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Kapitel 2. Senfira


Nur eine einzige Person in Pastila konnte Herrn Kremissimo nicht leiden: Senfira, eine entfernte Verwandte von ihm. Sie wollte selbst Konditorin werden. Daher beneidete sie ihn sehr. Sie beneidete ihn um seine Berühmtheit. Sie beneidete ihn um seinen Erfolg.

Senfira hatte nicht immer so geheißen. Nach ihrer Geburt hatten ihr die Eltern den fröhlich und süß klingenden Namen „Zuckerchen“ gegeben. Der passte freilich nicht zu ihr, denn nie war sie fröhlich, und sie verabscheute Süßigkeiten. Doch sie liebte es, anderen Streiche zu spielen. Mal verleumdete sie einen Freund, mal zwickte sie zum Zeitvertreib eine Freundin. Und sie vergötterte alles, was scharf, bitter oder salzig schmeckte. Am meisten jedoch Senf. Sie aß ihn nicht nur zu Fleisch und Frikadellen, sondern schmierte ihn sich auch fingerdick aufs Brot, ja sogar auf Kuchen. Oft löffelte sie den Senf auch direkt aus dem Glas.

Die Eltern wussten nicht, was sie anstellen sollten mit so einer Tochter. Weil sie fürchteten, Zuckerchen könnte vom vielen Senf krank werden, versteckten sie ihn an den geheimsten Stellen im Haus, doch das Mädchen fand ihn trotzdem.

Einmal, als sie sieben Jahre war, sagte ein Nachbar im Scherz zu ihr nicht „Zuckerchen“, sondern „Senfira“. Der Spitzname blieb so an ihr hängen, dass bald niemand mehr wusste, wie sie wirklich hieß.


Senfira war im selben Alter wie Kremissimo und hatte als Kind viel Zeit bei ihm zu Haus verbracht. Dort erklärte Kremissimos Vater, Herr Marzipanus, den beiden Kindern alles, was man wissen und können sollte, um ein guter Konditor zu werden. Senfira machte alles so, wie Marzipanus es ihr beigebracht hatte und wie Kremissimo es seinem Vater nachmachte, jedoch war ein von Kremissimo gebackenes Brötchen stets süß und schmackhaft, eins von ihren jedoch immer versalzen und von geradezu widerlichem Geschmack.

Hätte Senfira einen anderen Beruf ergriffen, wäre sicherlich etwas Ordentliches aus ihr geworden. Nur wollte sie unbedingt Konditorin werden, nichts anderes! Und wenn ihre Brötchen nicht durch waren und ihre Plätzchen zu trocken, suchte sie die Schuld nie bei sich, sondern immer bei Herrn Marzipanus.

„Den Kremissimo unterrichtet er gut“, schnaubte sie beleidigt, „mich aber nicht!“

Als Senfira siebzehn war, fuhr sie weg aus Pastila und lebte lange Jahre in anderen Städten und fremden Ländern. Wie und wo sie dort die Kunst einer Konditormeisterin erlernte, ist nicht bekannt, jedenfalls war sie nach ihrer Rückkehr fest überzeugt, Kremissimo könne ihr nun weder als Konditor noch als Koch das Wasser reichen.


„Ich zweifle kein bisschen daran“, sprach Senfira laut zu sich selbst. „Wenn die Leute erst mal von meinen Torten und Pralinen gekostet haben, begreifen sie sofort, wer von uns beiden der bessere Konditor ist, ich oder Kremissimo, und kaufen ihre Süßigkeiten nur noch bei mir!“

Und sie beschloss, in Pastila ihre eigene Konditorei zu eröffnen. Sodann holte sie die besten Maurer, Zimmerleute und Maler aus der Stadt herbei, die das Parterre des alten Hauses, das sie von ihren Eltern geerbt hatte, in eine geräumige Bäckerei mit Verkaufsladen umbauten. Bald schon standen im Schaufenster hohe Weidenkörbe, bis obenhin gefüllt mit Attrappen appetitlicher Brötchen und köstlicher Kuchen. Und über der Ladentür prangte ein großes Schild, das schon von Weitem verkündete, was es hier geben sollte:


An so einem Schild geht keiner vorbei!, dachte Senfira. Und man muss zugeben, sie hatte recht. In der ganzen Woche, als sie ihren Laden auf die Eröffnung vorbereitete, drückten sich immerfort Neugierige am Schaufenster die Nasen platt. Und am ersten Verkaufstag versammelte sich solch eine Menschenmenge vor dem Laden, dass auf der ganzen Straße kein Durchkommen war.

