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Оглавление3. Invasion und Weltkriegsgefahr
Volker Hermsdorf: Tamara Bunke hatte den Wunsch, nach Kuba zu gehen, um die Revolution dort auch mit der Waffe zu verteidigen. Bestärkt wurde ihre Entscheidung durch die von den USA organisierte Invasion in der Schweinebucht am 17. April 1961. Drei Wochen später war Tamara in Kuba. Wie haben Sie von der US-Aggression erfahren?
Hans Modrow: Die Nachricht über die Aggression in der Schweinebucht wurde in der DDR sofort gemeldet und löste Proteste aus. Ende April demonstrierten zehntausende DDR-Bürger in Berlin ihre Solidarität mit Kuba. Wir sahen die Gefahren, die sich im lateinamerikanischen Raum abzeichneten und fingen an zu verstehen, dass Kuba für die Menschen in Lateinamerika zu einem Beispiel wurde und dass die USA genau deshalb dort eingriffen. Unser Eindruck war vor allem: Kuba gibt ein Signal gegen die Vormacht der USA und Washington will dieses Signal zerstören. Für uns war klar, dass unsere Aufgabe darin bestand, die Solidarität mit Kuba zu organisieren.
VH: In den Tagen und Wochen vor der Invasion hatten CIA-Agenten in Kuba eine Serie von Terroranschlägen verübt. Nach der Bombardierung kubanischer Flughäfen erklärte Fidel Castro am 16. April die Kubanische zu einer sozialistischen Revolution. Wie war das Echo darauf in der DDR?
HM: Ich erinnere mich noch gut daran. Zu diesem Zeitpunkt war ich Kandidat des Zentralkomitees der SED. Ich war im Betrieb beschäftigt und saß dort in einer Ecke an einem kleinen runden Tisch als ein Kurier mit eiliger ZK-Post hereinkam. Ganz oben lagen die Meldungen über die Rede von Fidel Castro. Das war für uns ein positives Signal. Zugleich wurde uns bewusst, dass wir jetzt stärker gefordert sein würden. Eine Folge von Castros Erklärung war die spätere Aufnahme Kubas in den Rat für Gegenseitige Wirtschaftshilfe, der Wirtschaftsorganisation der sozialistischen Länder Osteuropas. Die wirtschaftliche Zusammenarbeit sollte die kurz nach der Invasion von den USA gegen Kuba ausgerufene Blockade und die Bekämpfung der Revolution mit wirtschaftlichen Mitteln kompensieren. Wir kannten das ja selbst, denn auch die DDR sollte vom Westen ausgeblutet werden. Kuba war jetzt das erste sozialistische Land Amerikas und damit ein Teil von uns geworden. Dementsprechend wurde mobilisiert.
VH: Eine Frage zum Bau der Mauer. – Nach westlicher Interpretation sollte dadurch vor allem die Abwanderung von Fachkräften verhindert werden. Die DDR behauptete, dass die Schließung der Westgrenzen der Sicherung des Friedens diente. Darauf reagieren Konservative, Sozialdemokraten aber auch manche, die sich links nennen heute geradezu hysterisch.
HM: Und doch ist das ein Teil der Wahrheit. Ich möchte sogar sagen, der wesentliche Teil. Wenn Chruschtschow und Kennedy am 4. und 5. Juni 1961 sich in Wien treffen und die beiden mächtigsten Männer der Welt in dieser Zeit über die Frage eines möglichen Krieges in der Westberlin-Frage sprechen, da war der Frieden wohl keine Randfrage der Zeit.
Gewiss ging es auch darum, die massenhafte Abwanderung von dringend benötigten Fachkräften zu stoppen. Dieses Ziel ist verständlich – aber nur um das zu erreichen, wäre die Maßnahme des Mauerbaus auch im Nachhinein nicht nachvollziehbar. Im August 1961 stand Moskau jedoch vor der Frage, ob die DDR preisgegeben werden sollte, womit die Sowjetunion ihre Rolle als Siegermacht im zweiten Weltkrieg verlieren würde. Die Militärs hätten das niemals akzeptiert, denn die Gründung der DDR war ein Ergebnis ihres Sieges über den deutschen Faschismus. Anfang August 1961 forderten die Staaten des Warschauer Vertrages die DDR deshalb auf, ihre Grenzen zu sichern. Die Volkskammer der DDR, der ich angehörte, beauftragte die Regierung in einer Sondersitzung am 10. August 1961 die notwendigen Schritte dafür einzuleiten. Die anderen Länder des Warschauer Vertrages ergriffen gleichfalls Maßnahmen. Das hieß, dass die Grenze von der Ostsee bis zum Schwarzen Meer geschlossen wurde. Dazu gehörte nicht allein die Mauer in Berlin. Als in Europa die Grenzen gesichert wurden, stellte ich mir auch die Frage, was mit Kuba geschehen würde, wenn das Land mit seinen sehr langen Küstenlinien von See her angegriffen würde. Heute zeigt Kuba uns, dass Probleme durch Migration und Auslandsreisen anders gelöst werden können. Auch Kuba steht ja vor dem Problem, dass die USA viel Geld dafür ausgeben, um die im Land ausgebildeten Spezialisten zum Verlassen ihrer Heimat zu bewegen. Die Regierung in Havanna verhindert ein Ausbluten des Landes jedoch nicht durch Verbote und Repression, sondern dadurch, dass es zum Beispiel Mediziner weit über den eigenen Bedarf ausbildet. Das ist zwar für die Gesellschaft sehr teuer, aber wirksam. Aber 1961 hatten wir in Europa eine andere Situation und jeder, der die Geschichte kennt, muss zugeben, dass der Frieden in einem Maße gefährdet war, wie nie zuvor seit dem Zweiten Weltkrieg.
