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2. Annä­he­rung und Gemein­sam­kei­ten

Vol­ker Herms­dorf: Das erste Wirt­schafts­ab­kom­men wurde im Dezem­ber 1960 zwi­schen dem DDR-Außen­han­dels­mi­nis­ter und ehe­ma­li­gem Spa­ni­en­kämp­fer Hein­rich Rau und Che Gue­vara ver­ein­bart. Wie haben Sie Che Gue­va­ras DDR-Besuch in Erin­ne­rung?

Hans Modrow: Damals bemühte sich der Rat für gegen­sei­tige Wirt­schafts­hilfe (RGW) Han­dels­be­zie­hun­gen zu Kuba auf­zu­neh­men. In der DDR wurde Che Gue­vara der Part­ner von Hein­rich Rau. Rau war ein Mann, den wir als junge Leute sehr geach­tet haben, weil er aus der kom­mu­nis­ti­schen Jugend­be­we­gung kam und nun zum Gestal­ter einer sozi­a­lis­ti­schen Wirt­schaft wurde. Che Gue­vara war damals für viele, die in der DDR und den ande­ren sozi­a­lis­ti­schen Län­dern in Ver­ant­wor­tung stan­den, nicht rich­tig ein­schätz­bar. Einer­seits war er der junge Revo­lu­ti­o­när, zugleich hatte er aber bereits damals einen kri­ti­schen Blick auf unsere Ent­wick­lung. Es gab von ihm Wer­tun­gen über die Sowje­t­u­nion, in der er Büro­kra­tis­mus, man­gelnde Effi­zi­enz, Dis­zi­plin­lo­sig­keit und Kor­rup­tion gese­hen und deut­lich gemacht hatte, dass er so etwas für Kuba nicht als Vor­bild sehe. Das war bei uns wie­derum für viele Was­ser auf die Müh­len. Zur Zeit von Wal­ter Ulbricht in den 1960er Jah­ren hat­ten wir in der DDR eine Phase, in der wir das Modell der Sowje­t­u­nion nicht unver­än­dert über­neh­men woll­ten. Damit war die DDR für Che Gue­vara ver­mut­lich ein RGW-Land, das er mit Inter­esse betrach­tete. Als Lei­ter der Nati­o­nal­bank inter­es­sierte ihn, wie Betriebe und Wirt­schaft in der DDR gelei­tet wur­den. Er hat nicht nur den Blick für die gesell­schaft­li­che Ent­wick­lung im All­ge­mei­nen gehabt, son­dern auch ver­sucht, die inne­ren wirt­schaft­li­chen Ver­bin­dun­gen und Ent­wick­lun­gen in den sozi­a­lis­ti­schen Län­dern Eur­o­pas zu ana­ly­sie­ren. Aus den posi­ti­ven Ein­drü­cken bei sei­nem Besuch lässt sich wohl die Tat­sa­che erklä­ren, dass die DDR unter allen RGW-Län­dern gegen­über Kuba immer eine her­aus­ra­gende Posi­tion inne­hatte.

VH: Im Wes­ten erfolgte die Iden­ti­fi­ka­tion jun­ger Leute mit Che Gue­vara aus Abgren­zung und im Kon­flikt mit der Obrig­keit. In der DDR wurde die Iden­ti­fi­ka­tion mit Che und der Revo­lu­tion geför­dert. Wel­che Fol­gen hatte das?

