorsprung zu verschwinden.
Leise schlich sie sich aus der Reichweite der Wachen, ehe sie die wenigen Meter bis zum Wald hin rannte und im Schutze der Bäume verschwand.
Erst dann verlangsamte Lindsay ihren Schritt, warf einen Blick zurück und lächelte von ihrem kleinen Sieg beflügelt, ehe sie sich entspannte.
Sie hatte das Elfental verlassen.
Langsam schlenderte sie ziellos einen schmalen Weg im Wald entlang, als ihr mit einem Mal die unfassbar klare Luft auffiel.
Lindsay blieb einen Moment stehen, als sie ein Kribbeln in sich aufkommen spürte. Langsam sah sie an sich herab und spürte eine unfassbare Energie in sich aufkommen.
Tief holte sie Luft und merkte, wie die Atmosphäre um sie herum wärmer wurde.
Sie schloss die Augen, als sie sich mächtiger denn je fühlte und die Überreste ihrer Flügel wie selbstverständlich aus ihrem Rücken brachen.
Sie breitete die Arme aus und fühlte ihren eigenen Körper in Flammen stehen.
Als sie die Augen öffnete, konnte sie die Flammen um sich herum sehen, wenn sie auch die Hitze nicht spüren konnte.
Langsam lächelte sie.
So frei hatte Lindsay sich schon lange nicht mehr gefühlt.
Es war, als hätte man ihr in Tiéfwâas einen Teil ihrer Energie, ihrer Fähigkeiten genommen und sie so lange zurückgehalten, bis sie das Tal wieder verließ.
Lindsay fragte sich, ob der automatische Drang danach, sich rauszuschleichen, anstelle einfach gerade heraus um Austritt zu bitten daher kam, dass sie schon vermutet hatte, dass man es nicht wünschte, dass sie einfach das Tal verließ.
Wenn sie sich auch zuvor nicht sicher gewesen war, wieso die Elfen etwas dagegen haben sollten, wenn sie daran dachte, dass Tal zu verlassen, so würde es einen Sinn ergeben, wenn man ihre Fähigkeiten an das Tal gebunden hatte.
Oder besser gesagt: Ihre Fähigkeiten innerhalb des Tales einschränkte.
Doch von welchen Fähigkeiten konnte hier überhaupt schon die Rede gewesen sein?
Und selbst wenn sie weitere Fähigkeiten besaß, an die sie sich nicht erinnern konnte, was sollte dies für einen Sinn gehabt haben?
Sicherlich konnte sie mit ihren Fähigkeiten deutlich mehr von Nutzen sein.
Oder aber dies war eine der Bedingungen, weswegen Lindsay im Tal Leben durfte als eine von ihnen.
Vermutlich lag es lediglich an der Tatsache, dass die Elfen Naturmagie bevorzugten, aber war nicht auch ihre Feuergabe an die Elemente und somit an die Natur gebunden?
Je mehr sie darüber nachdachte, umso mehr Fragen stellten sich ihr, also schob sie diese erstmal beiseite.
Es war nicht weiter wichtig, denn sie war hier draußen.
Wenn Lindsay auch mit ihren Flügeln so schnell nicht wieder würde fliegen können, so hatte sie das Gefühl, das Feuer in sich erneut intensiv wahrzunehmen, als hätte man ihr einen Teil ihrer Selbst zurückgegeben.
Das Lächeln auf ihren Lippen wurde deutlicher und sie ließ die Arme langsam sinken, als das Feuer um sie herum kleiner wurde und langsam mit ihrem Körper zu verschmelzen schien.