VH: Im Oktober 1962 ist es mit der Oktoberkrise, die im Westen auch Raketenkrise genannt wird, dann doch noch fast zum Krieg gekommen.
HM: Diese beiden Ereignisse der Jahre 1961 und 1962, der Mauerbau und die Oktoberkrise, sind nach meiner Wahrnehmung die größten Zuspitzungen, die es im gesamten Kalten Krieg gegeben hat. Während sich hier in Europa die Truppen der NATO und des Warschauer Vertrages gegenüberstanden, wäre ein Angriff auf Kuba formal kein Verteidigungsfall für unser Bündnis gewesen. Trotzdem war es das erste Mal, dass die beiden Supermächte und die Militärblöcke aufeinander prallten. Mit der Invasion in der Schweinebucht hatten die USA zwar bereits eine Grenze überschritten, aber das war noch ein Konflikt zwischen den USA und Kuba, es gab noch keine direkte Beteiligung der Sowjetunion. Das war in der Oktoberkrise 1962 anders.
VH: Die Bundesrepublik mischte sich kräftig ein und goss Benzin ins Feuer. Bundeskanzler Konrad Adenauer forderte von den USA ein »entschlossenes Eingreifen auch unter dem Einsatz von militärischen Mitteln«.
HM: Adenauer und die Regierung der Bundesrepublik gossen in dieser Zeit tatsächlich Öl ins Feuer. Sie hatten mit der Hallstein-Doktrin, die sie später auch gegen Kuba anwandten, den Versuch einer diplomatischen, politischen und wirtschaftlichen Blockade der DDR gestartet. Mit dem Motto »Wandel durch Stärke« beschrieben sie, wie die DDR eliminiert werden sollte. Die Position »Wandel durch Annäherung« der Sozialdemokraten Willi Brandt und Egon Bahr setzte sich erst viel später durch. Das Verhalten Adenauers in der Oktoberkrise war aus dem Antikommunismus gespeist, der damals in der BRD vorherrschte. Weite Teile der Politik, des Militärs und der Justiz waren von organisierten Gruppen ehemaliger Nationalsozialisten durchsetzt, die mit einer Zuspitzung auch ihr eigenes Süppchen kochten.
VH: Fidel Castro hat Chruschtschow vorgeworfen, mit den USA hinter dem Rücken der Kubaner verhandelt zu haben. Sonst, so meinte er, wäre das Abkommen zur Beilegung der Krise für Kuba vorteilhafter ausgefallen. Kubas Protest hat Moskau verärgert. Hat sich das auch auf das Verhältnis der DDR zu Kuba ausgewirkt?
HM: Zunächst muss meiner Ansicht nach der damalige Ernst der Lage berücksichtigt werden. Hier erreichte der Kalte Krieg zwischen den USA und der Sowjetunion eine Zuspitzung, die bis an die Grenze eines atomaren Weltkrieges reichte. Die Gegensätze prallten voll aufeinander. Auch mir scheint es so gewesen zu sein, dass die sowjetischen Interessen über die Interessen Kubas gestellt wurden. Warum war die UdSSR bereit gewesen, in Kuba Raketen zu stationieren ? Weil sie damit strategisch direkt vor den USA gestanden hätten. Ein Teil des Problems bestand auch darin, dass die Sowjetunion die Dynamik und die Schärfe des Konfliktes unterschätzt hatte. Am Ende ging es um Minuten und nicht um Stunden. Ich bin sicher, dass Chruschtschow sich in einer Situation wähnte, in der er glaubte, keine Zeit für Konsultationen mit den Kubanern zu haben. Er stand Kennedy gegenüber, er hatte Raketen auf den von den USA georteten Schiffen und er musste schnell handeln. Aber natürlich hat Fidel Castro eine andere Sichtweise. Die ist im Interesse seines Landes verständlich und zu respektieren. Für ihn sah es so aus, dass die Sowjets über seine Verantwortung und seine Sichtweise hinweggegangen waren, womit er recht hatte.
VH: Kuba war nie so abhängig von den Entscheidungen des Kreml wie die DDR. Sehen Sie darin aus heutiger Sicht einen Vorteil?
HM: Ja und nein. Nach der Beilegung der Oktoberkrise war Fidel Castro fast zwei Monate lang in Moskau. Es ist nicht zum Bruch gekommen, aber Fidel Castro hat seine kritischen Positionen weiter vertreten und damit die Souveränität Kubas gestärkt. Ich denke, dass das Bestehen auf der eigenen kritischen Bewertung für Fidel Castro und für die Kubaner ausgesprochen wichtig war. Die Revolution war zunächst ja vor allem gegen kolonialistische und imperialistische Fremdherrschaft und gegen das Kuschen vor fremden Herren gerichtet. Deswegen war es in dieser Situation so wichtig, auch gegenüber der befreundeten Sowjetunion die eigene Souveränität zu behaupten. Das ist eindeutig eine völlig andere Position, als wir sie in der DDR hatten. Allerdings muss man dazu immer auch sagen, dass die eingeschränkte Souveränität ja beide deutsche Staaten betraf. Die Bundesrepublik konnte vieles auch nicht allein entscheiden. Während wir Schritte von größerer Tragweite mit Moskau koordinierten, mussten die Westdeutschen sich in solchen Situationen erst einmal die Zustimmung Washingtons einholen. Die Bundesrepublik hat sich niemals gegen die USA gestellt. Dagegen hat Kuba in der Weltpolitik immer eine eigene, souveräne Rolle gespielt.