HM: Sein Bei­spiel hatte einen gewis­sen Ein­fluss auf Aus­ein­an­der­set­zun­gen um die Linie in der FDJ und der SED. Che Gue­vara war für die jun­gen Leute in der DDR eine Per­sön­lich­keit, die viel ausstrahlte. Ich erin­nere mich an Dis­kus­si­o­nen dar­über, wie wir davon in unse­rer Jugend­a­r­beit pro­fi­tie­ren könn­ten. Diese Ansich­ten hat beson­ders Alfred Kurella stark ver­tre­ten. Er war sehr daran inter­es­siert, den revo­lu­ti­o­nären Pro­zess in Kuba bei uns stär­ker dar­zu­stel­len. Kurella war als jun­ger Mann noch mit Lenin zusam­men­ge­trof­fen, den er 1919 als Kurier der KPD in Mos­kau ken­nen­ge­lernt hatte. Spä­ter wurde Kurella zum Mit­be­grün­der der Kom­mu­nis­ti­schen Jugend­in­ter­na­ti­o­nale. Aus heu­ti­ger Sicht muss ich sagen, dass uns damals gar nicht so bewusst war, wel­che Tiefe und wel­che Über­le­gun­gen hin­ter dem steck­ten, was Kurella uns zu ver­mit­teln ver­suchte. Er war über­zeugt, dass die Aus­ein­an­der­set­zung mit revo­lu­ti­o­nären gesell­schaft­li­chen Pro­zes­sen, die Bereit­schaft zur Soli­da­ri­tät bei jun­gen Men­schen viel stär­ker för­dert, als zum Bei­spiel die Dis­kus­si­o­nen über Han­dels­be­zie­hun­gen. Ich denke dass Kurella damit recht hatte. Ein Bei­spiel dafür ist Tamara Bunke.

VH: Bei Gue­va­ras Besuch in der DDR arbei­tete Tamara Bunke als Dol­met­sche­rin für ihn. Ein hal­bes Jahr spä­ter ging sie nach Kuba, kämpfte spä­ter mit Che als Revo­lu­ti­o­nä­rin »Tania La Gue­ril­lera« in Boli­vien. Kann­ten Sie Tamara Bunke per­sön­lich?

HM: Ja, meine Bekannt­schaft mit Tamara Bunke begann mit Auf­nahme ihres Stu­di­ums an der Hum­boldt-Uni­ver­si­tät in Ber­lin. Unsere Jugend­be­we­gung war sehr inter­na­ti­o­na­li­siert. Wir pfleg­ten den Aus­tausch mit Genos­sen in vie­len Län­dern und Tamara war für uns wich­tig, weil sie spa­nisch sprach. Wegen ihrer Sprach­kennt­nisse und wegen ihres mit­rei­ßen­den Enga­ge­ments war sie über­all dabei. Wir tra­fen uns oft beim Essen im Spei­se­saal. Sie war damals eine der enga­gier­tes­ten Mit­strei­te­rin­nen in der FDJ. Durch ihre Über­set­zun­gen für Jugend­funk­ti­o­näre hatte sie ein inter­es­san­tes und für DDR-Ver­hält­nisse abwechs­lungs­rei­ches Betä­ti­gungs­feld. Tamara war eine gut aus­se­hende junge FDJlerin, viel­sei­tig aktiv, doch nie­mand von uns hätte damals gedacht, dass sie ein­mal die »Gue­ril­lera Tania« wird. Der Besuch von Che Gue­vara in der DDR hatte nach mei­nem Ein­druck eine große Wir­kung auf Tamara und for­derte sie als Revo­lu­ti­o­nä­rin her­aus. Danach wollte sie mehr für die Ver­wirk­li­chung ihrer Ziele tun, als sie das in der FDJ konnte. Sie ver­stand sich selbst als Inter­na­ti­o­na­lis­tin.

VH: War sie eher Roman­ti­ke­rin oder Rea­lis­tin? Wie haben Sie Tamara Bunke erlebt?

HM: Ich habe Tamara als eine sehr selbst­be­wusste, gesell­schaft­lich aktive junge Mit­strei­te­rin erlebt. Sie stand immer im Zen­trum, war abso­lut kon­takt­freu­dig, immer begeis­te­rungs­fä­hig – aber auf kei­nen Fall unre­a­lis­tisch oder gar fana­tisch. Tamara war für uns nicht nur die Dol­met­sche­rin, son­dern auch die enga­gierte Jugend­funk­ti­o­nä­rin, die Ausstrah­lung hatte, die andere gewin­nen und begeis­tern konnte. Sie war trotz ihrer Jugend eine Per­sön­lich­keit, vor der alle Respekt hat­ten.

VH: In der DDR wur­den 242 Jugend­bri­ga­den, Frau­en­grup­pen, Kin­der­gär­ten und Schu­len nach Tamara Bunke benannt. Wel­che Bedeu­tung hatte sie für die Jugend in der DDR?

