Читать книгу Einführung in die Lexikologie - Volker Harm - Страница 9
2.3 Wörter: Zentrum und Peripherie 2.3.1 Inhaltswörter und Funktionswörter
ОглавлениеReferenz
Mit der eben eingeführten Unterscheidung zwischen prototypischen und peripheren Vertretern der Kategorie ‚Wort‘ geht eine weitere wichtige begriffliche Trennung einher, die mit der Art und Weise zusammenhängt, in der Wörter Bezug auf Inhalte nehmen können. Um den unterschiedlichen Arten dieser Bezugnahme, der sog. Referenz von Wörtern, auf die Spur zu kommen, sei zunächst von dem folgenden Beispielsatz ausgegangen:
(5) | Das Mädchen geht zum Arzt, weil es erkältet ist. |
Die Wörter Mädchen, gehen, Arzt und erkältet sind Einheiten, die jeweils auf außersprachliche Personen oder Sachverhalte verweisen. Für das, weil, es ist dies allerdings nicht oder nur bedingt der Fall. Das Pronomen es referiert jedenfalls nicht unmittelbar auf etwas in der Welt, sondern dient schlicht der Wiederaufnahme des Wortes Mädchen aus dem vorangehenden Hauptsatz. Es nimmt daher lediglich auf ein anderes Sprachzeichen Bezug. Da ein Wort wie es keine eigene Bedeutung hat, sondern seine Bedeutung eigentlich nur in einem Verweis auf ein anderes Wort besteht, es also nur zusammen mit oder in Abhängigkeit von einem anderen Wort etwas bedeutet, spricht man hier auch von einem ‚Synsemantikon‘ bzw. einem ‚synsemantischen Wort‘ (zu griech. syn- ‚gemeinsam, zusammen mit‘ und sēmantikós ‚bezeichnend, bedeutend‘). Dem sind die Autosemantika (auto- zu griech. autós ‚selbst‘) gegenüberzustellen, die für sich genommen eine sprachexterne Referenz herstellen können (in diesem Fall Mädchen, gehen usw.). In der deutschsprachigen Terminologie wird der Gegensatz von Autosemantikon und Synsemantikon auch mit dem Begriffspaar Inhaltswort vs. Funktionswort wiedergegeben. Dabei sind die Autosemantika bzw. Inhaltswörter als die prototyischen Vertreter der Kategorie ‚Wort‘ anzusehen, während die Synsemantika bzw. Funktionswörter eher an deren Peripherie anzusiedeln sind.
Für den Artikel das und die Konjunktion weil im Beispielsatz (5) gilt Vergleichbares wie für das Pronomen es. Ein Artikel kann nur in Verbindung mit einem Substantiv stehen und auch nur gemeinsam mit diesem eine Funktion einnehmen. Daher sind Artikel ebenfalls als Funktionswörter zu klassifizieren. Ähnlich verhält sich auch weil: Seine Bedeutung besteht lediglich darin, dass es zwei Sachverhalte miteinander in einen bestimmten Zusammenhang (in diesem Fall einen kausalen) stellt. Auch für Präpositionen, wie etwa zu (bzw. zum) in (5) gilt, dass sie nicht auf außersprachliche Gegenstände, sondern lediglich auf räumliche, zeitliche oder sonstige Verhältnisse von Gegenständen zueinander referieren. Präpositionen ohne Substantiv sind daher sinnlos. Und schließlich muss auch ist in (5) eher als Funktionswort denn als Inhaltswort beschrieben werden. Es drückt hier nur aus, dass einer Person (Mädchen) eine bestimmte Eigenschaft (erkältet) zukommt. Selbstständige Referenz hat es daher nicht.
offene und geschlossene Klasse
Neben der Referenzfunktion kann als weiteres Unterscheidungsmerkmal zwischen Inhalts- und Funktionswort das Kriterium der offenen bzw. geschlossenen Klasse (dazu allgemein Sasse 1993: 652) herangezogen werden, und zwar dahingehend, dass Funktionswörter tendenziell in geschlossenen Klassen, Inhaltswörter in offenen Klassen organisiert sind. Eine Klasse wird dann als geschlossen aufgefasst, wenn sie aus einer kleinen, im Regelfall nicht erweiterbaren Menge von einzeln benennbaren Elementen besteht. Diese können durch wohldefinierte Oppositionen voneinander abgegrenzt werden und bilden damit ein sog. Paradigma. Ein solches Paradigma stellen etwa die vier Kasus des Deutschen, die Hilfsverben sein, haben, werden, einzelne Gruppen von Konjunktionen oder die Fragepronomina wer, wie, wo, was dar. Im Gegensatz dazu ist eine offene Klasse eine im Prinzip unendliche Liste von Einzelelementen, die unter beliebigen Gesichtspunkten zusammengestellt werden können. Die Elemente einer offenen Klasse sind nicht oder nur in begrenztem Maße durch systematische Oppositionen voneinander unterscheidbar, und offene Klassen können zudem problemlos neue Elemente integrieren.
Die in diesem Abschnitt eingeführte Unterscheidung zwischen Inhaltswort und Funktionswort sollte für die Inhaltswörter nicht zu dem Fehlschluss verleiten, deren Bedeutung sei ganz und gar autonom und könne ohne Bezug auf die Bedeutungen anderer Wörter beschrieben werden – dies legt besonders der Terminus ‚Autosemantikon‘ nahe. Schon aufgrund der Tatsache, dass Wörter nie isoliert, sondern immer gemeinsam mit anderen Wörtern vorkommen, wäre dies eine absurde Annahme. In welcher Weise freilich Inhaltswörter mit anderen Wörtern in Beziehung stehen können, ist in Kapitel 5 genauer darzulegen.