Читать книгу Eddie und Maxon Jaxon - Viveca Lärn - Страница 7
Papa kommt nach Hause
ОглавлениеDer blaue Laster war schon von weitem auf der Landstraße zu sehen. Er parkte am Straßenrand genau vor dem kleinen Haus. Eddie sah ihn zuerst.
«Papa ist zu Hause!», rief er und begann zu laufen.
Arne sagte nichts, aber er ging auch schneller, warf einen hastigen Blick zum Bauernhof hinüber und ging dann quer über den Acker. Lennart, der Papa der beiden Jungen, saß am Küchentisch und las die Abendzeitung.
«Papa!», schrie Eddie und warf sich in seine Arme. Der Kaffee, der in einem Becher vor Lennart stand, schwappte auf die Wachstuchdecke und die Zeitung, aber Lennart wurde keineswegs böse. Er war ja selbst mal ein Junge gewesen und außerdem hatte er gute Laune. Einmal weil er eine gute Fuhre gehabt hatte, zum anderen, weil er mehrere hundert Kronena auf der Fähre zwischen Dänemark und Schweden bei den Glücksspielautomaten gewonnen hatte.
Arne öffnete die Kühlschranktür und stieß einen Freudenschrei aus.
«Essen, Papa, du hast ja was zu essen gekauft!»
«Klar», sagte Lennart. «Wovon soll man denn sonst leben?»
Er lachte und die Jungen lachten mit und wiederholten: «Wovon soll man denn sonst leben?»
Eddie rutschte vom Schoß seines Vaters, und die beiden Jungen drängelten sich vor dem offenen Kühlschrank, um zu sehen, was Lennart gekauft hatte. Da gab es durchsichtige Pakete mit langen roten dünnen Würstchen, mindestens hundert. Zwei riesige Käselaibe, richtige Stinkerkäse, das merkte man sofort, und in dem einen war Kümmel. Drei Riesenflaschen Coca-Cola und mindestens hundert grüne Bierdosen, auf denen HOF stand. Und auf dem Kühlschrank, in dem Versteck hinter dem Vorhang, gab es noch mehr: Konserven mit Schinken und andere mit Mais, große Chips-Pakete, enorme Plastiktüten mit Gummibärchen und genauso große mit Salmis, extrastark, zwei Flaschen Kirschlikör und ein großes Paket Butter in Silberpapier.
«Muss die Butter nicht in den Kühlschrank?», fragte Arne. Lennarts Heiterkeit verschwand.
«Mehr fällt dir zu all den guten Sachen nicht ein?», zischte er. «Du bist deiner Mutter verdammt ähnlich, du.»
Arne legte die Butter wortlos in den Kühlschrank.
Aber jetzt lächelte Lennart wieder und sein ganzes dunkles Gesicht leuchtete.
«Also, was sagt ihr, Jungs?»
«Nicht schlecht», sagte Arne und nahm sich ein kaltes rotes Würstchen und begann zu essen.
«Ich auch», sagte Eddie und da wollte Lennart auch eins haben. Sie legten das Paket mitten auf den Tisch und knabberten Würstchen. Arne öffnete eine Flasche Coca-Cola und er und Eddie tranken abwechselnd daraus. Lennart öffnete eine Dose Bier und stellte das Radio an. Es war gemütlich.
«Bist du in Dänemark gewesen?», fragte Eddie nach einer Weile. «Das merkt man am Essen.»
Lennart nickte wohlwollend.
«Du bist nicht dumm, kleiner Mann. Ja, ich hatte Freitag eine Fuhre nach Ålborg. Was Besseres konnte mir gar nicht passieren. Leichte Ladung, kein Zoll, kaum Verkehr.»
Arne sah ihm in die Augen.
«Warum hast du keinen Zettel geschrieben?», fragte er.
«Einen Zettel?», fragte Lennart. «Hab ich das denn nicht gemacht?»
«Nein, das hast du nicht. Und wir wussten nicht, wo du warst. Und was zu essen oder Knete gab’s auch nicht.»
Arnes Stimme zitterte ein bisschen.
«Knete, was ist das denn? Kann man das essen?», fragte Eddie.
