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Оглавление1. Hans Modrow und Kuba
Volker Hermsdorf: Am 10. Februar 2019 wurde Ihnen in Havanna der Orden der Solidarität der Republik Kuba verliehen. In seiner Würdigung sagte José Ramón Balaguer, Mitglied des Sekretariats des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Kubas und Leiter der Abteilung für Internationale Beziehungen, Hans Modrows politisches Wirken sei stets dem Kampf für die Gerechtigkeit und die Interessen der am meisten Benachteiligten gewidmet. Hans Modrow liebe Kuba, eine Nation, die er immer verteidigt habe. Was bedeutet die Auszeichnung für Sie Herr Modrow?
Hans Modrow: Ich empfinde sie als Anerkennung und Ausdruck der Achtung für Jahrzehnte der Solidarität mit dem revolutionären Prozess in Kuba. Der Augenblick der Verleihung war bewegend für mich und wird in meinem weiteren Leben einen wichtigen Platz einnehmen. In meinen Worten des Dankes an die Kubaner habe ich zugleich auch Worte des Dankes an alle hiesigen Mitstreiter gerichtet, die – ob in der Zeit der DDR oder aktuell – mit mir ihre Solidarität für die sozialistischen Bestrebungen in Kuba zum Ausdruck bringen. Diese Anerkennung gebührt allen Mitgliedern der verschiedenen Solidaritätsgruppen in Deutschland und Europa, die viel Kraft aufbringen, um die Wahrheit über Kuba zu verbreiten. Angesichts der Bestrebungen der USA aber auch reaktionärer Kräfte auf unserem Kontinent, den sozialistischen Prozess in Kuba zu beenden, ist unsere Solidarität so wichtig wie selten zuvor. Ich fühle mich dazu verpflichtet, im Rahmen meiner Möglichkeiten dazu beizutragen. Ich hoffe, ich kann weiter nützlich sein indem ich etwas von meinen vielfältigen politischen Erfahrungen einbringe.
VH: Sie sind seit mehr als sechs Jahrzehnten politisch aktiv, unter anderem als Abgeordneter des Mecklenburgischen Landtags (1951/52), der DDR-Volkskammer (1958–1990), des Deutschen Bundestags (1990–1994) und des Europa-Parlaments (1999–2004). Vom Herbst 1989 bis zum Frühjahr 1990 waren Sie der vorletzte Ministerpräsident der DDR. Als Vorsitzender des Ältestenrats der Partei DIE LINKE agieren Sie weiter politisch. Ihr Lebensweg ist der eines deutschen und europäischen Politikers. Was befähigt Sie über Kuba zu sprechen?
HM: Zunächst möchte ich festhalten, dass ich nicht zu denjenigen gehöre, die den Kubanern aus einer gesicherten, bequemen Position heraus wohlmeinende Ratschläge geben. Wenn wir wüssten, wie heute ein attraktiver, überlebensfähiger Sozialismus aussieht, dann hätten wir in Deutschland und Europa andere Wahlergebnisse und eine fortschrittliche Massenbewegung. Aber wir haben einige der Fehler, die zum Untergang des real existierenden Sozialismus in der DDR, der Sowjetunion und den Ländern Osteuropas beigetragen haben, analysiert und ich weiß, dass viele meiner Gesprächspartner in Kuba ein Interesse an diesen Erfahrungen, aber auch an unseren Fehlern und Irrtümern und deren Bewertung haben. Ich habe Kuba seit 1970 rund ein dutzend Mal besucht. Bei allen Reisen konnte ich auf verschiedenen Ebenen Gespräche führen und zahlreiche Kontakte aufbauen, die teilweise bis heute nützlich sind.
VH: Sie haben von 1952 bis 1953 in Moskau an der Komsomol-Hochschule studiert. Welche Rolle haben Lateinamerika und Kuba 1953 bei den Studenten in Moskau gespielt?
