Читать книгу Mein großer Freund von nebenan - Viveca Lärn - Страница 7

Ein aufregender Filmbesuch

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Von nun an flogen die Wochen nur so dahin. In der Schule fiel es Troll oft schwer, aufzupassen. Sie dachte meistens an das, was sie und Jonas zusammen unternommen hatten. Oder was sie als nächstes tun würden, doch das wußte man natürlich nie im voraus.

Manchmal war Jonas mehrere ewigkeitslange Nachmittage nicht zu Hause. Und dann war er plötzlich wieder da – ohne die geringste Erklärung, was er getan hatte. Das machte aber nichts. Sie stürzten sich mit Schwung direkt ins nächste Abenteuer – päng! Und es waren große, wunderbare Abenteuer, die sie zusammen erlebten.

Manchmal gingen sie in den Wald. Sie verglichen, welche Steine am meisten wie Tiere oder Menschen aussahen und untersuchten, welches Moos sich an der Wange am weichsten anfühlte und welchen Baumstamm man am besten umarmen konnte. Manchmal fanden sie einen seltsamen Pilz und saßen später stundenlang am Tisch, um ihn mit den Pilzen in Jonas’ kleinem Handbuch zu vergleichen. Nie waren die Pilze verzeichnet, die sie gefunden hatten, doch krank wurden sie davon trotzdem nicht. Es war wohl deshalb, weil Jonas so muntere Lieder sang, während er sie zubereitete, und ihnen so gut zuredete. Jedenfalls schmeckten sie hauptsächlich nach Tannennadeln.

Manchmal waren sie drunten am Hafen, denn Jonas fühlte sich sehr zum Meer hingezogen.

„Das geht wohl nur den Menschen so, die nicht am Meer geboren worden sind“, meinte er.

Troll dachte darüber nach.

Doch, das Meer war schon etwas Schönes, aber sie war ja auch nie davon getrennt gewesen.

Sie beobachteten, wie sich die Bootseigentümer mit ihren Zelttuchüberzügen im Wind abplagten. Die Überzüge sollten die Boote gegen den Winter schützen. Jonas fand das wahnsinnig lustig.

„Wenn ich meinem Auto jetzt auch einen grünen Wintermantel nähen würde!“ sagte er. „Einen mit Kapuze!“

Jonas versperrte seine Wohnung nie. Er hatte keine Angst vor Einbrechern. Wenn jemand sich die Mühe machte, hereinzukommen, konnte er schon etwas mitnehmen, falls er es ganz besonders dringend brauchte, fand er. Doch nicht gerade den Papagei. Aber der war bestimmt klug genug, um sich zu verteidigen, wenn er bei Jonas bleiben wollte. Und vielleicht hatte er Lust auf ein Abenteuer.

„Wo hast du den Papagei gekauft?“ fragte Troll.

„Gekauft!“ wiederholte Jonas. „Du glaubst doch wohl nicht, daß man einen Papagei wie irgendeine ganz gewöhnliche Schnupftabakdose kaufen kann! Nein, ein richtiger Papagei kommt von selbst, wenn man es am wenigsten ahnt.“

„Und wie ist deiner gekommen?“ fragte Troll und ließ sich auf ihrem absoluten Lieblingsplatz nieder: auf dem Boden in der Ecke, mit ausgestreckten Beinen. So konnte sie stundenlang sitzen … Na ja, vielleicht nicht gerade stundenlang, aber mehrere Minuten schon.

„Eines schönen frühen Morgens wollte ich Schnupftabak kaufen“, begann Jonas zu erzählen. „Als ich zum Kaufladen im Dorf kam, war er noch nicht geöffnet. Ich setzte mich auf die Treppe und dachte nach. Es konnte nicht mehr lange dauern, bis der Kaufmann kam, denn die Sonne schien schon recht warm. Bestimmt kommt Persson bald und schließt den Laden auf, dachte ich. Eine Prise Schnupftabak schien mir gerade das Richtige, ehe ich zum See ging, um über die Bucht zu schwimmen. Doch es kam mir gerade so vor, als würde mich jemand beobachten. Die Katze, die auf der Treppe lag, war es nicht, denn sie hatte die Augen geschlossen. Und es waren auch nicht die Leute in den umliegenden Häusern, auch nicht die Autos oder die Steine oder …“

„Wer war es dann?“ unterbrach ihn Troll mit großen Augen.

