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Es ist fad, allein zu sein

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Jennifer wurde von allen nur Troll genannt – wohl wegen ihrer roten Haare. Ihr Vater war Lehrer. Man wußte auf die Minute, wann er morgens seine braune Aktenmappe nehmen und zur Schule gehen würde. Und es stand genau fest, wann er nach Hause kam. Fünf vor halb drei am Montag und zwanzig nach eins am Dienstag; mittwochs um Viertel vor sechs, weil er da zusätzliche Unterrichtsstunden hatte, fünf vor halb drei an Donnerstagen und freitags um halb vier. Am Samstag saß er meistens über seiner Briefmarkensammlung, und da war es nicht ratsam, im gleichen Zimmer zu niesen. Sonntags unternahmen er und Trolls Mutter lange Spaziergänge bis zu einer Waldwirtschaft, wo sie Kaffee tranken und Kuchen aßen. Manchmal ging Troll mit ihnen.

Trolls Mutter fastete. Sie hatte eine Briefwaage, auf der sie jedes belegte Brot wog, ehe sie es aß. Besonders morgens wog sie alles, weil sie Angst hatte, zu dick zu werden. Dann schrieb sie in ein kariertes Heft, was sie gegessen hatte, seufzte und stellte sich selbst immer wieder auf die Waage.

Nachmittags aber, wenn sie das Abendessen für die Familie richtete, aß sie von allem etwas, was ihr gerade schmeckte. Ein bißchen Käse hier und eine Handvoll Hackfleisch da, und dann das Innere von allen Marmeladenhörnchen. Später behauptete sie, die Füllung müsse ausgelaufen sein, während sie vom Laden nach Hause ging. Die Füllung, die Troll am liebsten mochte! Troll konnte es nicht leiden, wenn ihre Mutter sich selbst und anderen etwas vorschwindelte.

Dabei war Trolls Mutter eigentlich gar nicht dick. Sie sah aus, wie Mütter eben für gewöhnlich aussehen, und hatte braunes Haar.

Die dreizehnjährige Troll wurde wegen ihrer roten Haare oft gehänselt.

„Du hast Glück“, sagte Trolls große Schwester Liselotte. „Das hübscheste an dir sind deine Haare. Wenn du einmal einen tollen Jungen triffst, dann spring schnell ins nächstbeste Abflußrohr, damit er nur deine Haare sieht. Dann ist er von dir hingerissen.“

Liselotte war einundzwanzig und erwartete ein Kind. Sonst hatte Troll keine Geschwister, und nachdem Liselotte von zu Hause ausgezogen war, fühlte sich Troll manchmal wie ein Einzelkind. Liselotte wohnte nun in einer Zweizimmerwohnung am Stadtrand, zusammen mit ihrem Mann, der Kent hieß und meistens Anzüge trug. Er arbeitete in einer Bank.

Umwerfend war Kent ja nicht, fand Troll, aber recht nett. Nicht so nett, daß er Geld von der Bank mit nach Hause nahm und es verteilte – nein, das nicht. Aber manchmal konnte schon ein Fünfer aus seiner schwarzen Brieftasche in Trolls Jeanstasche gleiten. Das war allerdings noch öfter vorgekommen, als Liselotte zu Hause gewohnt hatte und Kent sie besuchte. Nun wurden die Fünfer spärlicher.

Doch die beiden hatten jetzt wohl an anderes zu denken. Sie mußten einen Kinderwagen und Schnuller kaufen, Windeln und Klappern und alles, was ein Baby so braucht.

Der Vorteil an Liselottes Auszug war jedenfalls, daß Troll ein eigenes Zimmer bekam. Das erste, was sie tat, als ihre Schwester die Wohnung verließ, war, daß sie die Bilder von Schlagersängern an die Wand heftete, die sie gesammelt hatte. Liselotte hatte sie nie ein einziges aufhängen lassen. Sie wollte nur Fotos von Mikis Theodorakis und Leonard Bernstein und anderen faden älteren Knaben an der Wand haben.

Aber langweilig war es trotzdem, seit Liselotte ausgezogen war. Niemand redete und lachte mehr über die gleichen Sachen wie Troll. Abends mußte man allein im Bett liegen und mit den Popsternen an der Wand reden. Und die antworteten natürlich nicht. Sie lächelten nur. Es war fast so, daß Troll ihrer überdrüssig wurde. Sie lächelten ein bißchen zuviel.

Mein großer Freund von nebenan

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