«Hör auf, mit mir rumzumeckern, Arne», sagte Lennart. «Wenn du meckerst, bist du deiner Mutter wirklich sehr ähnlich.»
Arne war seiner Mutter tatsächlich sehr ähnlich. Er hatte ein ziemlich rundes Gesicht und eine Stupsnase. Aber er hatte braune Augen wie sein Papa. Und eine Brille mit runden Brillengläsern.
Eddie hatte dunkelblaue Augen, genau wie seine Mama. Aber sonst glich er aufs Haar seinem Papa: das schmalste Gesicht der Welt mit einer geraden kleinen Nase. Ein breiter Mund, der sehr traurig und sehr fröhlich sein konnte. Sehr unruhige dunkle Augenbrauen und viel strubbliges Haar, fast schwarz.
Lennart war am schwärzesten, und häufig, wie jetzt, hatte er sich mehrere Tage nicht rasiert. Dann wurde das ganze Gesicht dunkel. Aber er hatte sehr weiße Zähne, und wenn er lächelte, leuchtete sein Gesicht wie ein warmer sonniger Tag. Viele Leute glaubten, Lennart käme aus einem anderen Land, vielleicht aus Italien oder Spanien oder Griechenland. Aber so war das nicht. Er kam aus Bohuslän in Schweden. Das kapierte jeder, der ihn reden hörte. Und jeder konnte sehen, dass Lennart Eddies Papa war, obwohl sie verschiedenfarbige Augen hatten.
Einmal hat Eddie mit seinem Papa was bei der Bratwurstbude eingekauft (oh, das war schön!), und die Tante in der Bratwurstbude war neu. Die Tante war nett. Sie zeigte auf Eddie und lachte. Dann sagte sie zu Lennart:
«Den kannst dub nicht verleugnen.»
«Hab ich das denn getan?», fragte Lennart. An dem Tag war er schlechter Laune.
Jetzt schien die Mahlzeit beendet, denn Lennart faltete die Zeitung zusammen, gähnte und ging in die Stube und stellte den Fernseher an, der aber nur rauschte.
Arne machte Feuer im Herd. Eddie schnappte sich schnell drei lange rote Würstchen und füllte die Taschen seiner Jeans mit Gummibärchen. Niemand merkte, wie er rausschlich. Auf halbem Wege zum Bach fiel ihm ein, dass er etwas zu trinken vergessen hatte. Er blieb jäh stehen und wollte schon umkehren. Aber da fiel ihm ein, wie groß die Gefahr war, dass Lennart oder Arne sich irgendeine Arbeit für ihn ausgedacht hatten. Nach einer gemütlichen Mahlzeit konnte es manchmal passieren, dass man plötzlich abwaschen oder fegen musste oder irgendetwas anderes, das die Stimmung kaputtmachte. Eddie dachte nach. Plötzlich begann er, vor sich hin zu lachen. Trinken, wer musste denn was zu trinken holen? Der ganze Bach war doch voller Wasser.
Der Sommer war sehr trocken gewesen und an vielen Stellen war das Gras gelb. Aber am Bach strotzte die Natur von Kraft und Leben.
Die Ufer an beiden Seiten des Baches waren sehr steil. Am besten war es, auf dem Hosenboden runterzurutschen, fünf, sechs Meter tief. Das war gut so, denn viele Leute, die oben auf dem Weg entlanggingen, hatten wahrscheinlich gar keine Ahnung, dass hier unten ein Bach war. Wenn sie nicht gerade das Rauschen vom Wasser hörten. Aber dann glaubten sie vielleicht, sie hörten einen Zug oder einen Rasenmäher oder irgendeinen anderen Quatsch, den Menschen erfunden hatten.
