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4. Part­ner­schaft und Freund­schaft

Vol­ker Herms­dorf: Kuba hat am 12. Januar 1963 als ers­tes Land Latein­ame­ri­kas die DDR aner­kannt. Wie ent­wi­ckelte sich das Ver­hält­nis wei­ter?

Hans Modrow: Die völ­ker­recht­li­che Aner­ken­nung war ein gro­ßer Bei­trag der Soli­da­ri­tät Kubas mit der DDR. Damit wurde die Hall­stein-Dok­trin durch­bro­chen. Kuba wusste, dass die Bun­des­re­pu­blik die diplo­ma­ti­schen Bezie­hun­gen ein­stel­len würde und hat diese Ent­schei­dung trotz­dem gefällt. Uns war klar, dass Havanna damit aus Soli­da­ri­tät zu uns eine Last auf sich genom­men hatte, die viele Jahre getra­gen wurde. Denn die welt­weite Aner­ken­nung der DDR erfolgte ja erst nach 1972. Danach hielt Bonn es für oppor­tun, die diplo­ma­ti­schen Bezie­hun­gen zu Kuba wie­der auf­zu­neh­men, weil die BRD sich sonst ins eigene Fleisch geschnit­ten hätte. In die­ser Zeit war die Hall­stein-Dok­trin zum Bume­rang gewor­den. Nach die­ser Dok­trin hätte die BRD näm­lich auch die Bezie­hun­gen zu Japan und sogar zu den USA abbre­chen müs­sen, weil diese Län­der die DDR nach der Kon­fe­renz von Hel­sinki aner­kannt hat­ten.

VH: Die linke 1968er-Bewe­gung West­eu­r­o­pas und der Bun­des­re­pu­blik beschäf­tigte sich mit den revo­lu­ti­o­nären Befrei­ungs­kämp­fen in Viet­nam, Afrika und Latein­ame­rika. Wie war in die­ser Zeit das Ver­hält­nis der DDR-Jugend zu Che Gue­vara und Kuba?

HM: Im Wes­ten ver­mischte sich die Begeis­te­rung für Che Gue­vara, Ho Chi Minh, und ande­ren lin­ken Ido­len ja immer mit dem Wunsch, die vor­ge­fun­dene kapi­ta­lis­ti­sche Gesell­schaft zu ver­än­dert, wäh­rend es bei uns vor allem darum ging, prak­ti­sche Soli­da­ri­tät zu orga­ni­sie­ren. Che war für uns ein Revo­lu­ti­o­när, der für unsere Sache stand. Aus unse­rer Sicht muss­ten wir das, wofür Che ein­trat, nicht mehr erkämp­fen. Wir ver­such­ten ja bereits das umzu­set­zen, wofür Che noch kämpfte.

VH: Am 9. Okto­ber 1967 wurde Che Gue­vara in Boli­vien ermor­det. Zu sei­ner Gue­rilla gehörte auch Tamara Bunke. Wie war die Reak­tion in der DDR auf ihren Tod?

HM: Als Tamara sich der Gruppe von Che anschloss, wusste sie, dass sie sich in Lebens­ge­fahr brachte. Sie ist die­ses Risiko ein­ge­gan­gen, um für eine bes­sere Welt zu kämp­fen, statt nur dar­über zu reden. Die Nach­richt von ihrem Tod traf viele von uns zutiefst und ihr Leben, ihr Ein­satz und ihre Auf­op­fe­rung wur­den umfas­send gewür­digt. Dabei wurde immer betont, für wel­che Ziele Tamara gestor­ben ist. Die Erin­ne­rung an sie, ihr Vor­bild als Revo­lu­ti­o­nä­rin, lebte in der DDR in den Ein­rich­tun­gen, die ihren Namen tru­gen, wei­ter.

VH: Nach gut 20-jäh­ri­ger Erfah­rung in ver­schie­de­nen Posi­ti­o­nen in der DDR sind Sie 1970 zum ers­ten Mal nach Kuba gereist. Was war der Anlass für Ihre Reise?