Wie sehr hatte sich Senfira in den Tagen davor angestrengt! Ganze Berge von Brötchen, Pasteten, Kuchen, Torten, Pralinen und vielen anderen Leckereien hatte sie gebacken.

Zuallererst stürmten der Weltenbummler Herr Globetrotter, der Schuhmacher Sohle und die Schneiderin Röckchen in den Laden. Die drei liebten Süßigkeiten mehr als alle anderen in der Stadt. Hinter ihnen drängelte sich der Mathematiker Plusminus herein, der wie alle Mathematiker äußerst wissbegierig war, und auch der Feuerwehrmann Wasserspritzer – er musste immer als Erster zur Stelle sein, wenn etwas geschah. Bald war der Laden überfüllt. Senfira schaffte es nur mit Mühe, alle Kunden schnell zu bedienen. Die Ladentische und Regale leerten sich zusehends. So ein Erfolg, noch größer als erwartet! Sie war überglücklich. Nun halt dich fest, Kremissimo!, dachte sie, jetzt musst du bescheidener werden – oder vielleicht gar deinen Laden schließen!

Aber just in diesem Augenblick erschütterte ein schrecklicher Schrei den ganzen Laden: „Hilfe, es brennt, bei meiner Sohle! Es brennt!“

„Was ist los?“ – „Was brennt?“, rief man ringsum.

„Alles brennt!“, schrie jemand verzweifelt. „Ich kann’s nicht aushalten. Hilfe, Hilfe, bei meiner Sohle!“

Kaum ist mit Worten zu beschreiben, was nun folgte: Voller Panik drängten alle zum Ausgang. Abgerissene Knöpfe purzelten zu Boden, jeder schubste jeden, jemand brüllte lautstark, weil man ihm auf den Fuß getreten hatte. Selbst Feuerwehrmann Wasserspritzer, für gewöhnlich mutig und beherrscht, rannte mit dem Ruf: „Es brennt, rette sich, wer kann!“ zur Tür und flugs nach draußen.

Als Letzter im allgemeinen Gedränge verließ Schuhmacher Sohle den Laden. Er nämlich war es, der das ganze Durcheinander verursacht hatte. Weil genau er als Erster geschrien hatte: „Hilfe, es brennt, bei meiner Sohle!“, nachdem er von einem Stück Kuchen, das mit scharfem Senf gefüllt war, abbiss.

Von da an betrat niemand mehr Senfiras Konditorei. Es kam allerhöchstens vor, dass sich mal ein Fremder in ihren Laden verirrte.


Ach, wie sehr nahm sie sich das zu Herzen! Und wie schimpfte sie auf die Bewohner von Pastila!

„Undankbare Dummköpfe!“, zeterte sie und verschmierte mit den Fäusten die Tränen, die ihr über die Wangen rannen. „Immer muss alles gezuckert werden! Immer wollen sie nur Süßes! Uuuh! So ein Albtraum! Dabei begreifen sie alle überhaupt nicht, dass Zucker den Appetit verdirbt und den Zähnen schadet!“

Am wütendsten war sie natürlich auf Kremissimo, hielt sie ihn doch für den Hauptschuldigen an ihrer Misere. Wäre er nicht da, überlegte sie, dann würden sich die Leute mit der Zeit gewiss an meine Kuchenkreationen gewöhnen. Aber wartet nur ab, dem zahl ich’s heim! Die Suppe werde ich ihm versalzen! Erst mal bring ich ihm Mäuse ins Haus, da wird er platzen vor Ärger! Im Keller ihres Hauses fing sie drei Dutzend Mäuse, möglichst große, setzte sie in eine stabile Holzkiste und gab ihnen sieben Tage lang nichts zu fressen. Am Ende der Woche waren die Mäuse so ausgehungert und böse, dass sie ihre Zähne nicht nur in die Wände der Kiste bohrten, sondern sogar gegenseitig aufeinander losgingen. Ihr Anführer versuchte sie zu bändigen, doch die anderen Mäuse stürzten sich allesamt auf ihn und bissen ihm den Schwanz ab. Da beschloss Senfira: Es ist so weit!

Als es Nacht wurde, verfrachtete sie die Mäuse in einen fest geflochtenen Weidenkorb, deckte ihn mit einem schwarzen Tuch ab und zog einen langen dunklen Mantel mit Kapuze über, damit keine Nachteule sie erkennen konnte. Den Korb unter dem Arm, begab sie sich auf Schleichwegen zum Kremplatz.

Schlecki Leckermaul

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