„Tja, plötzlich hörte ich eine Stimme in meinem Kopf, oder vielleicht auch in meinem Ohr“, sagte Jonas und schloß die Augen. „Die Stimme sagte: ‚Geh sieben Schritte nach rechts, sing dann sämtliche Strophen des Liedes: Als ich ein armes Weib war, und blinzele viermal. Dann, wenn du die Augen öffnest, wird das Mädchen vor dir stehen, das du heiraten wirst.“‘

„Nein!“ rief Troll, der vor Spannung und Angst ganz heiß war.

„Doch, so war’s, und du kannst dich darauf verlassen, daß ich die Anweisungen befolgte. Sieben ziemlich große Schritte nach rechts, das ganze Lied: Als ich ein armes Weib war, mit siebzehn Strophen – das dauerte seine Zeit, kann ich dir sagen, und die fünfzehnte Strophe konnte ich gar nicht ohne weiteres. Vielleicht kam es deshalb so, wie es kam. Denn als ich viermal geblinzelt hatte und die Augen öffnete, was sah ich da? Tja, der Käfig mit dem Papagei stand vor mir auf dem Boden! Und der Papagei sagte: ‚Es reiten drei Reiter um den Ararat herum. Jetzt hab ich das Meer satt. Ich komme mit dir nach Hause!“‘ Jonas nickte und fuhr fort: „Und der Papagei sah mich auf dem ganzen Weg nach Hause mit seinen glänzenden Augen an. Seit dieser Zeit hat er nie ein Wort gesagt oder auf andere Weise zu erkennen gegeben, daß er sich wohl fühlt. Und ich war recht froh“, schloß er, „daß ich nicht heiraten mußte, denn das hätte mir überhaupt nicht gepaßt. Da darf man nicht einmal Schnupftabak schnupfen, habe ich gehört.“

Troll stand auf und lächelte.

„Ich muß jetzt heim, Jonas. Vergiß nicht, wir treffen uns heute abend!“

Jonas lächelte zurück und nickte. Er zupfte an seiner Gitarre und machte ein geistesabwesendes Gesicht.

Troll kam es vor, als würde das Abendessen nie ein Ende nehmen. Die Minuten vergingen, doch noch immer waren mindestens zwanzig Meter Spaghetti auf ihrem Teller. Schließlich durfte sie trotzdem aufstehen.

„Aber glaub nur nicht, daß du das jeden Freitag so machen kannst, Jennifer!“ sagte ihr Vater.

„Als ob ich genug Geld hätte, um jeden Freitag ins Kino zu gehen!“ erwiderte Troll beleidigt. „Ihr könnt ja froh sein, daß ich mich weiterbilden will, statt wie Thomas und Christine am Würstchenstand herumzulungern und … Muß ich jetzt auch noch ein Leberpastetenbrot essen?“

„Aber mit welchen Mädchen gehst du denn ins Kino?“ fragte ihre Mutter zum zehntenmal.

„Ach, du kennst sie ja doch nicht“, sagte Troll. „Ganze Mengen sind’s! Wir treffen uns um zehn vor sieben vor dem Kino. Ich muß mich also beeilen, wenn ich die Straßenbahn rechtzeitig erreichen will.“

Ihre Mutter seufzte. „Na, dann lauf! Aber denk daran, daß wir dich spätestens Viertel nach neun zurückerwarten, denn der Film endet um Viertel vor.“

Troll sauste aus der Wohnung und schlug die Tür hinter sich zu, doch statt auf die Straße zu laufen, schlich sie in den Keller. Dort hatte sie nachmittags einen Spiegel an einen rostigen Haken gehängt. Er hing ein wenig zu hoch, aber sie stellte sich auf die Zehenspitzen und kämmte sich eine sehr kunstvolle Frisur. Es sah wirklich unglaublich erwachsen aus, wenn sie die Haare so hinter die Ohren kämmte!

Dann zog sie den Lippenstift in der goldenen Hülle aus der Jeanstasche, den Liselotte zurückgelassen hatte, als sie ausgezogen war. Viel war nicht mehr davon übrig, aber er war rosarot und wahnsinnig schön. „Melon frost“ stand auf der Unterseite der Hülle.