HM: Kuba trat mehr und mehr in den Blick­punkt der DDR-Öffent­lich­keit und mit der Erklä­rung der Revo­lu­tion zu einer sozi­a­lis­ti­schen wuch­sen bei uns das Inter­esse und die Soli­da­ri­tät mit Kuba. Damals galt Kuba vor allem bei der Jugend als Insel der Hoff­nung. Damit rück­ten auch Tamara Bunke und ihr Schick­sal in die Öffent­lich­keit. Über ihr revo­lu­ti­o­näres Enga­ge­ment und den Kampf, den Che Gue­vara in Boli­vien begann, wurde bei uns berich­tet. Obwohl wir etwas rat­los vor der Frage stan­den, warum Ches Ver­such in Boli­vien nicht einen ähn­li­chen Ver­lauf genom­men hatte wie die Ent­wick­lung auf Kuba, wuchs in die­ser Debatte ein unge­heu­rer Respekt und eine Ach­tung vor den Men­schen, die in Boli­vien ihr Leben ein­ge­setzt hat­ten. Wir, die wir von der Roten Armee befreit wor­den waren, hat­ten ja nie die Gefah­ren des revo­lu­ti­o­nären Kamp­fes ken­nen­ge­lernt. Für uns war der Ein­satz von Tamara Bunke in Boli­vien ein Vor­bild und ich will nicht ver­heh­len, dass wir das auch brauch­ten und nutz­ten. Schu­len beka­men nicht nur ihren Namen, son­dern auch Infor­ma­ti­o­nen zu ihrer Bio­gra­fie. Das war für uns ein Teil der revo­lu­ti­o­nären Bil­dung und Erzie­hung in der DDR. Das Leben und Wir­ken von Tamara Bunke wur­den von vie­len jun­gen Leu­ten als Bei­spiel ange­nom­men. Denn sie war ja eine Per­son wie wir alle, eine von uns, aus unse­ren Rei­hen, eine der man selbst mit sei­ner eige­nen DDR-Bio­gra­fie nahe war. Sie war das Vor­bild einer jun­gen kämp­fen­den Frau, einer jun­gen, kämp­fen­den Revo­lu­ti­o­nä­rin. Tamara war eine Per­son, mit der viele von uns stu­diert, dis­ku­tiert, gestrit­ten, gelacht und getanzt haben. Ihre Geschichte spielte im Hier und Jetzt. Und zugleich erfuh­ren wir durch sie etwas über einen revo­lu­ti­o­nären Kampf, der auf einem ande­ren Kon­ti­nent statt­fand. Aller­dings muss ich ein­räu­men, dass wir in den spä­ten 1970er und den 1980er Jah­ren in der DDR immer mehr den Bezug zur Jugend ver­lo­ren haben. Es reicht mei­ner Mei­nung nach aber nicht, dies zuzu­ge­ben, son­dern wir soll­ten auch ver­su­chen, die Ursa­chen zu ana­ly­sie­ren.

VH: Ver­mut­lich ist es für viele Jugend­li­che schwie­ri­ger, sich mit einer Per­son wie Tamara Bunke zu iden­ti­fi­zie­ren als mit einem Idol aus der Film-, Musik- oder Mode­welt. Oder?

HM: Ja, gewiss. Die Iden­ti­fi­ka­tion mit einem Model oder einem Film­star ist ja sehr ein­fach und ver­langt Jugend­li­chen nichts ab. Wenn man sich dage­gen eine Revo­lu­ti­o­nä­rin wie Tamara Bunke zum Vor­bild nimmt, dann hat das auch Kon­se­quen­zen für einen selbst. Des­halb ist es schwie­ri­ger, dafür Begeis­te­rung zu wecken. Trotz­dem fand das Enga­ge­ment, das Tamara den Jugend­li­chen in der DDR vor­lebte, gro­ßes Inter­esse. In den kapi­ta­lis­ti­schen Län­dern wird es heute lie­ber gese­hen, dass junge Leute sich für Cas­ting-Shows inter­es­sie­ren und davon träu­men, Super­stars oder Top-Modelle zu wer­den, statt sich für eine gerech­tere Welt ein­zu­set­zen.

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