HM: Anlass war die Teil­nahme einer hoch­ran­gi­gen SED-Dele­ga­tion an den Fei­er­lich­kei­ten zum Nati­o­na­l­fei­er­tag am 26. Juli. In Kuba wur­den die Gesprä­che von einer Arbeits­de­le­ga­tion der SED geführt, die unter mei­ner Lei­tung stand. Wir besuch­ten ver­schie­dene Regi­o­nen und führ­ten in Cien­fue­gos, damals Kubas größ­ter Zucker­ex­port­ha­fen, Gesprä­che über eine Stei­ge­rung der Lie­fe­run­gen in die DDR. Neben wirt­schaft­li­chen Ver­hand­lun­gen hat­ten wir auch poli­ti­sche Gesprä­che, unter ande­rem mit Kubas dama­li­gem Prä­si­den­ten Osvaldo Dor­ticós Tor­rado. Für mich war das eine neue Her­aus­for­de­rung. Denn meine bis dahin unter­nom­me­nen Rei­sen in die Sowje­t­u­nion, nach Skan­di­na­vien oder China betra­fen immer die Bezie­hun­gen der Jugend­ver­bände oder der Par­teien. In Kuba lei­tete ich nun eine Arbeits­de­le­ga­tion, deren Auf­trag gemischt war. Es ging sowohl um einen Aus­tausch zwi­schen den Par­teien als auch um wirt­schaft­li­che Bezie­hun­gen zwi­schen den bei­den Staa­ten. Für uns ging es darum, die gemein­sa­men Inter­es­sen der bei­den Län­der her­aus­zu­fin­den. Die DDR war vor allem an einer Stei­ge­rung der Zucke­rim­porte inter­es­siert. Das konnte nur erreicht wer­den, wenn wir im Gegen­zug Waren und Dienst­leis­tun­gen anbie­ten konn­ten, die in Kuba gebraucht wur­den. Ein wei­te­rer Punkt war der Aus­bau des Hafens in Cien­fue­gos für den See­ver­kehr mit der DDR. Unser Außen­han­del mit Kuba ging zu der Zeit vor allem über Cien­fue­gos.

VH: Was waren Ihre ers­ten Ein­drü­cke in Havanna?

HM: Der erste Anflug auf Kuba war und bleibt für mich ein unver­gess­li­ches Erleb­nis. Ich hatte schon einige Län­der besucht, aber Kuba war für mich etwas Neues. Meine dama­li­gen Gefühle sind nur schwer mit Wor­ten zu beschrei­ben. Wir hat­ten das Glück, am Tag anzu­kom­men, und die Insel prä­sen­tierte sich im strah­len­den Son­nen­schein. Aus dem tie­fen Blau des Oze­ans wur­den die Kon­tu­ren einer Küste erkenn­bar. Dann waren Wel­len zu sehen, die an diese Küste roll­ten, sich an fel­si­gen Abschnit­ten bra­chen und plötz­lich waren Pal­men zu erken­nen. In uns allen wuchs die Span­nung auf das, was uns erwar­ten würde. In die­sen Minu­ten des Anflugs war es für mich ein sehr erhe­ben­der Ein­druck, den ich von der Schön­heit und Fas­zi­na­tion der Natur, die sich uns dar­bot, hatte. Das war das erste, was uns über­wäl­tigte – und dabei hat­ten wir natür­lich dort oben in der Luft noch keine Ahnung von den groß­ar­ti­gen Men­schen, die wir auf Kuba tref­fen und ken­nen­ler­nen soll­ten.

VH: Viele Besu­cher wer­den von der Insel, vor allem aber von ihren Men­schen vom ers­ten Besuch an in den Bann gezo­gen. Wie war das bei Ihnen?

HM: Das war zu Beginn wie ein Kul­tur­schock – aber im posi­ti­ven Sinne. Zunächst waren wir etwas hilf­los, weil wir merk­ten, dass die Men­ta­li­tät der Kuba­ner völ­lig anders war, als das was wir kann­ten. Wobei die­ses Gefühl in Havanna nicht so aus­ge­prägt war wie spä­ter in den Pro­vin­zen und klei­ne­ren Städ­ten. Havanna ist eine große Stadt, ist laut und hek­tisch. Dann bescherte uns jeder Tag neue Erleb­nisse, Ein­drü­cke und Ent­de­ckun­gen, die haf­ten blie­ben. Dazu kam eine von Her­zen kom­mende Gast­freund­schaft und das Gefühl, in das Gesche­hen inte­griert zu sein, dazu zu gehö­ren und sich nicht als Außen­ste­hen­der zu füh­len. Trotz der Sprach­bar­rie­ren erleb­ten wir einen Umgang, der immer offen und locker war. Egal, ob wir uns mit Hafe­n­a­r­bei­tern in Cien­fue­gos, Beschäf­tig­ten in einer Fabrik, den Mache­te­ros auf den Zucker­rohr­fel­dern, Bau­ern auf dem Lande oder unse­ren Gesprächs­part­nern von der Par­tei und den Minis­te­rien unter­hiel­ten – die Men­schen auf Kuba hat­ten keine Distanz, kei­nen Abstand zu uns. Unab­hän­gig von der poli­ti­schen Nähe war und ist Kuba für mich gleich­be­deu­tend mit dem Erschlie­ßen einer neuen Welt.