Eddie wusste es besser. Er konnte das Geräusch von plätscherndem Wasser von jedem anderen Geräusch unterscheiden. Eddie spähte die Landstraße entlang. Dort ging der alte Mann mit den sieben Kristallleuchtern. Um den brauchte er sich gar nicht zu kümmern. Er rutschte den steilen Hang hinunter, dass es um seinen Hosenboden nur so pfiff, und landete direkt am Bachufer. Eddie sprang über den umgefallenen Baum und ließ sich an seinem Lieblingsplatz unterhalb des Baumstammes nieder, dort, wo der Bach eine Biegung machte. Das war ein Platz auf der Welt, der ihm allein gehörte, und es war ein guter Platz. Aber im Augenblick umtanzte seinen Kopf eine Wolke von Stechmücken. Eddie kümmerte sich gar nicht darum. Das war die beste Art, mit den Stechmücken fertig zu werden. Er betrachtete den Bach und streckte die Beine aus, sodass seine nackten braunen Füße genau über der Wasseroberfläche waren. Er spürte die Kühle des Wassers unter den Fersen.
«Hich liebe dich, kleiner Bach», sagte Eddie.
Dann zog er die Füße an und dachte lange nach. In die Schule zu kommen war nicht gut. Seinen Bach konnte man nicht mitnehmen. Teddys und so was durfte man bestimmt in der ersten Klasse mitbringen. Aber einen ganzen Bach? Wie würde das aussehen?
«Übrigens», sagte Eddie streng zu sich selbst, «hes heißt nicht hich, es heißt Iiich. Iiiich liebe dich, kleiner Bach!»
Genau hier, wo der Bach eine Biegung machte, hatte man einen Überblick über so ziemlich alles, was von Bedeutung war auf dieser Welt. Er würde es sofort sehen, wenn der Mann mit den fröhlichen braunen Augen wieder kam.
Immer einen kühlen Kopf behalten. Eines Tages kommt er. Eddie war überzeugt, dass man es kaum hören würde, wenn der Mann kam, obwohl er so groß war. Und er hatte bestimmt keine Leibwache wie Maxon Jaxon. Aber ein Messer am Gürtel, das hatte der nette Onkel.
Eddie legte sich auf den Bauch und guckte ins klare Wasser. Hier in der Biegung war es ziemlich tief. Zuerst hielt Eddie Ausschau nach Krebsen, dann nach Fischen und schließlich nach U-Booten. Arne hatte gesagt, dass man hundert Kronen von einer Zeitung bekommen würde, wenn man ein fremdes U-Boot entdeckte.
Eddie zweifelte sehr daran, dass ein ganzes U-Boot in dem kleinen Bach Platz hatte. Aber vielleicht kam ja ein kleines Stück von einem U-Boot vorbei, zum Beispiel ein Periskop. Dann bekam man bestimmt mindestens zwanzig Kronen von dieser Zeitung. Zwanzig Kronen reichten sicher für eine Schildkröte, und eine Schildkröte wünschte Eddie sich im Augenblick am allermeisten. Er wollte eine harte kleine lebendige Wasserschildkröte mit einem roten Fleck hinterm Ohr haben.
Für den Fall, dass tatsächlich ein Periskop angeschwommen kam, wäre Eddie jedenfalls der Erste, der es entdeckte. Er kannte jeden Quadratzentimeter am Ufer. Jede Sumpfdotterblume. Er wusste auch, wo die alte Autobatterie lag und die Schnupftabaksdose, die schon halb aufgefressen war. Von wem? Ja, das musste man sich wirklich fragen.
Er hob die kaputte Schnupftabaksdose auf, nahm den Deckel ab und schnupperte an der Dose. Ein herrlicher Duft. Wenn er schon nicht den ganzen Bach mit in die Schule nehmen konnte, wollte er wenigstens diese Schnupftabaksdose mitnehmen, die nach Bach und Erde roch.
Aber am liebsten hätte er einen Job gehabt. Einen richtigen Job, egal, was für einen. Wenn er es schaffte, einen zu finden, dann brauchte er bestimmt nicht in die Schule zu gehen.
Eddie seufzte und aß ein Würstchen. Es war schwer, sich einen guten Job einfallen zu lassen. Er beugte sich vor und füllte seine Hände mit dem kalten klaren Wasser und wusch sein Gesicht. Dann beugte er sich noch einmal vor und machte seine Haare nass. «Immer einen kühlen Kopf behalten», sagte er mehrere Male zu sich selbst. Er merkte nicht einmal, dass er beobachtet wurde.
Am anderen Ufer des Baches stand ein hoch gewachsener Mann in blauem Overall und grünen Stiefeln und beobachtete Eddie.