Es war das erstemal, daß Troll sich nicht nur so zum Spaß anmalte. Sie begann rechts außen an der Oberlippe, fuhr ein bißchen über den Mund hinaus und wischte die Farbe mit dem Handrücken wieder ab. Beim zweiten Versuch klappte es besser. Troll kniff die Lippen zusammen, wie Liselotte es zu tun pflegte, hörte ein Geräusch im Treppenhaus und wandte sich heftig um, so daß ihre Haare wieder über die Ohren fielen.

Nein, es kam niemand. Sie befestigte zwei Haarspangen hinter den Ohren, damit ihre Frisur hielt, ging auf die Straße und schielte zum Haus. Nein, niemand stand am Fenster. Und dort kam schon die Straßenbahn. Troll hielt ihre Haare fest und lief vorsichtig los.

Der Schaffner lachte, als sie einstieg. „Hast du Zahnschmerzen?“ fragte er.

Doch Troll war in Träumereien versunken. Sie überlegte, wer von ihnen wohl zuerst kommen würde. Hoffenlich kam Jonas vor ihr.

Sie setzte sich auf eine Bank und sah aus dem Fenster. Wie langsam die Straßenbahn fuhr! Flüchtig fragte sie sich, was ihre Eltern denken mochten. Es war ja nicht direkt gelogen, als sie sagte, daß eine Menge Mädchen ins Kino gehen würden, denn die Vorstellung war meistens ausverkauft, hatte Jonas gesagt. Und natürlich würden auch viele Mädchen im Kino sein. Was für ein Glück, daß ihr Vater sich nicht erboten hatte, sie hinzufahren. Da hätte sie in irgendeinen Hauseingang gehen müssen, um sich schön zu machen. Ob Jonas wohl merken würde, daß sie eine „Frisur“ hatte und Melon Frost auf den Lippen?

Troll stieg aus und kam an einer Auslage vorbei, in der elegante Schaufensterpuppen mit langen, schmalen Händen standen. Ihre Augenwimpern waren so lang und dicht wie Malerpinsel.

Vor dem Kino standen viele Leute. Der Film hieß „Ein Junge und ein Mädchen“. Mitten auf der Straße stand ein Hippie und spielte auf der Geige. Doch Jonas war nirgends zu sehen. Troll ging zu einem Lederwarengeschäft und spiegelte sich im Schaufenster.

Da, gerade als sie dachte, daß er alles vergessen hätte, sah sie ihn von der Domkirche her über den Platz schlendern. Er schien vor sich hinzupfeifen, während er mit seinen üblichen langen Schritten in seiner alltäglichen Jeans daherkam. Der Kinobesuch war wohl weiter nichts Besonderes für Jonas. Er ging ja oft ins Kino, wenn auch nicht mit Troll.

Dann sah er sie und winkte. „Servus, Troll!“ rief er.

Als er näher kam, blieb er plötzlich stehen und sagte: „Herrje, Troll, siehst du aber komisch aus!“

Und er lachte herzlich und zerraufte ihr die Haare. Troll seufzte.

Anfangs war der Film richtig peinlich. Troll merkte, daß sie heiße Backen bekam, und wagte es nicht, Jonas anzusehen. Er handelte von einem Jungen, der eine Krankheit an einer gewissen Stelle bekam. Ja, genau da. Troll kicherte ein wenig. Jonas lachte laut. Er, der sonst fast nie laut lachte!

Doch dann wurde es ungeheuer romantisch, fand Troll. Sie schielte hier und da zu Jonas hinüber. Er saß rechts von ihr, völlig entspannt, denn das Kino war so umgebaut worden, daß sogar Leute mit langen Beinen bequem Platz hatten.

Wenn nur etwas furchtbar Aufregendes passieren würde, damit er meine Hand hält! dachte Troll. Und sie legte ihre rechte Hand ans Gesicht, um festzustellen, ob ihre Wangen noch heiß waren. Dabei machte sie eine furchtbare Entdeckung. Sie hatte vergessen, sich nach dem Abendessen die Hände zu waschen. Ihre Hand roch noch nach Leberpastete! Ein Glück, daß der Film weder besonders aufregend noch gruselig wurde!

Mein großer Freund von nebenan

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