VH: Sie haben am 26. Juli 1970 als Ver­tre­ter der DDR in Havanna an der Kund­ge­bung zum Jubi­läum des Sturms auf die Mon­cada-Kaserne teil­ge­nom­men. Wie war das?

HM: Ich habe die Kund­ge­bung auf der Tri­büne vor dem Denk­mal José Mar­tís erlebt. Von allen Sei­ten ström­ten Men­schen heran, ver­ein­ten sich zu einem gewal­ti­gen Zug bis der rie­sige Platz voll war. Das Bild war für mich beein­dru­cken­der als die gut orga­ni­sier­ten Demon­s­tra­ti­o­nen, die ich aus der DDR kannte. Fidel Cas­tro begrüßte die kuba­ni­schen Werk­tä­ti­gen und die Gäste – unter ande­rem unsere Dele­ga­tion, sowie Nadja und Erik Bunke, die Eltern von Tamara. Er hielt eine lange Rede und wäh­rend der gan­zen Zeit blieb der große Platz voll. So etwas hatte ich noch nie erlebt. Ich konnte es kaum fas­sen, dass eine viele Stun­den dau­ernde Anspra­che gehal­ten wurde und die Men­schen dem Red­ner wäh­rend der gan­zen Zeit an den Lip­pen hin­gen, und dass trotz Sonne und Hitze nie­mand weg­ging. Von der Tri­büne aus konnte ich ja den kom­plet­ten Platz über­bli­cken und es war wäh­rend der gesam­ten Rede keine Bewe­gung zu sehen. Das kannte ich von zu Hause anders. Wenn auf dem Marx-Engels-Platz in Ber­lin Kund­ge­bun­gen statt­fan­den, dann konnte man von der Tri­büne aus sehen, wie sich die hin­te­ren Rei­hen all­mäh­lich lich­te­ten. Doch in Havanna blieb der Platz voll, alle woll­ten Fidel zuhö­ren.

VH: Auf der Kund­ge­bung sagte Fidel Cas­tro gleich zu Beginn, dass er nicht nur über die Erfolge der kuba­ni­schen Revo­lu­tion, son­dern auch über Rück­schläge und die eige­nen Feh­ler spre­chen wolle. Es sei das Recht der Mas­sen, auch dar­über infor­miert zu wer­den. Was emp­fan­den Sie dabei?

HM: Unser Ein­druck war, dass hier nicht von oben über etwas gere­det wurde, son­dern ein Dia­log statt­fand. Da sprach nicht der große Füh­rer zu dem klei­nen Volk. Wir hat­ten den Ein­druck, dass das Ver­hält­nis von Fidel Cas­tro und der Kom­mu­nis­ti­schen Par­tei zu den Bür­gern ein sehr offe­nes war und nicht ein Umgang auf Distanz. Es war ein Gefühl von Gemein­sam­keit zu spü­ren, was wir so in der DDR nicht kann­ten. Auch in der Sowje­t­u­nion war diese Art Begeg­nung zwi­schen Spit­zen­po­li­ti­kern und der Bevöl­ke­rung nicht üblich. Die Ana­lyse und Aus­ein­an­der­set­zung mit Feh­lern und Miss­er­fol­gen fand bei uns in den dafür zustän­di­gen Lei­tungs­gre­mien der Par­tei statt und dort blie­ben sie auch. Diese offene Art in Kuba ist sicher etwas, was der Kul­tur und Men­ta­li­tät geschul­det ist, sehr stark aber auch durch die Per­son Fidel Cas­tros geprägt wurde, der tie­fes Ver­trauen in das revo­lu­ti­o­näre Bewusst­sein des Vol­kes hatte. Der Sieg der Revo­lu­tion war ja nur mög­lich gewe­sen, weil die große Mehr­heit des Vol­kes sie unter­stützt hatte. Das scheint mir einer der Gründe dafür zu sein, dass diese Revo­lu­tion bis heute über­lebt hat und noch immer eine Ausstrah­lung auf die Men­schen in aller Welt aus­übt.

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