HM: Für uns standen beim Studium andere Themen im Vordergrund. Es gab damals politische Entwicklungen, die uns und die Welt bewegten. Der Korea-Krieg ging in die Endphase, in China wurde eine sozialistische Volksrepublik aufgebaut und in Europa herrschte der Kalte Krieg. Was sich auf Kuba ereignete, haben wir jungen Studenten erst später diskutiert.
VH: Seit wann beschäftigen Sie sich intensiver mit Kuba?
HM: Meine Erinnerungen an Kuba beginnen im Jahr 1960. In dieser Zeit diskutierten junge Leute in der DDR über die dortige Entwicklung. Wir hörten von der Revolution, von Fidel und Raúl Castro. Doch wer von uns wusste bis dahin genau, wo Kuba lag? Dann trat unter den Inseln der Karibik mit einem Mal eine für uns in den Vordergrund. Das war zu einer Zeit, als wir in der DDR eigene Probleme hatten. Wir merkten, dass wir die Jugend nicht mehr oder zumindest immer schwieriger erreichten. Ich war damals Sekretär im Zentralrat der FDJ und für uns stand der Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft im Zentrum. Die Kubanische Revolution stand zunächst nicht auf unserer Tagesordnung. Ich hatte zwar 1959 meine erste Reise nach China unternommen, aber der Sieg der dortigen Kommunisten im Volkskrieg lag schon eine Zeit zurück. Die Gründung der Volksrepublik China durch Mao Tsetung war am 1. Oktober 1949 erfolgt.
Plötzlich hörten wir von Kuba. Dort war die Entwicklung völlig anders verlaufen als bei uns. Es gab eine wirkliche, von der Bevölkerung getragene Revolution. Wir begannen, das mit unseren eigenen Erfahrungen zu vergleichen. Dies geschah in einer Phase, in der sich die Konflikte zwischen Ost und West immer mehr zuspitzten. Kuba erlebte zu dieser Zeit eine ganz andere Situation. Dort stand die große Mehrheit des Volkes mit Begeisterung hinter der Revolution. Insofern war meine erste intellektuelle Begegnung mit Kuba auch mit der Hoffnung verbunden, dass es auch anders geht. Meine Altersgenossen und mich beeindruckte außerdem, dass dort Gleichaltrige ein Volk anführten, das seine Geschicke zum ersten Mal in die eigenen Hände nahm.
VH: Die Bundesrepublik bezeichnete die Entwicklung Kubas Anfang 1960 als »Gefahr für Lateinamerika« und warnte vor dem »Ausbau roter Brückenköpfe vor den Pforten der USA«. Wie hat die DDR das eingeschätzt ?
HM: Die Entwicklung auf Kuba war für meine Generation zunächst eine klare Absage an die von den USA unterstützte Diktatur Batistas. Die Revolution stand für uns aber auch im Gegensatz zur Politik der USA. Unsere Begeisterung für Kuba war deshalb sehr groß. Dort fand eine Revolution statt, die zunehmend im Zentrum des Interesses linker Jugendlicher in aller Welt stand. Die offizielle Kommunistische und Arbeiterbewegung suchte aber noch nach ihrer Position. So berichtete Walter Ulbricht zum Beispiel im Dezember 1960 auf der 11. Plenartagung des Zentralkomitees der SED von einer Tagung der Kommunistischen- und Arbeiterparteien in Moskau: »Auf der Konferenz wurde vereinbart, das kubanische Volk, das seine nationaldemokratische Revolution zum Siege geführt hat, mit allen Kräften zu unterstützen.« Das klingt ganz gut, war aber zwei Jahre nach dem Sieg der Rebellenarmee doch etwas wenig. Ich will nicht sagen, dass dies ein Misstrauen ausdrückte, aber eine Distanz, ein Abwarten dessen, was sich im Hinterhof der USA entwickeln würde, war spürbar. Zugleich gab es aber auch schon ein Interesse an wirtschaftlicher Zusammenarbeit.